Predigt im Abendgottesdienst über Brief an die Gemeinde in Ephesos im 4. Kapitel (11-15)

  • 20.05.2024 , Pfingstmontag
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus.

Amen.

[Stille]

 

Der Predigttext für Pfingstmontag steht im Brief an die Gemeinde in Ephesos im 4. Kapitel (11-15):

 

„Und er selbst gab den Heiligen die einen als Apostel, andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, 12damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden, 13bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Menschen, zum vollen Maß der Fülle Christi, 14damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch das trügerische Würfeln der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen.

15Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.“

 

Liebe Gemeinde,

ein zwar Paulusaffiner, jedoch unbekannter Verfasser, der eben nicht Paulus ist, schreibt an die Gemeinde in Ephesos. Am Pfingstmontag sind einige dieser Verse für die Predigt bestimmt. Verse, in denen von den unterschiedlichen Gaben des Heiligen Geistes die Rede ist, die dann ihrerseits dazu befähigen, unterschiedliche Ämter und Aufgaben in der Gemeinde auszufüllen. In Ephesos verstanden die Leute in der Gemeinde, wenn von Aposteln, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrern die Rede war. Hier in der Gemeinde St. Thomas könnten wir das vielleicht übersetzen mit Pfarrer und Pfarrerin, Kantor und Organist, Gemeindepädagogin und Prädikantin, Motetten- und Besuchsdienst, Kindergottesdienstteam und Kirchenvorstand. Sie erkennen sofort, dass das eine gute Mischung aus Haupt- und Ehrenamtlichen ist. Und wenn ich etwas glaube, dann: dass der Heilige Geist vor dem Eintritt bzw. vor dem Einflug in eines Menschen Herze nicht nach Hochschulabschlüssen, Lehrbefähigung oder gar akademischem Grad fragt. Die Kraft des Heiligen Geistes weht nicht nur, wo sie will,  sondern eben auch genau dort, wo sie bestimmte Gaben und Fähigkeiten entdeckt und Freude an deren Ausbau hat. Es ist eine schöne Abfolge der St. Thomastermine, dass wir jetzt zu Pfingsten das Fest von der Ausgießung des Heiligen Geistes feiern. Und gleich am nächsten Sonntag den Ehrenamtssonntag. Hoch lebe also das Haupt- wie das Ehrenamt in unserer Kirche. Lasst uns froh und dankbar sein für die mancherlei Gaben unter uns. Ja und Amen. Und dann wäre auch diese Predigt geschafft und ich schon am Ende.

 

Doch halt!

Ein Brief aus dem Neuen Testament ist eben ein Brief im Sinne einer Epistel. Und als Epistel enthält er zwar theologisch wertvolle Inhalte, ist aber nicht mehr als eine Epistel, und also leicht hölzern und strohen. Damit will ich mich zu Pfingsten, an diesem berauschenden Fest, nicht zufrieden geben. Das Fest des „ewigen Feuers“, das Fest „vom Ursprung der Liebe“. Das Fest, an dem „Lieder erschallen“ und „Trompeten ertönen“. Lasst uns doch noch einmal hinschauen! Was ist denn heute übrig von der Vorfreude auf Pfingsten, die uns noch vor einer Woche erfüllt hatte, als wir an Exaudi B-Dur-beschwingt den Gottesdienst verließen? Was ist übrig und was hat sich erfüllt?

 

Pfingsten sei eines der drei Hochfeste der Christenheit, heißt es. Und da sitzen wir ganz schnell wieder in unserm Christenlehreunterricht und wissen Bescheid: Ja, klar. Da ist erstmal Weihnachten. Jesus wird geboren und liegt als Kind in der Krippe. Dann kommt Karfreitag und Ostern, das nicht auseinanderzudenken ist: Jesus wird gekreuzigt, stirbt und wird nach drei Tagen von den Toten auferweckt. Und dann Pfingsten: die Kraft des Heiligen Geistes kommt bei uns Menschen an.

Schon, indem ich diese drei christlichen Hochfeste hier sehr kurz umreiße, bemerke ich an mir selbst einen Unterschied. Etwas ist anders mit Pfingsten, diesem dritten Fest.

Weihnachten: Irgendwo weit weg in Bethlehem wird ein Kind geboren. Gott hat es sich so ausgedacht, dass sein Sohn Mensch wird.

Kreuzigung und Auferstehung: Irgendwo weit weg in Jerusalem wird Jesus gekreuzigt und erscheint nach seiner Auferstehung zuerst den Jüngerinnen, dann den Jüngern. Das geschehe 'für mich und meine Sünden', lerne ich.

Pfingsten: Weit weg in Jerusalem? Damals vor 2.000 Jahren? Dann, liebe Gemeinde, können wir einpacken; wirklich. Dass die Heilige Geistkraft ausgegossen wird – das geschieht hier und heute. Ich sehe es förmlich vor mir: Die Geistkraft, sie nimmt Anlauf, sie pumpt sich noch einmal voll mit Sturmbraus und Wind, sie tankt noch einmal – randvoll mit Liebe … Sie nimmt Anlauf, legt los, wirbelt herum, nähert sich … und??!!

Was ist ihr Ziel? Wen meint sie?

Sie nimmt Anlauf, legt los, wirbelt herum, nähert sich … SIE MEINT MICH!! Sie hat MICH zum Ziel! Was denn? Wie denn? Wirklich?!! Das kann nicht sein.

Die Heilige Geistkraft, sie nimmt Anlauf, legt los, wirbelt herum, nähert sich …, sie kommt tatsächlich auf mich zu; MICH.

 

Ich ducke mich weg.

Sie rauscht vorbei. Puh, Glück gehabt! Glück gehabt?!! Spinnst Du, Menschenkind Das wäre DEINE Chance gewesen. Wie kannst du nur so blöd sein und diese Gelegenheit an dir vorbeiziehen lassen?!!

Die Heilige Geistkraft nimmt Anlauf, legt los, wirbelt herum, nähert sich … und meint dich! Und DU?!! Duckst dich weg?!!

 

Liebe Gemeinde,

der etwas hölzern klingende Brief nach Ephesos schreibt davon, dass „ wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Menschen“.

Ja, daran glaube ich, liebe Gemeinde, dass die Kraft des Heiligen Geistes uns erst vollkommen macht. Im Leben, in der Liebe, im Sein. Und dann auch im Miteinander, im Handeln, im Widerstehen.

Und das scheint mir der nennenswerte Unterschied zu sein zwischen einem Leben, das ohne Gott auskommt, und einem Leben, das mit Gottes Gegenwart rechnet: Dort ist es der perfekte Mensch, der perfekte Mann, die perfekte Frau, die propagiert werden. Hier ist es der vollkommene Mensch, das durch Gottes Geist vollständige Geschöpf, das ins Leben hinein wächst.

 

Die Heilige Geistkraft nimmt Anlauf, legt los, wirbelt herum, nähert sich.

Lasst uns uns nicht wegducken.

Lasst es uns annehmen, das größte Geschenk, das Gott uns macht.

Lasst es uns annehmen. Und sehen, was passiert.

 

Und die Geistkraft Gottes, die höher ist als unsere Vernunft, beflügele und begeistere unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu.

Amen

 

Prädikantin Dr. Almuth Märker

almuth.maerker@web.de