Predigt über 1. Samuel 3,1-10

  • 21.05.2023 , 6. Sonntag nach Ostern – Exaudi
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt über 1. Samuel 3,1-10, Sonntag Exaudi, 21. Mai 2023

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater. Amen.

Liebe Gemeinde,

eine Geschichte aus dem Alten Testament ist heute unser Predigttext. Ich habe die, ehrlich gesagt, bisher nie so richtig gelesen. Sie hat mich sehr berührt. Sie ist menschlich, sie hat etwas Lustiges und zugleich etwas Ernstes für uns, die wir glauben, die wir nicht glauben, die wir halb glauben und für die, die sich diesbezüglich nicht sicher sind. Auch wenn sie sich auf die Zeit etwa 1000 vor Christus bezieht und am alten Tempelheiligtum von Silo spielt: Ich finde, es hilft, sie so zu hören, als ob sie von uns erzählt, von jedem von uns…

Zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem Herrn diente unter Eli, war des Herrn Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli lag an seinem Ort, und seine Augen fingen an, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte. Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich gelegt im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes war. Und der Herr rief Samuel. Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich!, und lief zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen; geh wieder hin und lege dich schlafen. Und er ging hin und legte sich schlafen. Der Herr rief abermals: Samuel! Und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen, mein Sohn; geh wieder hin und lege dich schlafen. Aber Samuel kannte den Herrn noch nicht, und des Herrn Wort war ihm noch nicht offenbart. Und der Herr rief Samuel wieder, zum dritten Mal. Und er stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der Herr den Knaben rief. Und Eli sprach zu Samuel: Geh wieder hin und lege dich schlafen; und wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, Herr, denn dein Knecht hört. Samuel ging hin und legte sich an seinen Ort. Da kam der Herr und trat herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und Samuel sprach: Rede, denn dein Knecht hört.

Das Wort Gottes ist selten zu hören und Offenbarung gibt es kaum noch: Wie sich die Zeiten doch ähneln können! Die religiösen Institutionen sind in der Krise, von uns als Kirche erwarten viele keine Antworten mehr. In der Zeit, auf die diese Geschichte verweist, war der religiöse Betrieb verkommen und korrupt und auch der alte Priester Eli sah und hörte nichts mehr von Gottes Gegenwart. Und zugleich war die Sehnsucht nach klaren und deutlichen Worten, ja Antworten bei den Leuten offenbar genauso groß wie heute. Wo wir verunsichert sind und wo unsere Lebensfragen sich zum Teil ganz neu stellen und neu beantwortet werden wollen: Wo soll es eigentlich hingehen mit uns? Was ist meine Aufgabe? Woran können wir uns bzw. kann ich mich halten?

So sind wir mittendrin in der Geschichte und vielleicht sind wir auf der einen Seite so wie Eli, haben manchmal das Gefühl, irgendwie müde zu sein und eigentlich auch nichts mehr sehen und hören zu wollen. Und manchmal brennen wir andererseits wie Samuel darauf, dass sich uns eine neue Perspektive für unser Leben öffnet. Von ihm heißt es: „Samuel kannte den Herrn noch nicht, und des Herrn Wort war ihm noch nicht offenbart.“ Das wollte er aber und dazu lernte er den Prophetenberuf. Sprich: den Ruf Gottes herauszuhören aus dem Alltag. Im Heiligtum von Silo war er schon seit Kindestagen, seine Mutter Hanna hatte ihn Gott versprochen. Beim Priester Eli lernte er das religiöse Handwerk, doch in all dem Tempel-Betrieb war das Wichtigste noch offen: „Samuel kannte den Herrn noch nicht, und des Herrn Wort war ihm noch nicht offenbart.“ So sucht er Gottes Nähe. Er schläft neben der Bundeslade mit den Gesetzestafeln und er hofft, irgendwie wird es passieren, was ihm noch fehlt und dass er den Gott hört und fühlt, neben dessen Geboten er ruht. Nach dem Motto: „Den Seinen gibt es der Herr im Schlaf.“ Genau das passiert! Aber obwohl er darauf wartet, versteht er es nicht, als er seinen Namen hört. Dreimal geht das so – und immer noch geht es ihm nicht auf, er kommt gar nicht drauf, denkt, es sei sein Lehrmeister Eli. Er ist ganz und gar gefangen in dem, was bisher für ihn galt und was Wirklichkeit war.

So sind wir halt, liebe Gemeinde, manchmal stehen wir auf unserer eigenen Leitung, sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Sind vielleicht viel zu fixiert auf das, was wir uns wünschen und was und wie es jetzt kommen müsste. Vielleicht mit einem großen Rumms, mit einem großen Aha-Erlebnis, was auch immer. Hier ist es nur ein Aufwachen und eine Ahnung: Ich habe etwas gehört, ich muss wach werden, muss mich in Bewegung setzen! Immerhin – das schafft Samuel, er geht dem nach, was da war, schläft nicht einfach weiter.

Vielleicht ist das der erste Schritt auf dem Weg ein Stück weiter in unserem Glauben oder Nichtglauben oder Halbglauben oder was auch immer, dass wir nicht einfach weiterleben, weiterschlafen wie bisher, sondern dem einfach nachgehen, was uns da ruft. Den Mut behalten, wenn mich da auch etwas verunsichert, wenn ich ahne: Wenn ich dem nachgehe, dann wird sich vielleicht mein Leben verändern. Und dranbleiben, auch wenn es uns nicht gleich einleuchtet. Wenn wir nochmal und nochmal aufstehen müssen und immer noch nicht wissen, was los ist. Samuel tut genau das aber und traut dem Gefühl: Ich bin gemeint, da ruft doch einer…

Aber es ist halt nicht klar, auch der erfahrene Eli merkt erst spät, was eigentlich los ist. Aber erfahren, wie er ist, ist er auch vorsichtig, denn er weiß: Deuten kann das alles nur Samuel selbst. Es gibt nicht für alle Menschen denselben Weg, wie Gott sie ruft oder wie sie Gott kennenlernen. Menschen können uns unterstützen auf unserem Weg. Wir brauchen die anderen, so diese Geschichte. Samuel brauchte Eli, seinen Rat, seine Nähe. Am Ende können wir eben doch nicht nur für uns selbst glauben! Wir brauchen auch menschliche Gegenüber dabei. Manchmal Leute, die uns an die Hand nehmen oder für unsere Erfahrungen Zeit und Geduld haben. Und manchmal können wir Gott sogar in ihrer Stimme hören…

Und so wird an Samuel und Eli auch für uns vieles deutlich für all das, was wir uns versprechen vom Glauben, von der Bibel und ihrer Auslegung, von Gott selbst: Es geht nicht mal einfach so, seine Stimme zu hören. Und wenn es schon so ist, dass wir Dinge, um sie wirklich zu lernen und zu verinnerlichen, mindestens dreimal hören oder lesen müssen, um wie viel mehr mag das in Sachen Glauben der Fall sein. Das Tröstliche an dieser Geschichte ist: Nicht wir bleiben dabei eigentlich dran an Gott – sondern er an uns. Ich bin sicher: Samuel hätte auch vier, fünf, hundertmal es immer noch nicht kapieren können – Gott wäre ihm immer noch nachgegangen. Ich glaube, hoffe, bete einfach, dass es bei uns auch so ist – und immer wieder so ist, vor allem, wenn wir im Leben mal an dem Punkt sind, dass wir denken: Ich höre Gott nicht mehr. Seine Stimme, die mich ruft – sie ist weg. Da ist nichts mehr. Ich verstehe diese Geschichte nicht so, dass sie eine einmalige Berufung erzählt, sondern das, was zwischen Gott und uns sich immer wieder von Neuem ereignet – vielleicht ändert sich dabei die Frequenz oder die Lautstärke oder das Vehikel, das Medium. Aber alles andere nicht.

Und noch ein Punkt: Haben wir keine Probleme damit, uns dann oder überhaupt Hilfe zu holen. Erwarten wir selbst von einer müde gewordenen, auf sich selbst bezogenen und in alten Fahrwassern steckenden religiösen Institution noch etwas. Denn sie besteht aus Menschen, aus Erfahrungen, aus unzähligen, die uns weiterbringen können. Und ein wichtiger Satz, vielleicht mit der wichtigste in dieser Geschichte steht ziemlich weit vorn: „Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen“. Gott sei Dank! Sie war es damals nicht und sie ist es auch heute nicht. Das ist das Entscheidende. Wenn wir das glauben können, dann kommen wir vielleicht auch damit klar, dass es die vielen klaren Antworten, die wir uns wünschen auf allen Ebenen, so klar gar nicht gibt. Dass sie eher Wunschgebilde unserer Phantasie sind. Denen sollten wir so wenig trauen wie den Versprechungen der Fundamentalisten aller Couleur, auch gerade der religiösen. Vielmehr sollten wir lernen damit zu leben, jede Situation, jedes Geschehen in unserem Leben neu zu bewerten – wahrscheinlich ist uns u.a. dafür unser Verstand geschenkt. Und manchmal gehört es dazu, einiges auch neu zu erleiden und durchzumachen, damit wir an Erfahrung gewinnen.

Was dabei aber immer klar ist, das ist auch in dieser Geschichte klar und das ist auch am Himmelfahrtstag noch einmal deutlich geworden. Hier in der Geschichte stehen dafür die Gebotstafeln. Samuel empfängt den Ruf in ihrer unmittelbaren Nähe. Es ist derselbe Gott, der ihn anspricht wie der, dessen Wort uns in den Geboten begegnet. Die wir auch immer wieder auslegen müssen, natürlich! Und zu Himmelfahrt sind es gleich zwei Dinge, an die Jesus sich bindet:

Erstens: Er erzählt ihnen zum Abschied noch einmal seine ganze Geschichte in Kurzfassung, erzählt ihn von seinem Leiden, Sterben und Auferstehen. Daran bindet er sich. An dieses Geschehen, an diese Worte des Evangeliums: Alle können nun nach vorne gewendet leben. Alle Mächte sind von ihm niedergerungen, die uns in unserem Leben den falschen Weg nehmen lassen und uns hindern, unser Leben in seiner ganzen Fülle zu leben. Deshalb können wir uns dem stellen, was nicht in Ordnung ist und uns fragen lässt: Wie denn weiter?

Dazu gehört auch, aufzufahren aus unserem Schlaf über die unhaltbaren Zustände, die wir zulassen als Menschen, die wir verursachen, ertragen oder sogar schönreden. Es hilft uns nicht weiter, davor wegzulaufen und sich wieder aufs Ohr zu legen. Nur, es einzugestehen, all das Kreuz, Elend, Leid und Tod in meinem Leben, auch das, was ich vielleicht bei anderen verursache, hilft zu einem neuen Anfang, zum Leben. Ich kann mich Neuem nicht zuwenden, ohne mich von Altem auch abzuwenden. Kein Ostern ohne Karfreitag. Kein Leben ohne Sterben. Jesus unterstreicht das zu Himmelfahrt durch eine Geste- und das ist das zweite, was er ihnen hinterlässt: Er segnet seine Jünger, während er zum Himmel auffährt. Er stellt sie unter das Kreuz, denn Segnen ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen: „cruce signare“ - mit dem Kreuz bezeichnen. Es gibt keinen Himmel ohne das Kreuz. Er segnet seine Freunde - und noch während dieser Geste tiefster Nähe und Zuwendung entfernt er sich von ihnen. Wir können ihn, wir können Gott nur in Distanz und Nähe zugleich erfahren.

So richtet Jesus die Antennen seiner Jünger auf Neuempfang aus: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein.“ Das wird so sein, auch wenn die Jünger noch nicht wissen, wie das gehen soll. So wie es auch Samuel im Tempel noch nicht wusste und deshalb seine Antennen auf Empfang stellt: „Rede, denn dein Knecht hört.“

Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ist die Zeit, in diesem Sinne neu auf Empfang zu gehen – auch für uns, wir sind da nicht anders als Samuel oder die Jünger. Am Ende unserer Pilgerwanderung am Himmelfahrtstag sagte eine Teilnehmerin: „Das Schönste waren die Strecken im Schweigen. Und dass wir uns dem als Gruppe ausgesetzt haben und nicht nur allein. Gemeinsam einfach nur sehen und hören““ Die Antennen neu justieren, auch so kann es gehen, im Schweigen, in der Stille, die auch Samuel gesucht hat. Es lohnt sich, sich dafür Zeiten im Kalender einzutragen. Bis Pfingsten und auch noch danach.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org