Predigt über 2. Kor. 4, 16-18

  • 22.04.2018 , 3. Sonntag nach Ostern – Jubilate
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über 2. Kor 4, 16-18 am Sonntag Jubilate, 22.4.2018, St. Thomas zu Leipzig um 09.30 Uhr

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

„Der müde Leib findet ein Schlafkissen überall, doch wenn der Geist müd ist, wo soll er ruhen?“ Liebe Gemeinde, so lässt Georg Büchner Lena in „Leonce und Lena“ fragen. Wir unterscheiden und kennen verschiedene Arten von Müdigkeit. Nach einer langen Wanderung oder einem Pilgerweg am Ende des Tages, fällt der Mensch mit wohltuender Schwere und Müdigkeit ins Bett und wenig später in den Schlaf. Oder die gestrige Gartenarbeit führte vielleicht dazu, dass der Körper nach so langem Winterwarten wieder richtig spürbar wurde in einer lebendigen Müdigkeit, die letztlich angenehm ist, weil wir merken, dass wir noch leben.

Aber was ist, wenn der Geist müd ist, wo soll er ruhen?

Beim Nachdenken über den heutigen Predigttext fiel mir sofort der Prophet Elia ein. Er schleppt sich nach heroischer und doch gleichsam sehr zu hinterfragendem Kampf am Karmelberg und den ständigen Verfolgungen durch die Königin Isebel mit letzter Kraft in die Wüste. Dort zieht er Bilanz über sein Leben und Tun. Unterm Strich kommt er zu einem vernichtenden Schluss: Es lohnt sich nicht. Alles Tun hat keinen Zweck und Erfolg.

„Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Ginster und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Ginster.“ (1. Könige 19)

Trotz großer Leistung, trotz eines Arbeitspensums mit dem sich viele Stunden am Tag füllen lassen, steht der Mensch beim Bilanzziehen vor einem Scherbenhaufen. Das kann in der Tat auch die letzte Energie verbrauchen und in eine Müdigkeit ungeahnten Ausmaßes führen. Wer diesen Prozess selber hat durchmachen müssen, weil alle Lebensenergie verbraucht ist, weil sich im Inneren nichts mehr finden lässt, um Geist und Körper Kraft zu geben, wird gut nachvollziehen können, dass hier Gefahr droht. Das Leben selbst ist in Gefahr.

Solche geistige und geistliche Müdigkeit entsteht, wo sich der Mensch von seinen Quellen entfernt. Sie manifestiert sich ganz schnell im ganzen Körper und lässt ihn Schaden nehmen. Es bedarf dann dringend der inneren Stärkung. Elia erfährt sie in einer sanften, seelsorgerlichen Begleitung durch Gottes Boten. Der Apostel Paulus schaut auf die inneren Selbstheilungskräfte des Glaubens, wenn er seiner Gemeinde in Korinth die folgenden Worte schreibt:

16 Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.

17 Denn unsre Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit,

18 uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Ob nun den Apostel bei diesen Zeilen eine gewisse Prägung antiker Philosophie, die zwischen Körper und Geist bzw. Seele unterscheidet, durchscheinen lässt, sorgt für vielerlei Spekulation, weil er an anderer Stelle solche Unterscheidungen nicht macht. Ob sich in diesen Zeilen die Basis für Luthers Unterscheidung von innerem und äußeren Menschen, die er in seiner Freiheitsschrift ausdeutet, finden lässt, darüber ließe sich ebenfalls diskutieren. Am heutigen Morgen lohnt es sich, über drei Punkte nachzudenken, die Paulus in seinen Zeilen an die Korinther markiert.

-der verfallene Leib –Bedrängnis –unsichtbare Hoffnung

Lisa und der verfallene Leib

Lisa ist eine Konfirmandin, die ich vor sieben Jahren konfirmierte und danach noch einige Zeit in der Schule unterrichtete. Lisa hat das Downsyndrom und ging in eine integrative Schulklasse. Im Religionsunterricht haben wir geschrieben, gelesen und viele biblische Geschichten als Szenen oder eigene, moderne Übertragungen gespielt. Wer Lisa sah, wusste sofort, dass sie anders war als die anderen Kinder. Manche nennen solch ein Anderssein Behinderung. Wenn es ans Rechnen ging, merkte man ihr an, wie schwer es ihr fiel. Sie brauchte die drei- oder vierfache Zeit. Und auch mit dem Schreiben haperte es. Lesen konnte sie sehr gut. Und wenn wir Theater spielten, dann war Lisa unglaublich verwandelt. Sie trat als Regisseurin auf, gab den anderen Schülern Anweisungen, fauchte sie an wenn eine Szene nicht gut war (`Mensch, der Vater liebt den verlorenen Sohn. Zeig das mal.´) und spielte selbst hervorragend. Freilich war ihre Artikulation ihrer körperlichen Beschaffenheit entsprechend. Aber der innere Geist erwachte auf beeindruckende Weise, wo es um ihr Thema ging und wo sie erkannte, dass ihre Fähigkeiten um Längen besser waren als die der offensichtlich gesunden und unversehrten Kammeraden.

Wer vom äußeren, körperlichen Zustand auf den inneren geistigen und geistlichen Zustand schließt, wird meist Schiffbruch erleiden. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Bevor wir auf den Apostel Paulus schauen, sei uns eine Diskussion der vergangenen Tage ins Gedächtnis gerufen.

Die fragwürdige Preisverleihung des ECHOS an die Rapper Fahrid Bang und Kollegah sorgt zurecht für Aufregung. Fragwürdig auch deshalb, weil nun endlich nach vielen Jahren die Mechanismen der Preisverleihung infrage gestellt werden. Fragwürdig ebenso, weil gerade diese beiden Rapper mit gestähltem, muskulösem Körper in Bezug auf unseren Predigttext doch auf erschreckenden Weise deutlich machen:

In einem großartigen, gesunden Körper muss nicht zwangsläufig ein großartiger Geist beheimatet sein. Und da frage ich mich dann ernsthaft, was wohl beschämender ist: die körperliche oder die geistige Inkontinenz? Der Apostel Paulus dekliniert an seiner eigenen Lebensgeschichte bzw. seinem eigenen Körper durch, wie schnell diejenigen irren, die nur auf körperliche Stärke und Unversehrtheit schauen. Für unwürdig wurde er erachtet, das Evangelium zu verkünden. Man warf ihm gerade in Korinth vor, kein guter Apostel zu sein. Einem verfallenen Körper kann kein fruchtbarer Geist, kann keine Erneuerung entspringen.

Diese Diskussionen waren ermüdend, weil eine ständige Selbstrechtfertigung unendlich viel Kraft kostet. Paulus hält durch und lädt zum Durchhalten ein, indem er die Augen seiner Leser auf den Kern christlicher Botschaft richtet, die sich in österlicher Freudenzeit in einem Satz verdichten lässt: Das Kreuz des Leidens hat nicht das letzte Wort, sondern die Kraft der Liebe Gottes bewirkt neues Leben. Aus dieser Botschaft lassen sich Energie und Frische ziehen, um die Müdigkeit zu vertreiben.

Bedrängnis

Vertröstung ist kein guter Ratgeber in Zeiten der Bedrängnis. Das will Paulus auch gar nicht tun. Vielmehr führt er uns zu einer enorm wichtigen Erkenntnis: Wer um der Botschaft des Evangeliums willen in Bedrängnis gerät, wird das nicht umsonst getan haben. Oder anders ausgedrückt: Es lohnt sich, für seinen Glaubensüberzeugungen einzutreten. Es lohnt sich, nicht gleich beim ersten Gegenwind umzufallen und sein Fähnlein in den Wind zu hängen. Es lohnt sich, auf Gott sein Vertrauen zu setzen und nicht allein den Beurteilungen der Mitmenschen zu vertrauen. Es lohnt sich sein Selbstwertgefühl aus etwas tiefer Gehendem zu ziehen als den Meinungen der Zeitgenossen.

Schlussendlich: Es lohnt sich, das Wagnis einzugehen auf einem schwierigen, oftmals leidvollen Weg des Glaubens zu gehen.

Warum soll sich das alles lohnen, könnte jetzt gefragt werden? Weil das Ziel klar und deutlich ist, wäre dann die Antwort. Klar und deutlich deshalb, weil eine Herrlichkeit auf uns wartet, die alles überstrahlen wird. Vielmehr noch – sie hat Gewicht. Das heißt aber: Sie bedeutet etwas bzw. hat etwas zu sagen. Gottes Herrlichkeit –die hebräische kobod- ist eine glanzvolle Gewichtigkeit und Schwere und nicht irgendetwas Spirituelles. Paulus nimmt uns mit auf den Weg des Ringens mit den Anfechtungen der jeweils eigenen Gegenwart. Trotz augenscheinlicher Niederlagen, trotz mancher zerplatzter Hoffnungen, scheint Gottes glanzvoll, gewichtige Herrlichkeit manchmal direkt in unseren Alltag. Das wird nicht immer, kann aber oftmals reichen, um in Bedrängnis, innerer oder äußerer Art, zu bestehen.

Unsichtbare Hoffnung

Im wahrsten Sinne „Gott sei Dank“ ist dafür zu sagen, dass die sichtbare Verfassung nicht gleichzusetzen ist mit dem, was wir dahinter vermuten, entdecken, glauben oder hoffen. Das betrifft nicht nur den körperlichen Augenschein, sondern lässt sich auf vielfache Bereiche anwenden. Wir können froh sein, dass eine sichtbare Kirche der Hoffnungslosigkeit, eine Kirche mangelnder Ideen, eine Kirche der Realitätsverweigerung nicht das letzte Wort haben wird. Das haben die vergangenen Jahrhunderte immer wieder gezeigt, als die großen Bettelorden entstanden oder Reformationsbestrebungen im 15. Und 16. Jahrhundert zu einem durchgreifenden Erneuerungsprozess führten; ebenso auch die pietistischen Bewegungen zwei Jahrhunderte später.

Gegenwärtig gefallen sich viele darin, dass Strukturkompromisse am letzten Wochenende auf der Sächsischen Landessynode gefunden worden. Aber in all dem lässt sich kein Aufbruch finden und geistliche Frische erst recht nicht.

Denn es wird, trotz gut durchdachter Alternativen, auf die man noch nicht einmal eine Antwort bekommt, im Wesentlichen weiter gemacht wie bisher. Keine Reaktion erfolgt auf sich positiv verändernde Bevölkerungsstrukturen, wie wir sie in den beiden sächsischen Großstädten seit Jahren erleben. Statt in den neuen Wohngebieten, die hier gebaut werden von Anbeginn an als Kirche mit Personal präsent zu sein, als sichtbares Zeichen der Begleitung neu hinzugezogener Menschen, wird alles pauschal geregelt. Vor mehr als zehn Jahren gab es die vernünftige Entscheidung in Leipzig aus zwei Kirchenbezirken einen Kirchenbezirk zu machen. Das fällt uns jetzt auf die Füße, weil so genannte Missionsstellen gleichmäßig auf Kirchenbezirke verteilt werden, ohne auf deren Größe zu schauen. Da kommt es dann zu solchen Absurditäten, dass eine Region mit 19.000 Gemeindegliedern ebenso viele Stellen zugeteilt bekommt wie eine Region mit 75.000 Gemeindegliedern. Hätten wir noch die zwei Kirchenbezirke in Leipzig, würden wir vier Missionsstellen statt zwei bekommen….

Wo innovative Gemeinden, und wir haben davon in Leipzig sehr viele, für ihren Mut mit Stellenkürzungen bestraft werden, könnte man müde und depressiv werden.

Wir wollen das aber nicht tun. Was wir aber tun wollen ist dies: Uns von der unsichtbaren Hoffnung leiten lassen statt uns scheinbare Hoffnung diktieren zu lassen.

Lass uns nicht müde werden, schreibt der Apostel Paulus. Sondern lasst uns darauf vertrauen, dass Gottes Herrlichkeit erneuert und uns in der Verkündigung leitet. Auch wenn das Äußere träge wird und verfällt, bleibt doch der innere, durch Gottes Kraft erneuerte Kern voller Mut und Energie. Es wird Zeit, liebe Gemeinde, dass wir den Aufbruch wagen, anstatt nur davon zu reden – gesellschaftlich und kirchlich, privat und persönlich. Die Verheißungsgeschichten der Bibel ermutigen dazu, ganz gleich ob ich wie Elia mich durch meine Seelenwüste zu Gott hinschleppe oder wie Paulus mich besinne auf die innere Kraft des Glaubens, die mir niemand wegnehmen kann.

Der Schweizer Theologe Kurt Marti hat in seinem kleinen Gedicht in Worte gefasst, wie wichtig es ist, die innere Müdigkeit zu überwinden, anstatt sie immer nur mit Worten zu beschönigen.

Wo kämen wir hin

Wenn alle sagten

Wo kämen wir hin

Und niemand ginge hin

Mal zu schauen

Wohin man käme Wenn man ginge

Paulus lehrt uns, dass alles, was so offensichtlich scheint, nur relativ wichtig ist. Viel wichtiger ist, was man nicht sieht, aber ungemeine Kraft in sich birgt. Das ist Evangelium-frohe Osterbotschaft.

Wie bei Lisa, durch die Gott seine Herrlichkeit gezeigt hat, indem er sie durch einen verfallenen Körper scheinen lässt und den auf den ersten Augenblick schwachen Geist durch seine Früchte für alle zum Leuchten bringt. Amen.

Pfarrer Martin Hundertmark,