Predigt über 1. Mose 8,18-22,

An diesem Sonntag hat Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart im Rahmen des Laienpredigt-Sonntags in der Landeskirche Sachsens anlässlich des Reformationsjubiläums in der Thomaskirche gepredigt.

  • 29.10.2017 , 20. Sonntag nach Trinitatis
  • Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart

Liebe Gemeinde, 

der heutige Gottesdienst steht im Zeichen des großen Reformationsjubiläums unter der Frage: „Was trägt - Was bedeutet uns die Reformation heute noch?"
Der Reformation voraus ging die Erfindung des Buchdrucks. Der Buchdrucker Johannes Gutenberg wurde zu Beginn unseres neuen Millenniums von amerikanischen Zeitschriften zum Mann des vergangenen Jahrtausends gewählt. Er schuf die technische Basis dafür, dass die Reformation die Menschen erreichte und durchdrang, die Aufklärung sich verbreitete und die Wissensgesellschaft entstand.
Mit der Digitalisierung steht die Menschheit davor, sich in ein neues Zeitalter zu katapultieren: alles was wir schreiben, sprechen, singen, riechen, hören, schmecken lässt sich in 0-1-Signale transformieren und beliebig oft mit anderen rund um die Welt in Echtzeit teilen, speichern und auch re-kombinieren. Eine Zeit voller neuer Ideen und Möglichkeiten, wie auch wachsender Gefahren.
Und damit eine Zeit, die Anlass gibt zur Selbstverge-wisserung. Ich möchte sprechen vom Verantwortungs-bewusstsein und nachhaltigen Denken in Zeiten erneuten grundlegenden Wandels, vom Handeln als Aufgabe jedes Einzelnen: heute mehr denn je!

Ich knüpfe hierzu an die Sintflutgeschichte im Buch Mose (Genesis), Kapitel 8 als Bild der Überreizung von natürlichen Ressourcen, der menschlichen Selbstanmaßung und Rücksichtslosigkeit an und stelle in den Mittelpunkt meiner Predigt Vers 21, der da lautet: „Und der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen, denn das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe."
D. h. wir tragen Verantwortung für uns selbst, Mitmenschen und Umwelt! Gott gibt mit der Schöpfung den Rahmen. Die Welt muss trotz der latenten Risikogeneigtheit menschlichen Verhaltens von uns selbst gestaltet werden: vita activa.
Angesichts der vielen neuen Perspektiven einer für die meisten von uns nicht einmal näherungsweise gedanklich durchdringbaren digitalen Revolution gewinnt die Sorge einer impliziten Gefahr neue Nahrung: Der Tendenz zur Selbstermächtigung des Menschen über sich selbst und die Schöpfung.
Es gilt hierzu die Herausforderungen der Zeit zu erkennen und sie umsichtig zu meistern.

 Lassen Sie mich einige der Herausforderungen stichwortartig benennen:
- Ambivalenz des Fortschritts (neue nahezu unbegrenzt erscheinende Möglichkeiten - neue zum Teil bereits erahnte, aber technisch für unmöglich gehaltene Gefahren)
- Wachsende Komplexität einer umfassend vernetzten Welt
- Disruptive Umbrüche in nahezu allen Lebensbereichen
- Politisch-gesellschaftlicher Diskurs im Wandel: Populismus, Fake-News, der Echokammer-Effekt, der zu einer Verengung der Weltsicht führt; eine sich in Richtung Echtzeit entwickelnde Gesellschaft, der die Zeit, die Demokratie braucht, zu lang erscheinen könnte.
- Aktuelle ideengeschichtliche These, wonach die sinnstiftenden Narrative wie Religion, Humanismus und politische Ideen von Techno-Utopien wie dem Dataismus abgelöst werden könnten, der den homo sapiens als veralteten Algorithmus und die Welt als reines Datenverarbeitungssystem begreift.
Auf der anderen Seiten nutzen wir Tag für Tag die vielen Vorteile und Chancen, die die digitale Welt für uns ebenso bereithält:
- exponentieller Wissensanstieg wird durch Suchmaschinen und intelligente Systeme für uns beherrschbar
- passgenaue Produkte und Services, werden in kürzester Zeit gleich nach Hause geliefert, am besten schon bevor wir sie selbst bestellt hätten
- neue Mobilitätskonzepte und bessere Bewältigung der Energiewende durch die Vernetzung von Fahrzeugen und Energiequellen
- Digitale Wirtschaft als Innovations- und Jobmotor mit vielen Start-ups und begeisternden Wertsteigerungen
- Einfachere Lösungen in allen Bereichen von Bildung über Forschung bis hin zu Wirtschaft und Verwaltung; Von manchem, wovon wir früher träumten, wähnen wir uns heute nur noch einen Tastenklick weit von entfernt.
Was können wir, um in diesem wachsenden Spannungsfeld großer Herausforderungen und Chancen zu bestehen, von der Reformation lernen? Welche Leitbilder der Reformation tragen auch heute noch?
- Altes in Frage stellen, Neues wagen
- Selbstbestimmung des Menschen fördern
- Neue Technologien/Medien zum Instrument der neuen Aufklärung machen
- Zentrale christliche Tugenden (Freiheit und Verantwortung) aktiv leben.

- Mut zu innovativem Denken; Fortschrittsoptimismus (Geschichte von Diskussion mit EKD-Ratsvorsitzendem Bedford-Strohm zum humanoiden Roboter, der Kirchensteuer bezahlt)
- Aber auch Demut (Bescheidenheit, ganzheitliches Denken, Akzeptanz natürlicher Grenzen) vor der Schöpfung (aktuell Weltklimakonferenz cop23/Energiewende (John Morton in Leipzig),
- Conditio humana (konkret: Digitalisierung/Fortschritt nicht selbstreferenziell, sondern immer im Dienst des Menschen begreifen und gestalten).
Es gilt im Sinne der Reformation Umbrüche als Aufbrüche zu begreifen und die Zukunft verantwortlich zu gestalten:
Biblische Sintflut - Aufbruch des christlichen Abendlandes, Reformation - Aufbruch in die Moderne, Digitalisierung - Aufbruch ins Ungewisse: neues Zeitalter!
Das Ende der Sintflutgeschichte gibt uns Halt und weist uns hierfür den Weg:
Gerade weil es so hoffnungslos aussieht mit dem Menschen, will Gott nicht länger auf Besserung setzen und den Bestand der Welt davon abhängig machen. Die Menschen und ihre Bosheit sollen ihn nicht noch einmal dazu bringen, sein Schöpfungswerk zu vernichten.

Vielmehr will er der Erde und den auf ihr lebenden Menschen und Tieren unabhängig von den Menschen und ihrem Wesen seine großen Segnungen gewähren und bis zum Ende erhalten: Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. ..."
Wir sind erlöst, weil in Christus das Angesicht Gottes zu uns gekommen ist, weil Gott selber diese unerlöste und zerrissene Welt auf sich genommen und überwunden hat.
Darum: Das Gegenteil zu böse ist nicht gut, sondern das Gegenstück heißt „erlöst", versöhnt, befreit. Unser Gesicht soll lachen lernen auch in dieser zerrissenen Welt.
Wohl aus diesem Glaubenswissen heraus hat Dietrich Bonhoeffer in einer sehr unerlöst wirkenden Zeit das folgende Bekenntnis formuliert:
„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es für Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten."
Oder um mit Martin Luther zu sprechen: „Der Glaube ist der Anfang aller guten Werke."
Gehen wir ans Werk, liebe Gemeinde! Christliche Werte als verlässliches Fundament und Kompass, um gegenwärtige Chancen für eine selbstbestimmte Zukunft im Zeichen von Frieden, Freiheit und Wohlergehen für die möglichst große Zahl zu nutzen! (Thomaskirchgemeinde als beständige Kraft für Weltoffenheit, Toleranz und Mitmenschlichkeit, eine starke Zivilgesellschaft und gelebte Demokratie)
Entscheidend nun: Narrative über die Zukunft unserer Gesellschaft weder den postmodernen Futuristen noch den Fortschrittspessimisten überlassen, sondern gemeinsam tragende Ideen und Leitbilder für das neue digitale Zeitalter entwickeln - und danach handeln in Freiheit und Verantwortung, in Dankbarkeit für Gottes Gnade und in Demut vor der Schöpfung.
Amen.

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart