Predigt über Galater 5,1

  • 02.11.2020
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Der Kantatentext ist unter diesem Link zu finden:

https://webdocs.cs.ualberta.ca/~wfb/cantatas/80.html

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

eingezwängt, verängstigt, suchend und ringend nach Freiheit kämpft Martin Luther mit seinem Gott und seinem Gewissen. Wie bekomme ich einen gnädigen Gott, vor dem ich keine Angst mehr zu haben brauche? Wohin kann ich fliehen, wenn mich die Ängste überwältigen.

„Ein feste Burg ist unser Gott“ hörten wir gerade in der Kantate von Johann Sebastian Bach. Es braucht nicht viel Phantasie, dass die sicher und fest über der Stadt thronende Wartburg als Inspiration gedient haben mag, als Luther diesen Choral schrieb.
Wo Nöte groß sind, schränken sie das Leben der Menschen ein. Schnell steigt ein Gefühl von Unfreiheit auf. Wo Sorgenvögel über dem Kopf kreisen, fehlt oft die Kraft, selbige zu verscheuchen.
Der Apostel Paulus schreibt im Galaterbrief im 1. Vers des 5. Kapitels: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ Denken wir am heutigen Reformationsmorgen nach über Freiheit und ihre Konsequenzen.

Freiheit

Ist uns ein hohes Gut. Dankbar blicken wir auf 75 bzw. 31 Jahre Freiheit, je nachdem in welchem Teil Deutschlands wir aufgewachsen sind. Wer von staatlichen Schergen eines sozialistischen Regimes drangsaliert, eingesperrt oder gefoltert wurde, wird ein ganz besonderes Verhältnis zur Freiheit haben und sie nie wieder hergeben wollen. „Das ist ja wie früher“ höre ich jetzt oft und lese es noch viel öfter in den gar nicht mehr so sozialen Netzwerken.

Nein, liebe Gemeinde, es ist, Gott sei dafür außerordentlich Dank, nicht wie früher. Jeder darf seine Meinung frei sagen, wir dürfen demonstrieren, wenn uns etwas nicht passt, dürfen, wen auch immer karikieren oder satirische Verse schreiben, um Missstände aufs Korn zu nehmen und vor allem: Wir dürfen uns zum Gottesdienst versammeln und dürfen unseren Glauben im Alltag leben, jeder nach seiner Fasson. Freiheit bedeutet nicht Gleichheit. Genau damit haben anscheinend doch immer mehr Zeitgenossen Probleme. Wer seine Meinung frei sagt, muss auch mit Widerspruch rechnen. Genau das ist ja ein signifikantes Merkmal von Meinungsfreiheit.

Freiheit als Fundament des Glaubens

Mit der Wiederentdeckung des Evangeliums von der Gnade und Liebe Gottes durch Martin Luther vor gut 500 Jahren, gab es eine große Erschütterung in Theologie und Kirche. Denn die Vorzeichen wurden umgekehrt. Nicht Verdienst und Anstrengungen machen Gott zu einem liebevollen Gott. Nein, er ist von sich aus ein mir in Liebe zugewandter Gott, ohne dass ich dazu irgendetwas hinzutun könnte. Diese Wiederentdeckung war ganz im Sinne von Renaissance und Humanismus ein Wandern zurück zur den Quellen. Hier: zurück zu den theologischen Quellen des Apostels Paulus. Er schreibt im Römerbrief Kapitel 3: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben.“

Diese Wiederentdeckung führte zur Wiedergeburt des Menschen als ein angstbefreites Geschöpf Gottes, das in seiner Schöpfung einen festen Platz hat. Damit, liebe Gemeinde, war freilich ein gut funktionierendes Geschäftsmodell zerstört. Kirche machte mit der Angst vor dem strafenden Gott gute Geschäfte. So verwundern die Widerstände, denen sich Luther ausgesetzt sah, nicht und schnell kam es zu existenzrelevanten Auseinandersetzungen. Woran bin ich gebunden als Christ? Was macht mich frei? Solchen Fragen geht Luther in seiner Freiheitsschrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ von 1520 nach. Wir feiern sozusagen in diesem Jahr auch den 500. Geburtstag dieser so wichtigen Schrift mit ihren bekannten Spitzenversen:

Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan.

Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ (Luther)

Angst-Frei

Der vor Gott gerecht gesprochene Mensch braucht keine Angst mehr zu haben. Hölle, ewiger Verdammnis und Strafen verlieren an Macht, weil es einen Mächtigeren gibt. Jesus Christus allein sorgt für mein Seelenheil im wahrsten Sinne dieses Wortes. Er heilt meine Seele vom Gift niederdrückender Gedanken. Dem „Du schaffst das nicht“ oder „Du kannst das nicht“ setzt er ein tröstendes „egal, in meinen Augen bleibst du ein geliebtes Kind“ entgegen. Schuldverstrickungen entknotet Jesus Christus mit der vergebenden Kraft seiner Liebe.

Das ist doch so wunderbar, liebe Gemeinde und kann Hoffnung machen in schwieriger Zeit.

Wir wissen, wo etwas nicht gelingt, entsteht Schaden. Aber deswegen wird nicht gleich der ganze Mensch an sich in Frage gestellt – schon gar nicht von Christus. Vielmehr nimmt er den Schuldbalken von meiner Schulter und trägt ihn als Kreuzesbalken, um mich davon zu erlösen. Deshalb kann Paulus schreiben:

Zur Freiheit hat uns Christus befreit.

Daraus können wir doch wahrlich eine Menge Kraft ziehen, um die kleinen und großen Krisen als Menschen und Christengemeinschaft zu bewältigen. Wir leben in Frieden – nicht nur im äußeren Frieden, sondern durch Christus leben wir auch im Frieden mit Gott.

Deshalb sind wir frei, Verantwortung zu übernehmen für unsere Lebensgestaltung, für unsere Gesellschaft. Hier traut uns Gott mehr zu als wir es manchmal selber tun. Also, lasst uns den noch nicht befreiten, den von Hass zerfressenen Seelen Mut zusprechen, damit auch sie ihren Frieden finden.

Demaskierte Freiheit

Sie ist zum Symbol geworden – die Alltagsmaske. Von vielen regelrecht gehasst. Warum, liebe Gemeinde, fällt es so schwer, diesen doch so sinnvollen und wirksamen Stofffetzen als ein Zeichen gelebter Nächstenliebe zu sehen?
Reden wir nicht gerne von den Schwachen, die es zu schützen gilt?
Haben wir als Christinnen und Christen nicht auch eine besondere Verantwortung, die uns Gott selber zutraut?
Sollten wir als Salz der Erde nicht auch wirksam und würzend agieren, um so zu Vorbildern für eine bessere Gestaltung unseres Zusammenlebens zu werden?
Nächstenliebe als Lippenbekenntnis ist geheuchelte Liebe. Denn sobald sie Konturen annehmen will, steht ihr die eigene Freiheit plötzlich wieder im Wege. Das Wort „Freiheit“ dient dann nur als Feigenblatt für einen doch sehr gnadenlosen Egoismus. Die fortwährende Debatte um diese Alltagsmaske demaskiert wie ernst wir es hier meinen.

Die Worte aus dem Bassrezitativ der Kantate mögen mich erinnern:

Lass nicht dein Herz,
Den Himmel Gottes auf der Erden,
Zur Wüste werden!
Bereue deine Schuld mit Schmerz,
Dass Christi Geist mit dir sich fest verbinde!

 

Wir erfahren gegenwärtig eine Zeit der Einschränkungen und Entbehrungen. Da tut es Not, sich gut zu sortieren, Prioritäten zu setzen und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen.
Wäre es nicht sinnvoller, würden all diejenigen, die so lautstark und vehement sich gegen das Tragen der Maske positionieren, diese Energie darauf verwenden, um Entscheidungsträger zu überzeugen, Kulturschaffenden sofort und echte Hilfe zukommen zu lassen.
Und ich bin gespannt, ob die große Masse der Sympathisanten für Kultur auch bereit ist, dafür künftig mehr Steuern oder höhere Ticketpreise zu bezahlen.
Liebe Gemeinde, wenn es hart auf hart kommt, sind wir eher eine großer Haufen Heuchler.
Ich will mich da gar nicht von ausnehmen.
Und so bleiben wir letztlich Gefangene.
Der erste Schritt heraus aus dieser Gefangenschaft ist Erkenntnis und Reue.
Es muss sich etwas ändern, doch allein vermag ich es nicht, bin oft überfordert mit all den ganzen Dingen in meinem Herzen. Und wenn es schlecht läuft, macht sich dort auch noch Hass breit.

So will ich mit den Versen aus der Sopranarie rufen:

Komm in mein Herzenshaus,
Herr Jesu, mein Verlangen!
    Treib Welt und Satan aus

 

Im Herzenshaus sieht es rümpelig aus. Die Einladung an Jesus Christus, dort aufzuräumen, schenkt uns die Freiheit, zum Handeln.
Luther hat sich in den Phasen seiner Zweifel an Christus erinnert. Er ist der Erlöser von allem, was uns bindet, einengt oder zu schaffen macht. Er löst uns heraus aus der Angst vor Versagen.
Den Heiland Jesus Christus ins Herzenshaus einzuladen – für mich ist das das schönste und eindrücklichste Bild aus der heutigen Kantate. Ermutigt von diesem Bild, kann ich mich auf den Weg zu den Menschen machen.
Die dafür nötige Wegzehrung bekomme ich von ihm selber. Was ist dafür nötig?
Nichts weiter als Vertrauen und Glauben auf Christus. Er hat die lebenswichtigen Dinge für mich bereits geregelt. Das kann und will ich bekennen. Und manchmal, liebe Gemeinde, müssen wir uns selber daran erinnern oder gegenseitig vergewissern.

So stehe dann bei Christi blutgefärbten Fahne,
o Seele, fest
und glaube, daß dein Haupt dich nicht verläßt,
ja, daß sein Sieg
auch dir den Weg zu deiner Krone bahne!
Tritt freudig an den Krieg!
Wirst du nur Gottes Wort
so hören als bewahren,
so wird der Feind gezwungen auszufahren,
dein Heiland bleibt dein Hort!
(Tenor)

Im Licht des Glaubens Christus als seinen Heiland und Hort, gewissermaßen, als die Feste Burg, zu der ich fliehen kann, zu erkennen, ist das große Geschenk des Evangeliums.

So wird ER zur Quelle meines Lebens und bewässert die Herzenswüste, damit aus ihr eine Oase der Nächstenliebe wird.

Mit Kerzen sind wir 1989 aus den Kirchen herausgetreten. Sie waren uns Zeichen der inneren Freiheit und mit ihnen gewannen wir die äußere Freiheit.
Lasst uns heute in einem freien Land als freie Menschen die Alltagsmasken tragen, nicht, um irgendeiner Politikerin zu gefallen, sondern als Zeichen innerer Freiheit, die sich in den Dienst des Nächsten stellen lässt.
Denn: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ (Luther)

Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unser Verstehen, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.