Predigt Frühgottesdienst Exaudi über Joh. 16, 5-15 mit Bezug zu BWV 44

  • 12.05.2024 , 6. Sonntag nach Ostern – Exaudi
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Predigt Joh. 16, 5-15

 

Exaudi VI, St. Thomas 12.5.2024 mit Aufführung BWV 44 Sie werden Euch

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen

[Stille]

 

Liebe Gemeinde,

das wird sehr wahrscheinlich bis heute Abend so weitergehen. Ach, was sage ich: Ich schätze, dass Sie sich noch am Dienstag dabei ertappen werden, wie der tänzerische Viervierteltakt, wie die strahlende B-Dur-Sonne der Sopranarie (Satz 6) unserer heutigen Kantate (BWV 44) in Ihnen aufsteigt.

Dabada baa daaa dabi daaa

Immer so weiter, immer so weiter. Eine ewige Melodie, ein strahlendes Gewebe aus Fröhlichkeit, perlendes Lachen mit dem triolischen Schwung von Streichern und Oboen.

Dabada baa daaa dabi daaa

 

In der Kantate heißt es:

„Christen müssen auf der Erden, … Marter, Bann und schwere Pein [überwinden]“ (Satz 3)

„Ach Gott, wie manches Herzeleid begegnet mir zu dieser Zeit.“ (Satz 4)

„Der Antichrist, das große Ungeheuer, [sucht] mit Schwert und Feuer die Christen zu verfolgen.“ (Satz 5) 

Das alles steht noch lange nicht in strahlendem Dur, sondern ist kreuzbelastete Chromatik. Und am härtesten hört sich das für die Kantate namengebende Zitat aus dem Johannesevangelium an: „Sie werden euch in den Bann tun.“ Luther übersetzt: „Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen.“ Heißt das auch: Sie werden euch aus den Kirchen vertreiben? Derselbe Vers in Joh. 16 steigert die pessimistische Zukunftsprognose noch ins Mörderische: „Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst.“ Diesen Evangliumssatz zitiert wortwörtlich die Kantate in Satz 2.

In der aktuellen chrismon-Ausgabe lese ich von einem Kurzfilm, der das Gedenken an Salah Farah, einen kenianischen Christen, hochhält: Als 2015 islamistische Terroristen  in Kenia einen Reisebus angriffen, war für ihn klar: Er muss die Christen im Bus schützen. Dafür bezahlte er mit seinem Leben. (chrismon 05.2024, S. 24)

Aber stopp stopp stopp! Der Hintergrund von diesem Tod eines heutigen christlichen Märtyrers ist islamistischer Terror. Der Vers aus dem Johannesevangelium prophezeit den Jüngern dagegen Auseinandersetzung in den eigenen Reihen: innerhalb der Synagogengemeinschaft – bis hin zur Möglichkeit, ermordet zu werden. Die Kirchengeschichte ist triefrot vom Blut derer, die auf grausamste Weise im Namen des Kreuzes und unterm Kreuz gemetzelt wurden, weil sie Abweichler, Ketzer, Häretiker waren. Die das Schwert führten, die den Scheiterhaufen anzündeten, meinten, Gott – dem christlichen Gott – damit einen Dienst zu erweisen.

 

300 Jahre sind vergangen, seit dieser Vers in der Thomaskirche zum Sonntag Exaudi gelesen wurde. Die Evangeliumslesung für den heutigen Sonntag ist unterdessen um einige Verse weiter gerückt und nimmt den Abschied Jesu von seinen Jüngern in Blick. Über den veränderten Predigttext für uns heute bin ich froh. Er steht bei Johannes im 16. Kapitel.

 

[4b Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war ja bei euch.] Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? 6Doch weil ich dies zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. 7Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn, den Tröster, zu euch senden. 8Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; 
13Wenn aber jene, die Geistkraft der Wahrheit,  kommen wird, wird sie euch in aller Wahrheit leiten. Denn sie wird nicht aus sich selber reden; sondern was sie hören wird, das wird sie reden, und was zukünftig ist, wird sie euch verkündigen.“

Jesus nimmt Abschied von seinen Jüngerinnen und Jüngern. Wie vor einer Reise, von der es keine Rückkehr gibt, bündelt er alles, was ihm für diese seine engsten Vertrauten am Herzen liegt, in kompakten Sätzen. Es ist, wie wenn er die Situation schön reden wolle: „Es ist gut für euch, dass ich weggehe.“ Jesus versucht zu erklären: „Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch.“ Und es gibt sehr emotionale Momente: „Euer Herz ist voll von Trauer.“

Der Text vermittelt kaum, was eigentlich schwerer wiegt: dass sich die Jünger im Stich gelassen fühlen oder: dass Jesus die Jünger im Stich lassen wird.

Verlassenheit steht im Raum. Die stumme Gewissheit, verlassen zu werden baut sich wie die tiefschwarzen Wolkentürme eines drohenden Gewitters auf. Die Verlassenheit bildet den Hintergrund des Textes.

 

In die Bedrohlichkeit dieser Szene hinein sagt Jesus den Satz:

„Wenn ich aber gehe, werde ich ihn, den Tröster, zu euch senden.“

 

Hier spricht er sie aus, die Verheißung von Pfingsten.

Ich werde den Tröster zu euch senden, sagt Jesus. Im selben Moment, da mir dieses Versprechen gegeben wird, regt sich  - so spüre ich – etwas in mir:

- Da ist zunächst der Überdruss daran, in einem kalten verlassenen Raum zu verharren; Aufbruchsstimmung,

- gefolgt von der Sehnsucht nach den guten Kräften, nach Gottes Wirken und nach seiner Wahrheit; diese Sehnsucht (nach GOTTES, nicht der Menschen Wahrheit) zerrt und zieht an mir,

- so dass ich mich (3.) leiten lasse von dem, was Jesus uns anbietet: Gottes heilsame, heilende Heilige Geistkraft. Sie soll mich erfüllen, sie soll mich neu ausrichten, sie möge uns durchströmen.

 

Ach ja! Wenn das – diese Kraft Gottes – für mich und mein Morgen, für uns an Pfingsten, für uns alle, also für unsere Zukunft als Menschheit wahr wird, dann werden wir es aushalten und überwinden: verlassen zu sein.

Ach ja! Ach komm, Heiliger Geist! - Dabada baa daaa dabi daaa

 

Und der Friede und die Freudensonne Gottes, die höher sind als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu. Amen

 

Prädikantin Dr. Almuth Märker

almuth.maerker@web.de