Predigt über 1.Korinther 15,1-11

  • 09.04.2023 , Ostersonntag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt über 1. Kor 15,1-11, Ostersonntag, 9. April 2023

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

wir haben Bachs Kantate noch im Ohr. Meine Lieblingsstelle ist: „Wie ein Tod den andern fraß“. Bach hat diesen Satz genau in die Mitte gestellt. Aus gutem Grund: Denn das ist auch die Mitte von Ostern. Der Tod und die Auferstehung Jesu haben unseren Tod aufgefressen. Weg ist er – eine ganz kurze Pause höre ich immer an dieser Stelle, sie ist zwar im Notentext nicht ausgeschrieben, aber für mich ist sie irgendwie da, denn der Tod ist weg. Nur ein Spott ist von ihm übrig. Musikalisch und theologisch großartig und anschaulich. Im Mittelalter gab es diese Osterspiele, da wurde das dem Publikum drastisch vor Augen geführt und so malt Bach es uns in die Ohren zu den Worten Martin Luthers: „Wie ein Tod den andern fraß“. Unser Tod, mein, Dein, Ihr Tod ist „aufgefressen“. Und was heißt das jetzt? Warum ist das die Mitte von Ostern und der Grund, warum wir uns hier heute überhaupt treffen? Wir finden etwas dazu im heutigen Predigttext aus dem 1. Korintherbrief. Ein sehr persönlicher Text. Paulus erzählt etwas davon, was die Begegnung mit dem Auferweckten mit ihm gemacht hat. Ostern ist – und für ihn ist alles andere völlig undenkbar – nur als persönliches Ereignis zu begreifen. Es ist völlig unmöglich, quasi danebenzustehen und zu erklären, was da damals in Jerusalem wohl passiert ist. Das kann man natürlich machen, warum auch nicht. Aber man kommt nicht richtig weiter damit, man wird Ostern dann nicht verstehen, man wird nicht begreifen, worum es hier wirklich geht. Dass das etwas mit uns zu tun hat, mit dem Leben von jedem von uns hier.  Aber hören wir einfach erst mal Paulus Geschichte – und kommen dann zu unserer. Er schreibt an die Gemeinde von Korinth.  

Ich erinnere euch aber, Brüder und Schwestern, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, 2 durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s so festhaltet, wie ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr’s umsonst geglaubt hättet. 3 Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; 4 und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift; 5 und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. 6 Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. 7 Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. 8 Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. 9 Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. 10 Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. 11 Ob nun ich oder jene: So predigen wir, und so habt ihr geglaubt.

Man hört durch: Da ist einer ganz schön angefressen. Kein Wunder. Einige in Korinth hielten Paulus für einen Hochstapler. Denn was er als erster der Gemeinde gepredigt hatte von der Auferweckung Jesu, das hatte sich in ihren Augen nicht bewahrheitet, das blieb den Beweis schuldig. Denn die Welt war nicht besser geworden, im Gegenteil, es gab tiefste Zerwürfnisse in der Gemeinde selbst, Spaltungen, Polarisierungen. Wenn es nicht mal die Christen hinkriegen, versöhnt und gelassen miteinander umzugehen, dann kann das alles nicht weit her sein. Und der Tod, der war keineswegs zum Spott geworden, sondern Alltag, man musste immer damit rechnen, dass im Falle eines Falles die Römer ihre Probleme mit den Christen so lösten wie sie es mit Jesus getan hatten. Bitte, wo ist da die Logik? Nichts hat das Christentum verändert, deshalb brauchen wir es eigentlich nicht. Jedenfalls nicht in dieser Paulus-Variante, wo bis heute ja oft eine oder einer vorne steht, der vor sich hin stammelt und stottert, der nicht besonders attraktiv ist, klein, mit Glatze und schiefen Hacken, der keinerlei Ausstrahlung hat und dann auch noch gereizt ist, wenn man ihn kritisiert. Wenn Christentum, dann möge es bitte attraktiv sein, stark, einleuchtend, einfach zu verstehen, es sollte einen möglichst auch nichts kosten und alle, die sich Christenmenschen nennen müssen immer und jederzeit glaubwürdig sein. Ansonsten kann man es doch lassen, oder? Kommt einem irgendwie bekannt vor und es gibt Tage, da denke ich das ja auch, was geben wir bloß für ein Bild ab als Kirche. Und wir sehen, es war schon immer so.

Und natürlich kämpft einer, der so angegangen wird wie Paulus, um seine Reputation. Auch das war schon immer so. In diesem Zusammenhang aber kommt er nun auf Ostern zu sprechen. Dass er sagt: Ich gehöre, so wie ich bin, zu den Zeugen des Auferstandenen. Ich habe ihn erlebt. Ich habe das am eigenen Leibe erlebt, was ich Euch gepredigt habe. So wie vor mir unzählige andere auch und es hat sie und mich verändert. Es gibt so viele Arten und Weisen, dass uns der Auferstandene näherkommt, wie wir Menschen sind. Und Paulus macht es, wie die Bibel es sonst auch macht: Sie beschreibt nicht, wie Jesus auferweckt wurde durch Gott. Sie beschreibt, wie Menschen mit dieser ohne Zweifel erschütternden und alles Bisherige übertreffenden Erfahrung umgegangen sind. Wir haben vorhin gehört von den verschreckten Frauen am Grab und wie sie weggeschickt werden vom Grab in ihr ganz normales Leben nach Galiläa. Dort werden sie erfahren, was das auf sich hat, dass Jesu Tod den Tod „gefressen“ hat. Weg vom Grab, rein ins Leben - so heißt es übrigens in allen Ostergeschichten. Denn wenn man am Grab verweilt, sprich bei der Diskussion darüber, ob das Grab nun wirklich leer war, für sich selbst nicht wirklich weiterkommt. Was hier passiert ist - und darauf kommt es nun Paulus an - was hier passiert ist, hat zu tun mit einer von Gott neu geschaffenen Realität. Mit einer neuen Schöpfung! Ostern findet nicht von ungefähr am ersten Tag der Woche statt wie der erste Schöpfungstag. Es ist nach Paulus sogar vollkommen unlogisch, mit den Kategorien unseres der Schöpfung unterworfenen Verstandes zu fassen, was geschehen ist. Deshalb sagt der Auferstandene zu Maria Magdalena auch: „Rühr mich nicht an“. Es ist nicht so einfach festzuhalten, was hier geschieht. Es ist ganz neu. Du kannst das nicht einfach so berühren wie du anderes anfasst. Aber es wird Dich erreichen – und es wird Dich berühren: Dafür halte in Deinem Leben die Augen offen.

Und so ist es auch für Paulus, mit den altbekannten Kategorien lässt sich die Auferweckung Jesu nicht fassen. Es geht Ostern eben nicht darum, ob man es zu glauben schafft, dass hier eine Leiche wieder ins Leben zurückgeholt wurde. Ich habe vor zwei Wochen einen längeren Artikel gelesen darüber, dass etliche ukrainische Ärzte in deutschen Bundeswehrkrankenhäusern in sog. „Gefechtschirurgie“ weitergebildet werden. Operieren unter Kriegsbedingungen. Und um das realistisch abzubilden gibt es wohl ein Verfahren, mit dem man den Blutkreislauf eines Toten wieder in Gang setzen kann. Gruselig. Nach Paulus ganz und gar: Reich des Todes. Alter Äon, überwunden seit Ostern. Ihm kommt es auf das Neue an, was Gott mit der Auferweckung geschaffen hat. Auf das, was uns einmal alle betreffen wird und was sich als Jesus als erstem von allen vollzogen hat: Dass wir ein neues, ganz anderes Leben von und bei Gott erwarten dürfen. Dass wir weiter mit ihm verbunden bleiben auch über unser Leben und Sterben hier hinaus. Der Tod Jesu hat unseren Tod „gefressen“. Mit Haut und Haar und ganz und gar.

Paulus sagt: Das zu glauben, ist das Entscheidende an Ostern, sonst, siehe Vers zwei des Predigttextes, hätten wir umsonst geglaubt. Und es geht darum für möglich, dass diese neue Realität, diese neue Schöpfung Gottes schon jetzt an mir kleinem Menschen wirkt. Ich selbst, sagt Paulus, bin doch das beste Beispiel dafür. Er bezeichnet sich selbst mit einem ganz schrecklichen Wort als „Missgeburt“, weil er die Christen früher einmal verfolgt hatte. Und vielleicht auch, weil er genau wusste, wie er mit seinem erbarmungswürdigen Sprachfehler und Auftreten auf andere wirkt. All das aber mitsamt seiner zwiespältigen Lebensgeschichte war egal. Vor Damaskus hat der Auferstandene ihn angesprochen. Ihn, diese Missgeburt. Das hat ihn vom Saulus zum Paulus gemacht. Das war Paulus persönliches Ostern. Es hat ihm einen völlig neuen Blick auf das gegeben, was er mit seinem Leben wollte.

Und doch ist irgendwie auch der Alte geblieben. Hier im Brief an die Korinther merkt man es ja deutlich: Er ist noch nicht im Himmel, er steht noch nicht über den Dingen. Die Kritik der Korinther frisst ihn an, er scheint doch noch nicht ganz verschlungen zu sein, der Tod, es ist noch etwas da. Paulus ist und bleibt auch ein verletzter, gekränkter Mensch. Und damit wird unser Blick gelenkt auf all das, was auch in unserem Leben zerbrochen ist. Auf die Verletzungen, die ich in mir herumtrage, auf all die Kränkungsgeschichten, in die ich verstrickt bin und die mich anfressen. Geschichten, in denen ich mich gedemütigt fühle, betrogen, ohnmächtig. Momente, in denen ich mich selbst klein gemacht habe oder klein gemacht worden bin. Wo ich mich hätte wehren sollen oder mich auch über Gebühr gewehrt habe, was ich jetzt bereue, wo ich andere verletzt und ordentlich ausgeteilt habe. Wo ich drüber weg bin und wo noch nicht. Wo ich immer wieder Angst habe, dass alte Wunden aufreißen, wo ich mein Herz zu beruhigen versuche und zur Sicherheit mal unter Verschluss halte anderen gegenüber, weil ich ahne: All das, wo wir uns gegenseitig verletzt haben, kann tödliche Folgen für uns haben.

Ist der Tod also doch noch nicht mit Haut und Haaren gefressen? Ist diese kurze Pause in Bachs Kantate, dieses ganz kurze Einhalten, dass nichts mehr von ihm da ist, nicht doch zu kühn, um die Pause wirklich auszukomponieren? Ist das eben doch noch nicht so wirklich meine eigene Erfahrung, als dass Ostern mir wirklich etwas bedeuten könnte? Aber andererseits denke ich, irgendwie hat doch jeder schon mal etwas gespürt, da ist etwas in mein Leben gekommen von woanders her. Etwas, was über all den Banalitäten steht, die einen im Leben so langweilen und auf der Stelle stehen lassen mit all den Fragen, auf die sich bei Google keine Antworten finden. Vielleicht haben es doch schon mehr erfahren als man denkt, dass gerade dort, wo Konflikte und Kränkungen aufs Tödlichste miteinander verstrickt waren, Neues wachsen konnte. Neues, was man nie vermutet hätte. Wo aus Bruchstücken irgendwie doch etwas völlig Neues wurde. Und dass da, wo ich mit mir selbst am Ende war, Platz war für Neues. Mitten in „meinem Galiläa“, in meinem ganz normalen Leben. Dort, wohin auch all die Auferstehungszeugen geschickt werden. Dort geht hin. Dort wird der Auferstandene - oder wem das zu figürlich ist – dort wird Euch Gottes neu schaffende Kraft begegnen. Für Paulus war es so: Wo er am Ende war – da war Platz für Ostern. Er sagt: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“ Ein guter Satz. Österliche Wegzehrung für‘s Leben. Das ganze Jahr über. „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“ Sie hat den Tod gefressen. Dazu mache uns gewiss der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org