Predigt über 2. Korinther 6,1-10

  • 06.03.2022 , 1. Sonntag der Passionszeit - Invokavit
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt über 2. Korinther 6,1-10

6. März 2022 (Invokavit)

Gnade sei mit Euch von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

gibt es den Teufel, den Diabolos, dem Jesus hier begegnet? Wir können uns die Frage selbst beantworten, wenn wir uns angucken, was er denn tut. Dia-bolos, so heißt er auf Griechisch. Wörtlich übersetzt: Durcheinanderwerfer. Und das tut er. Er wirft alles durcheinander: Wahrheit und Lüge, Traum und Realität, Bedürfnis und Verlangen. Und es gelingt ihm sogar, die Dinge unter Beibehaltung des Wortlauts zu verdrehen. So dass wir unser Gottvertrauen mit unseren Unverwundbarkeitsphantasien verwechseln: „Wirf dich doch herab, wenn Du auf Gott vertraust.“

Unsere menschlichen Bedürfnisse nach Nahrung, Vertrauen und Sicherheit werden derart verdreht und durcheinandergeworfen, dass dort, wo man darauf eingehen würde, am Ende eines stehen würde: der Mensch, der von sich glaubt, bleibend gut und auf dieser Basis unverwundbar zu sein und alles erreichen zu können. Jesus widersteht diesen Versuchungen.

Und wir? Der Durcheinanderwerfer scheint sehr aktiv zu sein im Moment. Der Grundsatz „Keine Waffen in Kriegsgebiete“ klingt für so manchen angesichts des verbrecherischen Putin-Kriegs mindestens naiv, wenn nicht zynisch. Die Situation drängt, erfordert schnelles Denken und schnelles Handeln, eine Kehrtwende folgt der anderen. Teuflisch, diabolisch ist es, wenn man ins Schlingern kommt: War denn das alles naiv, es für möglich zu halten, Frieden in Europa auf der Basis von Diplomatie und Friedenspolitik zu sichern? Darauf zu setzen, dass auch ein Diktator, der sonst vor nichts haltmacht und dessen politische Basis die Lüge ist, schon nicht den dritten Weltkrieg provozieren wird? Weil auch ihm völlig klar ist, dass die Demokratie wehrhaft ist? Es wäre in der Tat teuflisch, all das über den Haufen zu werfen, wovon wir überzeugt sind: dass Gewalt keine Probleme löst und ein Krieg nur Verlierer bringt. Aber ich kenne keinen, den das alles jetzt nicht hin und herreißt. Dass alles in uns gewaltig durcheinandergeschleudert wird im Moment. Und man Angst bekommen kann angesichts der Tatsache: Putin hat keine Exit-Strategie, bei der er noch das Gesicht wahren könnte.

So ist es ist gut, wenn wir uns etwas Zeit nehmen für Grundlagenarbeit an uns selbst. Uns selbst zu ordnen. Was ist jetzt dran, worauf kommt es an, wie bleibe ich glaubwürdig vor mir selbst, wie will ich sein und bleiben, so dass der Diabolos auch mit mir aufgibt, zumindest erst einmal?

Und da kriegen wir es heute im Predigttext mit Paulus zu tun, dem genau das klar war: dass man diese menschliche Grundlagenarbeit immer wieder leisten muss, wenn man nicht durch Leid und Last in Versuchung kommen möchte, etwas von dem aufzugeben, was für uns wesentlich ist und was uns auch glaubwürdig macht. Er spricht von sich als Apostel, wie er glaubwürdig und mit sich im Reinen in diesem Amt sein und bleiben kann. Aber er spricht darin auch von uns allen, egal an welcher Stelle wir unser Amt als einfacher Christenmensch ausüben. Hören wir den Abschnitt aus dem 2. Korintherbrief noch einmal

Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. 2 Denn er spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! 3 Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; 4 sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, 5 in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, 6 in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, 7 in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken,8 in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; 9 als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; 10 als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.

Man merkt: Paulus hat darum zu ringen, als glaubwürdig angesehen zu werden. In Korinth waren sog. Superapostel aufgetreten, die davon sprachen, dass sich die empfangene Gnade Gottes doch unmittelbar zeigen bzw. ablesen lassen muss im Leben. Somit hätte auch der Botschafter dieser Gnade nur eines zu sein: Begabt, stark, erfolgreich, attraktiv, überlegen, ohne Wiedersprüche und mit dem großen Durchblick gesegnet. Tja, so wie man sich bis heute Führungspersönlichkeiten wünscht – und wehe, sie kommen dem nicht nach, wie schnell können sie weg sein vom Fenster... Paulus ist ehrlich, er hat auf diesem Gebiet nichts anzubieten, hat kein schlagendes Argument, kein bewährtes Rezept in der Konfliktbewältigung, nicht einmal einen Ruf als charismatischer Prediger. Er gibt der Versuchung nicht nach, sich auf die Ebene seiner Gegner hinzugeben, die meinen, Gottes Gnade ließe sich direkt am Wohlergehen eines Menschen ablesen – und dass Leid und Schmerz einen Begnadeten nicht mehr im Innersten berühren könnten. Bei ihm ist es wie bei Jesus, den der Diabolos mit der dreifachen Versuchung von Brot, Spiel und Herrschaft auf seine Ebene zu ziehen versucht: Du kannst es alles haben, es ist alles machbar: Kein Hunger mehr auf dieser Welt, Unverletzlichkeit, Reichtum über alles. Aber Jesus weiß genau, dass er dann nicht mehr erfüllen könnte, wozu er berufen ist: Wirklich in den Hunger der Menschen hineinzugehen und ihrer Sehnsucht Nahrung zu geben, ihr Vertrauen in Gott zu stärken und sie zu lehren, niemanden als Gott anzuerkennen, der sich als Mensch selbst dazu machen will. Kurzum: Ein freier Mensch zu bleiben, der sich von Gottes Freundlichkeit und Ehre nährt und nicht von den Surrogaten, die der Mensch dem Menschen immer wieder anzupreisen versucht.

Genau darin will auch Paulus glaubwürdig bleiben und sich nicht auf die Ebene des Versuchers begeben. Und nennt zwei Kriterien, die nicht nur seine Glaubwürdigkeit untermauern, sondern die einen davor bewahren mögen, sich die Sichtweise der Ewigerfolgreichen zu eigen zu machen und zu meinen, dort sei das wahre begnadete Leben zu finden. Es ist, wie gesagt, Grundlagenarbeit. Sie besteht zum einen in der Ermahnung, die Gnade Gottes nicht vergeblich zu empfangen. Und zum zweiten in der Aufforderung, sie in großer Geduld zu leben und zu bewähren. Gnade und Geduld – für uns schon fast Fremdwörter. Aber vielleicht für die Korinther bereits auch schon. Geduld -  griechisch „hypomonä“ - wörtlich übersetzt meint das „darunter bleiben“ – in Situationen, in die man nicht kommen möchte, in die wir aber kommen – und in denen der Diabolos mitunter leichtes Spiel mit uns haben kann. Und deshalb zählt Paulus Situationen auf, in denen es einen etwas kostet, seine Glaubwürdigkeit zu bewahren – und nicht zuletzt auch seinen Glauben selbst: Bedrängnisse, Nöte, Ängste, Schläge, Gefängnisse, Aufruhr, Mühen usw. Genauso aber finden sich in seiner Aufzählung auch andere Bewährungsproben. Lauter Dinge, die wir positiv besetzen: Lauterkeit, Erkenntnis, Langmut, Freundlichkeit, warnt vor der Gefahr, überheblich zu werden aus den guten Erfahrungen heraus. Paulus benennt sogar, dass er bzw. wir ja auch, immer in der Gefahr stehen, selbst Verführer zu sein, in Vers 8 spricht er das an: „als Verführer und doch wahrhaftig“. Gerade das, was uns gelungen ist, unsere persönlichen Erfolge oder was auch immer, können unserer Glaubwürdigkeit auch im Wege stehen – nämlich dann, wenn wir uns dabei mit uns selbst brüsten. Paulus sieht sich und uns da sehr realistisch – und hält auch nicht hinter dem Berg, was solch ein Verhalten für ihn bedeutet: die Gnade Gottes vergeblich zu empfangen.

Genau auf diesen Punkt kommt es ihm an in Sachen Glaubwürdigkeit: Dass man weiß und auch sagt: Ich lebe in allen Dingen von der Gnade Gottes. In allen. Alles andere ist vergänglich, nichts ist für ewig, nicht mein Glück, mein Können, mein Vermögen, mein Leben, meine Schönheit. Unvergänglich ist die Gnade Gottes als Geschenk, damit sie in uns lebt - jederzeit. Das ist Grundlagenarbeit, da hinzugucken, wo von lebe ich und unter welcher Perspektive sehe ich denn mein Leben. Es gibt dieses bekannte Diktum: „Christen sind nicht besser – aber sie sind besser dran.“ Klingt etwas plakativ, aber trifft es im Kern. Denn das, was „Gnade“ ist, hat nicht unbedingt etwas damit zu tun, was mir in meinem Leben objektiv widerfährt, sondern zuerst einmal damit, wie ich das, was mir widerfährt, einzuordnen weiß. Mit welchem Glauben und aus welchem Vertrauen heraus ich das, was mir geschieht, annehme und gestalte: Nämlich aus dem Vertrauen heraus, dass mein Leben einen Sinn vor Gott hat. Paulus sieht es so, dass sich durch unseren Glauben etwas in uns verändert.

Aber: Kann man davon etwas sehen, merkt man das? Kann man, wie Paulus hier, auch die Leidenszeiten als „willkommene Zeit“ oder „Zeit der Gnade“ sehen? Das ist auf den ersten Blick nicht ohne, gerade jetzt im Moment. Und solche Sätze wie: „Ich bin an den Niederlagen und Krankheiten in meinem Leben gereift und nicht an den Triumphen und Glückssträhnen“ – sie sind etwas für den persönlichen Rückblick. Aber sie taugen überhaupt nicht als Trost für Menschen, die gerade betroffen sind von Krankheit, Leid und auch Krieg. Die können das Jetzt und Hier eher nicht als „willkommene Zeit“ oder „Zeit der Gnade“ sehen – und da gilt es eher, ihnen in diesem Nichtkönnen beizustehen. Paulus tut aber genau das damit, indem er alles, was uns im Laufe unseres Lebens geschieht, an sich selbst reflektiert. Dass immer wieder Dinge geschehen, die einen verzweifeln lassen wollen. Wo es völlig anders läuft als ich es mir vorgestellt habe. Und wo ich mir selbst verzweifelt vorkomme in meinem Bemühen, in meinem Glauben stark zu sein. Und diese Stärke soll mich dann – bitteschön - ganz und gar durchstrahlen und mich glaubwürdig wirken lassen. Wie ein Schutzanzug, der mich völlig umgibt. Alles soll durch meinen Glauben abgewehrt und wie an einer schützenden Hülle einfach abprallen. Ach, wäre das schön, das ist irgendwie ein tief in uns sitzender Wunsch obwohl wir wissen: So ist es nicht mit dem Glauben. Noch einmal: Wenn wir wie die korinthischen Überapostel sind, die das positive Denken, die ewige Jugend oder das reine Vergnügen predigen, dann machen wir uns etwas vor. Es ist jetzt in diesen Wochen der Passionszeit aus gutem Grunde dran, auf das zu schauen, worauf uns das Evangelium von der Versuchung Jesu in der Wüste hinweist: Jesus ist nicht mit einer Art Glaubensschutzanzug durch die Welt gegangen. Im Gegenteil. Er ist verletzlich und bewahrt sich das gegen alle Anfechtungen des Teufels. Von Anfang an. Nur so kann er mitten hinein gehen in unser Leiden, in Trauer, Schmerz und Tod. Gottseidank lässt er sich nicht davon abbringen.

So schafft er die Voraussetzung für das, was Paulus auch den Korinthern sagt: Ich stehe mittendrin in dem Leiden der Welt, so wie Christus. Ich erlebe Nöte, Ängste, ich werde angefeindet, böse Gerüchte werden über mich verbreitet, der Tod ist mir nahe. Ja, und letztlich ist es genauso – auch wenn das manchem zu pessimistisch klingen mag - aber: Was anderes als der Tod und unsere Sterblichkeit erinnern uns daran, dass wir in vielem schlicht machtlos sind? Wo wir geboren werden, wer unsere Eltern sind, ob bzw. wann wie krank werden? Glaubwürdig sind wir dann, wenn wir diese Wirklichkeit ernstnehmen. Paulus ist da sehr realistisch: Wir sind Sterbende, sagt er. Das ist unsere Grunddisposition. Wir sind traurig, wir sind auf unsere Weise arm oder armselig. Paulus sagt es, wie man es deutlicher nicht sagen kann: Was wir oft als den Extrem- oder Notfall in unserem Leben sehen - es ist der Normalfall! Welcher Teufel, welcher Durcheinanderwerfer hat uns eigentlich eingeflüstert, dass es anders ist? Warum stehen wir nicht zu unserer Sterblich-  und Vergänglichkeit? Auch da findet er statt: „der Tag des Heils – die willkommene Zeit“. Leid und Glück – sie sind kein zeitliches Nacheinander, sondern ein Ineinander. Es ist kein Zufall, dass der Regenbogen als Zeichen des Bundes Gottes mit uns nur im Ineinander von Regen und Sonne aufscheint bzw. erkennbar ist und nicht im Nacheinander. Das zu begreifen heißt, die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen zu haben. Und wann immer wir Menschen begegnen, die schon als Sterbende bzw. vom Tode gezeichnet sind und die uns dennoch fröhlich machen, die ihre Freude mit uns zu teilen vermögen und die getröstet wirken – sind die, die im Grunde nichts mehr haben, nicht die glaubwürdigsten Menschen von allen? Sind die, die uns „als Sterbende, und siehe, wir leben“ nicht den großartigsten Trost spenden können?  Sind die, die uns trotz ihrer Traurigkeit fröhlich und zuversichtlich machen und als die, die nach den Maßstäben dieser Welt nichts mehr haben, nicht die glaubwürdigsten Menschen, die es gibt? Wo man spürt, die Haltung, die imponiert mir, die macht mich stark?

In welcher Haltung wollen wir leben als Christenmenschen und was sollten wir dieser Welt im Bemühen um Glaubwürdigkeit anbieten und womit auch konfrontieren? In wunderbare Worte fasst das der Theologe und Schriftsteller Jörg Zink zusammen, die uns vielleicht in diesen vom Diabolos geplagten Tagen und Wochen helfen dranzubleiben an unserer menschlichen Grundlagenarbeit: „Geduld ist die Kraft, bei einer Sache zu bleiben, bis sie ausgereift ist. Diese Geduld entsteht nicht dadurch, dass jemand sich zusammennimmt, sondern dadurch, dass er sich einem größeren fügt. Weil etwas Großes da ist, fügt sich das Kleine. Der kleine Wille bleibt unter dem großen, er bleibt gespannt auf den großen Willen hin. Solange Geduld das ist, trägt sie. Es geht nicht darum, den eigenen Willen zu brechen, sondern mit der vollen Kraft des eigenen Willens etwas zu tragen, das größer ist: die Absicht Gottes.“

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org