Predigt über 1.Petrus 5,1-4

  • 15.04.2018 , 2. Sonntag nach Ostern - Miserikordias Domini
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt über 1. Petrus 5,1-4, 15. April 2018, Sonntag Misericordias Domini

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
gerade in krisenhaften Situationen ist die Sehnsucht nach Vorbildern groß, die in ihrem Amt eine gute Figur machen. Es geht um Glaubwürdigkeit. Aber: Was ist das, was jemanden würdig macht, dass man ihm glaubt ... was heißt das eigentlich? Wie muss denn jemand sein, der eine Regierung leitet, ein Ministerium, eine Universität, eine Schule, einen Chor wie den Thomanerchor, eine Gemeinde? Abgesehen von seinem fachlichen Können? Wie kriegt er oder sie die verschiedenen Erwartungen und Meinungen unter einen Hut, nimmt alle irgendwie mit, scheut sich aber andererseits nicht vor harten Entscheidungen?

Nicht so einfach - und wir legen die Messlatte gern so hoch, dass wir selbst gut und gern drunter bleiben würden. Mir leuchtet es daher sehr ein, dass man bereits in antiker bzw. vorchristlicher Zeit offenbar auf einen konsensfähigen Vergleich gekommen ist - und wir haben das eben in den Lesungen gehört. Jemand, der andere führt und leitet, soll das können bzw. beherrschen, was ein guter Hirte können muss. Er drückt sich nicht vor Schwierigkeiten. Er leitet an zu einem vernünftigen Miteinander. Er ist fähig, mit zu leiden, kann Menschen in Not nahe sein. Und auch in leidvollen Momenten hat man nicht unter ihm zu leiden. Nach der letzten Woche könnte man heute voller Gift und Galle sein über die, die gerade das alles nicht können. All die Trumps und Putins im Allgemeinen und die Assads und Orbans im Besonderen und all die schlechten Hirten dieser Welt bzw. die wir dafür halten. Allerdings, zu einem guten Hirten gehört es auch, sich hüten zu können. Vor sich selbst und von dem, was uns in Zorn und Enttäuschung vereinnahmt und verstimmt - und bleiben erst mal bei uns selbst und bei dem, was schon in der alten Kirche bzw. der jungen Christenheit Thema war: Wie ist denn bei uns - und wie steht es bei uns um den Leitungsstil, den uns der gute Hirte Jesus Christus nicht nur vorgelebt sondern nachdrücklich empfohlen hat? Offenbar hat es auch früher schon daran gehapert, wenn wir in den heutigen Predigttext aus dem 1. Petrusbrief gucken.

Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund; nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde. So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen.

Wer darf sich jetzt angesprochen fühlen - auch unter uns? Die sog. „Ältesten" waren schon damals nicht unbedingt die mit den meisten Jahren auf dem Buckel, sondern gewissermaßen die Dienstältesten im Glauben, die Erfahrensten. Letztlich alle, die bereit waren und sind, in der Gemeinde Verantwortung zu übernehmen. Offenbar gab es seinerzeit drei Problemfelder. 1. Es hapert an Motivation, 2. Wem es an innerer Motivation hapert, wird schnell zusehen, dass er seine Schäfchen zwar schon weidet, aber vor allem ins Trockene bringt. Und wer das tut, wird 3. Wohl zwangsläufig von der Leitungs- in die Kontrollposition wechseln. Was der 1. Petrusbrief kritisiert, dürfte uns so bekannt vorkommen wie sein Versuch, die Angesprochenen zur Rückkehr zu dem zu bewegen, womit alles einmal angefangen hat: Mit Engagement, das von Herzen kommt. Noch mal alles auf Null. Aber kann man dieses Verhalten verordnen? Kann man von anderen verlangen: Habt gefälligst wieder mehr Lust und seid mal bessere Vorbilder?

Wer sich in einer christlichen Gemeinde oder auch in einer anderen Gruppe verantwortlich weiß wie einer Partei oder einem Verein, der kennt ja die Phasen, wo das alles nicht gehen will und dieser Anspruch einen unendlich belasten kann. So groß wie die Sehnsucht nach Vorbildern kann zugleich die Angst werden, selbst eines sein zu müssen. Und gerade das Leitungsideal des Hirten ist in der Hinsicht nicht ohne, Vom Hirten erwartet man, dass er immer da ist für die Herde und seine eigenen Belange zugunsten der Herde zurück stellt. Auch das ist Hirtenalltag: Jederzeit immer und für alles verantwortlich sein. Anders als der von Jesus erwähnte Mietling, den man manchmal beneiden möchte, weil er nach Hause gehen kann, wenn es brenzlig wird. Der Hirte kann es nicht: Und wen wundert es, wenn dieses z.B. für den Pfarrberuf immer noch gesetzlich festgehaltene Ideal „in der gesamten Lebensführung Vorbild für die Gemeinde" zu sein, zu Frust und Überforderung führt? Übrigens: Auch Ehrenamtliche im Kirchenvorstand sollen das ja sein nach den Regularien unserer Kirche: Vorbilder - auch in der Lebensführung. Nun ja. Aber wie geht man um mit einem Vorbild, das der mehr oder weniger willkürlich angelegten Messlatte nicht mehr standhalten kann? Wenn z.B. Ehen zu Bruch gehen? Oder wenn uns in unserer Landeskirche wie in diesem Jahr geschehen, einige unserer besten und gut ausgebildeten Vikarinnen und Vikare verlassen, weil sie sich nicht zu einem Heiratstermin drängen lassen oder weil sie sich nicht willkürlich übers Land schicken lassen wollen geschweige denn können, weil sie eben eine Verantwortung für eine Familie haben, die an die Stadt gebunden ist - und keine Bereitschaft zu erkennen ist, eine Lösung zu finden, vielleicht sogar eine kreative? Uns ist das ja passiert mit unserer wunderbaren Vikarin Teresa Tenbergen, die in zwei Wochen in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschen ordiniert wird, weil dort möglich war, was hier nicht ging.

Machen wir uns nichts vor: Manch Haupt- wie Ehrenamtlicher verlässt die Herde, weil es bei uns leider durchaus auch manchmal anders zugeht als es der Name dieses Sonntags und das Bild des guten Hirten nahelegt: dass auch mit den Hirten barmherzig umgegangen wird. Misericordias Domini! Es ist auch Enttäuschung über Lieblosigkeit und Nachlässigkeit im Umgang, die viele von uns weggehen lässt - und das ist, unabhängig von der Frage, ob das denn nun eine angemessene Reaktion ist, erst einmal sehr, sehr schmerzhaft. Es führt uns Anspruch und Wirklichkeit dieses Leitbilds vor Augen und zeigt uns, wie wir daran bis zur Unglaubwürdigkeit scheitern können.

Wie aber kann sich da nun ein Gleichgewicht ergeben zwischen Wünschenswertem und Machbarem, zwischen gerechtfertigtem Anspruch und unangemessenem Druck? Der Verfasser des 1. Petrusbrief weiß offenbar, wovon er redet, wenn er hier als „Mitältester" auf Augenhöhe spricht: Das Hirtenamt ist kein Spaß, es führt uns an unsere Grenzen. Aber, auch wenn das Wort „alternativlos" furchtbar ist, es kann keine Alternative im Miteinander der christlichen Gemeinde geben. Es führt in die Irre, nicht das zu tun, was Jesus als seine Aufgabe als guter Hirte betrachtet hat: unseren Blick zu schärfen für die verlorenen Schafe, ihnen nachgehen, sie zurückholen und in scheinbar ausweglosen Situationen trotz eigenen Nachteils neue Wege zum Leben eröffnen. Und dass wir dabei auch die einbeziehen, die aus welchem Grund auch immer außen vor sind: nicht nur außerhalb der Gemeinde, sondern auch außerhalb der Gesellschaft. Wir haben im Evangelium gehört wie Jesus sagt: „Ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall, auch sie muss ich herführen und sie werden meine Stimme hören und es wird eine Herde und ein Hirte werden."

Was ihn antreibt, soll auch uns zur Motivation werden. Es gibt eine Stelle in den Evangelien, wo sehr genau gesagt wird, aus welcher Perspektive heraus Jesus sein Hirtenamt ausübt. Es ist die Geschichte von der Fußwaschung. Sie endet mit dem neuen Gebot, einander so zu lieben, wie er uns geliebt hat. Und das bedeutet eben immer, unten anzufangen beim Menschen. Bei seinen Füßen. Und nicht bei der Kopfwäsche.

Hier, in dieser Perspektive, liegt alle Vorbildhaftigkeit begründet, zu der auch der Verfasser des 1. Petrusbriefs seine Gemeinden anhält: sich an diesem Vorbild zu orientieren und jegliches Haupt-und Ehrenamt als Möglichkeit zu begreifen, dem Beispiel Jesu nachzufolgen und den Weg nach unten anzutreten - zum Menschen, wie er ist: der andere und auch wir selbst. Das Wort des ursprünglichen griechischen Texts, das wir mit „Vorbild" übersetzen, baut da eine Brücke: da ist die Rede vom „typos". Ein glaubwürdiges Vorbild ist ein „typos". Salopp formuliert könnte man auch sagen: Voraussetzung dafür, ein Vorbild sein zu können ist, eine Type zu sein - sprich die, die wir sind. „Typos" meint das Bild bzw. den Eindruck, den ein Prägestempel auf dem Untergrund hinterlässt. Wir sind gefragt als „echte" Typen, die das Leben geprägt hat, und die beeindruckt sind von der Begegnung mit Gott. Das bedeutet dann aber auch ein anderes Vorbild-Sein als korrekt und untadelig immer alles richtig zu machen - angefangen damit, den richtigen Lebenslauf zu haben. Was wird da nicht alles zurechtgebogen oder gleich neu erfunden, mal aus Angst, nicht zu genügen, mal aber auch aus kaltem Kalkül. „Typos, Typ" zu sein heißt ja aber eigentlich: Jemand weiß, das Leben läuft nicht glatt und wie im Bilderbuch. Er oder sie weiß eben genau: Wir können uns auch sehr täuschen in dem, was wir meinen, was oder wie wir sind. Und dass wir immer schon davon leben, dass andere mit uns barmherzig umgehen. Solche Typen sind keine Vorbilder in dem, was sie so alles mal in ihrem Leben richtig gemacht haben. Sondern sie sind Vorbilder in ihrem Wissen, wie man trotz bzw. mit den Widrigkeiten des Lebens glaubwürdig umgeht. Denn das gehört ja auch zum Bild des Hirten dazu: Seine äußere Unzulänglichkeit, der Schmutz auf der Bekleidung und die Spuren, die schwere Wetter in seinem Gesicht hinterlassen haben.

Ich bin ich froh, dass es in unserer Kirche Vorbilder gibt, die solche Typen sind: vom Leben geprägt und gezeichnet. Die erlebt haben, wie quälend eisige Winter und glühende Sommer sein können. Die auch mit und trotz ihrer Schuld glaubwürdig leben und darin Nähe zu der Herde ausstrahlen, um die sie sich kümmern sollen - und genau deswegen auch nicht (oder zumindest weniger) in Versuchung kommen, sich als Herren oder Herrinnen aufzuspielen. So verstanden kann „typos" zu sein, Vorbild, Freude machen und nicht Druck. Hirten aller Art, Bischöfinnen und Politiker, Älteste und Jüngste dürfen das für sich in Anspruch nehmen. Und alle anderen auch. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche