Predigt über Jakobus 5,7-11

  • 06.12.2020 , 2. Advent
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen

Stille

Was lässt uns durchhalten? Was gibt uns die Kraft, einfach weiterzumachen? Weiter zu hoffen, weiter zu planen, weiter zu arbeiten, weiter zu leben?
Was lässt uns durchhalten und nicht aufgeben? Was macht, dass wir nicht alles hinschmeißen, sondern dranbleiben an dem, was zu tun ist?
Inmitten der Coronapandemie, inmitten der damit verbundenen Arbeitsverbote, von denen besonders in Kirchen, Konzertsälen und auf Bühnen wirkende Künstlerinnen und Künstler betroffen sind, inmitten der Einkommenseinbußen, angesichts drohender Schließungen von klein- oder mittelständischen Unternehmen.

Was lässt uns mit Hoffnung warten?

Liebe Gemeinde,

was lässt uns durchhalten in der Coronapandemie, im Scheitern unseres Lebensentwurfs, in Verlust und Abschied?

Ich lese den Predigttext für den 2. Sonntag im Advent. Er steht im Jakobusbrief im 5. Kapitel, fast am Schluss des Briefs:

„So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. 8Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.
9Seufzt nicht widereinander, damit ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor der Tür. 10Nehmt zum Vorbild des Leidens und der Geduld die Propheten, die geredet haben in dem Namen des Herrn. 11Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben. Von der Geduld Hiobs habt ihr gehört und habt gesehen, zu welchem Ende es der Herr geführt hat; denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer.“

Der Herr segne an uns sein Wort.

Advent. Das Kommen des Herrn. Wann wird es sein? Wie wird es sein? Wird es mich betreffen? Andere nicht? Manche mehr, manche weniger? Drängende Fragen, drängendes Warten, verbunden mit einer heißen Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit. Das Kommen des Herrn.

Was lässt uns durchhalten bis dahin?
Die Antwort, die der Predigttext auf diese Frage gibt, heißt: Geduld. Habt Geduld.
Diese Antwort, ganz ehrlich, liebe Gemeinde, diese Antwort stellt mich nicht zufrieden. Geduld. Das ist nach meinem Sprachempfinden ein farbloses, ein kraftloses Wort. Geduld und Dulden ist im Deutschen ein- und dasselbe. Und wird im Übrigen bekräftigt durch das lateinische Wort für Geduld – patientia (Dulden, Leiden).
Kommen wir mit gesenktem Haupt durch die Krise, durch das Warten? Können wir so durchhalten bis ans Ende, mit schlurfendem Dulderschritt, mit Larmoyanz und Leidensmiene? Ich glaube nein. Und ich glaube nicht, dass uns der Predigttext das weismachen möchte.
Immer, wenn ich mit der Bibelübersetzung zu keinem guten Schluss komme, nehme ich Zuflucht beim griechischen Urtext. Keine Angst, liebe Gemeinde, es folgt hier kein Seminar über neutestamentliches Griechisch. Lassen Sie sich einfach an die Hand nehmen. Gehen wir gemeinsam über die blühende Wiese des griechischen Textes. Da tut sich eine bunte Vielfalt an Geduld auf.
Seid geduldig. Habt makrothymía. Makro … - irgendetwas mit „groß“ also. Trifft es vielleicht „Großmut“? Aber Großmut ist Großzügigkeit und hat nicht wirklich etwas mit Geduld zu tun. Dann besser „Langmut“. Habt Langmut. Habt einen Mut, habt eine Zuversicht, die weiter reicht als von heute bis morgen. Geduld braucht einen langen Atem. Langmut.

Makrothymia – Langmut also. Auf das griechische Äquivalent von „Mut“ bin ich jetzt richtig gespannt. Ich schlage den zweiten Wortbestandteil  nach …, und da haut es mich um. Thymos hat eine unglaubliche, eine kaum zu beschreibende facettenreiche Vielfalt an Bedeutungen:
Seele Herz Gemüt Sinn – also die ganze Bandbreite unseres Inneren, das uns Menschen zu Menschen macht und nicht Tiere bleiben ließ. Dieses geschnürte Bündel Gepäck - Seele Herz Gemüt Sinn – nehme ich mit, um die Geduld im Jakobusbrief besser zu verstehen. Um besser verstehen zu können, wie und mit welcher inneren Einstellung wir auf das Kommen unseres Herrn warten sollen.
Habt Geduld. Habt makrothymia: Habt ein großes Herz und eine große Seele, macht euer Gemüt weit und euern Sinn empfänglich. Und habt so Geduld.
Doch damit nicht genug! Bei dem Wort für Seele Herz Gemüt Sinn (thymos) kommt außerdem noch viel Bewegung rein in unser Inneres. Viel Gemütsbewegung oder anders: viel Gemütswallung in der Geduld. Habt also darüber hinaus auch so Geduld: Spürt es, wenn sich euer Herz ganz zart meldet, und nehmt es genauso wahr, wenn euer Herz in tiefe Leidenschaft gerät, und seien das Unwillen oder Zorn. Und – auch so habt Geduld – hegt das innige Wünschen, fördert das heftige Verlangen in Euch. Makrothymia – habt zarteste Herzensregungen und unbändigen Zorn, habt heftiges Verlangen. Mit der ganzen Bandbreite eurer Gedanken und Gefühle richtet euch aus auf den Herrn. So seid geduldig auf das Kommen des Herrn.
Ich weiß nicht, ob der Bauer, der im Jakobusbrief ins Feld – fast möchte ich sagen aufs Feld – geführt wird, mit unserer Deutung einverstanden wäre. Er dient dem Briefschreiber des Jakobusbriefs ja lediglich als Vergleich. Denn ein Bauer soll eigentlich nur eins: Er soll warten. Wenn er das tut, kommt immer zur rechten Zeit das, was er braucht: der Frühregen und der Spätregen, die frühe Ernte im Jahr und die zweite, die späte Ernte im Jahr. Mit diesem schlichten Warten kommt aus der ländlichen Erfahrungswelt ein sehr einfacher Aspekt mit Gewicht zu unserer Geduld hinzu. Es geht auch um den richtigen Zeitpunkt, den es abzuwarten gilt. Fühlen Sie sich, liebe Gemeinde, fühlen Sie sich mit dem, was Sie beschwert und fertig macht, was Sie hinunter zieht und Ihnen die letzte Kraft raubt, bitte nicht auf die leichte Schulter genommen. Aber aus dem Predigttext lese ich auch dies heraus: Früher oder später wird alles gut in unserm Leben. Und ja, in diese Hoffnung schließe ich mich mit ein. Früher oder später wird alles gut. Dann kommt er, der Frühregen oder der Spätregen.
Geduld braucht einen Zielpunkt. Geduld bis ins Unendliche ist absurd. Geduld richtet sich aus: auf das Kommen des Herrn, auf das Ende der Pein, auf die erfüllte Hoffnung.
Wie wenn der Briefschreiber aber genau wüsste, dass Geduld, diese innere Haltung, sich nicht einfach herbeischreiben – sich nicht einfach herbeipredigen – lässt, ruft er Beispiele aus der alttestamentlichen Geschichte in Erinnerung: die Propheten und Hiob. Glaubt man dem Jakobusbrief, so war denen eine ziemliche Ausdauer in der Not und eine Fähigkeit auszuharren eigen. Harren … „Meine Seele harret auf den Herrn. Und ich hoffe auf sein Wort.“ (Ps. 130, 5), ist ein Psalmwort, das mich, zumal in der Vertonung von Johann Sebastian Bach, tief berührt.
Geduld in dem hier beschriebenen Sinn zu haben, ergänzt der Jakobusbrief durch zwei ganz lebenspraktische Ratschläge: Mockiert euch nicht übereinander. Bestärkt vielmehr und ermutigt eure Herzen. Wie groß die Reibungsverluste sind, wenn wir uns übereinander aufregen und sozusagen die Augen verdrehen und seufzen „Der schon wieder …!“ bzw. „Die schon wieder …!“, wissen wir aus vielfacher Lebenserfahrung. Solches augenverdrehende Aufstöhnen raubt Kraft, die viel eher für die Geduld gebraucht wird. Und solches Augenverdrehen lenkt ab vom Ziel, dass wir ja eigentlich auf den Herrn warten.
Wir warten auf den Herrn, denn es ist Advent. Dass sein Kommen unsere Geduld herausfordert, zeigt uns der Predigttext. Dieser Text zeigt uns aber auch  den Ernst der Lage jetzt, am 2. Advent: „Siehe, der Richter steht vor der Tür.“ (V. 9b) Der Richter steht vor der Tür; das „süße Jesulein“ ist da noch weit. Gott steht als Richter vor der Tür, jeden Augenblick kann er anklopfen, und die Tür geht auf.
Wie wird er sein, dieser Moment der Verantwortung?
Was werde ich vorbringen, wenn ich zur Rechenschaft gezogen werde?
Ich weiß es nicht; nicht jetzt ...

Bachs Kantate für den 2. Adventssonntag (BWV 70a) schließt mit einem Choral, in dem ich all das wiederfinde, was mir der Jakobusbrief zu predigen aufgetragen hatte:
Das herzensgroße Sehnen und Verlangen der makrothymia-Geduld. Und dass ich auf Gott als einen Richter hoffen kann, der sich meines Menschseins erbarmt, sich mit mir versöhnt und mich freispricht:

„Nicht nach Welt, nach Himmel nicht
meine Seele wünscht und sehnet,
Jesum wünsch ich und sein Licht,
der mich hat mit Gott versöhnet,
der mich freiet vom [frei macht im] Gericht,
meinen Jesum lass ich nicht.“

So lasst uns warten auf den Herrn.
So lasst uns gehen durch die Krise.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu.

Amen

Dr. Almuth Märker
Prädikantin an St. Thomas
almuth.maerker@web.de