Predigt über Hoheslied 8,6b-7

  • 30.10.2022 , 20. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt über Hoheslied 8, 6b-7 am 30. Oktober 2022, 18. Sonntag nach Trinitatis

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Sohn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde, unser heutiger Predigttext stammt aus einem Liebeslied. Aus dem Hohenlied des Alten Testaments. Ein wunderschöner Text, acht Kapitel lang. Gott kommt kein einziges Mal vor, jedenfalls nicht direkt. Es ist einfach nur schön, was hier ein Mann einer Frau singt und eine Frau einem Mann. Oder was so auch ein Mann einem Mann singen könnte oder eine Frau einer Frau. Es geht es um das, was eine Beziehung zwischen Menschen, gleich welcher Art, zusammenhält, jenseits von aller Gefühlsduselei. Es geht um Kraft. Was hat man nur versucht im Laufe der Kirchengeschichte, aus diesem Liebeslied von Mensch zu Mensch zu machen, weil man dieser Kraft nicht über den Weg traute. Denn wer liebt, lässt sich in der Regel nicht beherrschen, nicht einschüchtern, nicht klein machen. Nicht in dem, was er glauben soll, wie er leben soll und schon gar nicht, wie er zu lieben hat. Ein Mensch, der liebt, der wirklich liebt mit Haut und Haar, etwas oder jemanden, ist frei und ist stark – auch dann, wenn er schwach ist, krank, elend. Auch wenn man ihn erniedrigt, gefangen nimmt, unter Druck setzt. Die Diktatoren aller Zeiten und Länder, vor nichts haben sie bis heute so viel Angst wie vor dieser Kraft, die den Tod nicht scheut und die ihm mindestens ebenbürtig ist. Von der Kraft dieser Liebe ist im 8. Kapitel des Hohenliedes die Rede:

Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme. Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen noch die Ströme sie ertranken. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, würde man ihn verachten?

Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen noch an die wohl berühmteste Predigt aller Zeiten über diese Worte. Der amerikanische Bischof der Episkopalkirche Michael Curry hat sie bei der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle gehalten. In immer wieder neuen Variationen spricht er von der „power of love“, 20mal in 14 Minuten. Er nennt sie eine Kraft der Veränderung. Und er bleibt dabei nicht wie das manche Predigt zur Trauung ja leider macht, beim Individuellen hängen oder – noch schlimmer – beim innerlich kitschigen Gefühligen. Er stellt die Macht der Liebe bereits in seinem ersten Satz in einen politischen Kontext und zitiert Martin Luther King, ich übersetze das mal so: „Wir müssen die die Kraft der Liebe entdecken, die erlösende Kraft der Liebe. Wenn wir das tun, werden wir aus dieser ganzen Welt eine neue Welt machen. Das geht nur mit Liebe, Liebe ist der einzige Weg.“ Und Curry hat das in der Art, wie er gesprochen hat, regelrecht inszeniert und so leidenschaftlich gepredigt, dass die Flammen der beiden Kerzen an seinem Pult heftig loderten und die ganze traditionell-steife Hochzeitsgesellschaft von Windsor in diese Bewegung mit hineingeriet. Harry und Meghan haben offensichtlich ihre Schlüsse daraus gezogen und sind darin bestärkt worden, selbstbewusst zu wählen, wie sie ihre Liebe denn leben wollen und wo sie atmen können…

Und auch wir mögen das tun. Und erleben mitten in dieser todeswütigen Welt ja dennoch etwas von dieser erlösenden Kraft, von der Martin Luther King und Michael Curry gesprochen haben.

Zum ersten in der Ukraine. Dort ist es an vielen Orten bereits Realität: Kein Strom, kein Wasser, keine Heizung, die Tage werden kälter. Und die heimtückischen Angriffe auf Wohngebiete gehen weiter, die die Leute zermürben sollen mit ihrer schier unendlichen Macht des Todes. Aber es ist einiges, was die Macht der Liebe ihr entgegenzusetzen weiß. Sich nicht brechen zu lassen, jetzt gerade nicht, jetzt erst recht nicht, je bösartiger sich die Fratze des Todes zeigt. Ist das Liebe? Wenn wir in Liebe nicht nur ein Gefühl sehen, sondern den Willen, den unbedingten Willen zur Freiheit, zur Gerechtigkeit und Würde – dann kann es nur die Liebe sein, die die Menschen dort aufrechterhält, ihnen diesen Lebensmut und diese Todesverachtung verleiht. Ich denke, es geht dort nicht um Verteidigung von Werten, gar westlichen Werten, wie oft gesagt wird. Es geht um die Verteidigung der Liebe zum Leben.

Und Gleiches gilt für die mutigen Frauen und Männer im Iran, die sich ihm entgegenstellen, diesem Hass dieser alten Männer auf alles, was schön ist; auf alles, was leben und lieben will in Freiheit, ohne die Unterwerfung, die von den Greisen gefordert wird im Namen ihrer wahnhaften Gottesidee. Der Gott, dem sie dienen, heißt Beherrschung, Erniedrigung, Unterdrückung, Tod. Menschen ertragen viel, lassen viel mit sich machen. Aber nun scheint es der Liebe zu reichen … der Liebe zum Leben, zur Freiheit, zur Luft zum Atmen, zur Schönheit und Menschenwürde. Die Liebe – sie ist dort zumindest in diesen Tagen stark wie der Tod und lässt sich nicht mit Flammen ersticken oder im Wasser ersäufen. Die Liebe wagt es - und was für ein Wagnis ist das– Leib und Leben zu verlieren, sich vor den Tod hinzustellen und ihm zuzurufen: „Siehe, das ist mein Gesicht! Siehe, das ist mein Haar! Siehe, ich bin schön!“ Das ist Liebe, die es wagt, den Tod in Kauf zu nehmen: um ihrer selbst willen. Sie widersteht dem Tod ins Angesicht. Mag sein, es kostet den Menschen, der das wagt, sein Leben. Aber die Liebe stirbt dabei nicht. Die kann niemand umbringen, selbst er, der Tod, nicht. Vielleicht der zuallerletzt. Er kann Schmerz zufügen und Leid, für das es keine Worte gibt.

Wir können solche Worte hier nur in aller Demut sagen. Nichts von dem, was in der Ukraine oder im Iran Realität ist, spielt sich bei uns ab. Wir leben weder in einer Diktatur noch werden wir gerade von einer angegriffen. Niemand, der demonstriert, landet im Foltergefängnis. Und bei aller Verunsicherung, wie das denn nun im Winter werden wird hier bei uns, können wir jetzt nur hoffen, dass die Liebe auch unter uns stark genug sein wird, sollte es zu Belastungen und Zumutungen kommen für die Ärmsten und Schwächsten unter uns. Dass sie nicht einknickt und sich weinerlich zurückzieht in das Schneckenhaus von Geschimpfe und hässlichem Geschrei oder sich anderweitig selbst verzwergt. Ich denke, vor der Bewährungsprobe stehen wir jetzt. Ob die Liebe, wie es im 1. Korintherbrief heißt, bereit ist, zu ertragen, zu erdulden, sich nicht erbittern zu lassen, sich an der Wahrheit zu freuen und dem anderen, der mehr belastet ist als ich selbst, fraglos und ohne Aufhebens unter die Arme zu greifen.

Ja, schön wäre es. Wir sind leider unvollkommen, auch in unserer Fähigkeit zu lieben. Aber immerhin sind wir dann die beste Version unserer selbst, wenn wir es wollen. Und wenn uns bewusst ist, was uns hier im Hohenlied nahegebracht wird. Sie ist unendlich stark. Aber sie kostet uns auch etwas: „Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, würde man ihn verachten?“ Das ist eine rhetorische Frage. Nein, nicht verachten. Man muss ihn lieben. Denn wie groß muss seine Liebe sein, dass jemand das tut – alles zu geben?

Im Hohenlied wird es noch nicht gesagt – aber später in der Bibel, als man dieses Lied schon kannte und in ihm nach Gott suchte: Gott ist die Liebe. Es ist nicht einfach eine seiner Eigenschaften, es ist sein Wesen. Nicht nur stark wie der Tod ist sie. Sondern stärker. Am Ende setzt sich die Liebe durch gegen den Tod und seine Schrecken. Irgendwann einmal ganz und gar, aber jetzt schon gilt. Immer setzt sie sich am Ende durch - und auch jetzt schon. Die Botschafter von Tod und Hass fürchten das wie nichts sonst, sie können dieser Kraft nicht beikommen. Möge sie uns sein und bleiben, was sie ist: Die Kraft im Leben und im Sterben, die alles, alles zu verändern vermag und alles, auch uns, zu erlösen weiß. Wir feiern sie als Kraft unseres Lebens, in der Gott sich uns schenkt. Als Konfirmationsjubilare, als Tauffamilie und als Gemeinde, die weiß, dass auf den Karfreitag Ostern folgen wird.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org