Predigt über Joh 16, 16-19

  • 07.05.2017 , 3. Sonntag nach Ostern – Jubilate
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Joh 16, 16-19 am Sonntag Jubilate, Thomaskirche zu Leipzig um 9.30 Uhr, 7. 5. 2017

Der Predigttext des heutigen Sonntags berichtet Vom Weggehen und Wiederkommen, von Traurigkeit und Freude. Im Johannesevangelium verabschiedet sich Jesus von seinen Wegbegleitern. Aus diesen Abschiedsreden lese ich im 16. Kapitel. 

16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.

20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden.

21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.

22 Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.

23 Und an jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen.

Wiedersehen macht Freude

 -so sagen wir gelegentlich wenn etwas verliehen wird, sei es ein Buch, ein Werkzeug oder Geld. Mit diesen Worten drücken wir die Hoffnung aus, dass etwas von dem zurückkommt, was wir anderen anvertraut haben. Jesus Christus weiß um die Tatsache seines Leidens und Sterbens. Aber er weiß auch, dass damit seine Geschichte mit den Weggefährten noch nicht zu Ende sein wird. Das Wiedersehen ist fester Bestandteil seiner Verkündigung. Nur den Jüngern fehlte dafür das Verständnis und Begreifen. Gefangen in der Angst, gefangen im Unverständnis, können sie nur bis zum Kreuz sehen. Solches Sehen spiegelt gleichermaßen auch unsere Realität wieder. Sorgen, Nöte, Leid können uns sehr stark prägen. Ihre Prägekraft baut schnell eine Mauer um die Seele, so dass nichts mehr durchdringen kann, schon gar keine Freude. Wenn nun aber das Wiedersehen zum Weggehen dazugehört, wenn also die Trübsal nicht das letzte Wort haben wird, dann lässt sich die Freude auch nicht ausklammern. Für Jesus war sie Zielpunkt seiner Verkündigung. Freude über den Sieg des Lebens, Freude über neue Schöpfung, über Auferstehung im Alltag. Nur, wer das noch nicht erlebt hat, dem fehlt dafür die Vorstellungskraft. Himmlische Freude, liebe Gemeinde, lässt sich nur schwer antizipieren und schon gar nicht verordnen. Taugt sie deshalb nur als Vertröstung, um den mit Mühsal beladenen Alltag besser überstehen zu können? Oder taugt sie nur als Unterdrückungsmechanismus, damit Herrschaftsansprüche besser abgesichert werden können? Beides wäre fatal, kam und kommt in unserer Kirchengeschichte leider nur allzu oft vor. Himmlische Freude darf sich finden lassen auch schon im Hier und Jetzt. Deshalb verknüpft sie Jesus Christus in seiner Abschiedssequenz mit dem Geburtsgeschehen als Gleichnis für einen Neubeginn, der Trübsal und Schmerz ablösen wird. Liebe Tauffamilien, ihr habt das in den letzten Monaten wahrscheinlich genau so erfahren – die Wandlung von Geburtsschmerz zu Geburtsfreude, der Jubel über die Schöpfung neuen Lebens liegt gewissermaßen in euren Armen.

Im Predigttext wird von der Zeit der Bedrängnis erzählt. Indem Jesus Christus das tut, macht er einen bemerkenswerten Schritt. Er klammert die Wahrheit nicht aus. Seiner Gemeinde wird dadurch verdeutlicht: Christsein ist nicht nur Freude, sondern kann durchaus anstrengend sein, wenn andere darüber lachen. Leid und Not, ja existentielle Bedrohung können sogar am Lebensfaden zerren. Jesus malt ein realistisches Bild. Dadurch bereitet er seine Gemeinde auf Schwierigkeiten vor, die es zu überwinden gilt, die überwunden werden und an deren Ende eben jene Freude wartet, die alles zuvor Geschehen in Vergessenheit geraten lässt.   

Zeit der Bedrängnis

Groß ist die Bedrängnis, auch wenn wir diesen Umstand vielleicht gar nicht so sehr am eigenen Leibe spüren mögen in unserem Land. 

"Es kann sein, dass ihr Menschen trefft, die Tränen vergießen. Zeigt ja nie Gnade mit diesen Winselern! In dem Moment, in dem wir Gnade zeigen, verwandeln wir uns selbst in Menschen, die der Gnade bedürfen!" zitiert die Süddeutsche Zeitung den türkischen Präsidenten.

Welche Umkehrung, liebe Gemeinde, welche falsche Lehre selbst innerhalb des Islams, dessen Anthropologie selbstverständlich von einem Menschen ausgeht, der der Gnade Gottes bedarf. Christen, die sich solch einem Despoten ausgesetzt sehen, brauchen dringend unsere Unterstützung, wie auch diejenigen, die ihre Hoffnung auf Demokratie und Selbstbestimmung noch nicht aufgegeben haben. Ein entscheidender Puzzlestein solcher Unterstützung wurde am Freitag veröffentlicht. Wie auch immer es kommen möge:

Dass Staatsbürger in Deutschland über die Einführung der Todesstrafe abstimmen, lässt sich nicht mit unseren Werten vereinen und wird nicht geschehen.

So wie durchaus absehbar war, wohin sich ein Staat entwickelt, der eine Trennung von Religion und Gesetz nicht mehr für nötig hält, so lässt sich ebenfalls daraus lernen, dass die unscheinbaren Anzeichen nicht ignoriert werden dürfen, wollen wir uns Freiheit und Demokratie bewahren. Die Gefahr des billigen Populismus lauert überall und lässt sich nicht in einem einzigen politischen Lager verorten.

Wir brauchen deshalb niemanden, der uns mit subtil rassistischer Ideologie eine Alternative zur Demokratie für Deutschland anbietet und allen Christen, die darauf nicht einsteigen wollen, rät, die Kirche zu verlassen.

Ebenso zeugt es nicht nur von geistiger Bedrängnis, wenn man meint, mit riesigen Schritten in Richtung Polizeistaat zu marschieren, in dem alles überwacht wird, um dadurch die Risiken eines Zusammenlebens vermindern zu wollen.

Zum Weinen und Klagen wäre auch der Umstand, wenn am Ende diejenigen die Oberhand gewönnen, die mit populistischen Ideen das soziale Gewissen zu beruhigen versuchen. Dabei kleistern sie nicht nur den ökonomischen Verstand zu. Wer mit verklärter Arbeiterromantik aus dem 19. Jahrhundert meint, harte Arbeit heute definieren zu können, hat von Lebensrealität keine Ahnung. Vielmehr schlägt er all diejenigen ins Gesicht, die als Selbstständige ihr Leben selber in die Hand nehmen.

Was wir aber brauchen ist Mut zur Ehrlichkeit.

Ein freiheitliches Land, das sich unverbrüchlich verwurzelt weiß im demokratischen Diskurs und dem Einzelnen Verantwortung für sein Leben zutraut wie auch den wirklich Schwachen helfend zur Seite steht, ist eine Vision, für die es sich lohnt, einzutreten. Dafür Menschen zu gewinnen, wird gewiss nicht leicht sein. Weinen und Klagen werden diesen Prozess begleiten und alle Gegner werden sich darüber freuen, weil dem Volk nach dem Maul zu reden, viel einfacher ist, als ihm die Wahrheit zu sagen. Zu ihr zählt: ohne Einschnitte in unsere Ansprüche an das Leben wird es nicht gelingen, den Herausforderungen in unserer Gesellschaft adäquat begegnen zu können.  

Nun lehrt uns der Apostel Paulus, dass hoffende Zuversicht ein Grundpfeiler christlicher Existenz ist. Dazu gesellen sich die zahlreichen Glaubenserfahrungen individueller, alltäglicher Begebenheiten, die davon zeugen. Letztlich ermutigt Jesus Christus seine Gemeinde, vor den Schwierigkeiten nicht zu kapitulieren. Das gilt gleichermaßen für die inneren Anfechtungen des Glaubens, wenn die Karfreitagskreuze mal wieder die Oberhand gewinnen wollen, wie auch für die Gestaltung des Zusammenlebens in Kirche und Gesellschaft. Schwierigkeiten, Verfolgung, Bedrängnis und Not sind Durchgangsstadien, gewissermaßen Wegabschnitte. Für mich ist das als Christ motivierend. Mit den Worten: „ich will eure Traurigkeit in Freude verwandeln“ setzt Jesus den Schlussstein im Gebäude unseres Glaubens. Dieser Stein hält zusammen, was ohne solche Hoffnung auf Freude leicht auseinander zu brechen droht.

Betrübnis und Traurigkeit werden verwandelt in Freude. Unser Weg mit Gott bleibt nicht im „Crucifixus“ stehen. Ihm folgt das „Et ressurexit“ wie in Bachs h-moll Messe, die an dieser Stelle ein musikalisches Beispiel ist für die Umschlagpunkte unseres Lebens und Glaubens. Unser Weg mit Gott ist ein Weg, der vom Sonnenglanz des Ostermorgens ausgeleuchtet wird. Von solchen Umschlagpunkten des Glaubens gilt es zu berichten.

"Gleich haben wir es geschafft", sagt der junge Mann zu seiner hochschwangeren Frau. Nur noch wenige Straßenzüge, dann sind sie am Krankenhaus angekommen. Der Frau geht es nicht gut.

Auf der Station kümmern sie sich schnell um die Schwangere, ein paar Untersuchungen und es geht in den Kreißsaal. Ein Kuss, ein Blick und die Tür schließt sich. Der junge Mann muss warten. Er weiß nicht, ob zwei Personen den Kreißsaal verlassen werden oder eine oder niemand. Er ist traurig.
Die Uhr gegenüber zählt die Minuten der Angst.
Ein leises Gebet geht ihm über die Lippen:
"Herr, lass es gut gehen!"
Nach einer knappen Stunde öffnet sich die Tür. Das Baby schreit. Er nimmt den kleinen Jungen auf den Arm. Tränen der Freude rinnen über seine Wangen. Verflogen ist die Angst. "Die Frau, wie geht es meiner Frau", fragt er?

"Sie schläft. Alles wird gut", beruhigt ihn die Schwester. Verwandelt sind Traurigkeit und Angst in grenzenlose Freude über das Wunder der Schöpfung Gottes.
Heute sitzt sie da unten im Kirchenschiff und aus dem kleinen Baby ist ein zwanzigjähriger Student geworden.

Nie wieder in meinem bisherigen Leben, liebe Gemeinde, habe ich erlebt, wie existentiell die Verwandlung von Traurigkeit in Freude sein kann. Deshalb musste ich diese Geschichte noch einmal erzählen. Es ist meine Geschichte zum Predigttext des Sonntags Jubilate.

Die Wiedersehensfreude, von der Jesus Christus erzählt ist weniger homöopathisches Vertröstungsmittel, als denn gewiss machende Verheißung. Daraus ziehen wir Kraft. Sie ist der hoffnungsvolle Antrieb, um als Christ hier und jetzt Zeugnis zu geben vom guten Evangelium Gottes.

Jubilate Deo.

Amen.