Predigt über Galater 5,25-26;6,1-3.7-10

  • 25.09.2022 , 15. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer i.R. Christian Wolff

Predigt über Galater 5,25-26;6,1-3.7-10

15. Sonntag nach Trinitatis - 25. September 2022

 

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserem Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Keine Frage: Unsere Welt befindet sich im Aufruhr. Die Natur wehrt sich mit wachsender Intensität gegen all das, was wir Menschen ihr seit Jahrzehnten zumuten. Das gesellschaftliche wie das Leben eines jeden, einer jeden von uns wird derzeit erschüttert von den damit verbundenen Eruptionen: Pandemie, Katastrophen ungeahnten Ausmaßes, soziale Verwerfungen, Armut. All das rückt bedrohlich nahe und verunsichert uns zutiefst. Das führt zu einer Frage: Was bleibt? Worauf ist Verlass? Können wir zurückgreifen bzw. zurückgehen auf ein Fundament, das nicht durch Dürren, Überschwemmungen, Flächenbränden, Inflation, gewalttätigem Autokratismus zerfällt? Ein Fundament, auf dem wir neu Halt finden und Haltung einnehmen können, ohne uns irgendwelchen religiösen oder politischen Scharlatanen an die Brust zu werfen? Ein Fundament, von dem aus wir hinter die Kulissen blicken können, und so die Botschaften Gottes in all den aufwühlenden Ereignissen für uns sichtbar, erfahrbar werden? Ein Fundament, von dem aus wir Maßstäbe entwickeln können, nach denen wir unser Leben neu ausrichten, und das uns das ermöglicht, was wir nicht verlieren wollen: Freiheit, Vertrauen, Anerkennung, gerechte Teilhabe?

Nun leben wir in einer Gesellschaft, in der sich die meisten Menschen von dem gelöst haben, was ursprünglich Halt und Orientierung in Krisenzeiten vermittelte: Religion, Tradition, Konvention – das also, wofür auch wesentlich die Kirchen stehen und was einen Gottesdienst wie diesen ausmacht. Doch Kirche kommt derzeit im öffentlichen Diskurs kaum vor, und ist auch immer weniger gefragt als Zufluchts- und Sehnsuchtsort. Allerdings: Einen wirklichen Ersatz für das, wovon viele Menschen nichts mehr wissen oder wissen wollen, haben sie bis heute nicht gefunden. Da ist ein riesiges Vakuum entstanden. Selbstvertrauen zerbröselt und Zukunftsgewissheit zerfällt, ohne dass Gottvertrauen und Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit wachsen. Davon zeugen sowohl die Kurzatmig- und Flatterhaftigkeit auf allen Entscheidungsebenen unserer Gesellschaft, wie auch die überraschende Faszination, die für Millionen Menschen von dem hochkirchlichen Trauerakt für Queen Elizabeth II. am vergangenen Montag ausging.

Wenn jetzt vermehrt Menschen montags auf die Straße gehen - zumeist verbittert und voller Wut auf die da Oben - dann drängt sich der Eindruck auf: Weder bewegen sie sich auf einem Fundament, noch befinden sie sich auf der Suche nach einem solchen. Vielmehr erinnert ihre Fokussierung auf einen verloren geglaubten Zustand von Gestern an die Sehnsucht der Israeliten in der Wüste zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens. Der biblische Erzählzusammenhang der Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten ist ja nicht nur Quelle für den Freiheitsimpuls unseres Glaubens; er ist vor allem ein Paradigma für eine uns Menschen innewohnende, sehr typische Verhaltensweise: Wir meinen die Lösung gegenwärtiger Probleme in der Rückkehr zu den Problemen von gestern finden zu können. Als die Wanderung der Israeliten durch die Wüste sehr viel länger dauerte und sich viel entbehrungsreicher gestaltete als vorhergesehen, da forderten die Menschen Mose auf: Lass uns zurückkehren zu den Fleischtöpfen Ägyptens, da sind wir wenigstens nicht verhungert, da sind wir sicher! Genau an diesem Punkt sind wir: Wir spüren, dass sich Grundlegendes ändern muss – und doch sehen wir, sobald sich Engpässe, Entbehrungen hervortun, in den alten Verhaltensweisen unser Heil.

Jetzt ist die Frage: Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Können wir als Christen, als Kirche in der jetzigen für uns alle schwierigen, herausfordernden Situation einen Weg aufweisen, der uns gewiss, zuversichtlich, hoffnungsvoll macht und uns gleichzeitig zusammenführt in dem Bestreben nach Erneuerung, im Trachten nach dem Reich Gottes (vgl. Matthäus 6,33)? Der uns das Gefühl gibt, auf einem festen Fundament zu stehen – dem Leben und der Zukunft zugewandt?

Der Predigttext für den heutigen Sonntag – ein Abschnitt aus dem Galaterbrief - kann uns da Orientierung geben. Der Apostel Paulus hat diesen Brief um 50 n. Chr. an frühchristliche Gemeinden in Galatien geschrieben. Bei Galatien handelt es sich um die Region, die um Ankara gelegen ist, die Hauptstadt der heutigen Türkei. In diesem Brief setzt sich der Apostel Paulus damit auseinander, in welcher Weise sich Christinnen und Christen in der Welt bewegen sollen, ohne sich in ihrem Handeln durch innerreligiöse (kirchliche) Zwänge und Normen einengen zu lassen.

 

25 Wenn wir nun durch Gottes Geist ein neues Leben haben, dann wollen wir auch aus diesem Geist unser Leben führen. 26 Wir wollen nicht mit unseren vermeintlichen Vorzügen voreinander großtun, uns damit gegenseitig herausfordern oder einander beneiden.

1 Brüder und Schwestern, auch wenn jemand unter euch in Sünde fällt, müsst ihr zeigen, dass der Geist Gottes euch leitet. Bringt einen solchen Menschen mit Nachsicht wieder auf den rechten Weg. Passt aber auf, dass ihr dabei nicht selbst zu Fall kommt! 2 Einer trage des Andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. 3 Wer sich dagegen einbildet, besser zu sein als andere, und es doch gar nicht ist, betrügt sich selbst.

7 Macht euch nichts vor! Gott lässt keinen Spott mit sich treiben. Was der Mensch sät, wird er ernten. 8 Wer auf den Boden der menschlichen Selbstsucht sät, wird von ihr den Tod ernten. Wer auf den Boden von Gottes Geist sät, wird von ihm unvergängliches Leben ernten. 9 Wir wollen nicht müde werden zu tun, was gut und recht ist. Denn wenn die Zeit da ist, werden wir auch die Ernte einbringen; wir dürfen nur nicht aufgeben. 10 Solange wir also noch Zeit haben, wollen wir allen Menschen Gutes tun, besonders denen, die mit uns durch den Glauben verbunden sind.

Galater 5,25-26;6,1-3.7-10 – Gute Nachricht Bibel

Paulus entwirft eine Ethik, also eine Lehre vom guten Sein, des Geistes. In kurzen, einprägsamen Gedanken skizziert er, worauf es im Leben eines Christenmenschen ankommt, welche Verhaltensweisen sich aus dem Geist Gottes, aus dem Gesetz Christi ergeben – unabhängig davon, in welchem gesellschaftspolitischen, kulturellen Kontext wir uns jeweils bewegen. Dabei lässt Paulus keinen Zweifel daran, dass es unbedingte Aufgabe eines Christenmenschen ist, sein Leben aus dem und im Geist Gottes zu führen. Doch was ist das für ein Geist, der zum Motor und zur Richtschnur eines sinnerfüllten Daseins werden soll, der uns Gutes tun lässt? Den Geist Gottes beschreibt Paulus in vierfacher Weise:

1 Der Geist der Freiheit

Zunächst ist erstaunlich, dass Paulus nicht auf das eingeht, was uns als Erstes einfällt, wenn wir nach Maßstäben des Lebens suchen: die 10 Gebote. Dass diese von Paulus keine Erwähnung finden, ist kein Zufall. Denn für Paulus ist die Entwicklung ethischer Prinzipien aus dem Geist Gottes heraus ein dynamischer, immer neu in Gang zu setzender Prozess. Damit reagiert Paulus auf einen zu seiner Zeit in sich erstarrten Umgang mit den Geboten und den daraus resultierenden rigiden Machtstrukturen. Sie ließen wenig vom Geist Gottes, aber viel vom Beharrungsvermögen der führenden Schichten erkennen. Paulus war als Saulus selbst in diesen Machtstrukturen gefangen und als gnadenloser Anwalt der Gesetzlichkeit unterwegs. Er war ja auch so eine Art Sittenpolizist und Moralwächter. Sie führen bis heute ihr Unwesen – nicht nur im Iran, auch in der römischen Inquisition und leider auch manch kirchlicher Amtsstube.

Die Ethik des Geistes darf aber nicht dazu dienen, politische, ökonomische oder religiöse Macht zu exekutieren. Sie entsteht vielmehr in der lebendigen Begegnung zwischen Gottes Geist und den Menschen im Hier und Jetzt; den Menschen, die nach neuen Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens von sehr unterschiedlichen Gruppierungen suchen – so wie das unsere tägliche Aufgabe in einer sehr divers gewordenen Gesellschaft ist. Darum kann und darf es keine unumstößlichen Dogmen geben, vor allem nicht solche, die vorgeben, den zwischenmenschlichen Bereich Bestimmen, lenken, kontrollieren zu können. Das macht Paulus deutlich, indem er zum einen auf unsere menschliche Schwachheit, uns vor anderen als etwas Besonderes aufzuspielen, uns in der Herabsetzung des Anderen zu profilieren, zum andern aber auf die Bedürfnisse des Nächsten verweist.

2   Der Geist der Versöhnung

Paulus schreibt:

Brüder und Schwestern, auch wenn jemand unter euch in Sünde fällt, müsst ihr zeigen, dass der Geist Gottes euch leitet. Bringt einen solchen Menschen mit Nachsicht wieder auf den rechten Weg.

Wer immer sich mit ethischen Fragen auseinandersetzt, bekommt es mit dem nahen und fernen Nächsten zu tun - und zwar in einer doppelten Weise:

  • Zum einen werden wir durch den Geist Gottes auf den Nächsten gewiesen, der mit uns das Leben teilt.
  • Zum andern stehen wir vor der Frage: Wie gehen wir mit denen um, die Gebote, Regeln, Ordnungen missachten, die also dem anheimfallen, was Paulus Sünde nennt?

Paulus ruft die Christen dazu auf, dann, wenn sie sich mit Verfehlungen von anderen auseinandersetzen, vor allem auf sich selbst zu achten:

Passt aber auf, dass ihr dabei nicht selbst zu Fall kommt!

Bedenkt, dass ihr selbst Sünder seid, der Vergebung bedürftig und immer in der Gefahr stehend, in der Ahndung von Vergehen selbst zum Sünder zu werden. Darum ist die Bereitschaft zur Vergebung, zur Versöhnung nötig – genau das, was Gott allen Menschen durch Jesus Christus voraussetzungslos hat zuteilwerden lassen.

Dennoch ist ein versöhnender Umgang mit denen, die – wie Paulus schreibt – „unter die Sünde“ gefallen sind, weder selbstverständlich noch einfach. Zum einen gilt es, jedem Straftäter seine Menschenwürde zu belassen, also auch im größten Sünder einen Menschen zu sehen, der mit Recht und Würde gesegnet ist. Zum andern dürfen wir nicht vor lauter Verständnis für den Sünder selbst zu Fall kommen, d.h. seine Lebensweise übernehmen. Versöhnung bedeutet eben nicht, nachträglich Unrecht zu rechtfertigen bzw. sich auf die Ebene des Straftäters ziehen zu lassen.

3  Der Geist der Solidarität

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

Mit diesem uns vertrauten Gedanken unterstreicht Paulus: Das alltägliche Zusammenleben kann nur gelingen, wenn wir Menschen gegenseitig zum Lastträger werden. Es zeichnet die christliche Ethik aus, dass sie das füreinander Einstehen, die gegenseitige Solidarität als Quintessenz der Lehre Jesu, als „Gesetz Christi“ bezeichnet. Der Glaube, der Geist Gottes verwirklicht sich in dem Streben, die Last des anderen zur eigenen zu machen. Diese Solidarität soll das Aushängeschild der christlichen Gemeinden sein und immer wieder ausstrahlen auf die Gesellschaft. Unbestreitbar: Die Kirchen sind diesem Anspruch oft genug nicht gerecht geworden. Dennoch ist die säkulare Welt auf die unaufgebbaren Werte, auf den Geist Gottes, auf das Gesetz Christi, dass einer des Anderen Last trägt, mehr denn je angewiesen. Hier kann jede und jeder einen, seinen, ihren Beitrag leisten.

Doch gilt es zu beachten: Das Solidarprinzip ist keine Einbahnstraße, sondern funktioniert nur wechselseitig. Niemand darf von der Aufgabe des Lasttragens ausgenommen werden - auch nicht der, der entlastet werden soll. Insofern beinhaltet Solidarität auch die Beteiligung dessen an den Lasten, dem geholfen werden soll. Und auch der, der meint, er könne sich aus der Solidargemeinschaft ausklinken (und das sind in unserer Wohlstandsgesellschaft nicht wenige), weil er auf nichts und niemanden angewiesen ist, muss in die soziale Verantwortung für die Gemeinschaft gerufen werden:

Wer sich ... einbildet, besser zu sein als andere, und es doch gar nicht ist, betrügt sich selbst.

Darum erinnert Paulus die Christen am Schluss seiner Ethik des Geistes an die Folgen ihres Tuns und ruft uns damit auf, dem Geist der Glaubwürdigkeit zu folgen.

4  Der Geist der Glaubwürdigkeit

Was der Mensch sät, wird er ernten. Wer auf den Boden der menschlichen Selbstsucht sät, wird von ihr den Tod ernten. Wer auf den Boden von Gottes Geist sät, wird von ihm unvergängliches Leben ernten.

Ja, das ist eine oft bittere, aber unumgängliche Erkenntnis:

Was der Mensch sät, wird er ernten.

Auch das, wodurch derzeit unsere Gesellschaft durchgerüttelt wird, basiert auf einer Saat: die Saat der individuellen und kollektiven Überheblichkeit: Fundamentalismus, Nationalismus, Kapitalismus. Nun erliegen wir Menschen immer wieder dem großen Missverständnis, dass Gott (oder wer auch immer) schon richten wird, was wir angerichtet haben. Dem aber ist nicht so:

Macht euch nichts vor! Gott lässt keinen Spott mit sich treiben.

schreibt Paulus. Es ist eben nicht gleichgültig, wie wir leben. Es ist nicht gleichgültig, wie wir miteinander, wie wir mit der Schöpfung umgehen, in welchem Geist wir leben, wie wir den Menschen, also jeden Menschen sehen: als biologisches Zufallsprodukt oder als ein Geschöpf Gottes, mit Recht und Würde gesegnet. Jeden Tag bekommen wir im Positiven wie im Negativen die Rechnung dafür präsentiert, was wir gestern getan oder unterlassen haben, ob wir gestern im Geist Gottes gelebt haben oder nur um uns selbst gekreist sind.

Natürlich gibt es keine Garantie, dass der guten Saat auch eine gute Ernte folgt. Natürlich haben auf Wachstum und Entwicklung Faktoren Einfluss, die außerhalb unseres jeweiligen Verantwortungsbereichs liegen. Dennoch sollten wir die Augen nicht davor verschließen, dass viele der Verwerfungen, die uns derzeit so beunruhigen, Ernte von falscher Saat sind. Es lässt sich eben nicht bestreiten, dass Klimaerwärmung, Hagelstürme, Fluten, Trockenheit Folgen unseres zerstörerischen Umgangs mit der Schöpfung sind. Es lässt sich nicht klein reden, dass die soziale Ungleichheit Folge mangelnder Lastenverteilung ist. Und: Kein Krieg ist eine Art Naturkatstrophe, sondern von Menschen gemacht und ermöglicht!

Nur wenn wir uns dem Zusammenhang von Saat und Ernte stellen, werden wir zu dem gelangen, was der Geist Gottes uns ermöglicht: Glaubwürdigkeit. Vor allem aber werden wir erkennen: Es lohnt sich gerade in Krisenzeiten, im Geist Gottes, im Geist der Freiheit, der Versöhnung, der Solidarität, der Glaubwürdigkeit zu leben. Es lohnt sich, sich jeden Tag neu dem Geist Gottes zu öffnen. Es lohnt sich, dem Aufruf des Apostel Paulus zu folgen:

Wir wollen nicht müde werden zu tun, was gut und recht ist … solange noch Zeit ist …

Das lasst uns beherzigen – an jedem neuen Tag, den Gott uns schenkt.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Christian Wolff, Pfarrer i.R.

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