Predigt über Amos 5,21-24 im Kantatengottesdienst mit BVW 22

  • 11.02.2024 , Sonntag vor der Passionszeit - Estomihi
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Predigt über Amos 5,21-24 im Kantatengottesdienst mit BVW 22, St. Thomas zu Leipzig am Sonntag Estomihi, 11. Februar 2024

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

Ein klassisches Missverständnis zwischen Jüngern und Jesus. Er erzählt ihnen von der Zukunft,

sie aber können mit seinen Worten nichts anfangen.

Er erzählt ihnen vom notwendigen Weg zur Freiheit, der auch von Leid geprägt sein wird, aber sie verstehen nichts.

Er erzählt ihnen vom siegenden Osterlicht, aber sie sind blind und können nichts sehen.

Jesus versucht es mit seinen Jüngern, dem engsten Kreis der vertrauten Menschen. Aber es hilft nichts. Alle Zeichen und Wunder, alle Worte und Anspielungen prallten an ihrem Unverständnis ab. Denn sie waren zu sehr fixiert auf die Gegenwart, genossen seine Gemeinschaft. Zukunftsgedanken waren da fehl am Platz. Und eine Zukunft inklusive Leiderfahrung – wer will das schon hören?

Sie aber vernahmen der keines und wussten nicht, was das gesaget war.

Der Eingangssatz unserer heutigen Kantate „Jesus nahm zu sich die Zwölfe“ greift musikalisch das Thema des Missverstehens wie auch die anstehende Passion auf. Wir hörten gerade dieses wunderschöne, komplex komponierte Stück von Johann Sebastian Bach.

Dass, was die Jüngerinnen und Jünger gewissermaßen verpasst haben, können wir heute besser machen. So denkt zumindest die Alt-Stimme in ihrer Arie, wo es heißt „Mein Jesu, ziehe mich nach dir,
Ich bin bereit, ich will von hier und nach Jerusalem zu deinen Leiden gehn.“

Nachfolge mit Konsequenzen. Darauf will uns Jesus Christus aufmerksam machen. Da liegt dann ein gutes Stück Weg vor uns für dessen Ende uns Jesus Christus den Ausblick schenkt

-das Auferstehen aus den uns niederdrückenden Beziehungen.

-das Zerreisen der Todesbande für ein neues Leben.

Ihm nachzufolgen bedeutet, auch sein Kreuz zu tragen, wenn es sein muss, sogar den Berg hinauf an den Ort, wo sich lebensfeindliche Kräfte, Spötter und Verächter die Hände reichen. In der Nachfolge entscheidet sich unser Christsein. Ist es nur gutbürgerliche Fassade oder hat es Substanz?

Dient der gut gepflegte sonntägliche Kultus der inneren Stärkung für ein von christlichen Werten geprägtes Alltagshandeln oder ist es Wellness für die Seele?

Auch hier hilft uns eine Arie aus der Kantate. Die Tenorstimmung sang uns:

 Mein alles in allem, mein ewiges Gut,
Verbessre das Herze, verändre den Mut;
Schlag alles darnieder,
Was dieser Entsagung des Fleisches zuwider!
Doch wenn ich nun geistlich ertötet da bin,
So ziehe mich nach dir in Friede dahin! – Tenor-Arie

Allein kommen wir schnell an die Grenzen für ein glaubwürdiges Leben. Deshalb die Bitte, Herz und Mut zu verändern. Denn dort entscheidet sich, woran wir wirklich hängen. Und es entscheidet sich, wofür wir unseren Mut und unsere Kraft einsetzen.

Der Weg in die innere Nachfolge führt eben auch zur Kreuzigung von Eigensinn und Selbstsucht. Wo der Mensch sich davor scheut, wird der heuchlerische Pfad betreten.

Mit der Choralstrophe von Elisabeth Cruziger bekommen wir den Kompass für den Lebensweg. Dessen Nadel richtet sich auf Christus aus. Die Bewegung zu ihm hin geschieht durch die Kraft der Gnade, also jener liebevollen Hinwendung Gottes zu uns, die keine Verdienste braucht, um wirksam zu werden.

 

Erbauliche Musik. Wohlfühlsonntagmorgen. Es tut gut, herunterzukommen vom Alltagslevel, liebe Gemeinde. Seele und Herz werden angenehm berührt und gleichsam fasziniert die Hingabe der Musikerinnen und Musiker. Was für ein Glück, hier sitzen zu können, abseits von Krieg und Elend, ohne Not und vielleicht mit ein paar kleinen Sorgen. Was für ein Glück, dass wir solche Musik geschenkt bekommen.

Doch halt, da war noch etwas, oder?

Ja. Einer grätscht dazwischen mit seinen Worten.

 23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! 

Was für ein Kontrast, liebe Gemeinde. Soll all das nichts wert sein, was wir gerade hörten und fühlten?

Darf denn nichts guttun und dem eigenen religiös-musikalischen Empfinden entsprechen?

Amos hat guten Grund für seine Kritik.

„Sie hassen den, der im Tor Recht spricht und verabscheuen den, der die Wahrheit sagt. Darum, weil ihr die Armen unterdrückt und nehmt von ihnen hohe Abgaben an Korn, so sollt ihr in den Häusern nicht wohnen, die ihr von den Quadersteinen gebaut habt, und den Wein nicht trinken, den ihr in den feinen Weinbergen gepflanzt habt.“

Wenige Zeilen vor unserem heutigen Predigttext stehen diese Verse aus dem Amosbuch. Sie bilden ein wichtiges Fundament, auf dem sich Gedanken zur Kritik des Amos am Gottesdienst bewegen können, ohne in die Irre abzugleiten. Denn die Kritik an der Hochkultur, die in einer bis auf den äußersten Winkel fein durchgestylten Gottesdienstfeier erlebbar wird, diese Kritik ist nicht einfach pauschal, sondern fußt auf fehlender Gerechtigkeit. Und wer das anspricht, wird zum Zielobjekt des Hasses. Denn die Wahrheit tut oft weh. Propheten haben seit jeher mit ihren kritischen Worten häufig Fassaden zum Einsturz gebracht. Was dann zum Vorschein kam, passte nicht mehr wirklich zum eigenen Anspruch.

Deshalb, so Amos:

„Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. 22 Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen.“ 

Was würde Amos heute sagen, liebe Gemeinde?

Ich bin eure Schöpfungsfeste leid, solange ihr nicht wirklich umdenkt?

Ich kann eure lächerlichen Spenden nicht mehr ernst nehmen, wenn ihr damit euer Gewissen beruhigt?

Ich will euer Gerede von Nächstenliebe und Achtsamkeit nicht mehr hören, solange ihr davon im Alltag nichts umsetzt?

Solche Worte tun weh. Das ist das Merkmal prophetischer Worte. Sie tun meistens weh. Im besten Fall sorgen sie für ein ernsthaftes Nachdenken. Meistens jedoch führen sie zur Abwehrreaktion. Deshalb der Hass auf die prophetische Mahnung zur Glaubwürdigkeit durch entsprechendes Tun.

Amos Kritik am Gottesdienstkult ist ja keine Kritik des Gottesdienstes an sich, sondern sie stellt seine Glaubwürdigkeit infrage. Dietrich Bonhoeffer wird 1935 das Zitat zugeschrieben: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Damit kritisiert Bonhoeffer ja nicht das gregorianische Singen ans sich, sondern macht darauf aufmerksam, dass sich Gottesdienst niemals loslösen lässt von einer eigenen Haltung zu uns umgebenden Lebensbezügen.

Einen schönen Kantatengottesdienst feiern und gleichzeitig zu aufkommenden Antisemitismus zu schweigen schließt sich aus. Das ist anstrengend und ermüdet so manches Ohr, wenn z. B. die Fürbitten immer wieder dieses Thema aufgreifen.

Die Prophetenkritik will ein Weckruf zur Glaubwürdigkeit sein und ein Widerwort zur Heuchelei. Denn daran gehen wir als Kirche und Gesellschaft eher zugrunde als wenn wir mit weniger Ressourcen zurechtzukommen müssen.

Beispiele für mangelnde Glaubwürdigkeit und Heuchelei gibt es zuhauf.

Politisch ist es oft die von Ideologie geprägte Handlungsweise, die uns als einzige Wahrheit vermittelt werden soll, anstatt zu schauen, wie eine übergroße Mehrheit der Gesellschaft für Aufbruch und Veränderung zu mehr Gerechtigkeit begeistert wird.

Kirchlich sind es die Ablenkungsmanöver, statt das zu leben, was uns aufgegeben ist. Wie kann ich an die verändernde Kraft des Ostermorgens glauben, wenn gleichzeitig betonstarr verharrt wird?

Und persönlich? Persönlich gehen uns die Ausreden, warum gerade jetzt und bei mir es nicht geht, doch sehr schnell über die Lippen. Dann entsteht die Mauer der inneren Abwehr und Verteidigungsargumente werden gesammelt.

Amos sagt uns knallhart. Dieser Weg wird ein Weg in den Abgrund sein. Er sagt es ohne genüssliche Attitüde des „alles wird immer schlechter“.

Ganz im Gegenteil. Er zeigt ja gleichzeitig den Weg.

24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

 

Hunderte Jahre später – das Anliegen des Amos hat an Aktualität nichts eingebüßt. Weder Recht noch Gerechtigkeit konnten vom menschlichen Zusammenleben Besitz ergreifen. Ganz im Gegenteil. Menschen werden beurteilt nach ihrem Aussehen. Gottes schöpferische Vielfalt wird mit Füßen getreten.

Da hält einer eine Rede vom großen Traum und greift Amos Gedanken auf.

Nein, wir werden nicht zufriedengestellt sein, bis das Recht strömt wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein mächtiger Strom.

-aus der Rede „I have a dream“ von Martin Luther King

Jahrzehnte später. Das Anliegen des Amos hat an Aktualität nichts eingebüßt.

Versuchen wir den Traum zu leben und lassen wir uns nicht davon Abhalten, Recht und Gerechtigkeit als wohltuende Quelle gemeinsamen Lebens zu sehen.

Sorgen wir dafür, dass sie auch in die unwirtlichen Orte strömen. Dann werden unmenschliche Wüsten zu Oasen für ein neues Zusammenleben.

Klingt das zu weltfremd, liebe Gemeinde?

Ich hoffe, dass es weltfremd klingt. Denn so wird deutlich, dass wir noch auf dem Weg sind und uns nicht schon innerlich vom Versuch verabschiedet haben, unser Christsein glaubwürdig zu leben.

Der Gottesdienst dient nicht dem Selbstzweck, und auch wir dienen nicht Gott, sondern Gott dient uns. So zumindest das evangelische Verständnis der sonntäglichen Zusammenkunft. Damit ist ein Fundament gelegt für die prophetische Kritik. Sie hat heute genauso ihre Berechtigung wie zur Zeit des Amos.

Und auch wenn die Reaktionen vorhersehbar sind, wenn sich die kritisierten Personen in whataboutismen retten, aufgeben sollten wir den prophetischen Hinweis keineswegs. Denn Gott will ja retten. Aus diesem Willen entsteht die Gewissheit: Gott wird retten.

Meine Hinwendung zu ihm hat ein gutes Fundament. Es ist die Liebe Gottes. Ihr kann ich vertrauen.

Aus ihr speist sich seine Gnade.

Amen.