Predigt über Jesaja 5, 1-7

  • 25.02.2018 , 2. Sonntag der Passionszeit - Reminiszere
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Jesaja 5,1-7 (Weinberglied) am Sonntag Reminiszere, 25.2.2018, St. Thomas zu Leipzig um 09.30 Uhr.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

der Psalmbeter des 25. Psalms hat dem heutigen Sonntag seinen Namen gegeben – Reminiscere. „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind. Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen, gedenke aber meiner nach deiner Barmherzigkeit, Herr, um deiner Güte willen.“

Gedenken ist wichtig, damit Dinge nicht in Vergessenheit geraten, an die sich Generationen nicht mehr selber erinnern können. So kann ich einen heute vierzehnjährigen nicht dafür verantwortlich machen, dass seine Urgroßelterngeneration in Deutschland Juden umgebracht hat. Aber er muss sich auch als Jugendlicher dafür verantworten, wenn daran nicht mehr erinnert wird. Momentan wird viel diskutiert über Gedenken, Erinnerungskultur und das, was lohnenswert und geboten ist, zu bewahren im Gedächtnis eines Volkes und damit auch jedes Einzelnen.

Wer Zeiten der Diktatur erlebt hat, vor achtzig oder vierzig Jahren, wird sich selber erinnern, wie Gedenken politisch missbraucht wurde, um eigene Ziele durchzusetzen. Mit dem, woran und wie wir uns erinnern, bzw. nicht mehr erinnern, setzen wir gleichzeitig ein Zeichen. An ihm wird ablesbar, wie eine Gesellschaft mit Geschichte umgeht. Dem Psalmbeter aus dem 25. Psalm war vor vielen Jahrhunderten bewusst, das Erinnern immer etwas mit eigener Lebensgeschichte zu tun hat. So kann er im vollen Bewusstsein Gott erinnern, er möge bitte barmherzig und gnädig mit der Lebensgeschichte des Menschen umgehen, indem er sich an SEINE Barmherzigkeit erinnert. Damit verbindet sich gleichsam die Hoffnung, dass Gottes Zorn über das Fehlverhalten von seinen Menschen nicht die Oberhand gewinnt, sondern die ihn auszeichnende Barmherzigkeit.

Nun, liebe Gemeinde, haben wir ein Problem: Wie vertragen sich die beiden alttestamentlichen Texte des heutigen Sonntags, der Psalm und das Weinberglied es Propheten Jesaja?

Man könnte den einen Text gegen den anderen ausspielen. Dann wäre die Predigt hier bereits kurz vor ihrem Ende, denn der gnädige, barmherzige Gott würde schwerer gewichtet als der sich aus enttäuschter Liebe selbst vergessende Gott. Oder aber: Wir versuchen auszuhalten, was gegeneinander steht und begeben uns damit durchaus auch auf einen Leidensweg mit unserem Gott, dem wir allzu gerne nur die Liebe zuschreiben und nicht den Zorn.

 

Das so genannte Weinberglied des Propheten Jesaja zählt wohl zu den Meisterwerken der alttestamentlichen Poesie. So jedenfalls habe ich es im Studium gelernt. Jesaja tritt als Bänkelsänger auf einem Weinfest auf und singt ein Lied. Alle Zuhörer sind erfreut ob der guten Unterhaltung. Doch je weiter Jesaja mit seinem Liedvortrag fortschreitet, desto angespannter werden die Zuhörer. Denn sie beginnen zu begreifen: Aus der harmlosen Parabel wird bitterer Ernst, weil sie selbst damit gemeint sind. Zu Beginn wird den lieben Freunden ein Lied gesungen von einem Freund, der sich viel Mühe mit seinem Weinberg gibt.

Alles stimmt - die Lage auf einem guten, fruchtbaren Boden, die Begleitumstände - denn der Weinberg ist gesichert durch eine feste Mauer und einen Zaun, auch das Zubehör ist auf dem modernsten Stand der Technik durch einen Turm und eine in den Felsen gehauene Kelter, nicht zu vergessen sind auch die edlen Trauben, welche angeschafft wurden. Allein die Trauben wollten nicht so recht. Statt einer guten Ernte mit guten Trauben, gibt es stinkende, schlechte Trauben. Soweit die Vorgeschichte.

Nun werden die Zuhörer einbezogen: Sie werden aufgefordert zu entscheiden, was mit dem Weinberg passieren soll. Und diese Entscheidung liegt klar auf der Hand. Deshalb fährt der Sänger auch gleich fort: Ich will euch sagen, was ich tun werde:

Nämlich alles wird eingerissen. Der Weinbergbesitzer hat die Nase voll. Er ist frustriert.

Und jetzt kippt die ganze Geschichte. Denn Jesaja sagt vom Weinbergbesitzer, dass er es nicht mehr regnen lassen will auf seinen Weinberg. Spätestens da merken die Zuhörer, wer der Weinbergbesitzer ist - nämlich Gott, der Herr über Regen und Sonne. Für diejenigen, die etwas länger brauchen bringt es Jesaja noch einmal auf den Punkt:

Des Herrn Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung. Das so fröhlich begonnen Bänkellied endet mit erschrockenen Zuhörern.Es endet in einer harten Gerichtsbotschaft. Hören wir auf die Worte des Jesaja.

 

Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.

 Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.

2 Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.

3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg!

4 Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?

5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde.

6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.

7 Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Liebe Gemeinde, hier bei Jesaja wird uns die Zuwendung und Liebe Gottes zu seinem Volk vor Augen geführt in der Gestalt des Winzers, der sich ungemein abmüht mit seinem Weinberg.

Liebe bedeutet immer auch Arbeit. Wir kennen das aus unseren zwischenmenschlichen Beziehungen und Erfahrungen miteinander. Keine Freundschaft, keine Partnerschaft besteht auf Dauer, wenn es nicht diese Arbeit und Investition, in der sich der eine um den anderen müht, gibt. Gott investiert seine Liebe in den Weinberg. Und wir alle leben von solchen Investitionen Gottes.

Dass der Mensch kein vollkommenes Wesen ist, hat uns der Psalmbeter mit seinen Worten vor Augen geführt. Gott schuf die Voraussetzungen, dass uns Leben gelingen kann. Indem er uns Freiheit und Verstand gab, um damit verantwortlich umzugehen.

Dass das Leben nicht gelingt, dass vielmehr am Ende faule Stinktrauben am Weinberg wachsen, - ist schier unbegreiflich. Und Jesaja, der Prophet, führt es uns deutlich vor Augen. Wie ist dies möglich, fragt er zwischen den Zeilen?

 

Die Menschen scheiterten nicht an der Härte, sondern an der Liebe Gottes.

Am Ende steht Gott als der enttäuschte Liebhaber da. Ein Gott, mit dem man Mitleid haben möchte, weil er trotz aller Bemühungen nicht das erreicht hat, was er wollte. Gott der enttäuschte Liebhaber!

Wir sind gewohnt, Gott wegen unserer Enttäuschungen anzuklagen. Hier geschieht das Umgekehrte. Und wo Liebe enttäuscht wird, da sitzen die Verletzungen tief. In der Passionszeit erfahren wir die Geschichte vom Leiden Jesu Christi, seinen Weg nach Jerusalem, dem Ort seiner Kreuzigung. Etwas von diesem Leiden wird auch im Weinberglied deutlich.

Die leidenschaftliche Liebe Gottes und das Leiden seiner enttäuschten Liebe. Ja, Gott ist verletzlich, weil er seinen Weinberg liebt und damit seine Menschen liebt.

Wem der andere gleichgültig ist, den interessiert es auch nicht, ob dieser die Liebe erwidert. In Jesajas Weinberglied wird davon gesungen, wie Gott sich um seine Liebe (sein Volk, seine Menschenkinder) ernsthaft und mit viel Arbeit bemüht. Umso größer ist die Enttäuschung über verschmähte Liebe. Sie wiegt so schwer, dass sich Gott nicht mehr an seine Barmherzigkeit erinnert, sondern dass sein Erinnern ein Erinnern an die verschmähte Liebe ist.

 

 

Das Weineberglied des Jesaja endet in einem unausweichlichen Gericht mit Schrecken und Zerstörung.

Und manchmal ist es notwendig, dass Dinge oder Beziehungen kaputt gehen, damit etwas Neues wachsen kann. Unsere Kirche, unser Land braucht mehr als Traditionen, an denen sich Menschen festhalten können, die Orientierung geben. Wir brauchen die Hoffnung, die über das Vorfindbare hinausgeht. Ihr wohnt die Kraft der Veränderung und Erneuerung inne. Die Geschichte des heutigen Predigttextes ist eine Geschichte ohne Happy-End. Dies macht es schwer, sie auszuhalten, weil die Sehnsucht nach gelingendem Leben und Harmonie tief im Herzen wohnt. Aber vielleicht kann ich aus der Geschichte lernen, dass es gerade in der Passionszeit auch solche Geschichten auszuhalten gilt. Gerade dieses Aushalten wäre dann eine gute Frucht aus dem Weinberg Gottes.

Das große „Aber“ von Ostern liegt erst auf der Rückseite des Berges, den wir noch erklimmen. Und auch bei Jesaja schließen sich Heil und Gericht nicht aus. Schon ein paar Kapitel weiter verheißt er “dem Volk, das im Finstern wandelt” ein großes Licht. Das Neue in der Verkündigung von Jesaja ist:

Dass sich das Volk Israel nicht mehr auf Traditionen verlassen kann. Es gibt nichts mehr, dass seinen Bestand garantiert. Alles Heil, aller Friede und alles gelingende Leben wird aus einem zukünftigen Geschehen zugesprochen. Dieses zukünftige Geschehen wird im Glauben sichtbar. “Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht”.

Und so ist schon eine Perspektive angedeutet, die dann im Neuen Testament noch viel mächtiger zur Geltung kommt: Der gefallene und sich von Gott abwendende Mensch erfährt Gottes Zuspruch und Gottes Liebe darin, dass Christus für uns gestorben ist. Damit gibt Gott keinen Menschen verloren. Dies ist ein entscheidendes Merkmal unseres christlichen Glaubens.  Und weil Gott keinen Menschen verloren gibt, sind auch wir ermutigt, über niemanden das letzte Urteil zu sprechen. Vor diesem Hintergrund kann ich auch eine Geschichte ohne Happy-End erzählen und aushalten.

Gott leidet im 21. Jahrhundert genauso an den Ungerechtigkeiten dieser Welt wie zu Jesajas Zeiten. Er wartet auch heute noch auf Rechtsspruch und sieht allerorts nur Rechtsbruch. Er wartet ebenso wie damals auf Gerechtigkeit und muss sich das Geschrei über Schlechtigkeit anhören.

Aktuelle Beispiele kennen wir zur Genüge. Und die stinkenden Früchte aus Ungerechtigkeit und Unvermögen stechen mit ihrem Gestank heute nicht nur Gott in die Nase.

Das schönste Orgelstück, die vortrefflichste Chormusik und der großartigste Gemeindegesang berühren Menschen, trösten sie, geben Kraft und Hoffnung. Aber: Sie werden den Gestank der Stinktrauben nicht vertreiben können. Christsein ist nicht nur Seelenmassage und Wohlfühloase für ein saturiertes Bürgertum. Denn auch wir, jeder Einzelne und die Kirche als Gesamtheit, werden uns verantworten müssen, wo Rechtsbruch toleriert wurde und wo nicht versucht wurde, Ungerechtigkeit zu verwandeln.

Jesajas Liebeslied, das sich zum Protestlied wandelt, möge uns in den Ohren liegen, damit wir nicht vergessen, was zu tun ist: Gott zu bitten, sich seiner Barmherzigkeit zu erinnern und selber aus dieser Barmherzigkeit zu leben in Verantwortung für diejenigen, die Opfer von Unrecht geworden sind.

Liebe Gemeinde, Jesaja stellt uns Gott als enttäuschten Liebhaber vor. Was tut der enttäuschte Liebhaber im Jahr 2018? Er wird dies tun:

-an seiner Liebe festhalten, trotz aller Enttäuschungen

-weiterhin auf Recht warten und auf Gerechtigkeit. Dies kann uns zum Trost werden, als Christen nicht aufzugeben. Aber dort, wo wir Gottesferne erleben, wo Gott sich abgewandt hat, dürfen wir ihn mit den Psalmversen an seine Barmherzigkeit erinnern.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unser Verstehen, bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Martin Hundertmark, Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig