Predigt über Jesaja 58,7-12

  • 06.10.2019 , 16. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Prophetenworte sind anstrengend, liebe Gemeinde,

denn sie treffen mitten ins Leben, sie treffen mich.

Und weil es bei Prophetenworten nicht darum geht, Dinge schön zureden, sondern Dinge beim Namen zu nennen, tut es oft in den Ohren weh und manchmal auch im Herzen.

Jesajas ist ein Prophet, der vorrangig Gutes verkünden darf, ganz im Gegensatz zu seinem Kollegen Amos. Mancher kennt die Jesajaworte aus der Adventszeit und vom Heilig Abend-Gottesdienst.

„Das Volk, das im Finstern wandelt sieht es großes Licht.“

Das sind schöne Worte, die Kraft geben und voller Verheißung sind. Solche Worte klingen gut in den Ohren derer, die auf der Suche sind, auf der Suche nach Leben.

Heute, zum Erntedankgottesdienst sind uns Jesajaworte mit auf den Weg gegeben, die ganz anders klingen, auch voller Verheißung, ohne Zweifel, aber mit einer anderen Stoßrichtung:

Doch hören wir selber aus dem 58. Kapitel

 7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.

9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen:

Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest,

10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.

11 Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken.

Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.

12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.

 

Hungrige speisen, Obdachlose beherbergen, Schwache stärken, Nackte kleiden – die Werke der Barmherzigkeit sind uns bekannt, nicht zuletzt durch die Heilige Elisabeth, die sie wie kaum eine andere Frau bis hin zur zerstörerischen Selbstaufgabe gelebt hat. Ich höre sie wohl, diese Worte der Barmherzigkeit und sie verklingen schnell, denn ich weiß: wir haben als Kirche unsere Institutionen, die sich genau darum kümmern.

Jesajas Worte wollen etwas anderes.

Sie sprechen DICH an. Messerscharf und ohne Umschweife.

Brich dem Hungrigen DEIN Brot, heißt es.

Das überfordert mich, möchte ich schnell einwenden. Ich kann die Welt nicht retten.

Ich kann nicht allen Hunger stillen.

„Doch“ sagt da Jesaja. Du kannst von Deinem Überfluss abgeben. Und du kannst Teilen, ohne dabei selber arm zu werden.

 Liebe Gemeinde,

Elisabeth von Thüringen war gewiss eine besondere Frau. Für viele ist sie ein Vorbild.

Manche beten deshalb sogar zu ihr.

Will Gott, dass wir alle zur Elisabeth werden?

Wohl eher, dass ich zur Einsicht komme.

Zur Einsicht, dessen, dass mein Leben Geschenk ist und meine Lebensmittel keine Selbstverständlichkeit. Man mag sich auf dem Weg dieser Einsicht vor Augen halten, welche Auswirkungen zwei Dürresommer vor fünfhundert Jahren gehabt hätten. Ein beträchtlicher Teil der Einwohner wäre wohl verhungert. Und heute? Heute wird deshalb ein Brot evtl. zehn Cent teurer. Niemanden interessiert das wirklich. Brot ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Keiner muss an zu wenig Brot leiden. Trotzdem steht es immer noch auch symbolisch für unser menschliches Grundbedürfnis nach Nahrung und Sättigung. Brotmangel unserer Gegenwart ist die Zeit.

 Den heutigen Predigttext möchte ich aus zwei Perspektiven beleuchten.

 1.)     Geteilter Mangel

Darin spiegelt sich eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet am Erntedankfest uns ein Text mit auf den Weg gegeben wird, der vom Mangel erzählt, wo wir doch den Überfluss feiern und dafür danken wollen und dürfen.

Als große Überschrift steht „Brich dem Hungrigen Dein Brot“ doch wenn ich weiterlese und weiter höre, entdecke ich den Mangel. Eine Zeit voller Mühsal wird beschrieben. Und umso eindringlicher wird diese Zeit vor dem inneren Auge, wenn sie mit den guten alten Zeiten, in denen noch alles in Ordnung war verglichen wird.

Verklärung in der Rückschau – dieser Moment ist uns wohl bekannt. In der kommenden Woche werden die Verklärer wieder Hochkonjunktur haben, wenn das Ende der DDR in die Erinnerung tritt. Und vielleicht ist es sogar ein Schutzmechanismus der eigenen Seele, dass Dinge, an die sie sich erinnert in der Rückschau meistens positiver bewertet werden als sie denn wirklich waren.

Wer möchte schon sein ganzes Leben mit bösen Erinnerungen zubringen? Niemand.

Also erzählt Jesaja aus der Mangelsituation heraus. Die Welt liegt in Trümmern. Niemand ist da, der sich um gute Wege kümmert, um gute Infrastruktur, damit der Handel blühen kann. Blühender Handel garantiert Wohlstand und Aufschwung.

Hinzu kommt die Dürre. Krankheit ist ebenso ein Problem. Und so werden öffentliches und persönliches Elend zu einem einzigen Elend.

Wer zu Gott schreit, der bekommt keine Antwort mehr.

Warum ist das so?

Der Text antwortet scheinbar:

Weil DU nicht teilst, weil Du nicht abgibst.

Teile und sobald wird alles gut und Gott ist auch wieder spürbar?

Oh, nein, will ich da einwerfen. Wer Gott an das eigene Handeln binden will, wird schnell ins Unglück stürzen. Denn es entsteht eine Arbeitsethik, die mich zum Gefangenen macht. Gefangen im eigenen Tun und Leistungsdenken. Genau das will Gott ja nicht, dass ich durch meine Leistung und meinen Verdienst ihn mir gefügig mache. Gott ist nicht planbar.

Aber erfahrbar ist er als der mich auch im Mangel Umgebende.

Jesaja erinnert daran: Gott ist König und als solcher hat er auch die Verantwortung für sein Volk und gibt ihnen andererseits Verantwortung in dem Maße, wie sie es schaffen können.

Deshalb: Wo Menschen mit dem Finger auf andere zeigen, wird Leben nicht gelingen, Wo ich nur für mich lebe und alles in mich hineinfresse, im wahrsten Sinne des Wortes, bleibt das Leben mangelhaft, bleibt es hungrig und durstig – trotz Übergewicht und Herz-Kreislaufbeschwerden.

Indem ich teile und dadurch Gemeinschaft gewähre, nehme ich an Gottes eigenem Werk Anteil. Solche Gottesgemeinschaft ist nicht denen verheißen, die alles aus sich selbst heraus machen und schaffen wollen.

 2.) Gebrochenes Dasein

 Das Brot wird im Orient gebrochen und nicht geschnitten. Aus Dankbarkeit reicht dann der Hausherr die gebrochenen Brotstücke an die Familie und an die Gäste weiter. Solches geschieht immer zu Beginn einer Mahlzeit. „Brich dem Hungrigen Dein Brot“ ist somit ein Symbol für eine ganze Mahlzeit.

Es geht nicht um ein Almosen, um den Brotkrumen, der übrig ist und vom Tisch gefallen. Es geht um Gemeinschaft.

Weil kaum einer seine Mahlzeit gerne alleine einnimmt, stiftet Teilen und gemeinsames Essen eine tiefe Verbundenheit mit denen, die am Tisch sitzen.

Jesus nimmt das auf und gibt der Tischgemeinschaft einen neuen Impuls. „Immer wenn ihr gemeinsam das Brot in meinem Namen brecht, bin ich mitten unter Euch“.

Das gebrochene Brot ist das Symbol unseres eigenen gebrochenen Daseins und unseres durch IHN geheilten Daseins.

In dieser Ambivalenz leben und feiern wir.

Kein Schlaraffenland verheißt Jesaja und Jesu Verheißungen vom Reich Gottes treffen die harte Wirklichkeit voller Bewährung, voller Not und Elend und voller Unfertigkeiten.

Gott will nicht, dass ich die Welt rette, weil sie schon durch seinen Sohn gerettet ist. Vielmehr will er, dass ich sie verändere mit den Talenten und Möglichkeiten, die er mir geschenkt hat. Konzentriere dich auf das, was Dir möglich ist. Finde Dich nicht ab mit dem Hunger der Welt nach Nahrungsmitteln. Und finde Dich nicht ab mit dem Hunger der Seelen nach erfülltem und reichen Leben. Schaue um Dich, sagten Jesaja und Jesus. Schaue und sieh, was Du tun kannst, ohne dass Dir dabei der Bissen im Halse stecken bleibt.

Dass, was ich tun kann, ist, andere mit in die Gemeinschaft eines Gottes zu nehmen, der für Leben steht. Aus dieser Lebensgemeinschaft heraus ziehe ich meine Kraft.

 

In Zeiten wo die Ressourcen knapper werden, wo Menschen deshalb leiden, will uns Jesaja zur Besinnung rufen. Lebe nicht für Dich alleine und versuche erst gar nicht alles alleine regeln zu wollen. Schaue auf die Gemeinschaft mit Deinem Gott.

Dort wird auch der Hunger des Satten gestillt, weil sich Menschen in seinem Namen versammeln und weil sie erkennen:

Ich darf mein Leben als großes Geschenk aus Gottes Hand nehmen. Somit bin ich von unnötigen Sorgen befreit. Aus solcher Freiheit heraus werde ich in die Verantwortung für mein Lebensumfeld entlassen.

Vielleicht erkenne ich dann sogar einige Zusammenhänge zwischen eigenem Lebensstil und dem Hunger nach Brot, Zeit, Gemeinschaft und Lebensmöglichkeiten meines Nächsten.

Und wenn es ganz gut läuft, bin ich bereit, jenen Hungrigen mein Herz finden zu lassen.

Kaum auszumalen ist, wenn sich dann mein eigenes Leben verändert.

Dass Gott mich dafür für fähig hält, ist ein großer Grund zum Danken.

 Amen

Pfarrer Martin Hundertmark
hundertmark@thomaskirche.org