Predigt über Jesaja 43,1-7

  • 16.07.2023 , 6. Sonntag nach Trinitatis
  • Superintendent Sebastian Feydt

Predigt 6.So.n.Trin. 16.7.23, Jes 43,1-7

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

Der Predigttext für den 6. So. n. Trin steht im Buch des Propheten Jesaja im 43. Kapitel.

So spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel:

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; 

ich habe dich bei deinem Namen gerufen;

du bist mein!

 

Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.

Denn ich bin der Herr, dein Gott,

der Heilige Israels, dein Heiland.

 

Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner statt, weil du in meinen Augen so wert geachtet und herrlich bist, und weil ich dich so lieb habe.

Ich gebe Menschen an deiner statt und Völker für dein Leben.

 

So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.

Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln,

ich will sagen zum Norden:

Gib her! Und zum Süden: Halte nicht zurück!

Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, alle die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.

 

 

Liebe Gemeinde,

So spricht Gott, der Herr: Fürchte dich nicht!

 

Was für eine starke Ansage heute Morgen.

Mich berührt das. Fürchte dich nicht!

Drei Worte nur – und ich spüre:

Wer so spricht, weiß, was los ist.

Dass das Leben fürchterlich sein kann;

ich mich fürchte vor dem, was wird.

Alles, was uns dieser Tage beschäftigt,

- die Sorge um eine gesicherte Zukunft,

 - die Furcht vor den Folgen unseres Umgangs mit der Umwelt,

- die Angst vor der zunehmenden Bedrohung unseres Lebens – all das wird nicht ausgeblendet, sondern sehr ernst genommen.

 

Das heißt aber nicht, dass die Furcht das letzte Wort hat. Fürchte dich nicht!

Das ist ein starkes Widerwort!

Das ist ein Widerspruch!

Gegen die Logik der Angst und der Furcht.

 

Der Prophet, ein Jesaja, traut sich, diesen Einspruch zu erheben. Und er weiß, warum.

Er sieht, dass es so schwer, mitunter auch unmöglich ist, sich aus dieser ängstlichen und sorgen-besetzten Haltung selbst zu befreien.

 

Deshalb setzt Jesaja auf eine andere Lösung.

Eine Lösung, die mir gegeben wird.

 

Das ist die Hoffnung des Propheten.

Und in dieser Hoffnung gibt Jesaja diese Worte weiter, die für ihn von Gott ausgehen und an uns Menschen gerichtet sind: Fürchte dich nicht!

 

Er spricht es, weil sich für ihn selbst in diesem Wort Gottes die Kraft offenbart, nicht aufzugeben und nicht zu verzweifeln. 

Fürchte dich nicht! spricht Jesaja zu sich und zu all den mit ihm vertriebenen Israeliten, mit denen er, fern der Heimat, im Exil in Babylon, ohne eine realistische Chance auf Rückkehr und ein Leben in Freiheit, nach Lösungen die Existenz der Israeliten überhaupt sucht.

 

Für unsere Beurteilung der Belastbarkeit und der Verlässlichkeit der Zusage Gottes ist das wichtig zu wissen:

Fürchte dich nicht! ist nicht einfach so gesagt.

Hier geht es um die Existenz schlechthin.

Einst im babylonischen Exil genau so wie heute im gefühlten Exil mitten in der Heimat.

 

Fürchte Dich nicht!

Die Zusage will kein Trostpflaster sein, sondern sie will uns in unserer Verunsicherung erreichen, sie will uns aufrichten, will zu einer anderen Haltung als der mir aufgezwungenen oder selbst eingenommenen ermutigen.

 

Vor diesem Hintergrund dürfen wir uns heute Morgen getrost öffnen und unvoreingenommen hören, was da ein für alle mal – damit auch uns gesagt ist: Fürchte dich nicht!

 

Und nicht nur das.

Die starke Zusage Gottes wird begründet:

Dreifach!

Gott spricht: Fürchte dich nicht, denn:

    1. - ich habe dich erlöst;

    2. - ich habe dich bei deinem Namen gerufen;

    3. - du bist mein!

 

Im ersten Moment könnte man meinen,

jetzt betreten wir den Bereich des nicht mehr Greifbaren, des Überirdischen.

Erlösung – damit verbinden viele etwas,

das sich mit dem Tod ereignet.

Hier geht es aber um das Leben!

Es geht um unser gegenwärtiges Leben.

Und die prophetische Ansage heißt:

die Erlösung in diesem Leben hat bereits stattgefunden. Ich habe dich erlöst - spricht Gott  mir hier und heute  zu.

 

Was damit gesagt ist erschließt sich, wenn wir wissen: Der hier gebrauchte Begriff „Erlösung“ stammt aus der Rechtssprache.

Gemeint ist das Losgelöstsein, die endgültige Ablösung von Ansprüchen, die andere erheben. Es geht um das befreit-sein aus aller Schuldigkeit, die es in jedem Leben gibt.

 

Ist das nicht ungemein entlastend?

Ist das nicht enorm aufbauend?!

Hier offenbart sich in diesen alten Worten ein großartiges, ein ganz neues Bild von einem freien Menschen. Von Geburt an, heute vermittelt in der Taufe erfahren wir:

Es gibt letztlich nichts und niemand, der Anspruch auf uns und unser Leben erheben kann und darf. Keinen anderen Menschen, nicht Eltern, nicht Kinder, keine Partner; aber auch kein Staat kann für sich einen Anspruch legitimieren, über mein Leben letztinstanzlich zu verfügen. Ganz gleich, ob ich mein Leben gelingen lasse, oder es misslingt.

 

Gottes Wort: Ich habe dich erlöst weist nicht nur die Ansprüche Anderer, der Gesellschaft und des Staates in die Schranken.

Und es ist eine Ermutigung, die Angst des Menschen vor sich selbst zu überwinden.

Ich muss mich nicht vor mir fürchten.

 

Die überzogenen Ansprüche, die ich an mich selbst richte, mein Verhaftet-sein in so mancher Abhängigkeit und Schuld hat keinen Bestand.

Gottes Wort der Erlösung gilt mir vor mir selbst.

Ich bin gemeint.

Ich bin ausdrücklich angesprochen:

... ich habe dich bei deinem Namen gerufen...

Es geht um mich.

Ich bin Gott wichtig.

Da gibt keinen Zweifel.

Mit meinem unverwechselbaren Merkmal, mit meinem Namen bin ich von Gott gerufen.

Gerufen, nicht nur so beiläufig angesprochen.

Wenn ich gerufen werde, dann ist da eine Distanz zu überbrücken, dann stehe ich nicht unbedingt nah bei, sondern vielleicht etwas weiter weg. Wenn mich jemand bei meinem Namen ruft, dann bin ich bekannt – und erkannt.

Dann besteht da eine Beziehung.

 

Als Mensch sind wir nicht ein austauschbares Teil einer großen Masse, sondern haben alle einen ganz eigenen Wert. Und eine eigene Würde.

 

Gottes Zuspruch Fürchte dich nicht! stärkt uns, dem Angriff auf die von Gott verliehene Würde angstfrei und furchtlos entgegen zu treten.

Und es auch zu tun.

Nicht nur dort, wo es uns wenig Mühe bereitet; nicht nur dort, wo wir selbst betroffen sind, sondern gerade dort, wo Anderen die Angst und Furcht vor ihrer Entwürdigung im Nacken sitzt.

 

Denken wir bei unserem grenzenlosen Reisen quer durch Europa und um die halbe Welt an diejenigen, für die das Überqueren von Grenzen damit verbunden ist, um ihr Leben zu bangen:

Flüchtlinge, die es inzwischen an allen Grenzen und an allen Orten gibt: Männer, Frauen, Kinder, Alte, Babys, Ungeborene... 

 

Sie befinden sich in einer vergleichbaren Situation, wie sie einst dem Prophet Jesaja vor Augen stand:

Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen;

und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.

Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.

Liebe Gemeinde,

es ist das totale Verständnis Gottes für die von Not und Angst gezeichneten Menschen, das aus diesen Worten spricht.

Deutlicher lässt sich die unmittelbare Zuwendung Gottes und seine Liebe zum Menschen kaum ausdrücken, als in diesen einprägsamen Versen: Fürchte dich nicht!

 

Die Bibel wagt es in ihrem ersten, dem Alten Testament, der Angst des Menschen und seiner Furcht zu begegnen, indem sie Gott zu Wort kommen lässt, indem sie Gottes Gesinnung und Gottes Wirken uns Menschen nahe bringt.

Die Frage, ob der Angst des Menschen als Realität in seinem Leben   mit Gott und der Annahme seiner Realität im Leben   wirksam begegnet werden kann, beantwortet sie nicht mit ja oder nein.

 

 

Vertrauen in Gott lässt sich nicht erzeugen. Vertrauen in die Liebe und Zuwendung Gottes zu uns Menschen lässt sich nur erfahren.

Glauben.

Und leben.

Fürchten wir uns nicht vor diesem Leben.

Leben wir furchtlos und voll Vertrauen in unseren Gott.

Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen