Predigt über Jesaja 2,1-5

  • 06.08.2017 , 8. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt über Jesaja 2,1-5, 8. Sonntag nach Trinitatis, 6. August 2017

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Dies ist das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, schaute über Juda und Jerusalem: Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!

Liebe Gemeinde,
ganz anders als bei Jesaja ist der Tempelberg in Jerusalem im Moment wirklich alles andere als der Mittelpunkt des Weltfriedens. Er ist eher schon Sinnbild, Symbol für das Gegenteil - für Hass, Terror, Gewalt und Gegengewalt, er steht für Kriegsbereitschaft zwischen Völkern und Nationen und scheint sich immer weiter zu entwickeln zu einem Zentrum der Konfrontation zwischen Religionen und Kulturen, zu einem Ort, an dem sich die Spaltungen vertiefen und der von daher ein beliebtes Ziel derjenigen bleiben wird, die kontinuierlich auf diese Spaltungen hinarbeiten. Es erscheint einem im Moment eher hoffnungslos und alles sehr weit weg, was Jesaja da schaut. Schwerter zu Pflugscharen - kaum zu glauben, denn in der Tat: Es ist in der Geschichte der Menschheit meistens anders herum bis dahin, dass man aus Glocken Kanonen gemacht hat (aus unseren zum Glück nicht). Und in aller Welt wurde und wird bis heute mehr aufgewandt für Beschaffung und Entwicklung neuer Waffen als für die meisten andren Dinge; mehr an Geld und mehr an Geist als für die "Waffen des Friedens". Und während große Teile der Bevölkerung hungern und verhungern leisten sich Staaten wie Nordkorea die riesigen Kosten für die Entwicklung von Atomwaffen, bis heute, dem 72. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima. Immer noch das einprägsamste Beispiel dafür, dass nahezu alles, was die Menschheit je entdeckt, erforscht, erfunden und entwickelt hat, als Waffe eingesetzt werden konnte und kann, wenn man will...

Auch anderswo scheint sich diese innere menschliche Disposition nach außen besonders Bahn zu brechen. Entgegen der Vision des Jesaja scheint es so, als ob viele gerade mit Feuereifer den Krieg wieder lernen wollen, auch auf anderem Gebiet. In Hamburg, wo ich gerade war, sind viele immer noch total schockiert von den Ausmaßen der Gewalt während des G20-Gipfels. Einige meinten, solche Bilder von brennenden Straßen hat es seit dem Krieg nicht gegeben, obwohl Hamburg ja schon einiges erlebt hat an Straßenterror von links und rechts - aber was hat es zu tun mit links und rechts, wer so etwas macht, begeht ein Verbrechen gegen Menschen und führt Krieg gegen das Leben. Der blanke Hass - und dass die Schwelle so tiefliegt ihn hemmungslos auszuleben, vielleicht ist das im Moment mit unser größtes Problem auf Erden, auf allen Ebenen, dieser große menschliche Haltungsschaden.

Können Visionen wie die von Jesaja nun dazu beitragen, solch einen Schaden zu heilen? Gerade weil sie mit unserer Realität so wenig zu tun haben, haben schon viele davor gewarnt, Texte wie diesen als Handlungsrichtlinie für die Politik zu beziehen. Das betrifft nicht nur das berühmte Diktum von Bundeskanzler Helmut Schmidt „Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen". Für die Gesinnungsethik sei das alles geeignet, allerdings habe das alles im Bereich der Verantwortungsethik nichts verloren - und egal, wer die Diskussionen im Einzelnen geführt hat, steht die Frage immer im Raum: Muss man sich in die Schublade „Traumtänzer und Gutmensch" einordnen lassen, wenn man biblischen Texten wie diesen zutraut, dass sie unsere Realität tiefer durchwirken können, als wir es vielleicht glauben und auf den ersten Blick wahrnehmen?

Ihnen muss ich ja nun wirklich nicht erzählen, was gerade dieser Text mit seiner Symbolik Schwerter zu Pflugscharen an Wirkmächtigkeit entfaltet hat. Das Symbol der Friedensbewegung in der DDR war die Statue vor dem Uno-Hauptgebäude, die der UNO ausgerechnet, Treppenwitz der Geschichte, von der Sowjetunion geschenkt worden war. Als der Aufnäher am Ärmel verboten wurde, haben sich viele genau an der Stelle ein Loch in die Jacke geschnitten und was ist sinnenfälliger für die Durchschlagskraft dieses Symbols. Nicht zuletzt zeigen solche Verbote ja immer die Angst und die in diesem Fall realistische Einschätzung, dass hier nicht die Traumtänzer am Werk waren, sondern dass Visionen wie diese umgestaltende Wirkung haben können. Dass sie Hoffnungen in Menschen zum Erwachen bringen und sie ihre derzeitige Situation nicht als irgendeine Art von Gottesurteil empfinden.

Und das mag es letztlich sein, was Jesaja eigentlich im Sinn hatte. Weg vom vermeintlichen Gottesurteil, das doch nichts anderes ist als das, was menschlicher Hochmut und Größenwahn angerichtet hatten hin zu dem, was Gott selbst verheißt und als Richtung vorgibt. Die Verhältnisse waren zu seiner Zeit politisch und gesellschaftlich vielleicht noch chaotischer und verfahrener als unsere heutigen. Mittendrin aber erinnert er an dieses starke Bild, das sich wortgleich auch beim Propheten Micha findet. Diese Vision ist gerade keine Beschreibung der Realität, sondern ein Blick in die Zukunft und auch in die Tiefe der Geschichte Gottes mit seinem Volk und den Menschen überhaupt. Es lohnt sich, einiges in seinen Worten genauer anzuschauen.

Zunächst fällt auf, dass es nicht um Ermahnungen zu friedlichem Verhalten geht. Im Mittelpunkt stehen keine Strategien oder Konzepte für einen Friedensprozess, im Mittelpunkt steht Gott und sein Wort. Die Menschen gehen zum Berg Zion, um Gottes Weisung zu hören. „Von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem." (V 3b) Gottes Weisung, das ist sein Wille, wie wir er in der Thora, den fünf Büchern des Moses zu finden ist. Es geht um Gottes Weisung zu einem Leben in Freiheit, auf das bis heute Juden, Christen und Muslime in gleicher Weise hören. Es ist dieses Wort, das nach Jesaja allein zu einem gemeinsamen Weg und Leben in Frieden helfen kann. Und wenn der Berg Gottes „fest steht", wie es hier heißt, dann ist das ein schöpferischer Akt Gottes, so wie die Feste des Himmels in der Schöpfungsgeschichte Leben erst ermöglicht. Da ist keine Rede von einem apokalyptischen Endkampf, den die Mächte unter sich ausfechten, nichts dergleichen, der Friede beginnt auch friedlich.

Zum zweiten beschreibt Jesaja, wie Gott durch seine Weisung wirkt: „Er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker". (V 4a) Beim Richten denken wir vielleicht erst einmal an Strafen. Doch darum geht es hier nicht. Sondern er bringt die Völker zurecht und zeigt ihnen durch seine Weisung, was richtig ist. Dass sie sich „lehren" lassen und hören und auf die Weisung achten, das wird zur Bedingung, dass aus Mitteln zur Bekämpfung und Vernichtung des Gegners dem Leben dienende Werkzeuge angefertigt werden. All das beruht auf der Einsicht verantwortlicher freier Menschen. Einsicht - auch etwas, woran es hapern kann und was uns zusammen mit jeglichem Unrechtsbewusstsein abhandenkommen kann. Man liest in der Presse in Bezug auf den Diesel-und Abgasbetrug ja fast nichts darüber, dass jemand wirklich zur Einsicht aufruft - und zwar in Bezug auf die Grundeinstellung zum Thema „Betrug als System", „Lüge als Grundhaltung". Oder zur Grundeinstellung zum Thema Unrechtsbewusstsein. Wer nur auf vermeintliche Fehler hinweist und auf deren Beseitigung drängt, verkennt wohl die Tiefe des Problems. Nicht zuletzt war es eins der Hauptanliegen aller Propheten wie Jesaja, auf Lug und Trug in der Gesellschaft hinzuweisen als zur Routine gewordenes gemeinschaftsschädigendes Verhalten, das am Ende alle verlieren lässt. Ohne Einsicht wird kein Friede möglich - auf diese Formel lässt es sich bei Jesaja bringen. Das gilt sowohl für seine Visionen als auch für seine Botschaft an die, die in einer Gesellschaft besondere Verantwortung tragen.

Daraus ergibt sich eine dritte Beobachtung: Es geht bei den Menschen um mehr als ein bisschen friedlicheres Handeln. Es geht um die Einstellung, die innere Haltung: „Sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen." (V 4b) Danach sind Menschen nicht von Natur aus gewaltsam und kriegerisch, wir lernen aber Kampf und Krieg von klein auf. Wenn Kinder nicht mehr Krieg spielen und Erwachsene Hass und Gewalt verlernen, dann ist wirklich Frieden. Das ist die große Vision von Gottes Friedensreich: die Heilung dieses erworbenen Haltungsschaden beim Menschen. Und das kann nur Gott selbst tun mit seiner Weisung - und durch unsere Einsicht.

Die vierte Beobachtung betrifft den letzten Satz: „Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!" (V 5). Die Vision von Gottes Friedensreich bleibt nichts Fernes und Unerreichbares. Im Lichte dieser Hoffnung können wir wandeln im Licht des Herrn. Es geht um den immer wieder neuen Entschluss und die Ermutigung, schon einmal loszugehen und zu tun, was diesem Bild entspricht. Jetzt schon unsere Kräfte für ein friedliches Zusammenleben einsetzen, jetzt schon Hass und Abgrenzung ablegen, jetzt schon versuchen, den Krieg zu verlernen. Kommt nun - dieser Aufruf gilt für alle gleichermaßen, Juden, Christen und Muslime. Hier sind alle Völker und Nationen angesprochen, ausdrücklich alle Menschen. Menschen zusammen zu führen, Menschen zusammen in Bewegung zu setzen und Frieden zu lehren, das ist Gottes Ziel: das Miteinander unter der einen Weisung Gottes an die eine Menschheit. Das hat nichts mit Gleichmacherei zu tun, von Nationen und Völkern ist weiterhin im Plural die Rede, nicht Gleichmacherei sondern Gleichwertigkeit vor Gott ist das Entscheidende.

Natürlich: Im Licht des Herrn zu wandeln, steht für uns Christen unter einer besonderen Verheißung. Denn wir sehen in Jesus Christus dieses Licht des Herrn. „Ich bin das Licht der Welt, hat er selbst gesagt und: „Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben." (Johannes 8, 12). Jesus traut es uns zu, dass wir in seinem Licht wandeln und jetzt schon tun, was dem Frieden dient, Salz sein, Licht sein, es zeigen, was möglich ist, wie wenig es auch sein mag, selbst wenn es bildlich gesprochen gerade mal unter einen Scheffel passen mag...

Gerade an diesem Punkt wird eines deutlich: Dass und wie sehr wir die prophetischen Stimmen einfach brauchen, um uns nicht abzufinden mit dem Vorfindlichen. Um uns nicht selbst zu beschränken auf das, was wir immer schon konnten und indem wir nur das glauben, was wir immer schon wussten. Sie sind unbequem, diese prophetischen Stimmen, auch dieser schöne Text ist unbequem. Das Schwert will ja mit viel Arbeit umgeschmiedet werden, man benötigt Feuer, Kraft und Mut, der Berg will erklommen werden und der, Verzeihung, „innere Schweinehund" will jedesmal vor dem Aufbruch neu bezwungen werden.

Aber wie soll das gehen ohne die Vision vom Möglichen? Ich denke: Sorgen machen muss man sich um die, die keine Visionen mehr haben, nichts mehr, was sie antreibt. Die eigenen Kräfte und Vorsätze sind bekanntlich schnell am Ende und nicht nur das, sie sind korrumpierbar, sie können trügen und täuschen, sie geben vor endgültig zu sein - und ewig und unveränderbar. Das bestreitet Jesaja mit seinem Blick nach vorne bzw. in die Tiefe auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch. Die Kraft dieser Bilder trügt nicht, sie vermögen vielmehr hilfreich zu sein, alles auf dieser Welt vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen. Das Licht des Herrn zeichnet sich seit der Schöpfung dadurch aus, dass es Ordnung ins Chaos bringt, die Leben erst ermöglicht. Und das gilt es sich auch angesichts der größten Niederlagen der Menschheit deutlich zu machen, zu denen, wie gesagt, auch der Abwurf der Atombombe auf Hiroshima zählt. Denn wie sollte man sonst bei Kräften bleiben, Mut schöpfen, wenn nicht durch die Kraft solcher Visionen, die dem Tod und dem Elend den letzten Zugriff auf uns Menschen ihre letzte Macht und Gültigkeit bestreiten? Nicht zuletzt in der Geschichte unseres Landes hat sich für mich die Wirkmächtigkeit gerade dieser Vision eindrücklich bewiesen. Solche Worte sind Licht und Salz für unser Leben, die uns nähren und uns von so mancher Form von Kurzsichtigkeit zu heilen wissen. So mögen sie es tun in dieser Woche und in der kommenden Zeit.

Und der Friede Gottes, welcher in der Tat höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org