Predigt über Apk 7, 9-12

Im Kantatengottesdienst mit Aufführung der zweiten Kantante "Und es waren Hirten in der selben Gegend" von J. S. Bach

  • 26.12.2017 , 2. Christtag
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Apk 7, 9-12 am 2. Christtag, 26.12.207, St. Thomas zu Leipzig um 09.30 Uhr, mit Aufführung der II. Kantate aus dem Weihnachtsoratorium von J. S. Bach

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Festlich erklang der große Lobpreis des Engelchores in Bachs Kantate zum Zweiten Weihnachtsfeiertag und markiert damit einen zentralen Gedanken weihnachtlicher Botschaft - Ehre sei Gott in der Höhe. Es wird Antwort gegeben auf die Frage, wem gebührt Ehre - Gott oder einem Menschen? Die Folge dieser Antwort ist der verheißene Friede auf Erden.

Beides ist immer wieder brüchig und bedarf der weihnachtlichen Vergewisserung. Denn wo der Mensch sich selber zum anbetungswürdigen Gott macht, da wird es schwer, miteinander im Frieden zu leben, weil einer sich über den anderen erhebt. Statt Frieden herrschen Unterdrückung und Ausgrenzung. Nun könnten wir es uns am zweiten Weihnachtsmorgen einfach machen und sagen: Es ist doch selbstverständlich, dieses Soli Deo Gloria, zumal, wenn wir im Gotteshaus miteinander Gottesdienst feiern. Aber wie schnell geschieht es, dass an Gottes Stelle andere Dinge treten – Arbeit, Erlebnishunger, Familie, Gesundheit oder materielle Güter? Und schon erklingt die Melodie einer wohl saturierten Gesellschaft als Lobpreis.

Oder die verbitternden Hirten, die keine Perspektive für ihr Leben sehen. In der Knochenmühle eines unansehnlichen Jobs, der ihre Menschlichkeit auszehrt, wird ihre Hoffnung zermahlen. Ausgegrenzt von der Gesellschaft, ohne Chance auf wirkliche Teilhabe, tun sie, was andere nicht tun wollen, aber getan werden muss. Betlehems Hirten leben heute mitten unter uns, liebe Gemeinde. Auf den Feldern vor der Stadt tragen sie Sorge für das ihnen Anvertraute. Alltagsschmerz wird betäubt, um ihn ertragen zu können. In ihren Liedern ertönt jedenfalls nichts Fröhliches. Allein Gott die Ehre?

Darüber können sie nur lachen, weil Gott ihnen abhandengekommen ist.

Weihnachtliche Freudenbotschaft aber will im Alltag über den süßen oder verbitterten Melodien als cantus firmus erklingen. Werden wir sie noch hören können in diesem vielstimmigen Konzert? Ja, wir werden!

Auch dafür steht die Hirtengeschichte. Ganze Aufmerksamkeit zieht der Engel auf sich. Die unerwartete Klarheit Gottes bringt Furcht hervor, weil sich himmlische Herrlichkeit im Alltag so ungewohnt und unpassend anfühlt. Durch alle Vernebelung und auch durch den starken Panzer emotionaler Verwahrlosung schafft es das Evangelium hindurch zu dringen. Das bedeutet aber:

Seine Kraft ist größer als wir uns vorzustellen vermögen.

Wo also heute Menschen ausgegrenzt werden, weil ihnen der Weg verwehrt wird zu einer Ausbildung, wo sie abgestempelt werden, weil sie keine Arbeit finden oder wo sie in Einsamkeit verharren müssen, weil ihnen schlicht die Anknüpfungspunkte für gemeinsame Lebenszeit fehlen, da will Gottes Evangelium hineinscheinen und in Bewegung setzen.

Mit dem Wechsel ihrer Blickrichtung, weg von dem, was sie niederdrückt und gefangen hält hin zu einem Kind, in dem sie die ganze Fülle Gottes erkennen können, verwandelt sich trister Hirtenalltag in Lob und Freude. Weil es mehr gibt, als das Offensichtliche und weil sich zementierte Gegebenheiten doch anders formieren können, als es ihre Starre nahelegt.

Der Blickwechsel führt dazu, dass auch andere ihr Leben überdenken, weil sich im Krippenkind ein solcher Schatz zeigt, der über allem anderen glänzt, was wir für wertvoll erachten. Neuausrichtung ist demnach das Gebot der Weihnachtsstunde, damit es nicht beim jährlichen Festtag bleibt, sondern Weihnachten nachhaltig wirken kann.

Neu ausgerichtet war die Gemeinde des Sehers Johannes, von der er in der Apokalypse schreibt. Seine Gemeinde saß in der Klemme. Christlicher Glaube war angefochten angesichts von Verfolgung. Wie in solcher Situation Hoffnung geben? Johannes wagt ebenfalls den veränderten Blick. Er schaut vom Ende her und entdeckt den himmlischen Lobpreis als verbindende Klammer zum weihnachtlichen „Ehre sei Gott in der Höhe“.

In dem unserem Predigttext vorausgehenden Abschnitt legt uns der Seher Johannes dar, was unter der Zahl der versiegelten aus den Stämmen Israels zu verstehen ist. 144.000, die gerettet werden, also 12 x 12.000, wobei die Zahl 12 eine Symbolzahl für die Vollkommenheit ist, setzt sie sich doch aus 4x3 zusammen. Somit wird die Vollkommenheit mit der Unendlichkeit, dafür steht die 1000, in doppelter Weise multipliziert. Vollkommene Unendlichkeit entsteht, weil die Fülle ins Quadrat gesetzt und mit der Unendlichkeit multipliziert wird. Die absolute Zahl ist demnach nicht entscheidend, sondern sie steht für die vielen, unzählbaren aus aller Welt. Die Völker brechen auf zur großen Wallfahrt nach Zion, ins neue, himmlische Jerusalem, wo kein Geschrei sein wird, wo Tränen, Schmerz und Leid verbannt sind, weil derjenige, der auf dem Thron sitzt alles neu macht. Mit modernen Worten ausgedrückt, gibt es ein riesengroßes Fest mit viel Freude.

Eingebunden in den großen Lobpreis sind sie am Ende alle – Engel und die große, unzählbare Schaar aus allen Nationen, Völkern und Sprachen. Die abrahamitische Verheißung erfüllend, singen sie Gott zur Ehre. Niemand wird ausgegrenzt. Niemand wird bevorzugt. Es braucht keine Blutzeugen und man muss auch kein Heiliger werden, um in diesem Chor mitsingen zu können. Es braucht schlicht nur das vertrauende Glauben an den Christus, der unser Erlöser ist. In der Bildsprache des apokalyptischen Johannes steht dafür das Lamm. Statt Eingrenzung geschieht hier Entgrenzung in ökumenische Weite. Denn einzig und allein die Taufe als Symbol für ein neues, reines Leben in Christus, das mir den Sieg über den Tod schon garantiert, wird zur Voraussetzung gemacht.

Auslegungsstreitigkeiten, theologische Differenzen oder kleingeistiges Bestehen auf bestimmten Frömmigkeiten – all das tritt in den Hintergrund. Wer das Lamm anerkennt, das durch sein Zeugnis am Kreuz zum Zeugen für die Liebe und Gnade Gottes wurde, dem geschieht Rettung aus allen fesselnden Verbindungen, die mich nur an mich selbst binden und dadurch letztlich einengen. Dem Lamm zu glauben wird Folgen haben. Wer, wenn nicht die Adressaten der Apokalypse konnten davon eindrücklicher erzählen. Sie gerieten in Bedrängnis, mussten manches Bekenntnis zu Jesus Christus mit Schmerzen, mit Folter, Gefängnis oder mit dem Verlust des eigenen Lebens bezahlen. Der heutige zweite Weihnachtsfeiertag wird auch als Gedenktag für Stephanus gefeiert – der bekanntlich erste Blutzeuge. Für seinen Glauben an die Liebe Gottes wurde er getötet von fanatischen Menschen, die dem Gesetz mehr zutrauten als eben jener Liebe, von der Stephanus predigte.

Christlicher Glaube ist auch zweitausend Jahre später bedroht. In vielen Ländern haben es sich Machthaber zum Ziel gesetzt, das Christentum zurückzudrängen bzw. ganz verschwinden zu lassen – Ägypten, Syrien, Türkei. Und so mancher Landstrich in unserem Land, nämlich überall dort, wo aus falsch verstandener Toleranz Intoleranz wird und christliche Symbole verschwinden oder Lieder nicht mehr gesungen werden, verhält es sich ähnlich.

Wie aber soll Gottes Liebe eindringen in unsere Gesellschaft, wenn nicht durch Verkündigung in Worten und Musik oder durch gelebtes Zeugnis? Glaubenstoleranz in einer freien, demokratischen Gesellschaft kommt da an ihre Grenzen, wo Religion dazu missbraucht wird, um andere auszugrenzen oder Freiheiten einzuschränken.

Die Botschaft des Lammes will eine versöhnende und friedliche Botschaft sein. Sie weiterzutragen bedarf der Kraft und Stärke eines Gottes, dem kein Weg zu den Menschen zu schwer war. Gott sei es gedankt, müssen in unserem Land Christen nicht um ihr Leben fürchten wie anderswo, wenn sie sich zu IHM bekennen. Davon unterscheiden wir uns in Bezug zur apokalyptischen Johannesgemeinde. Was aber heutigen Zeitgenossen an Erfahrung gleich ist, sind Trübsal oder brüchiges Leben, verlorene Verlässlichkeiten und daraus resultierende existentielle Unsicherheit.

In solche Lebensumstände will unser Predigttext sprechen, um Trost zu geben. Es ist nur vorläufig, was ihr erlebt. Vom Ende her betrachtet, wird es gut werden, weil die Verlierer den Siegespalmzweig in die Hand gedrückt bekommen. Dort, wo Menschen von Menschen zu Verlierern gemacht werden, handelt Gott anders – göttlich eben. Göttliches Handeln zeigt sich aber darin, dass er diese Menschen nicht aufgibt. Mit dem Palmzweig setzt er ein Zeichen der Überwindung. Die in ihrer Seele Verwundeten erfahren Heilung. Zunächst wird ihnen das Blut von den Kleidern gewaschen und sie dürfen neu beginnen, geheilt, unversehrt.

Und wer vor Sorgen und Schmerzen keinen Ton mehr über die Lippen bringt, der wird plötzlich einstimmen können im großen Chor des göttlichen Lobes. Schrecken, persönliche Nöte – all das gibt es. Weihnachten will da nichts wegbuchstabieren. Aber: dem Schrecken darf die Hoffnung entgegengesetzt werden. Wenn dem Schrecken auch die Gegenwart gehören mag, die Zukunft gehört ihm mit Sicherheit nicht. Dafür bürgt das Lamm Gottes. Wenn dem Schrecken die Zukunft nicht gehört, dann kann ich eigentlich schon heute mit einstimmen in das Loblied. Denn so wird es zum Protest gegen menschliche Unterdrückung und Trübsal. Weihnachtliches Gotteslob ist protestierender Gottesglaube, der sich nicht damit abfindet, dass die Welt immer so sein muss, wie sie vorfindlich ist.

Der sich im Krippenkind zeigende Gott, gewährt uns dadurch einen kurzen Blick in seinen Himmel, in seine himmlische Gemeinschaft. Wo wir uns davon bestimmen lassen und miteinander feiern, was uns verheißen ist, wird die Weihnachtsbotschaft in den Alltag übersetzt. Die Menschwerdung Gottes verändert Gottes Menschen - angefangen bei den Hirten bis zu uns, die wir heute Weihnachten feiern. Veränderte Menschen wirken wie würzendes Salz im Alltag unser Erde.

Im letzten Choral der Kantate wird zusammengefasst, was Apokalypse und weihnachtliches Evangelium als Wegweisung für unser Leben auf der einen Seite und als Ausblick auf himmlische Ewigkeit andererseits verkünden:

„Wir singen Dir in deinem Heer

Aus aller Kraft Lob, Preis und Ehr,

Dass du, o lang gewünschter Gast,

Dich nunmehr eingestellet hast.“

Trauen wir dieser Einstellung Gottes bei uns etwas zu! Amen.

Pfarrer Martin Hundertmark, St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)