Predigt über Hiob 42,1-6

  • 29.12.2019 , 1. Sonntag nach dem Christfest
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der Predigttext für den ersten Sonntag nach Weihnachten steht bei Hiob im 42. Kapitel:

Und Hiob antwortete dem HERRN und sprach:

Ich erkenne, dass Du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer.

„Wer ist der, der den Ratschluss verhüllt mit Worten ohne Verstand?“ Darum habe ich ohne Einsicht geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe. „So höre nun, lass mich reden; ich will dich fragen, lehre mich!“ Ich habe dich nun vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum gebe ich auf und bereue in Staub und Asche.

Liebe Gemeinde,

das ist eine seltsame Krippenfigur heute am Sonntag nach Weihnachten: Hiob. Weihnachten und Hiob – das kann man erst mal kaum zusammenbringen. Wir verbinden eher keine weihnachtlichen Gefühle mit ihm. Eher „Hiobsbotschaften“. Sack und Asche statt Glanz und Gloria. Hiob steht für den, dem sein ganzer Lebensentwurf zusammengebrochen ist. Wir kennen seine Geschichte. Aus heiterem Himmel bricht ihm der Boden unter den Füßen weg, Haus, Familie, Gesundheit, alles weg fast auf einmal. Zugleich aber beharrt er unverbrüchlich im Glauben an Gott. Egal, was seine Frau und seine Freunde ihm raten. Hiob erduldet. Er geht mit seinem Gott ins Gericht – aber am Ende bekennt er: „Nun hat mein Auge dich gesehen.“ Hier in diesem Vers mögen wir die Verbindung mit all den anderen Krippenfiguren sehen. Mit den Hirten, die das Kind in der Krippe gesehen haben. Mit den Weisen aus dem Morgenlande, die den neu geborenen König noch sehen werden. Und mit dem alten Simeon von dem wir gehört haben – auch keine klassische Krippenfigur. Aber auch einer, der plötzlich Gott schauen darf. Er sieht in Jesus den, auf den er sein Leben lang gewartet hat. Sie alle „sehen“ etwas, was sie verändert und ihr Leben verändern wird.

Oder eben besser: Sie „schauen“ Gott, denn das ist nicht unbedingt eine Sache der Augen oder des Sehnervs. Es ist eher etwas, das im Verborgenen eines Menschen geschieht. Und das nur jemand weiß und merkt, dem es geschenkt ist. Das wünscht man Hiob in seiner Leidensgeschichte natürlich und anderen auch: Gott darin erkennen und verstehen. Sein Vertrauen zu ihm ist unverbrüchlich. Davon lässt sich Hiob weder von seiner Frau noch von seinen Freunden abbringen. Die eine rät ihm, sich von Gott abzuwenden. Die anderen wollen Hiob davon überzeugen, dass er doch irgendwo einen Fleck auf seiner weißen Weste hat. Davon aber will Hiob nichts wissen. Er fühlt sich nicht schuldig. Er hält an seinem überlieferten Glauben fest, fragt immer weiter. Auch als Gott ihm in einer langen Rede antwortet, ob Hiob denn die Welt geschaffen und bislang erhalten hätte, gibt er nicht kleinlaut bei. Hiob erkennt die Größe Gottes an. Auch, dass er in seinem kleinen Verstand nicht alles erfasst hat. Aber er resigniert aber nicht. Er ringt weiter mit Gott. Er ringt darum, dass Gott ihm weitere Einsichten schenkt. „So höre nun, lass mich reden; ich will dich fragen, lehre mich!“

Hiob will nicht in seinem Nicht-Wissen verharren, sondern fühlt sich durch Gottes Rede ermutigt, weiter nachzufragen. Mitten im Sturm nimmt er die Stimme Gottes wahr. Sie lässt ihm buchstäblich die Augen aufgehen. Er erkennt in all seinem Ringen, seiner Klage, dass Gott hinter allem Geschehen steht. Gott, der Hiob oft unbegreiflich ist, der ihn aber nie fallen gelassen hat, egal, was geschieht. Im Gegenteil: Gott erkennt die Klagen Hiobs als richtig an, sieht ihn als einen aufrechten Gottsucher. Deshalb hat Hiob „recht geredet“, die Freunde Hiobs dagegen weist er zurecht. Sie maßen sich an, Gott zu erklären. Und offenbaren damit, für wen sie Gott im Grunde halten: Für eine nachtragende, reizbare Krämerseele. Für jemanden, der alles aufwiegt. Der sich durch Wohlverhalten beschwören lässt, oder sollte man sagen – betören? Ein Gott, der dafür da ist, menschliche Vorstellungen von Wahrheit und Gerechtigkeit zu bestätigen- und wehe, er tut das nicht?

Im Gegensatz zu seinen Freunden hütet Hiob sich davor. Er fragt, er klagt, er ringt. Aber er erklärt nicht und er beschwört nicht. Und offenbar wird ihm dadurch eines möglich: Er kann „schauen“. Mitten im Sturm. „Aber nun hat mein Auge dich gesehen“, sagt Hiob. So reiht sich Hiob ein in die Reihe der Menschen, die zu Weihnachten Gott schauen dürfen. Auch unter dem Gegenteil dessen, wo man ihn erwarten mag. So wenig wie in einem Kind wohl in den Stürmen des Lebens. Und in einer Rede, in der Gott eigentlich nichts anderes zu tun scheint, als Hiob seine Überlegenheit zu zeigen: Hast Du einen Arm wie Gott? Kannst Du auch nur ein Tierchen schaffen? Kannst Du für Gerechtigkeit sorgen auf Erden?

Man könnte diese Rede Gottes für das Trostloseste überhaupt halten. Da ist ein Mensch zu Boden gedrückt von seinem Leid und Gott erzählt ihm von Löwen und Raben, vom Regen in der Wüste und vom großen Bären. Ist nicht sehr tröstlich. Aber was Hiob plötzlich aufzugehen scheint: Vielleicht ist es unser größtes Unglück als Menschen, dass wir immerzu um uns selbst kreisen. Es geht um unsere Wünsche, um unser Wohl, um unser Glück. Und wenn wir fromm zu sein meinen, dann geht es um unser Gebet, um unsere Rettung, um unsere Seligkeit. Um das, was wir uns davon versprechen. Dass wir im Stillen etwas dafür erwarten von Gott – und sei es das, was wir für gerecht halten. Wir zerren ihn quasi auf unsere Ebene. Gott aber kommt von selbst. Hier im Sturm in einer Stimme, die Hiob versteht. Die ihn anspricht, die ihn meint. Die ihm aufgibt, weiter nachzudenken. Keine einfachen Antworten, keine einfache Wahrheit. Gott mutet Hiob etwas zu, diese Lektion, er soll drüber nachdenken: Siehe selbst, Mensch. Denke selbst. Schaue selbst. Gott in den Dingen entdecken, in der Schöpfung, in einem Menschen. Seine Stimme darin zu hören, zu sehen, zu schauen. Und sich selbst dazu zu verhalten. Zu dieser Leistung befähigt Gott den Menschen. Der Mensch kann Gott nicht erklären. Aber er kann ihn wahrnehmen. Und durch manche geschieht das in besonderer Weise – bei denen, meine ich, die sich bewusst in den Dienst nehmen lassen und darauf verzichten, selbst im Glanz des Geschehens zu stehen.

Jemand, der sich mit seiner Stimme in den Dienst der Stimme dieses Höchsten gestellt hat, ist mit Peter Schreier gerade verstorben. Er fällt mir ein in diesem Szenario. Wie er Menschen hat erschaudern lassen in der Johannespassion an der Stelle, als der Hahn kräht. Der Fels Petrus, auf dem alles ruhen soll – er hat leichtfertig seinen Herrn verleugnet. So ist der Mensch, der Petrus-Mensch, der aber weiter denken darf, zur Besinnung kommen darf auf das, was er ist, und was er nicht ist und kann. So wird er fähig, Verantwortung zu übernehmen. Und genau so war es auf der anderen Seite der Verkündigungspalette: mit der überirdischen Klarheit der Botschaft der Engel von Bethlehem. „Und die Klarheit des Herrn leuchtet um sie und sie furchten sich sehr“. Dieser Schrecken geht dem voraus, was sie schauen werden. Und so manchem Konzertbesucher ist das, ob nun bei Petrus oder den Hirten, sicher nahe gegangen, wie dieser Evangelist im besten Sinne seine Rolle ausgefüllt hat, unzählige Male hier in der Thomaskirche...

Und sicher gibt es auch noch andere, die einem da hilfreich sind. Dass man hinkommt zu diesem hiob‘sche Nachdenken über sich. „Von oben her“ die Dinge zu betrachten. Und nicht nur von unseren momentanen Befindlichkeiten aus. Vielleicht ist gerade dies unser Glück, wenn wir uns in dieser Form einmal selbst zu vergessen wagen. Uns nicht ablenken lassen von all dem Furor und Aufruhr in uns selbst. Sondern mal ganz still werden vor Gottes Größe. Vielleicht werden wir dann sagen wie Hiob: „Ich hatte dich nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“

1944 hat der Pfarrer und Theologe der Bekennenden Kirche Hans Joachim Iwand im schon sehr zerstörten Dortmund etwas gesagt in einer Predigt, was ich auch für unsere Weihnachtszeit 2019 für bedenkenswert halte. Wir sitzen zwar nicht in Ruinen. Und wir sind vielleicht auch nicht Hiob. Aber manche schauen schon auch in diesem Jahr auf Dinge zurück, die sich verändert haben oder vielleicht auch kaputt gegangen sind: „Staub und Asche machen es nicht, Ruinen und Trümmer sind keine Umkehr zu Gott, aber Gottes Wort, Gottes Majestät, die aufgeht wie die strahlende Sonne über der zerbrochenen Menschenherrlichkeit, die macht‘s, die hilft. Das ist die Gnade Gottes, die den Menschen heilt – von seinem Leiden an sich selbst. Gott ist ein weiser Arzt, ein Arzt, der nicht von meiner Krankheit redet, sondern von der Herrlichkeit seiner Kunst.“

So ein Arzt ist Gott. Besser kann man es nicht sagen. Hiob hat ihn geschaut. Er hat Gott geschaut, und Gott hat mit ihm geredet, aber Hiob bekommt in dieser Rede weder konkrete Antworten auf seine Fragen noch Ratschläge. Gott zeigt ihm sein göttliches Tun, er blättert es vor ihm auf, lässt ihn in Ruhe sehen und erkennen. Damit schenkt er in seiner Weisheit Hiob die Möglichkeit, sich selber umzuschauen, hinzuschauen, den Blick zu heben und selbst zu erkennen.

 

Damit ist Hiob zufrieden. Gott hat sich ihm zugewandt, er redet mit ihm und bringt ihn damit wieder zu Ehren. Sitzt Hiob auch noch in Staub und Asche, er wird sich daraus erheben. Den erlernten Gott hat er verloren. Aber den anderen gefunden, den lebendigen Gott – das Kind in der Krippe mit dem ihm eigenen Glanz und dem ihm eigenen Gloria. So reiht Hiob sich ein in die Krippenfiguren der Gottschauer. Auch der Theologe und Dichter Paul Gerhardt gehört für mich dazu. Seine Worte, die wir gleich singen wollen, setzen Hiobs Gedanken fort und wandeln sein Bekenntnis in unser weihnachtliches Gebet: „Süßes Heil, lass dich umfangen, lass mich dir, meine Zier, unverrückt anhangen. Du bist meines Lebens Leben, nun kann ich mich durch dich wohl zufrieden geben.“

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org