Predigt über Dtn 7, 6-12

  • 23.07.2017 , 6. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Dtn 7, 6-12 am 6. So p. Tr., St. Thomas zu Leipzig um 9.30 Uhr

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Wie finden sich Liebende? Glaubt man den Plakaten in der Innenstadt, alle 11 Minuten. Das ist natürlich Unfug.

Liebende finden sich, in dem sie sich gegenseitig erwählen. Darin liegt jener besondere Moment, den wir Liebe nennen. Denn Liebende finden sich, ohne dass sie sich aktiv suchen. Es geschieht einfach. Mag sein, dass solche Ausdrucksform von Liebe ein Ideal ist und Liebe auch wachsen kann, wo anfänglich wenig Zuneigung gewesen ist. Vom Ideal der erwählten Liebe erzählt unser Predigttext aus dem Alten Testament.

Ich lese im 7. Kapitel des Buches Deuteronomium:

6 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.

7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern -,

8 sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat der HERR euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.

9 So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten,

10 und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen.

11 So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust.

12 Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat,

Liebe Gemeinde, haben Sie das Evangelium heraushören können, oder sind sie hängen geblieben an den harten Worten aus Vers 10, die von einem rachesüchtigen Gott erzählen? Mit all diesen Schwierigkeiten gilt es umzugehen. Sie lassen sich nicht weglesen. Dominieren dürfen sie allerdings das Thema dieses Sonntags auch nicht. Wir wollen gemeinsam nachdenken über Erwählung, über Taufe und über den Auftrag, der sich daraus ergibt.

 1. ) „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.“ (Joh 15, 16)

Meistens ertappe ich mich beim Hören des Stichwortes „Erwählung“ dabei, dass der Gedanken aufsteigt: Wenn jemand erwählt wird, dann bedeutet das immer auch, jemand anderes wird verworfen. So ganz lässt sich der Gedanken nicht von der Hand weisen, geschweige denn vertreiben. Erwählung und Verwerfung liegen jedenfalls dicht beieinander. Im letzten der fünf Bücher Mose geht es u. a. um Vermächtnisse, um das, was in besonderer Weise wichtig ist. Dicht beieinander liegen die Texte der zehn Gebote, der Erwählung und des Shema Israel, dem so genannten jüdischen Glaubensbekenntnis.

Sehr intensiv, fast intim, jedenfalls ungemein liebevoll spricht Gott JHWH hier von seinem Volk Israel und schon wieder kommt der Hörer ins Stocken. Israel? Was habe ich damit zu tun?

In der Tat lässt sich der Text sehr exklusiv lesen. Wollten wir ihn ausschließlich aus dem jüdischen Kontext heraus betrachten und uns einer exklusiven Lesart anschließen, dann wäre an dieser Stelle Schluss. Er hätte uns nichts zu sagen. Denn wohl kaum ein Gottesdienstbesucher hier dürfte sich zum jüdischen Volk zugehörig nennen. Wir sind keine Juden. Aber sind wir deswegen auch keine Kinder Israels?

Hier hilft uns der Apostel Paulus weiter. Im Römerbrief erweitert er den Begriff des Volkes Israel und schließt alle Christen mit ein, weil sie durch Gott erwählt wurden, der als Vater Jesu Christi vor aller Zeit war und gewiss derjenige ist, der Mose mit dem Volk Israel aus der Knechtschaft in die Freiheit führte. Auf der anderen Seite verwirft Paulus das bisherige Volk Israel nicht. Denn es bildet die Wurzel des Christentums. Ohne Israel, keinen Messias, keinen Christus. Über diese Wurzel sind wir unzertrennlich mit unseren jüdischen Geschwistern verbunden. Wer das leugnen will, den darf man getrost als Antisemiten bezeichnen. Was allerdings nicht antisemitisch ist, ist die Kritik an all denjenigen, die aus dem heutigen Predigttext eine Blaupause für politisches Handeln machen wollen. Die Erwählung des Volkes Israel durch Gott bedeutet, dass er auf das Schwächste und Kleinste Volk aufpasst, dass ihm die Schwachen und Geringen besonders am Herze liegen und er ihnen Sicherheit geben will durch Vertrauen.

Wer daraus ableiten will, dass mit genau dieser Textstelle jüdischer Siedlungsbau legitimiert werden kann, liegt gehörig daneben und hat die theologische Tragweite nicht wirklich verstanden. Jedes Volk hat sein berechtigtes Sicherheitsbedürfnis. Jeder Mensch möchte mit seiner Familie und seinen Freunden in Frieden und Sicherheit leben können, möchte Lebensmöglichkeiten gestalten, sie intensiv auskosten. Wenn nun JHWH genau dafür die Kleinste Gemeinschaft und die Schwachen besonders heraushebt, dann liegt die Bedeutung solches Erwählens doch darin: sich in gleicher Weise um Kleine und Schwache zu kümmern, auch ihnen Lebensmöglichkeiten in Frieden und Geborgenheit zu geben.

Wer sich in Gottes Shalom geborgen wissen möchte, darf anderen den Frieden nicht verweigern.

Mit der Erwählung durch Gott wird der allumfassende Friede verheißen als ewiger Friede. Dafür steht die „Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied“. Die anderen, so schrecklich klingenden Worte von der Verwerfung, von einem rachesüchtigen Gott, der nicht erwiderte Liebe mit Tod bestraft, machen sie Sinn? Man kann sich behelfen mit dem verborgenen Gott, mit der dunklen, für uns Menschen nicht sichtbaren und schon gar nicht verstehbaren Seite Gottes, die aber notwendig ist, um seine Souveränität im Erwählungshandeln nicht menschlich manipulierbar zu machen. Man kann auch auf den direkten Zusammenhang schauen. In ihm stehen die Gebote, die Barmherzigkeit und die Gottesliebe. Alle drei sind von Gott geschenkt und werden mit dem Wort „Bund“ ganz gut zusammenfassend beschrieben. Versucht man nun, sich von dieser Ebene her den Worten zu nähern, dann verlieren sie ein wenig ihren wortwörtlichen Schrecken. Denn wer von Gottes Geboten weiß, sie bewusst hintergeht, bricht einer Lebensfeindlichkeit die Bahn, die dem Shalom Gottes entgegensteht. Und wer Gottes Liebe nicht annimmt, sie sogar noch in Hass umkehrt und das Vertrauen auf ihn wegwirft, wird von ihm kaum Gnade erwarten dürfen. Letztlich stehen die Worte aus dem Vers 10 für die Konsequenzen unseres Handelns und Tuns.

 2.) Kind Gottes sein und werden

Die Gotteskindschaft ist nicht auf das alttestamentliche Israel begrenzt. Sie wird neutestamentlich durch die Taufe erweitert. Am heutigen Taufsonntag dürfen wir uns genau daran erinnern. Wir sind Kinder Gottes, weil sich Gott uns erwählt und sich mit uns in der Taufen verbunden hat. Auf ganz andere Weise erfüllt sich hier die alttestamentliche Botschaft von der Erwählung der Schwachen und Kleinen. Sie wird zum Zeichen der geschenkten liebevollen Zuwendung, der Gnade Gottes, die vorbehaltlos allen gilt, wenn sie auf Gott vertrauen. Nicht ohne Grund hat Martin Luther in seiner Auslegung zum ersten Gebot davon gesprochen, dass wir Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen sollen, wobei das „Fürchten“ im Sinne von „Ehrfurcht“ zu verstehen ist. Die Taufe eines kleinen Kindes wird zum Symbol für das erwählende Handeln Gottes mit besonderem Focus auf die Kleinen und Schwachen. Wir haben vorhin Jasper Ben getauft, der das für sich noch nicht entscheiden konnte, dessen Eltern aber darauf vertrauen, dass Gott auch mit den kleinen Kindern einen Bund schließt. In der Taufe werden wir von Gott bei unserem Namen gerufen und dadurch gehören wir zu ihm, gehören wir zu seinem Volk Israel. Wir tauften vorhin auch Maria, die ihren Weg zu Gott als Erwachsene gefunden hat. Für die Große und für den Kleinen gilt es gleichermaßen:

Gott ruft in seine Gemeinschaft. Wir als Menschen hören diesen Ruf, lassen uns berühren, lassen uns umtreiben mit unseren Fragen nach Gerechtigkeit und Liebe oder der Sorge um den verborgenen Gott, den wir nicht begreifen können, so sehr wir uns auch mühten. Für den heutigen Sonntag ist es eine besondere Freude, genau diese Bandbreite gemeindlicher Taufpraxis miteinander feiern zu dürfen, ganz ohne Ideologie in großer Freiheit. Was daraus folgt ist dies: Gottes Geschenk der Freiheit im alttestamentlichen und neutestamentlichen Sinne darf kein Geschenk für den alleinigen Privatgebrauch sein, sondern will geteilt und verteilt werden.

 3.) „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker!“

Aus unserem heutigen Sonntagsevangelium ist dieser Halbvers herausgegriffen, über den momentan ein erbitterter Streit geführt wird. Denn in der neuen Lutherübersetzung heißt es nun, „Gehet hin und lehret alle Völker.“ Für die eine wie für die andere Variante mag es philologische Gründe geben und ich bin dafür mit Sicherheit nicht der Experte. Was aber viel gravierender ist, dass durch das Weglassen von „machet zu Jüngern alle Völker“ dem Leser suggeriert wird, Mission ist nicht mehr wichtig. Als Kirche ist es doch unser Auftrag, ja wir leben geradezu aus ihm, in alle Welt zu gehen und Menschen das Evangelium von der Freiheit und Gnade Christis zu bringen. Dass wir nicht die Jünger machen, sondern Gottes Kraft dies bewirkt, mag an dieser Stelle betont werden, obwohl es sich eigentlich von selbst versteht.

Das Sonntagsevangelium will uns erzählen, wie Jüngerschaft geschieht, nämlich durch Taufe und Lehre, wie bei einem Kleinkind oder durch Lehre und Taufe, wie bei einem Erwachsenen. Genau dazu will uns Jesus Christus ermutigen. Genau das lässt sich auch heute noch als Mission verstehen.

Ganz absurd wird der Streit um das heutige Sonntagsevangelium durch die Argumentation, dass es eine verheerende Missionsgeschichte gegeben hat und deshalb vorsichtig mit dem Auftrag zur Mission umgegangen werden muss.

Liebe Gemeinde, wo Kirche Mission aufgibt, da gibt sie sich selber auf. Wir brauchen die Sendung hin zu den und die Öffnung für die Menschen, die Gott nicht kennen und von Jesus Christus noch nichts gehört haben. Dass die Methoden dafür nicht mehr die eines Kolumbus sein dürfen, liegt ebenso auf der Hand. Aber deswegen Mission abzulehnen? Das wäre in etwas so, als würde ich heute keine Autobahn benutzen, mit der Argumentation weil ein Verbrecher und Massenmörder  sie gebaut hat.

Wir sind als Kirche herausgefordert, Mission positiv zu besetzen, den Menschen Heimat zu geben für ihre Suche nach Sinn und Frieden in ihrem Leben. Der große Schatz des Bundes Gottes zu uns darf nicht im Verborgenen liegen, weil er dereinst Menschen verblendet hat. Er muss gezeigt werden, indem wir ihn mit Leben füllen. Seinen Bund mit Leben füllen bedeutet, Gottes Weisungen zum Leben ernst zu nehmen.

Damit sind wir am letzten Vers des Predigttextes angekommen, liebe Gemeinde.

Zusammenleben unter uns Menschen und mit Gott kann und wird gelingen, wo wir uns vertrauensvoll darauf einlassen, dass es dafür Orientierung gibt. Sie lässt uns nicht abstürzen, lässt uns nicht irrewerden, wo die Lebensmöglichkeiten so unendlich viel und unübersichtlich werden. Als Antwort auf Gottes Erwählung zu seinem Volk zu gehören durch alle Zeiten hindurch, darf ich mich an seinen Weisungen orientieren. Innerhalb ihrer Grenzen, gibt es Freiheit und Friede für mich und den Nächsten. Amen.

Und der Friede Gottes, der größer ist als all unser Verstehen, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Martin Hundertmark Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)