Predigt über 2.Korinther 1,3-7

  • 27.03.2022 , 4. Sonntag der Passionszeit - Lätare
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt über 2. Korinther 1,3-7, Sonntag Laetare, 27. März 2022

Gnade sei mit Euch und Frieden von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

jeden Tag hören wir von Tausenden von Toten, von Städten in der Ukraine, die dem Erdboden gleichgemacht werden. Eingeschlossene Menschen, Tausende, die auch hier in Leipzig ankommen. Unser Verstand und unsere Psyche schalten gewisse Schutzmechanismen an. Sonst würden wir zu viel kriegen. Dass es auch ihr so geht und auch sie will, dass es einfach nur vorbei ist, das Leid der anderen und die eigene Hilflosigkeit gleichermaßen – darüber hat Oksana Matiychuk, Leiterin der Deutsch-Ukrainischen Kulturgesellschaft in Tscherniwitzi, am letzten Mittwoch in ihrem „Ukrainischen Tagebuch“ in der Süddeutschen Zeitung geschrieben. Und über einen bestimmten Wunsch, der bei mir auch schon mal kurz aufgeploppt ist, man geht ja alle möglichen Szenarien durch. Oksana Matiychuk schreibt: „Wir nehmen Meinungen aus dem deutschsprachigen Raum (wahrscheinlich gibt es sie auch sonst wo) wahr, die besagen: Dem Krieg ein Ende zu setzen wäre eigentlich ganz einfach, die Ukrainer sollten sich doch ergeben. Manche Stimmen meinen, die Ukrainer hätten sogar die Pflicht, sich zu ergeben. Im Klartext heißt das: Die Ukrainer haben die Pflicht, sich zu ergeben, damit die restlichen Europäer endlich nicht mehr mit diesen lästigen Schreckensnachrichten und Horrorszenarien vom Dritten Weltkrieg konfrontiert werden. Das Morden an den Zivilisten würde dann aufhören. Weil man, na ja, im Zweifelsfall doch lieber rot als tot sein sollte. Ich verstehe diese Stimmen, die Hintergründe sind mir bekannt, und das meine ich nicht ironisch, sondern absolut ernst. Es sind gut gemeinte Ratschläge. Nur: Leider verstehen diese Stimmen nicht, worum es uns, der ukrainischen politischen Nation geht. Dieser Krieg reicht in Wirklichkeit nicht in die 1990er Jahre, sondern ins Jahr 1654 und noch weiter zurück. Stellen sich diejenigen, die uns gut gemeinte Ratschläge erteilen, auch ernsthaft die Frage, was ein Danach bedeuten würde? Wenn man also nicht tot ist, aber endlich aufgehört hat, Widerstand zu leisten? Und die Europäer hinter der der Westgrenze der Ukraine erleichtert aufatmen? Es gibt zwar keine Garantie, dass der Krieg an der Westgrenze der Ukraine dann tatsächlich aufhören würde, aber man ist geneigt, darauf zu vertrauen. Bitte glaubt nicht, dass ich besserwisserisch und absichtlich dramatisiere. Ich würde lieber auch daran glauben wollen, dass ein Sich-Ergeben dem Grauen ein Ende setzen würde. Leider weiß ich als Ukrainerin, die in der UdSSR geboren und sozialisiert wurde, die von den der Grausamkeit des repressiven Systems nicht nur aus Büchern erfahren konnte… dass die ganze Beschwörung des Friedens durch …„Sich-Ergeben“ einen Effekt haben kann wie etwa schamanische Rituale bei der Krebsbekämpfung (letztere könnten eventuell sogar mehr bewirken). Deswegen muss ich leider in aller Kürze feststellen: Wir sind nicht bereit, uns zu ergeben. Bitte glaubt nicht, liebe Deutsche, dass es mir leicht fällt, dies hinzuschreiben – angesichts der stündlich sterbenden Menschen… bitte glaubt nicht, dass wir nicht die enorme Last der moralischen und ethischen Dilemmata spüren… ich weiß sehr wohl, dass Tausende Einwohner von Mariupol nicht einen Heldentod sterben wollen. Ich möchte allen… europäischen Völkern an dieser Stelle wünschen, dass sich niemand von ihnen jemals in dieser Situation befindet…“ (Süddeutsche Zeitung, 23.März 2022, S.11)

Die Bitterkeit der Betroffenen schwingt da natürlich mit. Aber sie hat ja recht: Dass es uns zu viel ist, hilflos zuzuschauen. Dass wir ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir es uns gut gehen lassen. Und dass es uns durchaus um unseren Frieden geht, wenn wir solche Vorschläge machen, um unser Unbehagen loszuwerden. Auch unser Bild vom Wandel durch Handel ist schwer angeschlagen, dass man gedacht hat, einen Autokraten wie Putin damit schon irgendwie einhegen zu können -allerdings ohne ein entsprechendes politisches Konzept. All das schwingt da mit. Oksana Matiychuk legt den Finger in eine allgemeine menschliche Wunde, die im Moment besonders offen ist: Wir wollen nicht bedrängt sein. Mit Leid bedrängt zu werden, gefällt uns nicht…und wenn, dann möchten wir eine Lösung, die mit unseren Prinzipien nicht in Konflikt gerät. Hauptsache, das Sterben hört auf – alles andere ist doch quasi erst mal Nebensache!

Dass man das auch anders sehen kann so wie Oksana Matiychuk - ich habe mich da schon ertappt gefühlt. Sie hat ja recht: Sich einer solchen unmenschlich-brutalen Behandlung zu ergeben - was macht das mit einem, wie sieht das Danach aus, Überleben zum Preis der Sklaverei? Man darf einem anderen nicht das Recht absprechen, sich dagegen wehren zu wollen. Und wenn die Mittel noch so quer zu den Prinzipien stehen, denen ich selbst folge...

Dieser Stoff für Auseinandersetzungen ist auch biblisch belegt: Wir können nicht frei sein, wo wir nicht auch das Kreuz auf uns nehmen. Wo wir es uns zu leicht machen wollen – durchaus mit guten Gründen, aber wo das einfach zu kurz gedacht ist, wo wir das Leben reduzieren auf seine biologische Unversehrtheit und Glück auf äußeren Erfolg. Das ist ein ganz schmaler Grat natürlich. Einen heftigen Streit gab es in dieser Frage in der frühchristlichen Gemeinde von Korinth und da ging es für einen schon um Leben und Tod. Der Apostel Paulus hatte diese Gemeinde einst gegründet und hatte nun einen Konflikt mit Teilen der Gemeinde, die der Meinung waren: Wo noch gelitten wird, da ist etwas falsch! Christen geht es immer gut, sie haben alles im Griff, stehen über allem, und es gibt nichts mehr, was sie wirklich in Frage stellen könnte. Es gibt auch nichts Widersprüchliches mehr, keinen Schmerz, alles ist klar und rein. Man könnte es auch so sagen: Die Gemeinde wollte gern Ostern – aber bitte ohne den Karfreitag. Paulus hielt ihnen entgegen: Ihr habt überhaupt nichts kapiert. Ohne vom Kreuz zu sprechen, ja, es zu verdrängen, nehmt ihr der ganzen Botschaft von Christus das Entscheidende! Darüber kam es zu einem hässlichen Konflikt. Paulus musste mehr oder weniger in Lebensgefahr einen Gemeindebesuch abbrechen und reiste nach Ephesus. Dort schrieb er einen Tränenbrief und bekam zur Antwort, dass seine Gemeinde Versöhnung mit ihm sucht. Und Paulus antwortet mit einem Versöhnungsbrief, dessen erste Zeilen unser Predigt -Text sind:

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, 4 der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. 5 Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. 6 Werden wir aber bedrängt, so geschieht es euch zu Trost und Heil; werden wir getröstet, so geschieht es euch zum Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. 7 Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: Wie ihr an den Leiden teilhabt, so habt ihr auch am Trost teil.

Wie antwortet Paulus auf das Angebot zur Versöhnung? Er deutet den Konflikt geistlich! Betrübnis, gegenseitige Verletzungen, auch solch ein heftiger Konflikt gehören zur Teilhabe am Leben Christi. Es ist nicht der Betriebsunfall. In Christus zu leben hat auch immer diese Seite: Er ist in unser Leid, in alle menschliche Grausamkeit und Verachtung wirklich hineingegangen, er hat das alles nicht bloß gestreift. Und wenn wir in Christus leben wollen, dann werden wir immer wieder um den rechten Weg ringen. In Christus leben heißt: Diese Erfahrungen von Bedrängnis und Trost für uns deuten zu lernen. Nirgends in der gesamten Bibel wird so oft von Trost und Trösten gesprochen wie hier. Dabei meint dieses Wort im Griechischen Trost mit Hand und Fuß, nicht so sehr mit dem Mund. Am besten übersetzt man mit „Beistand“ und „beistehen“. Trost heißt hier also: In ausweglos erscheinender Lage jemanden zu haben, der nicht vorbeischaut um schöne Sprüche zu klopfen, sondern der bleibt und nach Kräften hilft. In diesem Sinne fühlte Paulus sich getröstet von Gott – und mit diesem Trost wollte er trösten. Und das in einer Welt, in der die Römer mit eiserner Faust dafür sorgten, dass keiner aus der Reihe tanzte, wo es kein Pardon gab, wenn man ihrem Gottkaiser einen Messias entgegensetze. Sie fürchteten das, weil ihr ganzes System ins Rutschen kam. Ein tröstender Gott, der Menschen aufrichtet, sie befreit aus ihrer Bedrängnis? Verdächtig. Es war wie heute bei Putin: Der hat keine Angst vor der Nato. Der hat Angst vor der Demokratie. Hat Angst vor mutigen Menschen, die bei Trost sind – und wissen, was Trost in Bedrängnis bedeutet. Die mit dem Kreuz in ihrem Leben umgehen können und daran nicht verzagen. Die sogar ihre Ängste verlieren oder zumindest im Griff haben. Und um des Rechts und der Gerechtigkeit willen einiges auf sich zu nehmen bereit sind, wie ein Alexander Nawalny, der als Reaktion auf seine neuerliche Verurteilung aus dem Gefängnis twittern ließ: „Ich bin nur zwei Tage im Gefängnis: An dem, wo ich hineingehe und an dem, an dem ich hinausgehe.“ Solche Leute müssen verschwinden in solchen Systemen. Und so wie in Moskau die Widerständigen mussten Christen seinerzeit damit rechnen, verhört und in abschreckender Weise schikaniert zu werden.

Paulus bleibt sozusagen bei Trost und will seine Korinther anstecken: Alles, was wir erleben, ist durchsetzt vom Gott des Trostes, der uns in allen Bedrängnissen und Belastungen beisteht und uns dazu anstiftet, einander ebenso beizustehen. Hier ist das Reich Gottes zu erleben, seine Kraft und Herrlichkeit: Wo das passiert, wo Menschen den Bedrängten und Betrübten beistehen und denen, die sich schon verloren geglaubt haben. Das ist es, was christliche Gemeinde ausmacht, was sie belebt, was sie zusammenhält: nicht geistliche Kraftmeierei. Sondern dass sie in dem, was sie schwach macht, ihre Widerstandskraft erhält und sich dabei unterstützt. Und damit ist eins klar ausgeschlossen: dass wir uns als vermeintlich wissende Begleiter über den trauernden Nachbarn, Freund oder Kollegen erheben. Dass wir ihn erniedrigen und ihm etwas nehmen von seiner Würde, denn nur er hat Einblick in die eigenen seelischen Hintergründe und nur ihm obliegt die Entscheidung mit wem er diese Einblicke teilen will. Ungebeten die innere Tür des anderen aufzureißen und in seinem vertraulichen Seelenmaterial zu kramen, ist ein brutaler Grenzübertritt. Ob es dem anderen mitgeteilt wird oder ob es heimlich geschieht, macht dabei keinen Unterschied. Ein Satz von Theodor Adorno mag dabei als Leitbild für alle Begleitenden und als Orientierung für Trostbedürftige dienen: „Geliebt wirst Du einzig, wo schwach du dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.“

Paulus lobt und dankt Gott dafür, dass er genau da wieder aufgerichtet hat, wo er am Ende war und all seine Arbeit vergeblich schien. Und dass er von diesem Trost jetzt weitergeben kann. Ich denke, es ist das, was viele an einem wie Wolodymyr Selenskij fasziniert: dass er mitten in dieser Katastrophe für seine Landsleute etwas Tröstendes ausstrahlt. Dass er ein Gegenpol ist gegen diese wahnsinnig brutale Unmenschlichkeit. Dass er genau weiß, welches Kreuz er und seine Landsleute zu tragen haben und dass er das alles möglicherweise nicht überleben wird. Und dass es etwas kostet, dem Bösen zu widerstehen – aber dass es auch seinen Preis hat, sich ihm zu unterwerfen. Er strahlt das aus in seinen Videos und versucht alles irgendwie erträglich zu machen inmitten der Bitterkeit des Betroffenen, die ihm natürlich auch anzumerken ist.

Lob und Dank für einen Gott, der aufrichtet, wo wir am Ende scheinen. Unter diesem strahlenden Vorzeichen steht dieser Briefeingang des Paulus über Gottes Beistand im Leiden. Das kommt im Namen dieses Sonntags mitten in der Passionszeit zum Ausdruck. Laetare. Freue Dich.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org