Predigt über 1. Mose 28, 10 ff.

Die Predigt hielt Pfarrerin Britta Taddiken in der Marktkirche in Hannover.

  • 22.09.2019 , 14. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran 11 und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen. 12 Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. 13 Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. 14 Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. 15 Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe. 

16 Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! 17 Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. 18 Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf 19 und nannte die Stätte Bethel; vorher aber hieß die Stadt Lus.

Liebe Gemeinde,

diese Geschichte gehört sicher zu den Geschichten, die am meisten in die Kunst Eingang gefunden haben. Von der Ikone des 6. Jahrhunderts bis hin zu Chagall und der Moderne - immer wieder dieser Traum des Jakob von der Himmelsleiter. Engel steigen auf und ab und oben Gott. Das hört, das sieht ein Mensch mitten in der Nacht, an einem Ort wo es nur Steine gibt in einem Moment in seinem Leben, wo er nicht zurückkann. Und wo alles offen ist. Hier berühren sich Himmel und Erde. Sieht er, hört er. Träumt er. Träumt. Ist es nur ein Traum? Was ist das? Wenn man sich die Kunst anschaut: Alle Künstler tauchen dieses Erlebnis in besonderes Licht, wo die Konturen verschwimmen. Und wenn ich diese Geschichte höre, höre ich irgendwie dieses Licht mit. Licht „hören“ – ja, das würde ich mal so beschreiben. Und so ist die Frage, wo da jetzt hineingreifen, wo wir beginnen, wenn wir uns diese ganze Geschichte jetzt miteinander ansehen in diesem besonderen Licht. Ich will es versuchen, wie man sich ein Bild anschaut. Das Auge springt dabei hin und her. Aber in guten Bildern sieht man in jedem Detail doch das Ganze - egal in welcher Reihenfolge man sich die Details anschaut – und manchmal auch kurz rausspringt. Versuchen wir es, denn ich bin überzeugt: Diese Geschichte ist nicht nur ein gutes Bild, sondern ein großartiges, sonst wäre es nicht so oft gemalt worden. Beginnen möchte ich bei dem am Fuße der Leiter. Bei Jakob. Denn es ist sein Traum.

Ein Traum, nur ein Traum? Er ist eigentlich kein wirklicher Träumer, dieser Jakob - vielleicht später dann Josef, sein Sohn. Jakob eher nicht, er ist eher eine etwas zwielichtige Gestalt. Jedenfalls hat ihn seine Geschichte hier hergeführt. Ein Schlitzohr, Liebling der Mutter. Und schon bei der Geburt lässt er seinen Zwillingsbruder Esau die Arbeit machen. Jakob heißt „Fersenhalter“, denn er hält sich fest an der Ferse des Bruders. Er ist jemand, der mit durchrutscht. Einer, der sozusagen gern im Windschatten bleibt. Aber der sich andererseits nicht mit der Rolle abfinden kann, im Leben nur die zweite Geige zu spielen. Kennen Sie das? Kommt Ihnen das bekannt vor? Vielleicht ist Jakob auch so jemand ein innerer Bruder von uns selbst – ich glaube es ist nicht von ungefähr, dass diese Geschichten von Abraham, Isaak und Jakob als Familiengeschichten erzählt werden – wir sind damit drin als Schwestern, Brüder, Kinder, Väter. Und sie sind in uns. Denke ich. Glaube ich. Jakob – er will auf die erste Stelle in diesem Familienorchester. Das Erstgeburtsrecht muss her. Er luchst es seinem etwas tumben Bruder Esau ab für ein Linsengericht. Jakob ist schlau, er hat ein Händchen für den richtigen Moment als der Bruder so hungrig vom Feld, dass er alles geben würde für ein simples Linsengericht. Auch das kennen wir, oder? In solchen Momenten zu überlegen, ob wir unsere hehren Vorsätze nicht doch drangeben, was soll’s, man lebt nur einmal und meinetwegen wird die Welt nicht untergehen – auch Bruder Esau ist in uns, aber das nur am Rande.  

Jakob will auf diesen Platz, er will raus aus seiner Bedeutungslosigkeit des Zweitgeborenen. So viel weiß er. Aber weiß er, was er will? Mir kommt er an dieser Stelle der Geschichte immer vor wie ein Getriebener, dies will ich noch haben und das und dann bin ich glücklich, dann habe ich es. Aber die Frage, wer bin ich, was hält mich eigentlich, wird bei dieser Jagd nicht beantwortet. Für mich ist Jakob auch der innere Bruder all derer, die auf der Suche sind nach ihrem Platz im Leben. Und besonders derer, die das vielleicht noch gar nicht wirklich wissen, die noch gar nicht verstanden, was sie da eigentlich anstreben in ihrer Angst vor der Bedeutungslosigkeit, in ihrem Wunsch: Ich will da mitspielen, ich will gehört werden! Wie viele erlebe ich da in Sachsen und sicher gibt es sie auch hier in Hannover, sicher gibt es sie, die dabei in ihrem Gestrampel unter Wut und Gebrüll nach unten treten Richtung Schwächste, denn wenn man die niedermacht, ist man schon stärker, fühlt sich schon weiter oben, aber nicht besser – wie auch, wenn man eigentlich nicht weiß, wo will ich denn hin, von was will ich leben, wo will ich ankommen. Mir wird immer klarer, warum alle Formate, miteinander ins Gespräch zu kommen, bisher gescheitert sind. Solange man nicht weiß, was ist das Ziel – solange wird es auch schwierig bleiben.

Nun, da können und müssen wir natürlich auch immer wieder bei uns selbst anfangen, sind dann wie Jakob, der noch mehr ahnt als weiß, was er als nächstes braucht für diesen Weg: den Segen des Vaters. Hier hilft ihm seine Mutter, Rebekka, aber was heißt, sie hilft ihm, sie zieht die Fäden, weiß offenbar sehr viel genauer als er, dass er diesen Segen des alten sterbenden Vaters braucht, sie ist noch schlauer als Jakob, versteht Jetzt ist der Moment in seinem Leben gekommen wo er verstehen sollte, lernen sollte, was dieser Segen bedeutet. Dafür fehlt ihm noch das Gefühl, was das ist: Segen. Dazu betrügen sie den alten Vater - Jakob ganz Fersenhalter noch, diesmal nicht in Esaus Schlepptau, sondern in dem seiner Mutter. Er ist so schlau, ihr bei diesem wahnwitzigen Plan zu vertrauen, bei dieser Maskerade, wo sie dem alten, sterbenden, halb blinden Vater Isaak weiß machen, er sei Esau- und es geht auf. Jakob hat den Segen.

Und nun? Und nun geht die Reise erst los in seinem Leben. Danach kann er nur noch verschwinden, muss es tun. Und muss jetzt vom Fersenhalter zu dem werden, der er ist, muss mit den Konsequenzen dieses Segens leben, muss Ungewisses wagen – ohne den dümmeren älteren Bruder, ohne seine Mutti, ohne den blinden alten Vater. In der Fremde soll er leben, eine Frau nehmen. Er muss jetzt er selbst werden, selbst erste Schritte tun, Niederlagen verkraften, Lernen, dass man mit Berechnung nicht weit kommt, Lernen, sich abzukämpfen am Leben und auch an Gott, und dass das alles zu tun hat mit dem Segen, dass das alles Folgen sind - das ist dann aber eine spätere auch nächtliche Geschichte, die vom Kampf am Jabbok.

Bleiben wir erst mal bei dieser von der Himmelsleiter, kommen nun zurück zu diesem Bild mit seinem Licht, und schauen auf die Leiter, die er da sieht, in seinem Traum. Dem biblischen Wort nach ist es eher eine breite Rampe wie vor einem altorientalischen Tempel, stabil, keine wacklige Sache wie Strickleiter oder so. Jakob sieht sie im Traum. Nur ein Traum? Nun - sie ist so stabil, dass sie mit Träumerei vom Himmel auf Erden nichts zu tun hat. Auch wenn sich im nächtlichen Licht die Konturen vermischen mögen, es ist und bleibt klar, wo oben und unten ist. Und es ist klar, wer den Abstand zwischen Himmel und Erde überbrückt, es ist Gott selbst. Jakob ist ganz passiv, er kann nur beobachten. Er kann nicht eingreifen, er kann es nur geschehen lassen, was da geschieht. Ein Traum, nur ein Traum? Nun, alles, wonach er im wachen Zustand gestrebt hat, er erlebt es hier. Es geschieht ihm. Was er letztlich hört ist: Höre auf, dich von Deiner Angst vor Deiner Bedeutungslosigkeit treiben zu lassen. Höre auf, ständig die Fersen anderer zu halten um nach vorne zu kommen. Höre auf, auf der Jagd zu sein nach irgendeinem Glück oder nach einem Platz ganz oben. Du bist ein Gesegneter, du bist es schon längst. Höre auf, den Himmel stürmen zu wollen. Er kommt doch zu Dir. Du bist schon an deinem Ort, wo Du bleiben kannst, wo Du wohnen kannst. Und von dir wird genau dieser Segen auch ausgehen.

Es geschieht Jakob, einfach so. Er hört und sieht im Schlaf. In dem Moment, wo wir nicht klug sind, wo wir nicht berechnen, sondern nur da sind. Im Traum, gibt es das – wenn wir denn Jakobs Geschwister sind, gibt es das dann im Traum, ist das nicht auch nur ein Traum vom Leben dieser Spruch, den Seinen gibt es der Herr im Schlaf? Was geschieht hier wirklich, kann mir das auch geschehen, kann ich das so glauben für mich. Segnet mich Gott im Traum?

Gucken wir das Bild dazu noch mal aus der anderen Richtung an, von dem, was am nächsten Morgen passiert, der immer noch von diesem ganz eigenen Licht beschienen wird. Da macht Jakob zum ersten Mal etwas wirklich allein, jedenfalls etwas, was wirklich Bestand hat. Er jagt nicht mehr seinen Phantasien hinterher, lässt sich nicht treiben von irgendetwas, sondern er entscheidet: Das, was ich erlebt habe, war wichtig. Und er verhält sich zu Gott wie ein Gegenüber. Richtet ihm einen Stein auf, salbt ihn. Es gibt das erste Mal etwas Bleibendes in seinem Leben. Einen Punkt, an dem sich sein Leben festmacht. Wo er nicht mit durchrutscht, wo er nicht auf Kosten eines anderen weiterkommt. Er steht allein hier. Er hat seinen Ort gefunden. Er gibt ihm einen Namen. Er ist jetzt bereit für das, was kommen wird, hat zu einer Klarheit gefunden wie nie zuvor in seinem Leben.

Nun, das macht die Frage nicht leichter: Kann das ein Traum bewirken, kann man so anders aufstehen, als man eingeschlafen ist? Ist das nicht die ganz große Ausnahme, dass Himmel und Erde im Traum zusammen kommen? Ja, wir lesen von Josef, dem Träumer, und Josef, dem Vater Jesu, dem der Engel im Traum sagt, mit dem Kinder und der Mutter nach Ägypten zu fliehen. Wir kennen sie, die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland, die Herodes meiden und auf einem anderen Weg in ihr Land ziehen sollen. Aber ist es nicht allzu verständlich, dass Träume auch schon in der Bibel kritisch gesehen werden, wo die falschen Propheten ihre fragwürdigen Botschaften mithilfe ihrer Träume rechtfertigen “mir hat geträumt, mir hat geträumt“, wie kann ich wissen, dass da Gott am anderen Ende der Leiter steht – und war da nicht auch noch mal irgendwie Sigmund Freud?

Nun, wissen kann es keiner, nur erfahren. Aus der Erfahrung heraus kann ich für mich sagen: Ja, ich bin für den Himmel anders ansprechbar im Schlaf als in meinem jakobartigen Geltungsdrang des hellen Tages, der mich rastlos macht und in dem ich mich selbst ins rechte Licht rücken will. Wo das alles eingeschlafen ist, wo der Kanal nur in eine Richtung offen ist, ist anderes möglich. Und zwar auch das, was uns so verändern kann wie es hier Jakob geschieht. Was uns weiter bringt als Gesegnete.

Ich habe länger überlegt, ob ich das mache, aber ich will Ihnen doch eine eigene Traumgeschichte erzählen, die in mir etwas verändert hat und wo ich doch diesen Bruder Jakob in mir erkenne, seine Geschichte in meiner oder umgekehrt. Wo ich überzeugt bin, dass sich der Himmel geöffnet hat und ich sehen, hören durfte im Traum. Zweimal war das, aber beide Male gleich. Ich durfte zwei mir sehr nahe und liebe Verstorbene in ihrer neuen Gestalt sehen, ich vermute es, denn beide waren sehr entstellt bei ihren Tod. Und beide haben nur gesagt „Es ist alles gut.“ Das alles war in dem Licht, in dem ich seit dem diese Geschichte höre und verstehe, es war einfach da und ich war wie wach im Traum und wusste doch, es war im Traum. Da habe ich am nächsten Morgen auch ein zumindest inneres Steinmal gesetzt. Zur Erinnerung an diesen kostbaren Moment. Ich verzichte seitdem auf jedes höhertrabende theologische Nachdenken darüber, wie wird es sein nach dem Tod, es reicht mir zu wissen, was ich jetzt weiß. Ich will da erkenntnismäßig nicht weiter hinauf, will keine Grenzen stürmen – und ich muss es auch nicht. Zumindest an diesem Punkt bin ich nicht mehr angstgetrieben.

Das ist meine Traumgeschichte mit Gott. Meine, ich will ihnen damit nicht zu nahe kommen, es ist schon intim. Aber vielleicht ist auch dem ein oder anderen von Ihnen ähnliches passiert und wenn es einem damit gut geht wie Jakob am nächsten Morgen und wir weiterziehen können, dann ist das etwas, was wir ruhig weitererzählen können. Es ist reichlich Bewegung zwischen Himmel und Erde in den Träumen, die nicht einfach nur ein Traum sind oder Träumerei. Und darum sind diese Geschichten weitererzählt worden, darum sind sie gemalt worden immer wieder, aus keinem anderen Grund. Dafür sind Erinnerungsmale aufgerichtet worden von denen, die solche Erfahrungen gemacht haben. Bleibende Erinnerungen aus Stein, so wie diese Marktkirche hier auch. Bleibende Steinmale, die uns erinnern, dass Gott uns verändern kann, dass wir werden können, was wir sind, was wir von ihm her sind. Gesegnete.

Jakob hat begonnen, das zu begreifen in dieser Geschichte. Sie ist der Anfang seiner Veränderungsgeschichte. Gesegnet zog er seines Weges. Damit wurde nicht einfach alles gut. Und das Bild seiner Lebensgeschichte ist noch mit ganz anderen Farben weitergemalt und in ganz anderes Licht getaucht worden. Er sollte noch erfahren, wie ihm seine Vergeblichkeitserfahrungen zusetzten – sieben Jahre diente er um seine Frau Rahel umsonst, musste selbst erfahren, was es heißt, betrogen zu werden. Und auch ein  hartes Ringen mit Gott stand ihm noch bevor, bevor er sich mit seinem Bruder versöhnen konnte. Nein, auch am Ende war nicht alles gut. Aber Jakob war am Ziel, so wie es ihm in dieser Nacht am Fuße der Leiter gesagt worden war. Und er war bei sich, ein Gesegneter.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche Leipzig, taddiken@thomaskirche.org