Predigt über Genesis 11,1-9

  • 23.05.2021 , Pfingstsonntag
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Manchmal, liebe Gemeinde, macht der Heilige Geist Urlaub. Dauert dieser zu lange, hat das heftige Auswirkungen. Denn dann nehmen Ungeister seinen Platz ein und sorgen für Verwirrung.

Universitätskliniken in England ändern gerade ihren Sprachgebrauch.

Auf das Wort „Muttermilch“ soll künftig möglichst verzichtet werden, um stattdessen „Milch des stillenden Elternteils“ zu sagen. „Menschenmilch“ wäre auch möglich. Statt „Mutter“ wird der Begriff „Geburtselternteil“ verwendet und aus „Vater“ wird „Co-Elternteil“.

Es wird wohl nicht lange dauern, bis auch bei uns zumindest die Diskussion über diese sprachlichen Verirrungen Einzug hält.

Wir brauchen keine genderneutrale Sprache, die alles unkenntlich macht und die jegliche Ästhetik verliert. Wir brauchen Sprachvielfalt und noch viel mehr brauchen wir ein tiefes Verständnis für den Menschen als Geschöpf Gottes an sich.

Ganz gleich welche biologischen Merkmale er trägt, er ist ein von Gott mit Würde bedachtes Geschöpf, das unseren Respekt, unsere Achtung und gelegentlich auch unsere Fürsorge verdient. In der individuellen Begegnung, im jeweiligen Gegenüber, Gottes Liebe zu erkennen, dazu sind wir berufen. Nicht aber, Gott zu spielen, indem wir alle biologischen Merkmale sprachlich nivellieren und somit eine übergroße Mehrheit der Menschheit schlichtweg diskriminieren.

Ich bin kein Co-Elternteil. Ich bin ein Vater und will es auch sprachlich bleiben. Das, was unter dem Deckmantel der Vielfalt versucht wird, zu installieren, ist aber letzten Endes nichts anderes als eine Einheitsideologie. Aus geschichtlichen Erfahrungen heraus kann vor Einheitsideologien nur gewarnt werden. Wir brauchen sie nicht. Wir brauchen Vielfalt und in ihr den Schutz unserer wunderschönen Sprache.

Zum heutigen Pfingstfest sind uns Sprachtexte mit auf den Weg gegeben. Wir hörten als erste Lesung das Pfingstwunder aus der Apostelgeschichte und als Predigttext haben wir den scheinbaren Gegenpol aus dem Buch Genesis. Ich lese uns aus dem 11. Kapitel die Verse 1-9:

Der Turmbau zu Babel

1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. 2 Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. 3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4 und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.

5 Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. 6 Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! 8 So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.“

Die Dinge liegen klar auf der Hand, liebe Gemeinde. Alttestamentliche, menschliche Hybris erfährt ihre Begrenzung durch Gottes Eingreifen. Zerstreute Menschen mit zerstreuter Sprache finden dann im Neuen Testament unter dem Geist Gottes wieder zur Einheit.

So könnte man die Texte lesen. Verstehen würde man sie aber nicht. Denn beide Texte erzählen von einer im positiven Sinne, gottgewollten Vielfalt.

Schauen wir zuerst auf die Turmbaugeschichte. Sie ist eine Angstgeschichte. Die Menschheit hat Angst vor Zerstreuung. Denn eingebettet ist die Turmbaugeschichte in die große Erzählung vom Ursprung. Folgt man deren Logik, so erleben wir hier aber einen Schritt zurück. Denn mit der Erzählung von Noah und seiner Arche im 9. Kapitel und der dann folgenden neuen Besiedlung ist eigentlich ein Abschluss erreicht. Die sogenannte Völkertafel beschreibt im 10. Kapitel des 1. Buches Mose wie sich die Menschheit nach dem sintflutlichen Neustart unter dem Regenbogen Gottes ausgebreitet hat.

Und genau davor hatte sie Angst. Angst, zerstreut zu werden. Von Aufbruchsstimmung ist keine Spur zu finden. Ganz im Gegenteil. Groß war das Bedürfnis, beieinander zu bleiben und möglichst an einem Ort sicher zu wohnen.

Die Angst wird zum Antrieb für den Bau des Turmes. Dabei verwenden die Menschen gebrannte Ziegel statt Steine und Pech statt Mörtel. So wurden im Großreich Babylon die Tempeltürme gebaut. Ein interessantes Detail lässt sich hier entdecken, liebe Gemeinde. Das Volk Israel musste in Ägypten Ziegel streichen und brennen, um den Bauboom damals zu ermöglichen. Auch Ägypten war ein Großreich.

Großreiche können einerseits zum Frieden führen, weil sie Stabilität garantieren. Andererseits führen sie immer auch zur Einheitskultur und Einheitssprache.

Die frühe Menschheit ballte sich also zum Großreich zusammen, um einheitlich in Kultur und Sprache zu leben. Entspricht das dem Schöpfungsauftrag aus? Wohl eher nicht. Denn die Schöpfungserzählungen betonen gerade die Vielfalt der Möglichkeiten. Und die Völkertafel, eingebettet zwischen Sintflut- und Turmbaugeschichte zeigt doch eher, dass Gottes Plan auch das Ausbreiten der Menschen in unterschiedliche Richtungen mit unterschiedlichen Akzenten vorsieht. Die Menschen sollen nach Gottes Plan anders sein als sie es selbst sein wollen – nicht Einheit und Einheitsbrei, sondern Vielfalt in Sprache und Kultur. Darin steckt die Freiheit Gottes, die er uns zutraut und hier einfordert.

Menschliches Streben nach Größe und Bewunderung ist tief in unserer DNA eingewurzelt. Der Grund dafür ist aber nicht „wie Gott sein zu wollen“, sondern schlichtweg Angst und Unsicherheit.

Gott lockt nun, und dafür ist die Völkertafel aus dem 10. Kapitel wieder ein deutlicher Beweis, zur Vielfalt. Sie zeigt sich gerade in kleineren Völkern. Denn die beiden Großmächte Babylon und Ägypten fehlen hier in der Aufzählung.

Ist das nicht ein wunderbarer pfingstlicher Text, liebe Gemeinde?

Ja, er ist es. Denn in diesem Lichte betrachtet ist der Geist Gottes nicht ein Einheitsgeist, der für Einheit sorgt, sondern die sich im Reifeprozess befindenden Menschheit zur Entfaltung lockt.

Schaut her, sagt Gott, vor unterschiedlicher Sprache braucht ihr keine Angst zu haben.

Denn mein Geist befähigt euch zur Kommunikation untereinander, wenn ihr euch auf die Sprache eures Gegenübers einlasst.

Werfen wir nun einen kurzen Blick auf die Pfingstgeschichte unter dem Licht der Genesiserzählungen. Der Verfasser betont die Anzahl der Völker. Sie werden explizit aufgerufen. Das Christentum ist also in eine Welt der unterschiedlichen Sprachen und Kulturen gerufen, um dort begeistert von Gottes Geist der Vielfalt, wirksam zu werden. Sein Schöpfungswille zeigt sich genau dadurch, dass wir diese Vielfalt wahrnehmen und akzeptieren als eine Herausforderung für unser Zusammenleben. Die Jüngerinnen und Jünger sprechen ja gerade nicht in einer Sprache mit den aus unterschiedlichen Völkern kommenden Menschen, sondern sie sprechen in deren Sprache vom einenden Geist Gottes als Kraft der Liebe und Versöhnung.

Dazu zu tun – davor hatten sie wochenlang Angst und verkrochen sich in den Gemächern und Kellern ihrer Häuser.

Doch damit ist jetzt Schluss.

Pfingsten lockt, liebe Gemeinde.

Pfingsten lockt zum Aufbruch in die Vielfalt. Das heutige Fest ruft uns das wieder in Erinnerung. Wir haben ihn nötig. Besonders nötig ist der Aufbruch dort,

-wo vermeintlich einfache Lösungen und Populismus für ein großes Echo sorgen.

-wo die Sehnsüchte nach einer Großmacht und einheitlicher Kultur in den Himmel wachsen

-wo Vielfalt als Bedrohung wahrgenommen wird und Verschwörungsmythen entstehen

-wo die Wohlfühlzone der eigenen Frömmigkeit sich auftürmt.

Die von uns zu bewältigenden Probleme brauchen auf allen Ebenen Vielfalt an Möglichkeiten und begeisterte Kreativität.

So können Ideen entspringen, um Probleme zu lösen, anstatt sie permanent zu verwalten.

Ganz gleich ob es sich dabei um kirchliche oder staatliche Ebene, ob es sich um Schule oder Gesellschaft handelt:

Die Angst vor Vielfalt darf nicht zu Ziegelsteinen werden, mit denen wir unsere babylonischen Türme aufrichten wollen.

 

Gottes Geist lässt sich nicht einengen.

Gottes Geist ist zeitlos und überrascht uns mit ihren Möglichkeiten in uns.

Gottes Geist lockt zu Freiheit und Vielfalt. Amen.