Predigt über Hiob 14, 1-17

  • 17.11.2019 , Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Liebe Gemeinde,

 im Spannungsbogen von Trotz und Verzweiflung erlebt Hiob Gott als ganz persönliche Grenzerfahrung.

Die dabei auftauchenden Fragen warten auf eine Antwort.

Trotz allen intellektuellen Mühens, trotz aller Reden, trotz allem Schweigen – die Antwort auf die zentrale Frage „Warum lässt Gott das Leid zu?“ wird Hiob nicht finden.

Was sich aber in seinen Worten finden lässt, sind Möglichkeiten, mit dem Leid umzugehen, ohne mitleidig zu werden.

 Ganz am Anfang des Buches Hiob, als jenem alles nur erdenkliche Unglück widerfährt und er alleine ist, besuchen ihn seine drei Freunde.

Das Erste, was diese Freunde machen, ist schweigen. „und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“ (Hiob 2, 13)

Eine beeindruckende Stelle in diesem Buch. Denn die Drei erweisen sich an ihrem Freund Hiob hier als wahre Seelsorger.

Sie bringen große Kraft auf, das Leid im Schweigen zuzulassen.

Angesichts erfahrenen, unvorstellbaren Leids, wirken Worte oft hohl und eher noch wie Pfeile als denn tröstend. Die Erkenntnis, dass alles nicht so schlimm ist, kann dem Leidenden nur selbst zuwachsen. Wird sie ihm durch vermeintlich tröstenden Worte übergestülpt, verschlimmert sich sein Leid, weil er sich unverstanden fühlt. Dass das Leben weitergeht braucht dem Leidenden nicht zugerufen zu werden. Er weiß es selber und möchte angesichts seiner eigenen Todessehnsucht, um dem Leid ein Ende zu bereiten, gerade nicht daran erinnert werden. Wo die Kraft zum erhobenen Haupt fehlt, verfehlt das vermeintlich tröstenden „Kopf hoch“ seine Wirkung und verkehrt sich ins Gegenteil.

Vermögen wir es, wie Hiobs Freunde zu reagieren? Es fällt schwer, sehr schwer, weil Schweigen so ganz und gar unserem menschlichen Drang, etwas zu tun,

heilende Lösungen zu finden

oder mit Worten zu trösten, entgegensteht.

Wo der Schmerz sehr groß ist, dürfen die Worte fehlen. Sie lassen sich an dieser Stelle durch menschliche Nähe ersetzen. Dadurch wird der Leidende ernst genommen und eben nicht mit Worten vertröstet.

Auch wenn im Buch Hiob mit allem, was wir an Zahlen und Gütern vorfinden, maßlos übertrieben wird, die Leiderfahrungen Hiobs sind auch unsere Leiderfahrungen. Sie haben Eingang gefunden in unsere Alltagssprache, wenn wir von „Hiobsbotschaft“ oder von einer „haarsträubenden Geschichte“ reden.

Angesichts der Gräber naher Angehöriger oder lieber Freunde, die plötzlich am eigenen Lebensweg zu finden sind, kommt uns von Zeit zu Zeit Hiob mit seinen Erfahrungen ganz nah.

Zerplatzte Lebensentwürfe, von Krankheit durchkreuzte Pläne, zerronnene Hoffnungen lassen uns in den Staub sinken, rauben die Kraft.

 Und dann ist da noch so ein Rest von trotzigem Geist und Widerstand. Nein, das Leid will ich nicht einfach so hinnehmen. Erklärungen werden gesucht. Je intensiver dieses Suchen ist, desto tiefer jedoch wird der Leidende hinabgerissen in den Strudel aus Fragen, denen keine Antworten folgen.

So wohltuend die schweigende Nähe der Freunde damals bei Hiob oder heute bei uns sein kann. Schmerz braucht manchmal auch Worte, damit er sich nicht zu tief in die Seele graben kann.

Hiob gibt seinem Schmerz in der Klage Worte.

Wir hören aus dem 14. Kapitel:

 1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, 2 geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. 3 Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. 4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! 5 Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: 6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut. 7 Denn ein Baum hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist; er kann wieder ausschlagen, und seine Schösslinge bleiben nicht aus. 8 Ob seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Staub erstirbt, 9 so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers und treibt Zweige wie eine junge Pflanze. 10 Stirbt aber ein Mann, so ist er dahin; kommt ein Mensch um – wo ist er? 11 Wie Wasser ausläuft aus dem See, und wie ein Strom versiegt und vertrocknet, 12 so ist ein Mensch, wenn er sich niederlegt, er wird nicht wieder aufstehen; er wird nicht aufwachen, solange der Himmel bleibt, noch von seinem Schlaf erweckt werden. 13 Ach dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt, und mir eine Frist setzen und dann an mich denken wolltest! 14 Meinst du, einer stirbt und kann wieder leben? Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung kommt. 15 Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. 16 Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. 17 Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.

 Klagebilder

 Hiob klagt Gott an. Er fordert, von ihm in Ruhe gelassen zu werden. Seine Klage ist voller Bilder, liebe Gemeinde. Das schattenhafte Dasein des Menschen ist ein solches Bild. Und wer sein Leben gerade als flüchtigen Schatten erleben muss, wird sich in Hiobs Beschreibung gut wiederfinden. Wo Kräfte plötzlich schwinden,

wo Schönheit wie bei einer Blume verwelkt, mag man sich manchmal selber nicht mehr ansehen, geschweige denn leiden.

Unser menschliches sein ist geprägt von Verfall und Endlichkeit. Hiob erkennt das und möchte einfach nur Ruhe haben. Weil ihm Gott diese Ruhe verweigert, schleudert er ihm seine Klage entgegen.

 Hoffnungsversuche

 Ein weiteres Bild in Hiobs Klage ist das Bild vom abgehauenen und wiedergrünenden Baum. Im Beobachten von Vergehen und Neuwerden sucht Hiob Trost. „Ach, könnte es doch beim Menschen so sein, wie in der Natur.“ Selbst der abgehauene Baum, der trocken dastehende Baumstumpf wird mit neuer Kraft wieder grünen. Zeit könnte Wunden heilen und zu neuem Lebensmut führen, so wie der zarte Trieb am Baumstumpf sich nach der Dürrezeit aus dem Staub erhebt. Für einen kurzen Moment keimt hier Hoffnung auf. Hoffnung, die sich Hiob selber zusprechen will.

Doch dann erhebt sich das Aber der Leiderfahrung mit großem Widerspruch.

Aber bei dem Menschen ist es anders.

„Er wird nicht aufwachen, solange der Himmel bleibt, noch von seinem Schlaf erweckt werden.“

So sucht Hiob weiter nach seinem Gott, den er verstehen kann, der die offenen Fragen beantwortet. Die Hoffnung stirbt nicht in Hiobs Klagen. Sie formuliert sich aus in der Karikatur des Psalmgebetes. Dort finden wird oft die Anrufung Gottes durch den Beter. Wir finden des Beters Lob, seinen Dank und sein Staunen über die Schöpfung. Zum Beispiel im Psalm 8.

„Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: 5 was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? 6 Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. 7 Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan.“

Hiob dreht nun alles um. Gott wird zum Rufenden und der Mensch zum Antwortenden. Nicht der Mensch hat Sehnsucht nach Gott, sondern Gott nach dem Werk seiner Hände. So formuliert Hiob:

Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. 16 Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. 17 Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.

 In dieser Umkehrung der Verhältnisse steckt für mich ein Hoffnungsschimmer. Denn Hiob lebt aus der Erinnerung und erinnert Gott gleichermaßen daran, dass der Mensch als sein Geschöpf nicht verloren gehen darf. Die Bitte aus Psalmgebeten, Gott möge doch Übertretungen und Schuld vergeben, wird hier zur Gewissheit.

Nach der Zeit der Ruhe, auch der Ruhe vor Gott, die der Leidende wie Hiob so dringend braucht, kommt die Zeit der Gottesnähe.

Hiob nähert sich mit seinen Fragen Gott. Er fordert ihn mit seinen Klagen heraus. Die Worte des Leidenden werden zur Anklage gegen Gott.

Das wirklich Tröstende an der Hiobsgeschichte ist die Erkenntnis: Gott hält in seiner Unerforschlichkeit all das aus. Wir dürfen zu ihm schreien. Wir dürfen ihn beschimpfen. Wir können ihm unser Unverständnis entgegenschleudern. Er wird uns dafür nicht mir Zorn oder Strafe begegnen, sondern er wird uns auch dann noch ein uns zugewandter Gott sein.

Wo wird im Leid durch Klageworte gegenüber Gott schuldig werden, nimmt er sie auf, versiegelt alles in einem Kästchen und streicht mit seiner Barmherzigkeit unser Leben neu an. Schuld zu übertünchen, auch das erzählt uns die Hiobgeschichte, ist allein Gott vorbehalten.

 Letzte Worte – Erste Worte

 Hiob findet keine Antwort auf die Frage, warum Gott das Leid am Gerechten zulässt. So scheint es, dass am Ende die Klage das letzte Wort behält. Der Wunsch, lieber tot als leidend zu sein, folgt einer Logik, die sich aus der fehlenden Antwort nach dem Ursprung des Leids fast zwangsläufig ergibt.

Im weiteren Verlauf des Hiobbuches antwortet Gott Hiob und zeigt ihm und damit uns Menschen, die Grenzen auf. Für Hiob bleibt die Erkenntnis, dass Leid sich nicht wie in einer logischen Erklärungskette bis an irgendeinen Ursprung zurückführen lässt. Er erkennt: Gott ist unberechenbar und damit bleibt er souverän in seinem Tun. Selbst im Gefühl, ein Spielball zwischen göttlicher und teuflischer Macht zu sein, führt ihn nicht in zerstörerische Verzweiflung, sondern zu weiterer Suche nach Gott. Und darin bleibt er hartnäckig.

 „Es war ein Mann im Lande Uz…“

 So beginnt das Buch Hiob, liebe Gemeinde. Dem Leser wird mit dem ersten Satz deutlich, dass es am Ende gut ausgeht. Denn es klingt wie im Märchen, dessen Ende immer ein gutes Ende ist.

Damit ermutigt uns das Buch Hiob zum Vertrauen in einen Gott, dessen Handeln wir nicht beeinflussen, geschweige denn verstehen können. Mag der Weg solchen Gottvertrauens schwer sein im Leid, er lohnt sich.

Mögen die Fragen an Gott bohrend und quälend sein – seine Antwort ist anders als wir es uns ausrechnen wollen.

Dass es am Ende gut wird, zeigt uns der Schluss

des Buches Hiob. Er gewinnt alles und noch viel mehr zurück. Im Wissen um das gute Ende darf ich klagen, darf ich schreien und weinen, darf auch vor Gott meine Ruhe einfordern. Die Fragen bleiben und haben ihre Berechtigung.

 Gott ist

Gut?

Böse?

Gerecht?

Unfair?

Grausam?

Lieb?

 

Gott ist!

Und ich darf mich voller Vertrauen hineinnehmen lassen in den Strom seines Seins.

 Amen.

 Pfarrer Martin Hundertmark
hundertmark@thomaskirche.org