Predigt über 1. Kor 14,1-12

  • 13.06.2021 , 2. Sonntag nach Trinitatis
  • Prof. Dr. Andreas Schüle

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, dem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Sprache, liebe Gemeinde, ist ein großes Thema in unseren Tagen. Wie wir miteinander sprechen, sagt etwas darüber, wie wir miteinander umgehen. Dabei geht es nicht nur um die Worte, die man sagt, sondern auch um die Körpersprache, die damit einhergeht. Sprache ist nicht immer eindeutig, sie kann missverstanden werden. Humor oder Ironie oder die feinen Zwischentöne – das geht oft unter oder gerät in den falschen Hals, vor allem in den sozialen Medien. Vielleicht ist das der Grund, weshalb man heute so gerne Emojis einsetzt – sie wissen schon, das sind die kleinen runden Gesichter, mit denen man andeuten kann, wie man das meint, was man sagt.

Gerade weil mit Sprache so viel schiefgehen kann, haben Formeln und Floskeln Hochkonjunktur. Wenn sich eigentlich gar nicht für etwas interessiert oder man sich nicht kümmern will, sagt man souverän: „Ich habe das im Blick“ oder „Ich nehme das mal mit“. Und man ist vorauseilend und übertrieben höflich. Neulich in einer Zoom-Sitzung habe ich es erlebt, dass fast jeder Beitrag mit den Worten „vielen Dank“ begann, was völlig sinnlos war, weil es eigentlich gar nichts gab, wofür man sich hätte bedanken müssen. Aber wenn man einen Satz mit „vielen Dank“ oder „gerne“ beginnt, dann ist man schon mal auf der sicheren Seite, weil man das garantiert niemand übelnehmen kann. Und ob man immer meinen muss, was man sagt, steht ja auch nochmal auf einem anderen Blatt.  

Wie wir miteinander sprechen, sagt etwas darüber, wie wir miteinander umgehen. Sprache ist ein Politikum geworden. Wir erleben zur Zeit eine große und hitzige Debatte über geschlechtssensible Sprache, in der es nicht nur um gute Argumente geht, sondern um die Deutungshoheit – und zwar auf allen Seiten. Wer entscheiden möchte, wie andere sprechen dürfen, will Macht ausüben. Neulich debattierte ein Gremium der Universität fast zwei Stunden hitzig darüber, ob man nun grundsätzlich immer „Studentinnen und Studenten“ sagen soll, ob man die zusammengezogene Form SutdentInnen zu verwenden habe und, wenn ja, ob man zwischen ‚Student-‘ und ‚-innen‘ nun einen Unterstrich, einen Doppelpunkt oder ein Sternchen setzten solle. Da ging es irgendwann gar nicht mehr darum, wie man wem mit Sprache gerecht wird, sondern wer sagen darf, was man sagen darf.

Wie wir miteinander sprechen, sagt etwas darüber, wie wir miteinander umgehen. Das hat auch die frühen christlichen Gemeinden beschäftigt. Da ging es nicht um Emojis oder wie man nun ‚gendert.‘ Das Problem lag etwas anders. In eine Situation hinein, in der Menschen sich übertönten und aneinander vorbeiredeten, schreibt der Apostel Paulus. Das klingt für heutige Ohren zunächst einmal recht skurril:

„Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet! 2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; denn niemand versteht ihn: im Geist redet er Geheimnisse. 3 Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. 4 Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde. 5 Ich möchte, dass ihr alle in Zungen reden könnt; aber noch viel mehr, dass ihr prophetisch redet. Denn wer prophetisch redet, ist größer als der, der in Zungen redet; es sei denn, er legt es auch aus, auf dass die Gemeinde erbaut werde. 6 Nun aber, Brüder und Schwestern, wenn ich zu euch käme und redete in Zungen, was würde ich euch nützen, wenn ich nicht mit euch redete in Worten der Offenbarung oder der Erkenntnis oder der Prophetie oder der Lehre? 7 So verhält es sich auch mit leblosen Instrumenten, es sei eine Flöte oder eine Harfe: Wenn sie nicht unterschiedliche Töne von sich geben, wie kann man erkennen, was auf der Flöte oder auf der Harfe gespielt wird? 8 Und wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zur Schlacht rüsten? 9 So auch ihr: Wenn ihr in Zungen redet und nicht mit deutlichen Worten, wie kann man wissen, was gemeint ist? Ihr werdet in den Wind reden. 10 Es gibt vielerlei Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache. 11 Wenn ich nun die Bedeutung der Sprache nicht kenne, werde ich ein Fremder sein für den, der redet, und der redet, wird für mich ein Fremder sein. 12 So auch ihr: Da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr sie im Überfluss habt und so die Gemeinde erbaut.“

Soweit Paulus an die christliche Gemeinde in Korinth. Ich stelle mir die Situation so vor, dass die Menschen zu Versammlungen und Gottesdiensten zusammenkamen, aber jeder sein Ding machte und sich so auslebte, wie er oder sie das eben für richtig empfand. Die einen pflegten die Glossolalie. Das war, wonach es klingt. Menschen redeten, lallten in Ekstase, ohne dass es jemand verstehen konnte. Das galt damals als besondere, ja höchste Form der Spiritualität. Aber, so sagt Paulus zwischen den Zeilen, manche diese Zungenlaller waren offenbar Menschen mit einem gewissen Geltungsbedürfnis, die sich gerne bewundern ließen. Andere waren da nicht so Wortschwall-gewandt und sagten lieber nichts.

Aber so kommen Menschen am Ende nicht zueinander. So wächst nichts zusammen. Für die Menschen in Korinth, die sich allem Anschein nach auseinanderlebten, versucht Paulus eine christliche Sprachlehre zu entwickeln. Und diese Sprachlehre hat vor allem zwei Lektionen:

Lektion I: Sprache muss verständlich sein.

Das hat nicht nur mit Grammatik und Satzbau zu tun. Wichtiger ist, dass ich meine Worte so wähle, dass der andere eine Chance hat, zu verstehen, worum es mir wirklich geht, was mir am Herzen liegt und wie ich es meine. Das bedeutet aber, dass ich mich nicht hinter meinen Worten verstecke und keine Nebelbomben werfe. Es bedeutet natürlich auch, dass mein Gegenüber mir nicht mit Vorbehalten begegnet, sondern sich auf das einlässt, was ich sagen möchte. Um Missverständnisse muss man sich nicht bemühen, um ein profundes, empathisches Verstehen dagegen schon. Das braucht Zeit, die die Menschen (auch damals) oft nicht füreinander hatten.

Heute gibt es zwar keine Glossolalie mehr, aber Gelalle und verbalen Durchfall gibt es trotzdem. Wer auf Twitter, Instagram oder dem fast schon veralteten Facebook unterwegs ist oder wer sich die Kommentarfunktionen von Online-Zeitungen anschaut, weiß, dass dort mitunter gänzlich enthemmt in die Tasten gehämmert wird, was in einem dunklen Eck des Gehirns seinen Ausgang nahm. Und da gibt es oft nicht viel, was sich dem Unflat noch in den Weg stellt. Umgekehrt gibt es aber auch das ganz professionelle und gesittete Gelalle: die Worthülsen im Sakko oder im Kostüm, an denen alles abprallt; das benevolente und super-informierte Zutexten, bis das Gegenüber resigniert die Fahnen streicht. Man kann viel reden und es bei jedem Wort darauf anlegen, nichts Wesentliches zu sagen. Wir haben einen langen Wahlkampf vor uns und werden davon wohl mehr abbekommen als einem lieb sein kann. Allerdings braucht man da nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen. Auch kirchliche Institutionen und Würdenträger beherrschen dieses Genre. Das gibt es durchaus – das fromme, offiziell-kirchliche Gelalle, das nach Himbeersirup schmeckt und etwa genauso nahrhaft ist … .

Das führt zu Lektion II einer christlichen Sprachlehre: Was man sagt, soll die Gemeinde nähren, erbauen und stärken.

Paulus misst alles Gesagte an den Absichten, die man damit verfolgt. Will ich denn wirklich, dass sich mein Gegenüber auf das einlassen kann, was ich sage? Oder will ich einfach Recht haben – und das auch zeigen? Von dem Schriftsteller Max Frisch stammt der Satz: „Man sollte dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten, dass er in ihn hineinschlüpfen kann, und sie ihm nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen.“ Das ist ein schönes Bild dafür, wie Sprache sein soll – wie ein Mantel, der kleidet und Geborgenheit gibt.

Paulus drückt es anders, theologischer aus, meint aber etwas ganz Ähnliches, wenn er vom Geist Gottes redet, der es Menschen erlaubt, so zueinander zu sprechen, dass sie einander auch annehmen können. Wenn dieser Geist durch die Worte weht, dann geschieht nicht nur Verstehen, sondern Annäherung; nicht nur Kommunikation, sondern Gemeinde. Das gelingt nicht immer. Auch unter Christenmenschen gibt es Argwohn und Missverstehen, und von christlichen Egomanen und Selbstdarstellern weiß schon Paulus ein Lied zu singen. Aber wir säßen vermutlich nicht hier, wenn da nicht die Erfahrung wäre, dass es trotz des Hintergrundsrauschens geistlosen Gelalles eben auch das geistreiche und begeisternde Wort gibt, das wir empfangen und selbst sprechen. 

Liebe Gemeinde, heute hätte das Bachfest begonnen – und so ein bisschen kann es ja nun auch stattfinden. Da passt es gut, wenn Paulus das geistbegabte Sprechen mit gut gestimmten Musikinstrumenten vergleicht. Sie kennen das alle, man sitzt im Konzert und das Orchester stimmt sich ein. Da wird irgendwie gefiedelt und getrötet, da werden Töne gesucht, das alles geht durcheinander und nervt auch ein bisschen. Aber mit dem ersten Takt ist dann auf einmal der volle Klang da, und das ist wie eine kleine Erlösung. So stellt sich Paulus das Wirken des Geistes vor. Der Geist stimmt unsere Worte, so wie man das mit einer Geige macht, und zwar nicht nur damit die Geige gut klingt, sondern damit sie mit anderen Instrumenten harmoniert. Das gilt auch für das Sprechen und Kommunizieren. Es reicht eben nicht, wenn man so spricht, wie einem der Schnabel gewachsen ist, oder so auf Twitter tippt, wie die Finger eben lang oder krumm sind. Es braucht das Gestimmtwerden und Einstimmen, damit daraus ein Klang wird. Wie alle Musiker wissen, geht das nicht von allein, man muss schon auch etwas dazu tun, muss üben, üben, üben … . Das gilt auch für das Sprechen. Aber irgendwann kommt dann, wie beim Musizieren, der Punkt, wo es wie von alleine geht, wo es klingt und harmoniert und Freude macht.

Amen.