Predigt über Apostelgeschichte 8 im Nachteulengottesdienst

  • 21.05.2017 , 5. Sonntag nach Ostern – Rogate
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt zum Nachteulengottesdienst „Bildung“ über Acta 8 – Der Kämmerer aus Äthiopien,

21.5.2017, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr

 "Verstehst Du auch, was du da liest", fragt Philippus den Kämmerer. Die rhetorische Frage wird auch gleich beantwortet. Wie kann ich, wenn es mir niemand erklärt?

Bibellesen bildet, liebe Gemeinde. Bibellesen bildet nicht nur den eigenen Glauben, sondern führt mich direkt in die Auseinandersetzung mit dem Evangelium, der frohen Botschaft Gottes. Auseinandersetzung deshalb, weil die Bibel geradezu herausfordert, Fragen aufwirft und hin und wieder so einiges im gewohnten Trott durcheinander bringt. Von Umkehr erzählt sie, wie von Geborgenheit. Von Sehnsucht und von in Segen aufgehobenen Ängsten ebenso, wie von der Konsequenz einer Nachfolge dessen, der mit Liebe und Frieden Menschen veränderte. Auf dieser Spur wollen wir gehen, mit Neugier, was es alles zu entdecken gibt, wenn jemand nach Gott fragt. Zu drei Gedanken darf ich sie heue Abend einladen:

1.) Bildungsverantwortung aus evangelischer Sicht

1524 schreibt Martin Luther „An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, das sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen.“ Diese Schrift ist gewissermaßen eine logische Schlussfolgerung seiner Bibelübersetzungstätigkeit. Denn mit der Aufforderung, die Heilige Schrift in der eigenen Sprache lesen und verstehen zu lernen, ging einher, dass allen die Möglichkeit geboten wird, sich das Lesen aneignen zu können. Luther wollte das klösterliche Bildungsmonopol brechen. Denn seiner Meinung nach, wurde dort nur Mist gelehrt und sich weiter und weiter von den Grundgedanken der Heiligen Schrift entfernt.

Wir haben es Luther zu verdanken, dass sich verantwortungsbewusste Bürger engagierten, indem sie Schulen gründeten, sie in die Obhut einer Stadt gaben und somit dafür Sorge trugen, dass möglichst vielen Menschen der Zugang zur Allgemeinbildung eröffnet wird. Ohne Bildung geht eine Gesellschaft kaputt. Das galt nicht nur in der beginnenden Neuzeit, sondern wir erleben auf ganz unterschiedlichen Feldern auch heute, wie sich dieser Satz manchmal auf erschreckende Weise bewahrheitet. Wo Menschen der Zugang zu den Quellen des Wissens verboten wird, verkümmert langsam die Fähigkeit, zu differenzieren. Und wo einseitig gebildet wird, gibt es keine Möglichkeit, qualifizierte Unterscheidungen zu treffen. Luther schreibt in seiner Ratsherrenschrift dann auch:

 

"Sondern das ist einer Stadt bestes und allerreichstes Gedeihen, Heil und Kraft, dass sie viel feiner, gelehrter, vernünftiger, ehrbarer, wohlerzogener Bürger hat, die könnten darnach wohl Schätze und alles Gut sammeln, halten und recht brauchen."

 

Auf unsere heutige Situation übersetzt heißt das: je umfassender wir Wissen ermöglichen, desto breiter ist eine Gesellschaft aufgestellt. Investierte Zeit, investiertes Kapital in „gelehrte Bürger“ zahlt sich immer aus. Für die kirchliche Seite gilt gleiches. Der Heilige Geist allein wird es wohl schwerlich richten, wenn nicht auch ein gewisses Maß an Grundbildung für die Heilige Schrift vorhanden ist. Will ich sie auslegen, dann sollte ich sie auch lesen können. Ansonsten führt es in Schwärmerei, um in Luthers Worten zu bleiben. Und wo Kirche ihre Bildungsverantwortung für einen qualifizierten Nachwuchs aufgibt, fängt sie an, das Fundament ihrer Gemeinden zu zerstören.  Bildungsverantwortung wahrzunehmen ist ureigene Aufgabe evangelischer Kirche und Gemeinde. Deshalb engagieren wir uns für den Bildungscampus forum thomanum. Deshalb unterhalten und fördern wir eine eigene Kurrende. Deshalb haben wir die Veranstaltungen des Thomasforums ins Leben gerufen, um nur drei Beispiele hervorzuheben. Wer Bildungsverantwortung wahrnimmt, ganz gleich, ob in staatlicher oder kirchgemeindelicher Trägerschaft, sollte darauf bedacht sein, dass sein Tun langfristige Wirkung erzielt. Auch hier greift Luther weit voraus mit seinen Gedanken zur Nachhaltigkeit, wenn er schreibt:

"So ist's auch eine unmenschliche Bosheit, so man nicht weiter denkt denn also: Wir wollen

jetzt regieren, was geht uns an, wie es denen gehen würde, die nach uns kommen. Nicht

über Menschen, sondern über Säue und Hunde sollten solche Leute regieren, die nicht mehr

denn ihren Nutzen oder Ehre im Regiment suchen."

 

Bibelübersetzung

Ohne sie geht es nicht, liebe Gemeinde. Das Reformationsjubiläumsjahr liefert uns mit der überarbeiteten Lutherübersetzung eine gute Grundlage für eigenes Nachlesen und Nachdenken. Und manchmal reicht auch das nicht. Zu viele Fragen tauchen auf, weil die Bildersprache der Bibel übersetzt werden will in die jeweils eigenen Lebensbezüge. Ansonsten bliebe man stehen im Ergötzen an schönen und anrührenden oder schrecklichen Geschichten einer längst vergangenen Zeit.

In Philippus findet der Kämmerer einen Freund, der ihn auf einem kleinen Wegabschnitt begleitet und dessen Freundschaftsdienst darin besteht, ihm die Bilder der Bibel zu übersetzen. So wird die Frage „Verstehst Du auch, was du da liest? Zum Anknüpfungspunkt für ein lebenswendendes Gespräch. Die Erzählung aus der Apostelgeschichte lädt uns ein, Erfahrungen auszutauschen. Es wird bereichernd sein, von jemanden, der schon viele Jahre seinen Weg mit Gott gegangen ist, zu erfahren, wie sich das dunkle Tal aus dem 23. Psalm anfühlt, wenn genau beim Durchschreiten desselben Gott als Beistand wahrgenommen wurde.

Und wer von der Wandlung eines versteinerten hin zu einem gefühlvollen Herzen berichten kann, sieht Gottes Kraft mit ganz anderen Augen, als wenn man davon in der Pfingstgeschichte liest.  Bibellesen lädt ein zum Dialog und Austausch über die eigenen Erfahrungen mit diesen alten Worten voller Kraft und Weisheit.

Neugier bewahren

Der Kämmerer handelte zunächst aus Neugier. Sie führte ihn zu den Quellen aus denen sich dann später sein Glauben speiste. Der Kämmerer, liebe Gemeinde, ist interessiert. Ein junger Erwachsener also kauft sich aus Neugier eine Schriftrolle des Alten Testamentes. Lesen kann er die Schrift, verstehen tut er sie nicht. Die ihm angebotene Hilfe geschieht durch einen von Gott beauftragten Gesandten, denn nichts anderes ist ein Apostel. Manchmal sind wir Kämmerer, der fragend seinen Orientierungs- und Haltungspunkt im Leben sucht. Manchmal werden wir auch zum Philippus. Dann nämlich, wenn wir anderen Menschen begegnen und eine Antwort für ihre Frage haben. In der Erzählung aus der Apostelgeschichte wird von einer Kraft berichtet, die dafür zuständig ist.

Wir reden vom Geist Gottes, jener besonderen Kraft, die Menschen Mut macht, Gott zu vertrauen, die sie hinaustreibt aus der wohleingerichteten Enge, um von Gottes Liebe und dem Frieden in Jesus Christus zu erzählen. Bleiben wir neugierig, was Gott mit uns vorhat.Bleiben wir neugierig auf das, was es zu entdecken gilt in der Bibel. Sie will in unser eigenes Leben sprechen. Amen.

Martin Hundertmark, Pfarrer an der Thomaskirche zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)