Predigt über 1. Thess 5, 1-11

  • 08.11.2020 , Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres
  • Superintendent Sebastian Feydt

Liebe Gemeinde,

das ist eine starke Behauptung, die Paulus da aufmacht. Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, die Seligkeit zu besitzen.

Das ist nicht ganz leicht zu bejahen nach dem gestrigen Tag und der letzten Nacht in dieser Stadt. Nicht nur, dass es offenbar sehr viele zornige Menschen um uns herum gab.

Es kann einem selbst den Zorn ins Herz treiben, angesichts der Rücksichtslosigkeit, mit der gestern Tausende Menschen ihre eigene und die Gesundheit anderer, insbesondere die der Menschen hier in Leipzig, gefährdet haben. Und daran auch nicht gehindert wurden. „Mir ist nur meine Gesundheit wichtig“, sagt eine ältere Frau ganz schlicht in die Kameras und Mikrofone.

Mich macht das zornig und wütend. Und ich bin damit nicht allein.

Die Pandemie fordert vielen von uns schon so vieles ab. Und die Einschränkungen hinterlassen tiefe Spuren. Auch in uns. Da ist nicht nur die Einsamkeit. Vielen fehlt, sich ins Café setzen zu können.  Kein Kino, kein Theater, keine Oper, kein Konzert, bestenfalls sakrale Musik im Gottesdienst. Das geht nicht spurlos an uns vorbei. Das macht Menschen ratlos und auch zornig.

Wenn es heißt, dass Gott uns nicht zum Zorn bestimmt hat, dann bedeutet das noch lange nicht, dass der Zorn und die Wut nicht auch zu uns in unserem Leben dazu gehören. Sie sind da, ja.

Aber: Sie müssen mich nicht bestimmen, müssen mein Leben nicht bestimmen. Mehr noch: Paulus sagt, ich bin nicht dazu bestimmt zornig zu sein. Das ist unter unserer Bestimmung. Wir können mehr! Wir können anders! Wir können anders leben! Wir können dem Leben etwas anderes abgewinnen. Und dabei wirklich gewinnen.

Mein Vertrauen auf Christus lässt mich erkennen, womit Gott mich beschenkt: Nämlich etwas zu besitzen, was mir ungeahnte Lebenskraft gibt. Die Gewissheit, dass mein Leben längst schon gelungen ist, bevor es mir endlich zu gelingen scheint.

Ich muss mich nicht vor Gott und anderen Menschen beweisen. Ich muss meinem Leben nicht erst einen Sinn oder eine Bestimmung geben durch das was ich leiste, wofür ich stehe, was ich kann. Mein Leben hat Sinn und hat eine Bestimmung.

Haben Sie sie noch im Ohr? Tröstet euch untereinander und einer / eine erbaue den/ die andern!
Ist das nicht eine großartige Bestimmung?
Paulus erweist sich hier als großer Seelsorger.
Trösten können ist eine Gabe, die gelernt sein will. Trösten ist viel mehr, als den oder die Andere in den Arm zu nehmen, was gegenwärtig eh kaum geht. Einen Menschen zu trösten, lernen Kinder, wenn sie hingefallen sind; oder wenn abends vor dem Einschlafen die Angst im Zimmer umherwandert.Wenn dann die vertrauten Worte der Eltern zu hören sind: Alles wird gut, hab keine Angst, es heilt wieder, die Schmerzen lassen nach und die Tränen trocknen - dann ist es ein unschätzbarer Trost.

Und sind wir nicht alle auch als Erwachsene doch Kinder, die das vermittelt bekommen wollen. Im Trösten kommen wir uns näher, auch im Abstandhalten. Ich kann jemanden mein Ohr schenken oder mein Herz – auch auf Distanz. Ich vermag  anderen eine Last abzunehmen, weil ich schweigen kann über das Gehörte. Weil ich vergeben kann.

Wie gut tut das zu wissen: Es gibt jemanden, dem kann ich anrufen – ganz gleich zu welcher Tages- oder Nachtzeit und ich werde nicht abgewiesen.

Liebe Gemeinde,

wenn wir etwas in diesen dunklen Tagen und Wochen brauchen, dann das: Uns untereinander zu trösten und aufzurichten. Uns Erbauung zu schenken. Lassen wir uns doch nicht einreden, der Einsamkeit unter uns nichts entgegensetzen zu können.

Ja sie greift um sich. Und gerade in diesen Zeiten. Aber gerade jetzt, wo wir darum wissen, können wir ihr begegnen. Auch dort, wo es gerade schwer ist, mit einem eigenen Besuchen bei Älteren oder Kranken Trost zu schenken. In den Einrichtungen der Diakonie gibt es Seelsorgerinnen und Seelsorger. Sie können und dürfen  Zugang haben zu den Alten und Kranken. Es gibt eine gesegnete Mitarbeiterschaft.

Wir haben es eben im Gottesdienst erlebt.

Es ist nicht alles nur negativ und schlimm und dunkel. Wie sagt Paulus? Wir sind nicht von der Nacht und von der Finsternis…

Ja, es ist nicht unsere Sache, alles düster und undurchsichtig zu sehen. Das geschieht schon genug um uns herum. Nein, wir sind Kinder des Lichts und Kinder des Tages. So hören wir es.

Geht Ihnen mit diesem Zuspruch auch ein Licht auf? Oder gar das Herz auf!? Wenn ich diese ermutigenden Worte höre, sehe ich manches um mich herum schon in einem anderen Licht. Nicht verklärt. Paulus verklärt auch gar nichts. Im Gegenteil. Er schafft große Klarheit. Mit ihm sehen wir unsere Welt und das eigene Leben im Licht Gottes.

Das macht den Unterschied aus. Ich bin nicht geblendet, sondern neu orientiert.Ich sehe klarer und weiter mit dieser Erleuchtung.Ich sehe auch nüchterner, was im Leben wirklich trägt. Was im Leben mitten in der Pandemie mich und andere trägt.

Nämlich mein Vertrauen in Gott.

Meine Hoffnung, dass Gott uns durch diese Zeit bringt. Die Liebe, ich empfange und ich anderen schenke. Die Liebe zum Nächsten wie zu mir selbst. Tragen wir diese Liebe zum Nächsten und die Liebe zu mir selbst in die Welt. Der Schutz des anderen und der Schutz meine selbst verwirklicht sich in der Liebe. Das ist die große Aufgabe dieser Tage angesichts der Gefährdung. Die Nächstenliebe aus ihrem Schattendasein heraus zu holen. Zu verhindern, dass sie einfach müde belächelt wird. Ich behaupte:

Nächstenliebe und die Liebe zu mir selbst sind die wichtigen Grundlagen unserer Gesellschaft derzeit.
Denn sie lehren uns Achtung und Achtsamkeit.
Das ist ein Leben – im Licht Gottes.

Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.