Predigt über 1. Sam 2,1-2.6-8a

  • 01.04.2018 , Ostersonntag
  • Pfarrer Hundertmark

 

„Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja."„Pennina aber hatte Kinder, und Hanna hatte keine Kinder." Ein Satz, liebe Gemeinde, aus den ersten Versen des Samuelbuches, der die ganze Tragödie einer Frau beschreibt, die sich sehnlichst ein Kind wünscht. Dieser eine Satz ist lebensbestimmend für Hanna und gespickt mit allem, was sie bewegt: Scham und Wut, Trauer und Hoffnung, Verachtung und Ungeduld... „Pennina aber hatte Kinder, und Hanna hatte keine Kinder." Nächtelang blieb die Hoffnung unbeantwortet. Jedes Jahr die gleiche Prozedur und Demütigung. Während Pennina mit ihren Kindern von allen angesehen wurde als sie zum großen Fest gingen, musste Hannah die verächtlichen Blicke, aus denen ihnen zugerufen wurde ´Du bist minderwertig´ ertragen. Ihre Gebete verhallten im kalten Abendhauch. Die Uhr tickte unaufhaltsam, Stunde um Stunde. Jeder neue Morgen führte ihr unweigerlich vor Augen - deine Chancen auf ein Kind schwinden immer mehr. Wirklich nachempfinden, wie es Hannah geht, kann wohl nur diejenige, die selber sehnsüchtig viele Jahre auf ein Kind gewartet hat. „Pennina aber hatte Kinder, und Hanna hatte keine Kinder." Ein Satz, der wie die Dornenkrone vom Karfreitag sticht. Ihre Dornen gehen direkt ins Herz der wartenden Frau. Alle Hoffnung ist verschlossen, begraben im Grab der Sehnsucht und unerfüllten Wünsche.Doch dann wird es Ostern, denn Hanna singt. Wir hören noch einmal ihr Lied:1 Und Hanna betete und sprach: Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN, mein Horn ist erhöht in dem HERRN. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils. 2 Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist. 6 Der HERR tötet und macht lebendig, führt ins Totenreich und wieder herauf. 7 Der HERR macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht. 8 Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen ausder Asche, dass er ihn setze unter die Fürsten und den Thron der Ehre erben lasse.

Alles ändert sich von einem Moment auf den anderen. Noch eben bestimmte das „Begrabensein" den Ton. Nun klingt das „Auferstanden" in heller, majestätischer Fülle, um den ganzen Raum auszufüllen.
Hannahs Lobgesang ist ihr persönliches Gloria als Antwort an den sich ihr zuwendenden Gott.
Hannah erfährt am eigenen Leibe die Wandlung, die wir mit christlichem Blick auf das Alttestamentliche Lied heute gut und gerne als österliches Auferstehungsgeschehen im Alltag bezeichnen würden. Ihr Lobgesang spannt einen Bogen über 1000 Jahre zur jungen Frau Maria aus dem Lukasevangelium. Maria singt wie Hannah ihren Lobgesang, weil sie Ähnliches erfuhr. Trauen wir uns über diesen Bogen zu gehen, so entdecken wir die Fülle des Glaubens an den einen Gott, wie er sich uns in beiden Teilen der Bibel zeigt. Zum Osterfest liegt unser Blick dabei auf dem Gott, der für das Leben steht. Ein Leben schenkender Gott muss ein Gott sein, der gegen den Tod ist und zwar ganz entschieden. Denn die Todesmacht ist eine dem Schöpferwillen sich entgegenstellende Macht. Schöpferischer Wille Gottes ist es, das Leben zu bejahen, es zu schützen und als großen Sieg gegen alle Todesfinsternis leuchten zu lassen wie am ersten Schöpfungstag und am Ostermorgen.
Hannah preist die Einzigartigkeit Gottes in ihrem Lied und setzt so einen Meilenstein in der langen Glaubensgeschichte durch die Jahrhunderte hindurch. Maria begegnet uns auf diesem Weg mit ihrem Magnificat. J. S. Bach bringt in seiner Gloriavertonung der H-Moll Messe zum Klingen, was wir heute mit beiden Frauen glauben:
Außer Dir ist keiner. Du allein bist heilig und der Höchste. Du bist der einzige Gott.
So einzigartig, fügen wir Jahrhunderte später hinzu, dass Du deinen Sohn schickst, um uns als Gottes Lamm aus der Feindesmacht des Todes.
zu erlösen.

"Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils."
Braucht es im Triumpf den Blick auf die besiegten Feinde, damit sich zum Sieg auch noch Genugtuung gesellt? Ist der Triumpf erst dann komplett, wenn die Feinde völlig am Boden liegen?
Solcherlei Fragen tauchen stets dann auf, wenn in Psalmliedern, und Hannahs Lied ist ein solches, von den Feinden die Rede ist, meistens verknüpft mit der Bitte, jene zu vernichten.
Hannahs ihr feindlich gesonnene Umwelt war real. Sie kannte den Gott der Barmherzigkeit. Deshalb findet sie den Weg im Gebet zu ihm.
Im Angesicht ihrer Feinde bleibt Hannah selbstbewusst. Sie will sich nicht kleinkriegen lassen. Aufrecht tritt sie vor Gott.
Sein Sohn wird später in der Bergpredigt dazu einladen, wenn er sagt: Entwaffne Deinen Gegner, indem du dich ihm mit Liebe auslieferst.

„Der Herr tötet und macht wieder lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder bergauf."
Natürlich hören wir diesen Vers mit nachösterlichen Ohren. Wie sollte es auch anders sein an diesem festlichen Morgen. Anklänge an das Geschehen von Karfreitag über die Grabesstille bis hin zur Osterfreude untermauern den Glauben an den einen Gott, der über alle Zeiten hindurch wirkt bis in die Gegenwart. Viel spannender als die Frage, ob man Hannahs Lied als Osterlied begreifen soll, ist aber die Frage: Wo erleben wir jenes Geschehen, was hier mit „töten" und „hinabführen" sowie „lebendig machen" und „heraufführen" besungen wird.
Im Alltag erleben wir es, wenn wir uns davon lösen, den Tod und Auferstehung ausschließlich als physische Ereignisse zu sehen.
Denn man kann lebendig sein und doch tot, wie der Liederdichter Gerhard Schöne es in einem seiner Lieder beschreibt.

 

Lebendig tot
Manchmal ist man nicht erst tot, wenn das Herz aufhört zu schlagen,
wenn sie einen auf der Barre in den Kühlraum tragen,
nicht erst, wenn die Hand das letzte Mal ins Leere krallt,
nicht erst, wenn 'ne Schaufel Erde auf'n Sargdeckel knallt.
Manchmal ist man längst schon tot, obwohl man noch spazieren geht,
eigentlich schon unterm Rasen, obwohl man noch den Rasen mäht,
an der Fernbedienung spielt, sich mit Sonnenöl einreibt,
noch Geburtstagskarten kriegt und selbst Geburtstagskarten schreibt.
(Gerhard Schöne, Lebendig tot, aus dem Album „Lieder").

Da sitzt die Familie einträchtig beisammen, aber hat sich nichts mehr zu sagen als die üblichen Floskeln. Schweigend stochern die beiden Partner in ihrem Essen, weil es keine lebendigen Worte mehr gibt, die miteinander geteilt werden, weil die Lebendigkeit ihrer Partnerschaft nur noch als äußerlich fein angemalte Fassade scheint, aber im Inneren alles längst gestorben und begraben ist.
Da erfüllt jemand treu seine Pflichten. 20, 30 Jahre lang korrekte und unermüdliche Arbeit. Doch es passiert nichts mehr. Das Feuer der Begeisterung ist erloschen. Außen lebendig und innen tot - wir kennen diese Momente aus dem eigenen Erleben und aus den Beobachtungen in unserer Gesellschaft. Das schöne Leben nährt sich aus der Gleichgültigkeit wohlstandsverwöhnter Zeitgenossen. „Wer arm ist, ist immer selber daran schuld." Damit wird das Gewissen beruhigt. Da wird Leben zum Tod, auch wenn das Herz noch schlägt.
Diejenigen, die ihre Aufgabe darin sehen, den Mangel zu verwalten anstatt neue Wege der Gerechtigkeit zu suchen, säen den Todessamen beharrlicher Veränderungsverweigerung.
Und da, wo Kirche mit Hoffnung drauf steht, verbirgt sich dann am Ende doch eher die Bauanleitung für Kreuz und Felsengrab.
Osterlichtbeschienene Lebendigkeit sieht anders aus. In ihr hat der Tod keinen Platz mehr. Osterleben ist wirkliche Lebendigkeit. Das Wundervolle daran ist, dass sie auch in finsterer Umgebung wirkmächtig werden kann. Umgekehrt wird, was für alle Zeit und Ewigkeit festgefügt schien.


Der Herr macht arm und macht reich; Der Herr erniedrigt und erhöht.
Noch einmal lasse ich den Blick schweifen auf die Geschichte Gottes mit uns Menschen. Dabei begegnen die Vielen, die erfahren haben, wie Gott niederdrückt und aufhebt. Gott tut das nicht aus Willkür, sondern, um uns Menschen zu berufenen Zeugen seines Evangeliums zu machen.
Petrus musste erst die bitteren Tränen der Verleugnung aus Angst weinen, um zum Protagonisten der ersten Gemeinden werden zu können. Der Fall des Paulus von Selbsterhöhung in den Staub war notwendig, damit er erkennen konnte: Dieser Gott vollendet sich in Schwachheit.
Hannahs Demütigungen haben sie das Wunder, welches Gott an ihr geschehen ließ umso intensiver und großartiger erleben lassen.
Wir erleben selber oft genug die scheinbare Niederlage im Rückblick als wegweisenden Schritt hin zu neuem Sein.
Ein letztes „Aber" bleibt auch am Ostermorgen:

Aber was ist mit der Hannah, die heute noch wartet? Was ist mit ihrem Kinderwunsch, der sich noch nicht oder nie erfüllt?

Sie ist keinesfalls minderwertig. Allen Penninas, die ihr das einreden wollen darf das Vertrauen auf den Gott entgegengestellt werden, der uns Lebewesen Würde und Sein verleiht, indem er uns als seine Kinder anblickt.
Rein von der Biologie aus betrachtet mag es richtig sein, dass eine Frau zum Kinderbekommen bestimmt ist.
Sie aber allein darauf zu reduzieren ist sowohl schöpfungstheologisch wie auch aus christlich anthropologischer Sicht schlicht falsch. Denn Gott hat beide geschaffen als gleichwertige und gleichberechtigte Partner, deren Aufgabe neben der Vermehrung die Bebauung und Bewahrung der Schöpfung ist. Wunderbar ist es zu sehen, wie sich Paare über und dann an ihren Kindern erfreuen. Ein Segen ist das für alle.
Segen einer Partnerschaft ist jedoch nicht allein der Kindersegen, sondern mindestens ebenso, wenn sich beide auf Augenhöhe begegnen, in Liebe und Treue füreinander da sind und Verantwortung für sich und den Nächsten übernehmen. Genauso wunderbar ist es zu sehen, wie Paare, deren Kinderwunsch unerfüllt bleibt, sich nicht allein darüber definieren, sondern neues Leben woanders entdecken als in der biologischen Weitergabe des Selbigen.
Indem Gott Hannahs Gebet erhört, stärkt er alle die ihr Vertrauen auf Gott nicht weggeworfen haben. Ihre Treue wird belohnt. Und alle die glaubten, mit ihrer Feindseligkeit triumphieren zu können, finden sich plötzlich im Staub wieder.
Aufgerichtet aus dem Staub, emporgehoben zu Ehren, weil sie Mensch ist und als solcher von Gott angesehen wird, entdeckt Hanna das, was wir heute als Ostergeschehen im Alltag bezeichnen.

Und so lädt uns dieser Tag ein, auf Entdeckungsreise zu gehen, um die kleinen oder großen Auferstehungswunder zu finden.
Sie stärken den Glauben.
Sie regen zum Weitererzählen an.
Sie lassen den Niedergeschlagenen plötzlich mit vollem Selbstbewusstsein das danksagende Gloria singen. Spuren der Auferstehung finde ich dort, wo in tiefdunkler Finsternis der Krankheit, im Angesicht des nahenden Todes gefeiert wird, weil dafür noch Zeit geschenkt wurde.
Ich finde solche Spuren auch dort, wo nicht mehr alles hingenommen wird, was mit drückender Macht an Ungerechtigkeit begegnet. Dort wo jemand andere teilhaben lässt an seinem Überfluss an Liebe oder materiellen Ressourcen, geschieht Alttagsostern.
Wenn mir Menschen begegnen, die mit aufrechtem Gang „Nein" sagen zu allen Demütigungen und mit Mut vor Gott treten, um ihm ihr Leid zu klagen, sind sie schon auf dem Weg hin zum Auferstehungswunder.
Der Glauben an die Unmöglichkeiten Gottes bewegt Herz und Lippen, wie bei Hannah.
Wo Kinder ihre eigene Mutter auf den Weg zur Taufe bringen, wie heute in der Osternacht geschehen, wandelt sich Unvorstellbares in den Segen des neuen Lebens.
Dass nicht alles Gloria und Hosianna ist, davon wissen wir zur Genüge zu berichten.
Die Todbringenden Kräfte haben nur eins im Sinn - Hoffnung einzusperren. Dunkelheit in die Herzen der Menschen zu setzen durch Neid und Missgunst oder den schweren Stein vor die Muthöle zu wälzen, um uns zu sagen: Es hat keinen Sinn. Du wirst es nicht schaffen. Siehe, unsere Macht ist viel stärker. Das war schon immer so und wird auch so bleiben.

Weil aber das Licht Christi sich nicht einsperren lässt in Angsthöhlen, weil es sich nicht wegsperren lässt in dunkle Grabkammern der Ausweglosigkeit, können wir danken, loben, singen und uns davon anstecken lassen.
Denn Gott ist nicht der Gott der Toten, sondern ein Gott, der aus Liebe lebendig macht.
Diese Lebendigkeit spüren Menschen immer wieder, manchmal sogar am eigenen Leib.
Weil wir mit Christus in das Leben gehen, hat alle Furcht nun ein Ende. AMEN.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unser Verstehen und Begreifen, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Pfarrer Martin Hundertmark
hundertmark@thomaskirche.org