Predigt über Jakobus 2, 14-26

  • 20.10.2019 , 18. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

„Willst du nun einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist?“

Nein, liebe Gemeinde, es ist nicht nett, so zu beginnen. Du törichter Mensch – Ihr törichten Menschen. Nun ja. Aber so steht es im Predigttext aus dem Jakobusbrief. Den hören wir gleich ganz. Aber dieser eine Satz gibt das Thema vor: „Willst du nun einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist?“ Versteht Ihr‘s nicht? Die Welt braucht Eure Taten. Glaubt Ihr wirklich, Ihr tut genug als Christenmenschen? Keine Sorge: Es gibt keine Publikumsbeschimpfung, weder in diesem Text noch in dieser Predigt. Aber es geht schon um die Herausforderung, sich selbst kritisch zu betrachten. Ehrlich umzugehen mit meiner eigenen Widersprüchlichkeit – und das nicht nur manchmal viel weniger tue als ich sage – und leider auch viel weniger tue als ich könnte. Und das weiß ich. Meistens bin ich zu bequem, zu eitel, zu stolz. Habe dann aber dann aber andere Erklärungen dafür. Da steht man dann besser da.

Da setzt dieser Text an: Dass wir dazu neigen, uns lieber erst mal rauszureden als klare Kante zu zeigen. Und uns das dann selbst auch noch schön zu reden – oder zumindest als „nicht so schlimm, machen ja andere auch.“ Wir verharmlosen uns gern selbst. Jakobus ist der Meinung: Das sollten wir als Christen anders hinbekommen. Der Glaube, wenn er nicht Werke hat, sagt Jakobus, ist „tot in sich selber“. Tot in sich selber sein. Gefangen in den eigenen Geschichten, Verstrickungen. Und nicht raus können. Furchtbare Vorstellung. Und: Nicht raus wollen – noch schlimmerer Vorstellung. Hören wir Jakobus zu:

Was hilft's, Brüder und Schwestern, wenn jemand sagt, er habe Glauben, und hat doch keine Werke? Kann denn der Glaube ihn selig machen? Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt ist und Mangel hat an täglicher Nahrung und jemand unter euch spricht zu ihnen: Geht hin in Frieden, wärmt euch und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was der Leib nötig hat – was hilft ihnen das? So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber. Aber es könnte jemand sagen: Du hast Glauben, und ich habe Werke. Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, so will ich dir meinen Glauben zeigen aus meinen Werken. Du glaubst, dass nur einer Gott ist? Du tust recht daran; die Teufel glauben's auch und zittern. Willst du nun einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist? Ist nicht Abraham, unser Vater, durch Werke gerecht geworden, als er seinen Sohn Isaak auf dem Altar opferte? Da siehst du, dass der Glaube zusammengewirkt hat mit seinen Werken, und durch die Werke ist der Glaube vollkommen geworden. So ist die Schrift erfüllt, die da spricht (1. Mose 15,6): »Abraham hat Gott geglaubt und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden«, und er wurde »ein Freund Gottes« genannt (Jesaja 41,8). So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein. Desgleichen die Hure Rahab: Ist sie nicht durch Werke gerecht geworden, als sie die Boten aufnahm und sie auf einem andern Weg hinausließ? Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot.

Hat unser Glaube genug Werke, trägt er genug Früchte? In eigener Weise war das Thema eine Woche nach dem Anschlag von Halle auch eins bei den Reden zur Eröffnung der Buchmesse. Bundesaußenminister Heiko Maas hat in seiner Rede z.B. folgendes gesagt: „Erschütterung allein reicht nicht mehr. … Unser ,Nie wieder‘ klingt nach jeder neuen Tat hohler.“ Jemand wie der Täter von Halle ist Nachbar, Arbeitskollege, Familienmitglied, Bekannter und damit ein Teil der Gesellschaft. Und deshalb tragen wir, trägt diese Gesellschaft, eine Mitverantwortung, wenn wir alle paar Wochen wieder neue Opfer von Rassismus und Antisemitismus, von Hass und Hetze beklagen müssen“ – soweit Außenminister Maas. Und er hat Recht, denke ich. In der Tat: Erschütterung allein reicht nicht. Genauso wenig wie ein Glaube reicht, der die Nackten nackt lässt und die Hungernden hungrig. Wovon ich zutiefst überzeugt bin, muss auch mein Handeln prägen. Und wenn ich Antisemitismus für verabscheuungswürdig halte, dann muss ich antisemitischen Klischees in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz und wo auch immer widersprechen. Es war immerhin jemand aus unserer Gemeinde, der folgendes letzte Woche bei facebook gepostet hat: „Was ist schlimmer: Eine beschädigte Synagogentür oder zwei getötete Deutsche?“ Darüber gab es einen Eklat im Stadtrat. Zum Glück gab es genug, die da sofort den Mund aufgemacht haben, so dass der post bald verschwunden war. Aber so etwas ist gesagt und damit ist es da, steht im Raum. Sage ich da genug, mache ich genug – wo ich solche irrsinnigen Sachen höre am Mittagstisch, am Gartenzaun, in der Kneipe, im Stadion? Oder rede ich mich mangels Schlagfertigkeit und Bequemlichkeit beschwichtigend heraus und merke doch zugleich genau das: Wie ich dabei schon tot bin in mir selber?

Es ist nun interessant, wen Jakobus hier als Zeugen anführt für lebendige Werke des Glaubens. Keine Spur vom barmherzigen Samariter allerdings. Sondern zwei Gestalten aus dem Alten Testament,  die eins gemeinsam haben. Sie sind in einer aussichtslosen Lage. Das ist zunächst Abraham bzw. dessen im letzten Moment verhinderte Bluttat, die einen schaudern lässt: „Ist nicht Abraham, unser Vater, durch Werke gerecht geworden, als er seinen Sohn Isaak auf dem Altar opferte?“ Gott verlangt Unglaubliches von Abraham: Soll er einen Glauben von der Sorte leben, der bereit ist, zum Messer zu greifen und zuzustechen? Der bereit ist, Synagogentüren aufzubrechen und Blutbäder anzurichten für seine Überzeugung– das ist doch Wahnsinn. Gott sei Dank hat Gottes rettender Engel eingegriffen und Abraham im letzten Moment an diesem vermeintlichen Opfer gehindert.  Gott sei Dank hat die Tür in Halle standgehalten, auch wenn zwei Menschen ermordet wurden, weil sie irgendwie im Weg waren. Sie ist eine Geschichte voller Fragen, diese verhinderte Opferung Isaaks. Aber Jakobus kommt es hier offenbar nur auf eines an. Auf das Werk, das da heißt: Abraham vertraut darauf, dass Gott gegen allen Anschein das Gute will. Er hätte sich verstecken können vor dieser Aufgabe, aber die Geschichte im ersten Mosebuch erzählt Satz für Satz, wie er dafür Sorge trägt, dass das Holz aufgeschichtet und der Sohn gebunden wird – alles in einer fast unerträglichen Gelassenheit. Diese scheinbar gelassene Tat weist nach Jakobus also auf den Glauben hin, auf dieses unbedingte „Gott wird es wohl machen“. Er wird es zurecht bringen.

Und da ist die am Ende sogar noch schreckliche Geschichte der Hure Rahab: Sie erkennt im rechten Moment ihre minimale Überlebenschance und die ihrer Familie. Auch sie hatte nichts anderes als zu vertrauen und dementsprechend zu handeln, alles andere hätte sie und andere getötet. Wer am letzten Sonntag in der Kirche war, kennt ihre Geschichte: Das Volk Israel hatte zwei Kundschafter ausgeschickt, ob das Gelobte Land nutzbar gemacht werden kann. Die beiden werden als Spione verdächtigt. Rahab versteckt sie unter einem Stapel Brennholz und verhilft ihnen dann zur Flucht. Dabei nimmt sie ihnen den Schwur ab, dass sie und ihre Familie verschont bleiben bei der zu erwartenden Plünderung der Stadt. Sie bleiben es  - als einzige.

Mit dieser Geschichte weitet Jakobus nun endgültig das Spektrum zwischen Rigorismus und Raffinesse. Denn diese Rahab-Geschichte ist übervoll von Lug und Trug, Unmoral und Ganovenehre, von Strategie und Situationskomik. Ja, der alte Traum, fromm und einfältig leben zu dürfen, erweist sich eben doch als Flucht aus der Realität. Er entspringt einem Glauben, der handlungsunfähig macht. Dabei lautet das neue Ideal nicht, korrupt und verschlagen zu sein, sondern undogmatisch und geistesgegenwärtig - und kleine Schritte auch erst mal zu gehen. Das Handeln bringt den Glauben zum Ziel, dem Mutigen hilft das Risiko. So schafft es Rahab beim Evangelisten Matthäus übrigens auch in den Stammbaum Jesu. Der ist auch undogmatisch, geistesgegenwärtig – und hat Leute zu kleinen und manchmal größeren Schritten ermutigt.

„Mache ich genug?“ auch von daher, von dem, wie Jesus uns ermutigt, wird klar: Diese Frage ist nicht ganz ungefährlich. Und zwar, weil ich diese Frage immer mit Nein beantworten müsste, wen ich den Maßstab anlege, den diese Frage beinhaltet. Den Maßstab nämlich, ich müsste mich selbst gerecht machen. Den Maßstab einer himmlischen Gute-Werke-Bilanz. Aber ich denke, so dürfen wir den Jakobus-Text nicht lesen. Auf die richtige Reihenfolge kommt es an. Falsch wäre: Ich leiste etwas, ich habe eine gute „Gute-Werke-Bilanz“ – und dann habe ich ein Anrecht auf Gottes Gnade und Liebe. Richtig ist es eher andersrum: Weil Gott mir seine Gnade und Liebe geschenkt hat und mit ihr Verstand und Gaben, kann ich daraus schöpfen, kann mir etwas einfallen lassen. Auch Unkonventionelles: undogmatisch-geistesgegenwärtig und bereit, den kleinen Schritt dann auch zu tun.

 

Es ist schön, dass diesem Jakobustext heute die Lesung der Zehn Gebote zugeordnet ist. Denn da geht es zum einen genau um diese Reihenfolge und auch darum, dass Gott sein Vertrauen durchaus in unsere Phantasie setzt, welche Form wir den Werken unseres Glaubens schenken. Am Anfang der Zehn Gebote steht die Zusage: „Du bist befreit aus der Knechtschaft.“ Und aus dieser Freiheit kannst Du, wirst du handeln. Das „Du sollst“ oder „Du sollst nicht“ der Zehn Gebote ist in der Hebräischen Sprache eher so etwas wie ein Futur. Du wirst etwas tun oder nicht tun. Wenn Du weißt, du bist befreit, dann wirst Du den Namen Gottes nicht missbrauchen für Deine Zwecke. Dann wirst Du die alt gewordenen Eltern ehren. Dann wirst Du nicht töten, stehlen oder über andere öffentlich falsche Dinge sagen. Du wirst Dinge tun bzw. nicht tun. So erklärt uns Gott sein Vertrauen. Du Mensch, bist nämlich kein törichter Mensch. Sondern ein befreiter. Du kannst Dich ruhig so benehmen, ich Gott weiß, dass Du Mensch es kannst. Und dass Du es tun wirst. Wie die Werke aussehen, die wir zustande kriegen – nun, das wird ganz verschieden aussehen. Das ist ja das Schöne, dass das nicht festgelegt ist, sondern je nach Zeit und Situation gelebt wird. Als Glaube, der lebendig ist. Leben wir ihn und seien nicht töricht.

 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org