Predigt über Genesis 32,23-33

  • 16.04.2023 , 1. Sonntag nach Ostern - Quasimodogeniti
  • Superintendent Sebastian Feydt

Predigt am 16. April 2023, St. Thomas – Gen 32,23-33

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. In der Stille bitten wir Gott um seinen Segen für sein Wort und unser Hören und Verstehen.

 

Liebe Gemeinde am Sonntag nach Ostern!

Wo gehöre ich hin? Und wo kann ich bleiben?

Wo werden wir auch in Zukunft leben können?

Es gibt  niemand, der oder die von diesen Fragen nicht bewegt ist im Leben.

Letztlich können wir alle nicht leben, ohne zu wissen, wo wir hingehören, ohne Heimat, ohne ein zu Hause auf dieser Welt.

Und jedes Zuhause ist immer mehr als eine Ansammlung von Steinen oder Beton.

Zuhause bin ich da, wo ich geborgen bin und bleibe, wo ich ein Dach über dem Kopf habe – und nicht nur über den Kopf, sondern auch über meiner Seele.

 

Jakob, die große biblische Figur, der uns mit seiner Lebensgeschichte heute bewegt, Jakob ist ohne ein zu Hause. Ohne Obdach.

Jakob ist heimatlos.

Vielleicht erinnern Sie sich:

Jakob, der trickreiche, hinterhältige jüngere von zwei Brüdern will den Segen, der nur dem  Erstgeborenen, dem ältesten Bruder zusteht, für sich haben. Angestiftet ausgerechnet von seiner  Mutter gibt er sich als ein anderer aus als er ist, verleugnet sich und seine Identität, und erschleicht sich erfolgreich den Segen des Vaters.

 

Oder gerade nicht? Denn alles, was Segen ausmacht: Geborgenheit, Frieden, es als Gemeinschaft gut zu haben, verheißenes Leben – all das hat Jakob verloren.

Der erschlichene Segen treibt ihn in die Flucht.

Jakob flieht vor sich sich selbst und auch vor Gott, den er nicht schauen mag...

 

Wer bin ich? Wo gehöre ich hin?

Wo kann ich bleiben mit solch einer Lebensgeschichte? - Pause

Wo können wir bleiben und leben, angesichts der von uns verantworteten jüngsten Geschichte der Menschheit?

Grundfragen unseres Daseins sind das.

Das erste Buch der Bibel erzählt, dass, als Jakob buchstäblich auf der Straße liegt, nicht mehr weiter weiß, Gott sich ihm stellt, vor Augen stellt. Gott offenbart sich ihm im Traum:

Durch dich und deine Nachkommen werden alle Geschlechter auf Erden Segen erlangen.

Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du gehst. Ich bringe dich zurück in dieses Land.

Denn ich verlasse dich nicht.

 

Sein großes Täuschungsmanöver  hatte Jakob einst seine Identität gekostet und ihn in die Flucht getrieben.

Aber Gott lässt Jakob nicht fallen.

Das ist das Erstaunliche.

Dieser Jakob ist und bleibt trotz allem gesegnet.

 

Und worin äußert sich dieser Segen?

Zeigt sich der Segen darin, dass dieser Mann trotz seiner Lebenslüge, trotzdem er Menschen so betrogen und getäuscht hatte, einen Weg aufgezeigt bekommt zu finden, wo er bleiben kann, zu sich zu finden, zu Gott zu finden?!

Zeigt sich gesegnet sein und bleiben in einem neuen Weg, der sich auftut in ein gesegnetes Leben?!

 

Ein langer Weg ist das.

Mühsam ist er. Verbunden mit vielen Umwegen. Er kostet Zeit und er kostet Kraft.

Wir erleben es derzeit alle tagein, tagaus.

Heftige Auseinandersetzungen prägen die Welt um uns herum, das Ringen um den richtigen Weg, die tragenden Antworten findet unmittelbar vor unseren Augen statt.

Mit einem erschlichenen Segen musste Jakob fliehen. Mit Gottes Segen drängt es ihn nun zurück in das Land der Väter.

Aber das geht nicht ohne Auseinandersetzung, nicht ohne Kampf.

Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen, und die beiden Mägde und seine 11 Söhne und  und zog durch die Furt des Jabbok.

Er nahm sie und führte sie über das Wasser,

so dass hinüber kam, was er hatte,

und blieb allein zurück.

 

Da rang ein Mann mit ihm bis die Morgenröte anbrach. Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt.

 

Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an.

Aber Jakob antwortete:

Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!

Er sprach. Wie heißt du?

Er antwortete: Jakob.

Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen.

Und Jakob fragte ihn und sprach:

Sage doch wie heißt du?

Er aber sprach: Warum fragst du wie ich heiße? Und er segnet ihn daselbst.

Und Jakob nannte die Pnuel; denn, sprach er, habe ich Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.

Und als er an Pnuel vorüber kam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte  an seiner Hüfte.

 

Liebe Gemeinde,

in vielfacher Hinsicht spricht die alte biblische Erzählung, an der so viele mitgeschrieben und mit gestaltet haben, von Grenzerfahrung.

Jakob, der als Person mit seiner Lebensgeschichte stellvertretend für die Geschichte des Gottesvolkes Israel steht,

dieser Jakob ist scheinbar auf dem Weg zurück in die Heimat.

Viel mehr noch aber ist er auf der Suche nach dem Ort, wo er bleiben kann, wo er leben kann, wo es eine gesegnete Zukunft gibt…  

Das ist immer mitzudenken, wenn wir diesen Mann Jakob vor uns haben: Dass er uns mit seiner Geschichte in die Geschichte Gottes mit seinem Volk und die der Menschen mit Gott hinein erzählt.

Und das sind immer Erfahrungen im Grenzbereich.

Zwischen den beiden Ufern eines Flusses...

Zwischen Kampf und Segen,

zwischen Menschen und Gott.

Zwischen Schuld und neuer Lebenschance. Zwischen Nacht und beginnendem Tag…

 

Grenzerfahrungen sind Momente, an denen es um alles geht. Um Leben und Tod.

Um den Blick in den Abgrund oder die neue Perspektive, die Brücke in ein Leben, das auch noch morgen und in Zukunft besteht… 

Grenzerfahrungen sind Momente, in denen es nicht mehr so weiter geht, wie bisher und sich  doch sich ein Ausweg eröffnet.

Ob ich allein bin, oder nicht...

 

Liebe Gemeinde, an einer solchen Stelle ist Jakob angekommen. Alles was er hat, seine Großfamilie, seine zahlreichen Nachkommen sind schon auf der anderen Seite. Auf dem Weg in das verheißene Land.

Er bleibt allein in seinem Ringen zurück.

Und bekommt es mit Gott zu tun.

Ohne, dass er das sofort erkennt.

Er ringt mit sich, mit seinem Leben.

Da einen Ausweg zu finden, geht nicht ohne  Auseinandersetzungen.

Zu finden, wo mein Platz ist, zu sehen, wo ich hingehöre, zu erkennen, wo ich – zusammen mit anderen – gut sein kann, wie wir Menschen es gemeinsam gut haben können – das lässt sich nicht nebenbei finden, darum will gerungen werden und es geht auch nicht ohne Verwundungen, nicht ohne Schmerz ab.

Will ich erreichen, was Segen ausmacht, Geborgenheit, Frieden, gelingendes Gemeinwohl – dann will das errungen sein.

Der Segen will gleichsam errungen werden.

Segen ist dann eine Errungenschaft aus dem Moment der bewusst gewählten und ausgehaltenen Grenzerfahrung.

Aus einer solchen Situation komme ich nicht so heraus, wie ich hinein gegangen bin.

Da komme ich nur gezeichnet heraus.

Jakob, der den Segen des Vaters forsch forderte, dieser Jakob muss sich den Segen in der Auseinandersetzung, in dem Ringen mit Gott schenken lassen. Und wird dabei ver-rückt.

Wie verrückt, wie verrenkt ist das!

Angeschlagen ist er ausgezeichnet. Aus dem bisherigen Schritt gebracht wird er gesegnet.

Dass es Gott ist, der ihm begegnet, mit dem er letztlich da ringt, erfährt Jakob erst in diesem Moment. Gottesbegegnung auf der Grenze.

Als sich Gott zu entziehen scheint.

Als sich Gott nicht greifen lässt…

Da heißt es: Und er segnet ihn daselbst.

Niemand vermag sich selbst zu segnen.

Segen kann ich mir nicht selbst verschaffen,

Segen ist ein von Gott geschenkt.

Der Segen, den Gott Jakob schenkt, unterscheidet sich denn auch ganz auffällig von dem erschlichenen Segen. Dort hieß es:

Dienen sollen wir die Völker, Stämme sich vor dir niederwerfen...

Gottes Segens-Wort lautet:

Durch dich und deine Nachkommen werden alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.

 

Das Kampf um den Segen als Privatbesitz, als etwas, das ich exklusiv für mich beanspruchen kann, nur mir zustehen würde, hat ein Ende.

Segen wird allen zuteil.

Jakob, der jetzt Israel heißt, ist ein wahrer Segen für die Welt und für alle Menschen.

Das ist das eigentliche Ziel, das ist die biblische Verheißung für die Völker, darin zeigt sich  die Bestimmung Israels als des von Gott erwählten  Volkes:

Segen es nicht irgendein religiöser Brauch.

Segen ist die Grundgeste des jüdisch-christlichen Glaubens.

 

Ist es nicht passend, dass wir bis heute beim Segnen die Hände ausbreiten, sie Menschen über den Kopf halten? Jede und jeder weiß, was das bedeutet, wenn jemand seine Hand über uns hält. Das ist wie Dach über dem Kopf – und über meiner Seele. 

Manche empfinden den Segen wie ein Geheimnis des Glaubens. Ja, denn dieser Glaube, der sich mit dem Segen Gottes verwirklicht, will Heimat schenken, einen Ort, an dem ich geborgen bin, wo ich zu Hause bin, wo ich Antwort finde auf meine Frage:

Wer bin ich?

Wo gehöre ich hin?

Wo kann ich bleiben?

Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du gehst. Ich bringe dich zurück in dieses Land.

Denn ich verlasse dich nicht. Amen