Predigt über Gen 3

  • 05.03.2017 , 1. Sonntag der Passionszeit - Invokavit
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Genesis 3 am Sonntag Invokavit, 5.3.2017, St. Thomas zu Leipzig um 9.30 Uhr

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
muss eine Predigt über alttestamentliche Texte stets den Bezug zu Jesus Christus haben? Diese Frage wird wohl sehr unterschiedlich beantwortet werden. Heute Morgen beantworte ich sie mit „Nein“ und nehme den Predigttext als alttestamentlichen Text ernst, versuche ihn anthropologisch zu lesen und vielleicht auch zu verstehen.

Er ist in Luthers Übersetzungen überschrieben mit „Der Sündenfall“ und damit beginnen auch schon die Probleme. Denn weder von „Sünde“ ist in der Geschichte die Rede noch von einem „Fall“. Besser spräche man hier von einem „Autonomiefall“ oder vielleicht von der „Autonomiefalle“? Wir werden sehen. Die Erzählung jedenfalls schließt sich an die Erschaffung der Menschen an, wobei es wichtig ist zu betonen, wie hier erzählt wird. Das hebräische Wort „zela“ wird gewöhnlich mit „Rippe“ übersetzt, sodass die Frau aus den (man hat hier gerne überflüssig ergänzt) Rippen geschaffen wurde. „Zela“ hat aber auch die Bedeutung von „Seite“. Wenn nun im ersten Schöpfungsbericht von der Gleichzeitigkeit der Schaffung von Mann und Frau sowie von der Ebenbildlichkeit die Rede ist, dann liegt es mehr als nah, hier die Übersetzung „Seite“ zu wählen. Gott nahm dann von einer seiner Seiten des Menschen und schuf daraus die Frau. Bis zu dieser Stelle ist im Schöpfungsbericht stets von „Mensch“ die Rede und nicht vom Mann. Erst hier wird der Mensch geteilt in einen weiblichen Teil und einen männlichen Teil oder um es etwas einfach auszudrücken: Gott nahm von der einen Seite des Menschen und machte daraus die Frau und was übrig blieb, wurde zum Mann. Nun schreibe ich keinen Gastbeitrag für die Zeitschrift „Emma“, aber der alttestamentliche Text lässt hier auch in der Lutherübersetzung kaum eine andere Wahl der Interpretation.

Wenn nun also im späteren Verlauf der Geschichte, wie wir nachher hören werden, die Frau Sehnsucht nach dem Mann hat, so drückt sich darin die Folge des Schöpfungsgeschehens aus. Denn beide sind aneinander gewiesen, aus demselben Material geschaffen und vollenden sich erst gemeinsam. Doch kommen wir nun zum

1.) „Autonomiefall“ bzw. zur Geschichte der wahren Menschwerdung

1 Aber die Schlange war klüger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?

2 Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten;

3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!

4 Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben,

5 sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

6 Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß.

7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.

Wieviel Wahrheit verträgt der Mensch? Wovon lässt er sich locken? Ursprünglich ist für ihn gesorgt in einem paradiesischen Schutzraum. Dort kann er auf Entdeckungsreise gehen, alles erkunden und bewahren mit ganzer Kraft, halbwissend und kindlich naiv. Da für ihn gesorgt ist, bedarf es nicht der Erkenntnis der großen Zusammenhänge.

In der biblischen Tradition, liebe Gemeinde, spielt die Weisheit eine große Rolle. Sie ergründet die Tiefe des menschlichen Seins und auch die des menschlichen Leidens. Unsere Geschichte erzählt, wie der Mensch von der Weisheit versucht wird.

Denn die Schlange steht bildlich für die Weisheit und nicht für das Böse und schon gar nicht für die Sünde. Der hebräische „Nachasch“ war nicht listiger und verschlagener als alle anderen Tiere, sondern war klüger, ja der klügste von allen Tieren, die, man merke auf, „Gott geschaffen hatte“.  Mit dem Streben nach Weisheit sowie nach Erkenntnis erlangt der Mensch das Bewusstsein dessen, was gut oder böse bzw. schlecht ist. Wenn ich es mir genau betrachte, ist der Rauswurf aus dem Paradies im eigentlichen Sinne ein Quantensprung der Menschheitsgeschichte.

Heinrich Heine fasst in seinen Geständnissen dies in folgende Worte:

"Dieser Blaustrumpf ohne Füße", zeigt sehr scharfsinnig, wie das Absolute in der Identität von Sein und Wissen besteht, wie der Mensch zum Gotte werde durch die Erkenntnis oder, was dasselbe ist, wie Gott im Menschen zum Bewußtsein seiner selbst gelange“.

Mit der Übertretung des Gebotes von Gott gehen den Menschen Unschuld und Unbefangenheit verloren. Sie waren sich ihrer Nacktheit nicht bewusst. Und so wird das, was vorher richtig war, plötzlich falsch. Aber dass die Menschen genau dies jetzt wissen und gemerkt haben, darin liegt etwas ungeheuer Positives. Die Lust nach Erkenntnis ist beides: der Ursprung der Gottesferne sowie der Ursprung für verantwortete Autonomie. Und die Weisheit, die den Menschen leiten, ihn zu ungeahntem Dasein führen soll, bekommt hier eine zwiespältige Rolle. Denn zunächst führt sie den Menschen in das scheinbare Nichts, in die Gefahr. Doch schauen wir weiter auf die Geschichte:

8 Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des HERRN unter den Bäumen im Garten.

9 Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?

10 Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.

11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?

2.)     Und ihr sollt sein ein Gespräch!

Am Ende der Erzählung von der Erschaffung von Mann und Frau wird von deren Bestimmung berichtet. Gott weist die beiden aneinander und sagt ihnen: „Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hangen und sie werden sein ein …. Ja, was werden sie sein? „Fleisch“ so kennen wir es. Das hebräische Wort im Urtext, der ohne die Vokalpunkte aufgeschrieben ist, lässt eine andere Interpretation zu. Die drei Buchstaben lassen sich nämlich auch mit „Botschaft“, das heißt: eine Art „Gespräch“ übersetzen. Sie werden also sein „ein Gespräch“. Das ist demnach das bestimmende Moment der Partnerschaft. Neben allem Schönen und Erfüllendem, welches Sexualität bietet, ist doch entscheidend, ob die Partner miteinander noch im Gespräch sind.

Partnerschaften gehen nicht daran kaputt, wenn es im Bett einmal nicht funktioniert, sondern sie gehen grundlegend kaputt, wenn nicht mehr miteinander geredet wird. Unser Text ist ein Beispiel dafür. Adam und Eva verlieren durch ihr Streben nach Erkenntnis und Autonomie das Anrecht, im Paradies zu sein. Wer autonom sein möchte, für den hat sich der Schutzraum erledigt.

Und mit der nun über sie hereinbrechenden Krise kriselt es auch zwischen den Partnern in unserer Geschichte. Als Gott Adam nämlich zur Rede stellt, warum er sich denn versteckt, schiebt er alle Schuld von sich und verweist auf die Frau, welche wiederum die Schuld von sich weist und die Misere der Schlange zuschiebt.

Anstatt dass beide Partner zusammenstehen, in ihrer Schuld, Verantwortung übernehmen und die Krise dadurch gemeinsam überwinden, ergehen sie sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen. Das zerstört jede Partnerschaft. Grundlegendes Vertrauen zu Gott ist ebenso zerstört. Zerstört deshalb, weil beide nicht mehr miteinander geredet haben. Verlockend ist die Weisheit, die Erkenntnis, selbst dann, wenn ihr Preis der Tod ist. So verlockend, dass das Angebot nicht mehr hinterfragt wird. Die beiden Partner Adam und Eva reden nicht über das Angebot der Schlange. Darin liegt der Grund für ihr Fehlverhalten. Adam und Eva nehmen das Angebot einfach an. So widersprechen sie damit ihrer Bestimmung. Diese lautet: sie sollen als aneinander gewiesene Partner in einem Gespräch miteinander sein.

3.) Von der Schlange zum Teufel

Wenden wir noch einmal unseren Blick auf den Nachasch hin – die Schlange. Wie gesagt, er begegnet uns zunächst als klügstes Tier, als Weisheit und nicht als das „Böse“. Dem Menschen ist es somit nicht möglich, seine Taten auf etwas Außenstehendes zu schieben.

Die Verantwortung liegt und bleibt ganz allein bei ihm. Das einfache, beliebte Muster „ich konnte nichts dafür, weil das Böse stärker war“ funktioniert hier nicht, wenn ich den biblischen Text ernst nehme. Leider, liebe Gemeinde, war solcherlei Erkenntnis nicht von langer Dauer. Schon frühzeitig wurde die sogenannte Sündenfallgeschichte sexualisiert. Als verführerische Eva macht sie sich den treuen Adam gefügig und zwingt ihm ihren Willen auf. Jener lässt ungefragt alles mit sich geschehen und will hinterher keine Verantwortung übernehmen. In der Kunstgeschichte wurde die Schlange natürlich meistens weiblich dargestellt und meist auch mit rötlichen Haaren. Der Schritt zur Hexe war dann nicht mehr groß. Frau = Verführerin = Hexe = das Böse – so ließ sich Jahrhunderte lang die Macht von Männern festigen. In den letzten zweitausend Jahren wurden Frauen vorrangig durch kirchliche Institutionen unterdrückt. Das haben wir, Gott sei Dank, überwunden.

Einer der Ersten, der die sexualisierte Interpretation des Sündenfalls wahrscheinlich auch am nachdrücklichsten ad absurdum geführt hat, war der geniale Maler Michelangelo. Schauen wir auf seinen Bildausschnitt.

Michelangelo wagt es, Mann und Frau in einer sehr intimen Beziehung darzustellen. Wobei diese beiden gerade gestört werden, dafür braucht es nun wenig Phantasie. Körper und Körperbewegung sind hier sehr eindeutig. Leider ist das Bild ein Ausschnitt des Deckengemäldes in der Sixtinischen Kapelle zu Rom, so dass dem Betrachter nicht alle Details sofort ins Auge fallen. Die Schlange hat auch hier eindeutig weibliche Züge und rötliche Haare. Eine andere Frau stört die paradiesische Zweisamkeit der beiden. Was dann folgt, ist nicht paradiesisch. Im Gesicht der Eva wird es deutlich –sie ist älter geworden, ja geradezu verhärmt.

Michelangelo lässt dann auch etwas Entscheidendes weg. Mann und Frau sind schutzlos in die Welt geworfen – kein Feigenblatt, kein Lendenschurz. Sie sind für alles allein verantwortlich. Zwar wird mit dieser Darstellung nicht ganz korrekt der biblische Text wiedergegeben, seiner Grundintention aber wird sie gerecht.

Der Maler macht deutlich: Das Leben, in welches die Menschen geboren werden, besteht nicht allein aus Lust und Vergnügungen, sondern ist durchaus hart, oft auch verbunden mit wenig Freude und Schmerzen. Ein Leben allein in Lust und Vergnügung, so wie es Renaissancepäpste, Kardinäle und weitere Teile des Klerus geführt haben, ist nicht die schöpfungsmäßige Bestimmung des Menschen. Michelangelo wagt es, dies den Auftraggebern vor Augen zu führen. Das Leben besteht nicht nur aus paradiesischem Sex, sondern in weiten Teilen aus harter Arbeit – Eva scheint das hier im Bild besonders zu bedauern.

4.) Das Zerstörte Paradies

Hält der Mensch das Paradies nicht aus, liebe Gemeinde, taugt es nicht einmal für die Urlaubszeit, wenn man Statistiken Glauben schenken will, die davon berichten, dass sich genau da Paare am häufigsten streiten? Das Paradies ist allenfalls Sehnsuchtsort, aber niemals Realität, weil wir Menschen es nicht auszuhalten vermögen. Wo es paradiesisch wird, fangen wir an, alles kaputt zu machen.

Der erste Mann und seine Partnerin, die erste Frau, halten das Paradies nicht aus. Indem sie es sich zerstören, belasten sie dadurch nicht nur ihre Gemeinschaft, sondern auch die Gemeinschaft mit Gott.

Das die Beziehung zu Gott bestimmende Vertrauen wird gebrochen. Die Lust nach Erkenntnis ist größer als die unbekümmerte Geborgenheit des Paradieses. Gott zieht beide, Mann und Frau, zur Rechenschaft, als sie der Lust nach Weisheit und Erkenntnis erlagen. „Mensch wo bist Du?“ heißt die Frage, die sich wiederum vielfältig übersetzen lässt, da es keine festgelegte Zeitform gibt. Es könnte also auch heißen: „Mensch, wo warst Du?“ oder weiter gedacht: „Mensch, wo wirst Du sein?“

Wer für seine Freiheit keine Verantwortung übernehmen will, wird gefragt werden, wo er war als sich Demokratien zu Diktaturen wandelten oder Flüchtlinge im Meer umkamen.

Wer Neuerungen nicht kritisch hinterfragt, setzt das eigene Lebensumfeld aufs Spiel, wie die Atomkatastrophen uns schrecklich vor Augen führten. Und all jenen, die meinen mit Verboten, Erkenntnis aufhalten zu können, ist die Geschichte ein Lehrstück für das Scheitern solcher Verbote. Menschlicher Wissens- und Erkenntnisdurst wird sich niemals aufhalten lassen. Von daher ist die Verantwortung umso wichtiger, die damit zwingend korrespondieren muss. An ihrer Stelle darf es keine Kompromisse geben. Das macht Gott mit dem nun folgenden harten Realismus deutlich. Gott straft nicht, sondern erzählt die ganze Wahrheit, schonungslos. Das unterscheidet ihn vom Nachasch, der hier schweigt.

Zum Schluss

Die Frucht der Erkenntnis ist die Freiheit.

So könnte ein Fazit unserer Geschichte lauten. Dabei ist die Schlange nicht das Böse schlechthin, sondern sie lässt den Menschen teilhaben am Wissen und verführt ihn zur Erkenntnis. Das aber wiederum bedeutet: Ich als Mensch bin nun wirklich selbst verantwortlich für das Tun auf der Erde und kann das, was schief geht nicht anderen oder Gott in die Schuhe schieben.

Und Gott? Auch ihn verführt der Nachasch. Er verführt ihn zur Entdeckung der Gnade. Darin zeigt sich letztlich Gottes Allmacht. Amen.

 Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unser Verstehen, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.