Predigt über Gen 22, 1ff

  • 02.04.2017 , 5. Sonntag der Passionszeit - Judika
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Gen 22, 1ff am Sonntag Judica, St. Thomas zu Leipzig um 9.30 Uhr und 18 Uhr

Liebe Gemeinde,

in den florentiner Uffizzien lässt sich ein Bild des frühbarocken Malers Caravaggio finden. Der Titel dieses Bildes lautet „Die Opferung Isaaks“ und stammt aus dem Jahre 1603. Als ich mir das Bild in der vergangen Woche anschaute stachen mir zwei Dinge ins Auge. Erstens hält dort Abraham den schreienden Knaben mit seiner Hand fest auf den Altar gedrückt. Dabei schaut er den einschreitenden Engel ungläubig, ja fast vorwurfsvoll an. Die Zweite Beobachtung ist etwas, das sich im Detail sehen lässt. Das zum Schlachten erhobene Messer Abrahams trägt eine im Knauf geschnitzte Schlange. Demnach wäre Isaaks Opferung gleichsam Abrahams Versuchung und nicht die Bestätigung seines unerschütterlichen Glaubens. Bevor wir uns weiter mit diesen durchaus interessanten Beobachtungen an jener Geschichte beschäftigen, hören wir sie aus dem Buch der Genesis im 22. Kapitel.

Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich.

2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.

3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.

4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne.

5 Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.

6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander.

7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?

8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander.

9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz

10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.

11 Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.

12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.

13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.

Mord ist kein Gottesdienst, liebe Gemeinde.

Mit einem Gott, der das fordert, möchte ich nichts zu tun haben. Von solch einem Gott will ich auch nicht verkündigen. Doch schauen wir in Ruhe auf die Geschichte, die irrtümlicher Weise als Isaaks Opferung bezeichnet wird. Denn 1.) wird Isaak gar nicht geopfert und 2.) bedeutet das dafür stehende hebräische Wort „Bindung“. Freilich ist damit die Bindung des zum Opfer bereiteten Lammes gemeint, welches sich nicht wehrt und willig alles über sich ergehen lässt.

Solch ein Text zu Beginn der Hochpassionszeit, lässt schnell die Schlussfolgerung zu, dass es nur eines kleinen gedanklichen Schrittes bedarf, um vom Opfer Isaaks auf das Opfer Jesu Christi zu schließen. Macht das den Text besser?

Nein, liebe Gemeinde. Er bleibt schrecklich, weil er nicht von einer Vertrauensgeschichte erzählt, sondern vielmehr von einer Erschütterung. Abraham ist erschüttert in seinen Zweifeln, welchem Gott es zu trauen gilt. Dieses Motiv, zieht sich durch sein ganzes Leben. In gewisser Weise lässt sich darin eine Sympathie entdecken. Denn sind wir nicht alle Zweifelnde Gottsucher, die je nach Gegebenheit mal mehr oder weniger Vertrauen gegenüber Gott aufzubringen vermögen? Doch wie weit gehen wir in unseren Zweifeln? Und wie schnell stoßen die Versuchungen dabei an eine Grenze, die mörderisch wird?

1.) Vom Gott zum HERRN

In meinen Kinderbibeln wurde die Geschichte von Abraham und Isaak stets als eine Geschichte des Glaubensgehorsams erzählt. Was für ein Schwachsinn, liebe Gemeinde. Und bevor sich jetzt jemand aufregt, möge sich doch jeder ernsthaft fragen: Wäre ich bereit, einem Gott zu vertrauen, der mich dazu auffordert, das eigene Kind zu opfern? Ich hoffe und wünsche, dass niemand unter Ihnen, diese Frage mit „Ja“ zu beantworten versucht ist.

Die Begründung dafür liegt in einer kleinen, aber feinen Beobachtung im Text. Sie können diese im eigenen Nachlesen mitverfolgen. Abraham wird von Gott aufgefordert, sich mit seinem Sohn auf den Weg zu machen. Das hebräische Wort dafür heißt „Elohim“. Jenes bedeutet aber so viel wie Gott im Allgemeinen. Also auch alle anderen Götter werden als „Elohim“ bezeichnet. Nimmt man nun die ganze Abrahamsgeschichte zur Hand, dann lässt sich darin das Motiv des ständigen Zweifelns erkennen. Verwunderlich ist das nicht, weil Abraham sich lösen muss von den alten Gottheiten, um frei zu werden für den neuen, unsichtbaren Gott, dem es zu vertrauen gilt. Vertrauen heißt hier, ihm das Leben anzuvertrauen. So schwank er beständig zwischen Vertrauen und Zweifel.

Als Abraham zum Äußersten schreiten will, greift nicht der Engel Gottes ein, sondern der Engel des HERRN. Mit diesem Wort wird der eindeutige Gott gemeint, der Abraham auch zu Beginn seines Aufbruchs begegnet ist. Es handelt sich dabei, denken wir die Geschichte heilsgeschichtliche weiter, um den Vater Jesu Christi. Die von Luther mit HERR übersetzen vier Buchstaben des hebräischen Textes stehen immer für einen Gott, der das Leben will. Folglich ist sein Bote ein Bote des Lebens und nicht ein Bote des menschlichen Opfers.Gott muss demnach immer dann einschreiten, wo wir Menschen versucht sind, in blindem Glauben auch das zu opfern, was uns eigentlich lieb und teuer ist.

2.) Keine Mord in Gottes Namen

Wohin religiöser Eifer führt, welche todbringenden Auswirkungen er hat, davon haben wir in den vergangen Monaten mehr als genug erfahren. Religiös motivierter Terrorismus zieht sein blutiges Band quer durch die Welt. Auch unser Land wurde davon nicht verschont, wie der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin vor knapp vier Monaten gezeigt hat. Wer im Namen Gottes Menschen tötet, seien es die eigenen Kinder oder die Kinder anderer, steht nicht mit einem Bein im Paradies, sondern vielmehr in unendlicher Gottesferne. Das lehrt uns die Geschichte von Abraham uns Isaak. Unbenommen ist die Erfahrung, dass es im Leben eines gläubigen Menschen auch Opfer gibt, die es aufzubringen gilt, um dem Leben zu dienen, um es zu schützen. Aber niemals macht ein Opfer Sinn, dass ins Leere läuft, weil es einer angeblich höheren, religiösen Instanz dient. Die Stimme, die Abraham hört ist nicht die Stimme des Gottes, der das Leben schützt, sondern die Stimme des Abgottes, der ihn zurückholen will in seinen Machtbereich. Es gilt deshalb genau zu prüfen, welcher Stimme ich folge und wo ich mein Schweigen breche und deutlich nein sage. Abraham tut das nicht. Er kommuniziert nicht mehr mit Gott, wie noch in seiner Fürbitte für Sodom, wo er den HERRN bat, bei nur zehn Gerechten Gnade walten zu lassen.  

3.) Zeitgenössische Konkretion

Worin besteht heute das vermeintlich zu leistende Opfer? Welche Stimme dringt bei uns am lautesten vor? Ich sehe hier die Gefahr des eigenen Vorankommens als die größte Gefahr, die es vermag, den Glauben zutiefst zu erschüttern. So ist die Versuchung, eigene Kinder auf dem Altar der Karriere zu schlachten für viele eine reale Versuchung, wenn der Gott des Erfolges sich Gehör verschafft und seine Stimme am stärksten vernehmbar ist. Wo Isaak in unserer Geschichte fragt, „Vater, wir haben alles für ein Opfer, nur nicht das Opfertier“, da fragen heute Kinder ihre Väter „Papa, wann hast Du wieder Zeit für mich?“ Der eine erkennt nicht, dass er es selbst ist, der geopfert werden soll, weil Abraham der Stimme des falschen Gottes bis in letzte Konsequenz zu folgen droht. Und die Anderen ahnen höchstens, dass die Beantwortung ihrer Frage zur Enttäuschung führen muss, wenn der Vater sagt „Später habe ich Zeit für Dich“ was so viel heißt wie „eigentlich nie“. Die innige und vertraute Beziehung zwischen Vater und Sohn wird so unweigerlich kaputt gehen, wenn nicht jemand einschreitet. Einschreitend tritt der Engel des Lebens in die Szene, weil er als Bote eines Gottes, der lebendige Beziehungen möchte, dient. Besinne dich auf deine Familie – so kann das Einschreiten des Engels auch gedeutet werde. Da, wo du blind und ohne nachzufragen folgst, im vermeintlichen Gehorsam gegenüber einer höheren Macht, wird das Ende bitter sein.

Keiner von uns hier heute Morgen wird wohl seine Hand ins Feuer dafür legen wollen, dass ihm die Anfechtungen bzw. Versuchungen Abrahams, welcher Stimme er folgen soll, fremd sind. Natürlich führen wir den Kampf, manchmal sogar täglich, ob ich dem Gott des Lebens mehr zutraue als den Stimmen, die mir einzureden versuchen, blind und unreflektiert zu folgen, weil es jetzt sein muss.

4.) Was ist eigentlich mit Sarah?

Als Sarah von der Ungeheuerlichkeit dieser Geschichte hört, stirbt sie. So erzählen es einige jüdische Ausleger. Im Buch der Genesis finden wir nichts von Sarah. Kein Fragen, keine Diskussion mit Abraham. Ihr Tod schließt sich dieser Geschichte an. Das kann meines Erachtens so gedeutet werden, dass Sarah, als sie von der Ungeheuerlichkeit dessen hört, was Abraham vorhatte, keine Kraft mehr besaß, um weiterleben zu können. Damit ist auch die Beziehung beider beendet. Wer einen Partner hat, der bereit ist, das eigene Kind einem Gott zu opfern, vor dem muss ich erschrecken. Mit solchem Partner lässt sich kein weiteres Zusammenleben gestalten.  

Liebe Gemeinde, in der langen Auslegungstradition biblischen Geschichten, neigen wir gelegentlich zur Verniedlichung selbiger. Da lohnt es, sich die Dinge richtig vor Augen zu malen. Welche Frau würde keine Szene machen, in Bestürzung ausbrechen wenn nicht sogar in Wut, würde ihr von ihrem Partner eröffnete, das selbiger jetzt losziehen wird, um das gemeinsame Kind aufzugeben?

5.) Von Isaak zu Jesus?

Abraham konnte Jesus nicht kennen, so viel steht fest. Als Christen, die alttestamentliche Texte immer auch durch die Brille christologischer Verheißungen bzw. Verknüpfungen sehen, entdecken wir hier die Linie des abgelehnten menschlichen Opfers hin zu einem letzten notwendigen Opfer, um ein für alle Mal das Thema „Opfer“ in Bezug auf unsere Erlösung zu erledigen. Unser Gott, der Vater Jesu, Christi, will keine Opfer mehr, weil mit dem Kreuzestod Jesu alles, was uns von ihm trennt, heilend verbunden ist. Das Ereignis von Karfreitag ist das einzige und damit besondere Opfer eines Menschen, um Gott dem HERRN gegenüber gehorsam zu sein. Im Abendmahl erinnern wir uns daran, dass Jesus Christus durch seinen Tod und durch seine Auferstehung eine neue Gemeinschaft gestiftet hat, die nicht von Opfern, sondern von Liebe zueinander geprägt ist.

Was passiert, wenn Liebe erkaltet, dafür liefert uns der heutige Abschnitt aus der Abrahamsgeschichte ein schreckliches Beispiel. Erkaltete Liebe zu denen, an die ich gewiesen bin, führt zu einem fanatischen Gottesglauben, der auch vor menschlichen Opfern nicht zurückschreckt.

Solchem Glauben gilt es Einhalt zu gebieten, notfalls auch im Wiederspruch zu Gott. Wer schweigend duldet wie Abraham, wird schuldig werden am zerstörten Menschenleben. Deshalb ist es wichtig, immer und überall die Stimme zu erheben, wo im blinden Gehorsam gegenüber Gott, gemordet werden soll – ganz gleich in welcher Religion. Amen.  

Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Verstehen, bewahre Eure Herzen uns Sinne in Jesus Christus. Amen.