Predigt über Apostelgeschichte 2,1 - 22

  • 31.05.2020 , Pfingstsonntag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

„mein gläubiges Herze, frohlocke, sing, scherze“- so haben wir es eben in der Kantate gehört – und ich denke, genauso empfinden wir das auch nach dieser ersten Kantate in einem Sonntagsgottesdienst seit langem! Lieber Gotthold, liebe Thomaner, liebe Musiker, nochmals Danke, dass Ihr und Sie das unter diesen Bedingungen möglich gemacht habt! „Frohlocke, sing, scherze“ –  hier hören wir jemanden, der Pfingsten verinnerlicht hat: „Jesus ist da – weg Jammer, weg Klagen.“ Das ist Pfingsten: Wenn ich mir selbst gewiss bin: Was immer passiert: Dieser Jesus ist mir nahe – durch die Kraft Gottes, den Heiligen Geist. Auch wenn, wie es in der Bassarie heißt, „das Rund der Erden gleich brechen mag“ – es ist so und es bleibt so!

Seit 1477 hat die Thomaskirche dafür eine großartige Zeugin: Unsere größte Glocke. Die Gloriosa. Heute hat sie diesen Gottesdienst eingeläutet. Nach langer Zeit. Jetzt in ihrem neuen Joch. Auch das lässt unser Herz frohlocken. Zu festlichen und freudigen Anlässen hat die Gloriosa, also die „Ruhmvolle und Glorreiche“, als größte und tontiefste Glocke das erste Wort. Erst dann fallen die anderen Glocken in das volle Geläut ein. Gegossen wurde die Gloriosa 1477 von Theodorus Reinhard. Von ihm wissen wir nicht viel, eigentlich nichts. Was wir auch nicht genau wissen, aber durchaus vermuten können: Martin Luther wird die Gloriosa gehört haben. Zum Pfingstfest 1539 hat er hier in der Thomaskirche gepredigt zur Einführung der Reformation. Auch von daher ist Pfingsten ein wichtiger Tag – und dass  vor 20 Jahren die sanierte Thomaskirche wiedereingeweiht wurde, gehört in diese Reihe. 

Und so schließt sich ein Kreis, wo die ganze Kirche Geburtstag hat. Denn: Zu Pfingsten hat der Heilige Geist die Jünger Jesu aufgestöbert - in ihrem Dachstübchen, wo sie sich nach Ostern aufgehalten hatten. Die Apostelgeschichte erzählt uns aus der Außenperspektive genau das Gleiche, wie die Kantate aus der Binnenperspektive. Die Jünger waren offenbar verunsichert. Wie sollte das denn nun weiter gehen? Sie waren sich und ihrer Sache überhaupt nicht sicher. Aber dann auf einmal ging‘s. Sie haben‘s endlich rausbekommen. Konnten’s in Worte fassen, die sie vorher selbst nicht kannten. Konnten ihre Geschichte mit diesem Jesus sozusagen „rüberbringen“. Und die anderen: Die konnten‘s auf einmal verstehen. Leute aus allen damals bekannten Ländern. Und konnten es auf sich beziehen: „Wir hören sie in unseren Sprachen die großen Taten Gottes verkünden.“ 

Hier kommt’s zusammen: Pfingsten von innen und außen betrachtet. Gottes Geist ruft uns heraus aus den engen Kämmerchen, in die wir uns immer wieder verkriechen. Er führt uns zusammen, die wir so verschieden sind. Er macht es möglich, sogar die zu verstehen, von denen wir glauben: Das wird nie etwas. Er ruft uns aus allem, wo es in unserem Leben eng ist – vor allem gedanklich. Wo wir nur noch Wände um uns sehen und die Decke niedrig hängt. „Raus aus dem Haus, rein in die Welt“ – so ruft der Geist die Jünger damals. Und heute uns. Und wir brauchen ihn dringend, diesen Ruf.  Frischen Wind nach dem Corona-Lockdown, aus dem wir nach und nach erwachen. Und ja durchaus noch so sind wie die Jünger vor Pfingsten. Ich erlebe das jedenfalls an vielen und auch an mir selbst: dass wir so dünnhäutig sind, so angestrengt von einer Zeit, wo wir quasi ins Haus gezwungen waren. Wo nicht so klar ist, wie es weiter geht. Wir können nicht wirklich weit planen. Wir wissen nicht, wie das alles noch wirtschaftlich gesehen ausgehen wird, wir wissen nur: Wir sind ganz am Anfang von dem, was noch kommen wird. Jede Krise wirkt wie ein Katalysator, sie beschleunigt alles, was ohnehin war, sie legt alle Bruchlinien offen. Das merken wir. Miteinander zu kommunizieren ist im Moment schwerer als sonst. Und das gilt nicht nur für die, die im Moment auf gar keinen kleinsten gemeinsamen kommunikativen Nenner kommen: Wo die einen entsetzt sind über die forsche Rückkehr zur Normalität und es den anderen nicht schnell genug gehen kann. Auch das scheint eine Begleiterscheinung des Virus zu sein. 
Pfingsten ist eine Gegengeschichte dazu. Hier werden wir gewissermaßen göttlich beatmet:  von der hebräisch Ruach Gottes ist die Rede, vom Schöpfungsamtem Gottes. Griechisch im Neuen Testament und auch hier erwähnt, heißt das „Pneuma“  Atem. Atem Gottes. Die Jünger ruft er heraus aus dem Mief ihrer Unschlüssigkeit und Sorgen. 
Das ist auch die Botschaft der Glocken. Nicht nur unserer hier in der Thomaskirche. Raus aus den Häusern, kommt zusammen am Sonntag, lasst Euch gemeinsam erinnern an die großen Taten Gottes! Hört auf das Evangelium! Es geht offenbar zu Pfingsten darum, darauf gemeinsam zu hören. Aber genau das trifft und betrifft uns im Moment besonders. Ja, ob wir wollen oder nicht, wir sind auch Kirche in der Krise, wo war sie in den letzten Wochen? Eigentlich sind wir in der Gesellschaft weitgehend Säkularisierter ja besonders dann gefragt, wenn wir das anbieten, wozu uns die Glocken rufen. Wo wir Menschen den Raum geben, um sich zu versammeln in Momenten der Verunsicherung und der Ohnmacht. Dass Menschen hier Räume finden können, die unsere Städte und Dörfer so sonst nicht bieten. Orte, wo wir miteinander sein können, wo wir traurig und sprachlos sind. In den letzten Monaten war es nicht möglich, das zu tun. Obwohl wir es gerade in der Krise brauchen. Vielleicht hat uns das für manche noch unsichtbarer gemacht als sonst. Oder auch, wie man jetzt so sagt: Nicht systemrelevant. 
Aber: Ruhig Blut. Pfingsten heißt: Aufatmen. Lasst die Enge nicht über Euch herrschen. Geht in die Offensive. Verstummt nicht. Redet miteinander. „Raus aus dem Haus“, ruft der Heilige Geist. Rufen auch  die Glocken. Hinein ins Leben! Jahrhunderte lang hat unsere Gloriosa diesen Ruf in die Stadt Leipzig hineingetragen. Hat Menschen getröstet und gewarnt. Und hat sie immer in und durch Krisen begleitet. Und sie wird es noch viele Jahrhunderte tun und uns so miteinander verbinden. Alle, die hier zusammenkamen, kommen und kommen werden: Schon die Jünger hatten ein internationales Publikum, aus dem manche zur Gemeinde wurden… 
Pfingsten, das ist im Grunde nichts anderes als eine „positive Pandemie.“ „Pan Demos“ – „alles Volk“ ist betroffen. Aber wenn’s der pfingstliche Virus ist, dann kann es alles gut werden. Vielleicht wird dann die angstbesetzte Polarität der Reaktionen auf Corona einem zuhörenden und diskutierenden Miteinander Platz machen…. Wo diese Hoffnung Atem bekommt – da ist Pfingsten.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unser Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org