Predigt über Jakobus 5,12-16

  • 15.10.2023 , 19. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Predigt über Jakobus 5,12-16 am 19. So p. Tr., mit Aufführung Kantate BWV 48 „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen?“, St. Thomas zu Leipzig um 9.30 Uhr und 18.00 Uhr

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

13 Leidet jemand unter euch, der bete;

ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.

14 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.

15 Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen,

 

Ich weiß nicht, wie es ihnen beim Hören geht, liebe Gemeinde. In mir jedenfalls stieg ein Gefühl des Unmutes und der Befremdung auf. Wenn ich krank bin, möchte ich zum Arzt gehen oder besser noch, selbiger kommt zu mir. Stattdessen wird als einziges Rezept das Gebet ausgegeben. Keine teuren Medikamente, keine wissenschaftliche Analyse, keine Rehakuren – nur beten, mich mit Öl von den Ältesten der Gemeinde salben lassen und schon werde ich gesund.

Das perfekte Gesundheitssystem, ohne Zwei-Klassen-Medizin, ohne Wartezeiten und ohne Zuzahlung.

Sie merken, liebe Gemeinde, so sonderlich mögen tue ich den Jakobusbrief nicht.

Und trotzdem soll er ein Evangelium also ein frohmachendes Wort enthalten, welches es zu predigen gilt.

Ich mag den Jakobusbrief nicht, weil er seinen Lesern damals und heute zu einfache Rezepte mit auf den Lebens- und Leidensweg gibt. Rezepte, deren Nebenwirkungen verheerend sein können:

Enttäuschung,

Frust

und sogar Verlust des Vertrauens in Gott.

Was nun, wenn die unheilbare Krankheit mich erwischt hat oder mein Kind oder meinen Lebenspartner?

Was nun, wenn ich bete, Tag und Nacht aber die Heilung bleibt aus?

Kann ich dann der Kraft des Gebetes noch vertrauen?

Und welche Kraft hat das Gebet überhaupt?

Diesen Fragen möchte ich nachgehen.

Vielleicht verwandeln sie sich ja in Antworten.

Doch zuvor werfen wir noch einen kurzen Blick auf die soeben gehörte Kantate von Johann Sebastian Bach

„Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen?“ Denn auch hier wird das Thema „Krankheit“ und Heilung“ erneut aufgegriffen.

Die im Eingangssatz gestellte Frage ist vom Apostel Paulus aus dem Römerbrief. Im Schlusschoral wurde uns die Antwort gesungen: „Herr Jesu Christ, einiger Trost, Zu dir will ich mich wenden;“

Dazwischen liegt ein langer und zum Teil auch beschwerlicher Weg. Paulus stellt die Frage ja deshalb, weil er erfährt, weil er beobachtet und schließlich daran glaubt, dass der Mensch erlösungsbedürftig ist. Zu viel geht zu Bruch im menschlichen Miteinander. Zu eigen sind manchmal unsere Entscheidungen und deren Folgen produzieren dann für andere Menschen Leid oder Kummer. Zu kraftlos ist hin und wieder unser Wirken und dann passiert das, was der Apostel ein paar Verse zuvor im 7. Kapitel des Römerbriefes so treffend zusammenfasst: „Denn, das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“

Sünde als erfahrbare und gelebte Gottesferne führt deshalb ins Verderben, weil dem Menschen dann sein Gegenüber fehlt. Er ist ausschließlich auf sich angewiesen mit den so eben beschriebenen Folgen. Wie ein Gift wirkt jene Gottesferne. Leib und Seele werden krank, gehen zugrunde. Aber wäre nicht wenigstens die Seele zu retten und den Körper, der sowieso irgendwann sich dem Verfall anheimgeben muss, schreibt man ab?

In der Tenorarie Nr. 6 der Kantate hören wir vom wunderwirkenden Jesus. Er tut Wunder an Leib und Seele. Nicht wird getrennt zwischen verfallenem und sündigem Leib, der letztlich nicht mehr zu retten ist und der reinen Seele, sondern beide werden geheilt.

„Vergibt mir Jesus meine Sünden,
So wird mir Leib und Seele gesund.
Er kann die Toten lebend machen
Und zeigt sich kräftig in den Schwachen,
Er hält den längst geschlossnen Bund,
Dass wir im Glauben Hilfe enden.“

Also noch einmal Paulus, liebe Gemeinde. Diesmal aus dem Korintherbrief mit dem bemerkenswerten Satz „Lass Dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“ Welch ein Trostwort: Gott selektiert nicht nach perfektem Körper, nach klügstem Geist oder vollkommenem Tun. Seine Kraft liegt gerade in der Schwachheit eines am Kreuze sterbenden Christus. Dort entscheidet sich mein Leben - nicht auf dem Kranken- oder Sterbebett, nicht im geplatzten Traum oder auf dem von zahlreichen Umwegen gezeichneten Lebensweg.

Weil sich mein Leben im Kreuze Christi entscheidet und jener Christus diese Entscheidung frei und aus unendlicher Liebe für mich trifft, darf ich mich in ihn fallen lassen.

Ist das schon die Antwort auf die Frage nach der Wirksamkeit des Gebetes, die wir eingangs stellten?

Kann ich der Kraft des Gebetes vertrauen?

Ja. Uneingeschränkt ja. Und hier stimme ich aus vollem Herzen dem Jakobusbriefschreiber zu. 

Ja, das Gebet besitzt eine ungeheure Kraft.

Denn das, was uns im ersten Moment bei Jakobus befremdlich erscheint, ist bei näherer Betrachtung gar nicht so befremdlich. In unserem Predigttext steht nämlich keineswegs, dass ich nicht zum Arzt gehen soll. Vielmehr ermutigt er, dass in Leid, Anfechtung, Krankheit und Not gebetet werden soll, um selbige zu tragen und manchmal auch zu ertragen und um daran nicht zu zerbrechen.

Das Gebet birgt also keine Zauberformel in sich, Risiken und Nebenwirkungen ausgeschlossen, welche mich sofort gesunden lässt. Das Gebet hat aber eine nicht näher beschreibbare Kraft, die sich auf mich übertragen kann, sodass ich im Leben, Leiden und Sterben manche Schritte leichter zu gehen vermag.

Der Patient vor einer großen OP wird nicht beten, dass die Tür aufgeht, und er plötzlich gesund ist.

Er wird vielmehr beten:

dass Gott ihm beisteht

dass der Arzt, trotz 36 Stunden Schicht mit wachem Auge und ruhiger Hand operiert und

dass alles gut geht, wie man so schön sagt.

Und wer so betet, wird auch dann, wenn nicht alles gut geht, trotz aufkommender Verzweiflung und stärker werdender Wut vielleicht weiter auf diesen Gott vertrauen können.

Wir sollen beten, ja beten lernen, um nicht an Gott und der Welt zu verzweifeln. Angesichts der schrecklichen Gräueltaten, die dem jüdischen Volk gerade angetan werden, ist das wahrlich eine große Herausforderung. Dennoch:

Der Kraft des Gebetes darf ich Vertrauen schenken. Gott wird zwar nicht all meine in Gebetsform versteckten Wünsche erfüllen, aber er wird alle seine Verheißungen wahr werden lassen. Und zu diesen Verheißungen zählt zum Beispiel seine Zusage in der Taufe: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Als Gottes Eigentum, als sein Kind, wird er mich nicht verloren geben, auch dann nicht, wenn alles verloren scheint, weil ich alles verloren habe.

 

Von der Kraft der Gemeinschaft

 

Unser Predigttext geht noch weiter, liebe Gemeinde.

„und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.

16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet.

Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“

 

Jakobus malt das Bild einer seelsorgerlichen Gemeinde – Menschen, die nacheinander fragen, einander nachgehen, einander brauchen, einander rufen und miteinander beten.

Wie kann sich dies heute im Alltag einer großen Gemeinde verwirklichen? Da ist an erster Stelle zu nennen, dass wir voneinander wissen. Nur der Kranke kann besucht werden von dem ich auch weiß. An zweiter Stelle steht die Frage nach meinem Nächsten. Nur wenn er mir nicht völlig egal ist, kann ich eine gemeinschaftliche Beziehung bauen. Es geht um aufrichtige Anteilnahme und die mir mögliche Hilfe.

Im Evangelium aus Markus 2 haben wir vorhin ein eindrückliches Beispiel solch gelebter Praxis gehört.

Und da ist es gut, wenn ich weiß, in dieser Stadt gibt es eine christliche Gemeinschaft, zu der ich jederzeit kommen kann. Ich darf sogar das, was mir auf der Seele brennt, erzählen, damit ich befreit werde von der Last quälender Schuld oder von der Last der unausgesprochenen Worte.

Eine Gemeinschaft, die nach dem Nächsten fragt, ist wie ein unsichtbar unter meinem Leben gespanntes Netz, damit, wenn ich falle, dieser Sturz nicht ins Bodenlose geht, sondern durch die sichtbare Liebe Gottes aufgefangen wird.

 

Noch einmal: Beten in Freud und Leid –Gott als mein Gegenüber

 

Niemand sollte sein Leid in sich hineinfressen, und die Freude am Leben darf auch aus dem Verhalten sprechen. Wer leidet, soll beten, wer guter Laune, mehr noch: voll Lebensfreude ist, soll Psalmen singen, sagt Jakobus den Seinen.

Beides ist heute nicht mehr selbstverständlich.

Deshalb nicht mehr selbstverständlich, weil vielen das Gegenüber abhandengekommen ist. Gott lädt uns ein, ihn als unser Gegenüber anzunehmen. In der Kraft einer christlichen Gemeinschaft, die ihren Nächsten wahrnimmt und in der Kraft der Gemeinschaft mit Gott, finde ich die Kraft,

welche mich am Leben teilhaben lässt.

Und manchmal schenkt uns Gott Erfahrungen, von denen weitererzählt werden muss.

Was heil wird an zerbrochenen Beziehungen,

was heil wird an kaputten Seelen oder Lebensentwürfen kann auch heilend wirken auf Außenstehende. Denn Heilung ist mehr als die Wiedererlangung der Gesundheit.

Heilung ist Einverständnis mit Gott,

mit meinem Weg,

mit meinen Grenzen,

mit meinen Gaben.

Heilung ist leben können aus Dankbarkeit.

Amen.

 

Und der Friede Gottes, welcher größer ist als unser Verstehen, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.