Predigt über Acta 17,22-34

  • 25.04.2021 , 3. Sonntag nach Ostern – Jubilate
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

„Tradition ist nicht die Anbetung der Asche sondern die Weitergabe des Feuers.“ Gustav Mahler wird dieses Zitat zugeschrieben, liebe Gemeinde. Auch die Philosophin Ricarda Huch wird ähnlich zitiert.

Nachher werden wir unsere neuen Glocken auf dem Thomaskirchhof begrüßen. Sie sind ein großartiges Zeugnis dafür, wie mit Tradition umgegangen wird. Denn sie ergänzen vier historische Glocken, teilweise über 500 Jahre alt.

Und sie werden diese alten Glocken schonen. Neues entsteht, um Altes bewahren zu können – das, liebe Gemeinde, ist für mich die Weitergabe des Feuers.

Wie ist das aber nun mit dem Verhältnis von Feuer und Asche, von Anbetung und Verehrung?

Und vor allem: Was verehrt ihr eigentlich, wen betet ihr an?

Solch Fragen ist stets aktuell. Denn es stellt mich ganz persönlich in den Kontext von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Nun könnte am heutigen Sonntagmorgen die Verlockung groß sein, über eigene Traditionen zu philosophieren und inwiefern sie tragfähig sind für eine sich durch die Coronakrise komplett veränderte Gesellschaft und Weltgemeinschaft. Denn eins ist klar geworden: Die Veränderungen werden auch zukünftig gravierend sein, weil wir alles neu einsortieren müssen: Werte, Wertvolles, Beharrlichkeit, Bereitschaft zur Aufgabe lieb gewordener Gewohnheiten um nur einiges zu nennen. Umso wichtiger ist es sich über Feuer und Asche im Klaren zu sein, um im Bild Gustav Mahlers zu bleiben.

Wen betet ihr an? Was verehrt ihr eigentlich?

Die Sonntagsfrage des heutigen Predigttextes stellt Paulus. Er stellt sie öffentlich.

Zuvor war er als ein guter Beobachter unterwegs in den Gassen und Plätzen Athens.

Hören wir auf seine Worte aus der Apostelgeschichte im 17. Kapitel:

22 Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt.

23 Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.

24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.

25 Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt.

26 Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen,

27 damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns.

28 Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.

29 Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht.

30 Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun.

31 Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.

32 Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören.

33 So ging Paulus von ihnen.

So lohnend ein Philosophieren über den unbekannten Gott sicherlich sein mag. Ich möchte darauf schauen, wie Paulus von Gott erzählt. Da ist zunächst die Kritik. Gott lässt sich nicht finden in irgendwelchen Tempeln. Auch lässt er sich nicht finden in Gesten, Riten oder von Menschenhand gefertigten Bildern. Gott ist fern und fremd. Ferner und fremder als die Athener denken mögen.

Mit seiner Rede kritisiert Paulus die bestehenden Gottesvorstellungen auf eine feine Art und Weise. Er greift den unbekannten Gott auf, den die Athener doch gefunden zu haben meinen und nimmt genau das ernst: Gott lässt sich nicht mit Macht und Ritus finden, sondern Gott sucht.

Er sucht Dich!

Er geht dem Verlorenen nach und lässt sich finden da wo es keiner erwartet:

Im Stall, bei den Unterdrückten, unter Ausgestoßenen oder auf dem Trauerweg.

Gott verdanke ich als Ursprung der Schöpfung mein Leben. Er ist viel größer als dass er sich in einen Tempel einsperren lässt. Er ist der Schöpfer und in seiner Schöpfung kann ich ihm nahe kommen, ohne ihn vereinnahmen und dingfest machen zu können. Ein ganz dezenter Jubel klingt hier bei Paulus an. Er nimmt auf, was den Athener durch den populären Pantheismus gut bekannt war. Gott ist überall.

Warum sonntags in die Kirche gehen, Gott kann ich auch im Sonnenuntergang oder beim Waldspaziergang begegnen? Ich kann diese Menschen gut verstehen, weil Gottes Schöpfung Zeugnis gibt von seiner Kraft und von seiner Größe. Ich kann mir auch vorstellen, dass ich Gott in der Natur ganz nahe kommen kann. Was ich mir nicht vorstellen kann, dass  diese Erlebnisse gegen die Gemeinschaft von Menschen gestellt werden, die in SEINEM Namen zusammenkommen, um ihn zu loben, um miteinander zu beten und um von ihm Trost und Stärkung für den Alltag zu empfangen.

Die Suche nach dem unbekannten Gott dauert für manchen ein ganzes Leben. Schön, wenn wir vom bekannten Gott erzählen können, vom Gott, der so bekannt geworden ist, dass ich mich in ihm sogar wiederfinde – in seinem Sohn Jesus Christus. Denn in ihm leben, weben und sind wir.

Und nun macht Paulus eine entscheidende Wende -weg von den Riten, weg von den Tempeln- hin zu dem Einzelnen. Das Angesprochen werden durch Gott ist immer ein Angesprochensein für mich ganz persönlich.

Es geht nämlich nicht um den unbekannten Gott, sondern um den unbekannten Menschen. Deshalb ist auch nicht der unbekannte Gott das eigentliche Problem, sondern der nahe Gott, der dem Menschen unbekannt bleibt.

Für mich eine der stärksten Stellen in dieser Paulusrede. Gott wendet sich DIR zu. Gott kommt dir nahe und will sich DIR bekannt machen. Er macht sich mit DIR, der du auf der Suche nach Religiosität, nach Sinn und Freiheit bist, solidarisch. Er lässt sich im Suchen finden, aber eben genau umgekehrt, nämlich, indem er auf dich zugeht. Dabei ist es ganz egal, ob du klein bist, oder gerade heranwächst oder schon den Lebenszenit überschritten hast. Gott sucht dich täglich. Er klopft an deine Herzenstür, weil er in dir wohnen will als Erfüllung deiner Sehnsucht. Diesen Kerngedanken des Evangeliums hat J. S. Bach oft und immer meisterhaft in seinen Kantaten musikalisch so ummantelt, dass er bis heute von den Hörenden gut aufgenommen werden kann. Die Frage „Wer bin ich eigentlich?“ beantwortet dieser Gott mit drei knappen Worten:

„Mein geliebtes Kind!“

Dem sich selbst unbekannten Menschen setzt Paulus ganz profiliert zentrale Punkte seiner Tradition gegenüber. Er biedert sich also nicht an, er wird nicht unkenntlich, nur weil er sich auf die Fragen der Athener einlässt und an ihre Religiosität anknüpft. Vielmehr erzählt er von Umkehr, Endgericht und der großen Befreiung durch den Auferstandenen. Damit riskiert Paulus alles. Er kann nicht anders. Denn von Gott reden im christlichen Sinne heißt, von Jesus Christus reden. Und dazu gehören Umkehr, Gericht und Auferstehung existenziell dazu. Paulus riskiert mit der glaubhaften und überzeugenden Rede von seinem Gott in Christus, die Aufmerksamkeit zu verlieren. Jesus Christus ist anders und das ist auch gut so, liebe Gemeinde. Wie sonst hätte es sich verändern sollen, das ständige und ewige Mühen nach Anerkennung durch eigene Leistung? Wie sonst, wenn nicht durch Umkehr von den gewohnten Pfaden soll der in sich selbst verkrümmte Mensch wieder Halt und aufrechten Gang bekommen?

Wie sonst, wenn nicht durch das österliche Hoffnungslicht, könnte der Mensch den lebensfeindlichen Mächten, die in der Kantate (BWV 52) als falsche Welt beschrieben werden, entgegentreten?

Paulus redet authentisch von Jesus Christus, der so gar nicht in das vorhandene Denkmuster für Gottheiten passt, weil er leidet, stirbt und aufersteht.

Der Gefahr, dabei verlacht zu werden, setzt sich der Apostel aus, wohl wissend, dass nicht er es ist, der zum Glauben ruft, sondern Gott in der Kraft des Heiligen Geistes.

Lassen wir uns ermutigen, profiliert von unserem Glauben zu erzählen oder zu singen. Mancher wird dabei belächelt, manchem wird Kopfschütteln begegnen. Solche Momente können bitter sein.

Doch schauen wir auf das Ende. Ein Vers fehlt noch im Predigttext: „Einige Männer schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.

Wo es gelingt, nur einen kleinen Funken des Evangeliums zu entfachen, werden sich am Ende einige anschließen und mit uns ziehen. Dafür gebe uns Gott stets genügend Kraft und Mut.

Bringen wir den unbekannten Gott zu den unbekannten Menschen, die sich für ihre Hoffnungen und Sehnsüchte immer wieder Altäre bauen. Nehmen wir dabei ihr Suchen ernst!

Und halten wir uns dabei an den glimmenden Docht jenes Feuers, das den Emmausjüngern im Herzen brannte, um es weitergeben zu können. Amen.