Predigt über Joh 6, 35ff

  • 30.07.2017 , 7. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Joh 6, 30-35 am 7. So p. Tr., St. Thomas zu Leipzig um 9.30 Uhr

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

Ach da stehen sie die eifrigen Zuhörer, gebildet in ihrer eigenen Religion. Mose vor Augen und die langen Erzählungen von der Wüstenwanderung im Ohr. Der neue Rabbi erregt Aufmerksamkeit wie so viele vor ihm.Ist er der Richtige? Ist er ein Scharlatan?

Menschen, in Bewegung gesetzt durch die Sehnsucht nach einem Mehrwert im Leben, der über das tägliche Sättigungsgefühl hinausgeht, umringen ihn. Ihn, den Wanderprediger. Das Zeichen als untrügliche Wahrheitsprüfung, das die letzten Zweifel vertreibt, muss her und so fragen sie ihn: Was tust DU für ein Zeichen. Und wenn Du eins tust, dann muss es mindestens so kraftvoll sein, wie die Zeichen von Mose. Wer in Israel religiös etwas erreichen wollte zu jener Zeit, musste sich mit Mose messen. Und da beginnt das Missverständnis. Denn Mose war auch nur ein Mensch. Einer, der im Auftrag Gottes gehandelt hat. So antwortet Jesus, indem er richtig stellt:

Nicht Mose hat euch das Manna gegeben, sondern mein Vater schenkt euch das wahre Brot. Das Brot, welches eure Sehnsüchte stillen wird. Natürlich will jeder solches Brot. Sofort. Damit die Suche nach dem Lebenssinn aufhört. Damit das Leben gelingt. „Schaut doch nur um Euch“, sagt Jesus. „Ich bin es selber. Mein Vater im Himmel hat mich geschickt, damit ihr genug habt für eure Seele. Ich bringe Euch die Lebensfreude zurück, die Euch durch das alleinige Vertrauen auf die Gesetze verloren gegangen ist.“ „Wie? Du bist es?“ Werden sie ungläubig gefragt haben. „Kein sichtbares Zeichen? Nichts zum Anfassen und mit nach Hause bringen?“

„Ja“, sagt Jesus ihnen – „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern. Wer an mich glaubt, den wird nicht dürsten.“ Einige begreifen es daraufhin. Einige fühlen sich nicht ernst genommen.

Brotgeschichten sind Lebensgeschichten.

Sie erzählen von Rettung in Notzeiten. Jesu Zuhörer kennen sie alle, die Geschichten von Aufbruch und Bewahrung, von Manna, dem Himmelsbrot des Mose. Und je mehr Jahrhunderte Überlieferung dazwischen liegen, desto goldener glänzen die alten Zeiten. So verfallen Jesu Zuhörer allmählich in ein gewisses Maß an Geschichtsklitterung, das es zu korrigieren gilt. Die Zeichenforderung erfüllt Jesus auf unerwartete Weise, gleich siebenfach im Johannesevangelium angefangen beim Weinwunder bis hin zur Auferweckung des Lazarus. Wer will nicht erst sehen, um dann glauben zu können?

Und hier, liebe Gemeinde, zeigt sich die Genialität des johanneischen Evangelisten bzw. seiner Schule. Am Ende des Johannesevangeliums tauchen die beiden Verben „sehen“ und „glauben“ wieder auf in der Begegnung des Auferstandenen mit Thomas. Sehen ist eben nicht die Voraussetzung für Glauben, sondern Vertrauen. Jesus korrigiert das Missverständnis hier am Anfang und dort am Ende des Evangeliums. Mose hat das Mannawunder nicht aus sich selbst gewirkt, sondern durch Gott. Damit wird jegliches Zaubereiverständnis dahin gerückt, wo es hingehört – an den Rand und nicht ins Zentrum des Geschehens.

Auf die erneute Frage und das erneute Drängen der Zuhörer reagiert Jesus mit der doppeldeutigen Aussage, dass er es selber ist. Und wieder wird die Erwartung enttäuscht, etwas Greifbares zu bekommen. Glaube geschieht nicht durch irgendein Zaubermittel oder ein Wunderding, sondern er wächst in der Gemeinschaft mit Jesus Christus. Für Johannes zeigt sie sich in sieben Worten. Er stellt sie, verteilt über das ganze Evangelium, an prominente Stelle. Die Ich-Bin-Worte Jesu von Tür, Licht, Brot, Wein, Weg, Hirte und Auferstehung haben sich eingeprägt ins Gedächtnis der Gemeinden bis auf den heutigen Tag.

Es tut gut, den Tisch zu decken, für jemanden zu kochen, Gastgeber zu sein, indem zum Essen eingeladen wird. Sich Zeit zu nehmen in Zeiten der Alleine- und Schnellesser, um Tischgemeinschaft pflegen, ist wohltuend. Manchmal reichen dafür ganz einfache Lebensmittel, um Hunger zu stillen – ein frisches Brot, das Stück Käse, ein Krug Wasser, der Becher Wein. Dabei erleben wir, dass Hunger sich zwar durch das ersehnte Sättigungsgefühl stillen lässt, aber auch die beschriebene Tischgemeinschaft mindestens genauso dazu beiträgt. Somit stellen sich die Fragen, was macht uns satt und wieviel brauchen wir eigentlich zum Leben?

Der Hunger des Satten lässt sich nicht mit gewöhnlichen Lebensmitteln stillen. Es braucht ein anderes Mittel zum Leben – den Mittler, der uns rettet, indem er sich uns schenkt. Die Gemeinschaft mit Christus ist, im Gegensatz zum Manna des Alten Testaments, nichts Vergängliches. Beides rettet – dort das Gottesvolk in Wüstennot und hier aus einem Leben allein im Gesetz. In Jesus als Brot des Lebens wird uns ewiges Leben geschenkt.

Als heiliges Sakrament ist das Abendmahl Ausdruck einer ungemein großzügigen Einladung durch Jesus Christus. Der Mühselige und Beladene, der an der Unwirtlichkeit des eigenen Alltags Leidende wird fürstlich bewirtet mit Brot und Wein – einfach und so wirkungsvoll, zeigt sich doch darin, dass alle Unwirtlichkeit uns nicht heraustrennen kann aus jener Gemeinschaft mit Jesus Christus. Die Suche hat ein Ende für den Lebens-Satten wie für den nach Sinn Hungernden. In Jesus Christus hat sie ihr Ziel gefunden. So wie er Licht des Lebens sein will, so ist er auch Brot des Lebens und erfrischende Quelle für die Menschenseele – Lebensmittel, die wir brauchen, um nicht zu verkümmern.

 

Brotgeschichten sind Todesgeschichten.

Sie erzählen vom Mangel. Während wir hier sitzen und Gottesdienst feiern, sterben gut 500 Kinder auf der Welt an Unterernährung, die meisten in Afrika und Asien. Daran ist nicht Gott schuld, liebe Gemeinde. Wir sind es durch unser Unvermögen, dass, was reichlich vorhanden ist, fair zu verteilen, damit jeder überleben kann.

Das größte Problem auf unserem Planeten sind nicht Dieselmotoren. Es ist der Hunger, durch den mehr Menschen sterben als durch Aids, Malaria oder Tuberkulose zusammen.

Verzweifelnder Hunger treibt Menschen an, mobilisiert die letzten Kräfte genauso, wie die Angst davor. Warum machen sich Hunderttausende auf den Weg, riskieren ihr Leben? Sie fliehen vor drohender Katastrophe, lassen sich ihre Hoffnungen von skrupellosen Schleppern teuer bezahlen und stranden dann an unsere Außengrenzen. Letztlich sind die Fluchtbewegungen ein Ausdruck unseres Unvermögens, für Überlebensbedingungen zu sorgen. Um dem adäquat begegnen zu können, braucht es die Bereitschaft zur Veränderung. Das betrifft gewisse eigene Lebensgewohnheiten in gleichem Maße wie das asoziale Verhalten einiger europäischer Länder in Bezug auf die Unterstützung derjenigen, die jetzt die Lasten von Flucht fast alleine tragen müssen. Der Satte und Übergewichtige hat kaum Chancen, wenn er vom Hungrigen vor sich hergetrieben wird.

Teilen wir Brot, teilen wir auch das Recht auf Überleben.     

Wer Brot nur für sich alleine beansprucht, wird davon krank werden. Die Gegenwart liefert hierfür zahlreiche Beispiele. Wir werden krank von zu viel Brot, vertragen Mehlsorten nicht mehr, weil unsere Umwelt, die wir zuvor zerstört haben uns nun selber zerstört. Wir achten auf der anderen Seite penibel auf gute Ernährung, um sie am Ende besser verdauen und ausscheiden zu können. Es ist ein im wahrsten Sinne des Wortes kranker Kreislauf.

Wo Brotsorten zur Religion erhoben werden, wo die wichtigsten Fragen des Tages sind, wieviel Zucker sich im Brot befindet, ob der Bäcker sich auch die Hände mit biologischer Seife gewaschen hat oder ob die Körner für das Mehl einzeln geföhnt worden, damit sie sich auch wirklich wohlfühlen, wird unser Alltag zu einem einzigen Meer an Zynismus, in dem die Hungernden untergehen.

Brotgeschichten dürfen keine Todesgeschichten bleiben. Sie müssen wieder Lebensgeschichten werden, indem wir teilen – das Bäckerbrot und das Brot des Lebens.

Brot steht auch als Symbol für Gerechtigkeit und Zugang zum Leben, welches sich nicht allein in der Erhaltung der Lebensfunktionen erfüllt, sondern mit Sinn. Dafür braucht es Menschen, braucht es uns, die wir uns einbringen mit den Gaben, die uns Gott schenkt. Fällt das alles nun vom Himmel? Nein und Ja.

Nein deshalb, weil für tägliches Brot es großer Anstrengungen bedarf. Zur Würde eines Menschen zählt auch, dass er sich sein tägliches Brot nicht schenken lassen muss, sondern selber dafür sorgen kann.

Ja deshalb, weil Brot des Lebens für uns durch Gott geschenkt wird. Es sind jene Gaben, die wir brauchen, um in Freiheit und Verantwortung füreinander da zu sein. Gehortet werden kann das nicht, es würde verschimmeln. Tagtäglich aufs Neue brauchen wir das Geschenk Gottes und wir bekommen es. Dafür steht die Mannageschichte ebenfalls.

Jesu Botschaft vom Brot des Lebens will ebenfalls geteilt werden. Brot teilen, heißt Leben teilen. Das Leben teilen bedeutet dann auch:

-Den Anderen mit in die Gemeinschaft zu nehmen.

-Seine Sorgen seine Ängste zu hören und zu sehen.

Wer sich abkapselt und mit Jesus alleine im Kämmerlein glücklich werden will, dem wird sich die Lebensfreude verweigern. Das „Ich bin Wort“ vom Brot des Lebens macht erst in der Gemeinschaft wirklich satt. Dann, wenn ich auch ein Stück Verantwortung übernehme für den Überfluss der Einen und den Mangel der anderen.

Jesus Christus habe ich nie für mich alleine und privat und ohne Konsequenzen Derjenige, der das zu leben versucht, wird an seiner eigenen Frömmigkeit ersticken, so wie den Kindern Israels an zu viel Manna schlecht wurde. Brot des Lebens lässt sich nicht Konservieren. Und wer glaubt, ein Stückchen Brot vom letzten Abendmahl Jesu Christi im goldenen Schrein aufbewahren zu müssen, hat vom Brot des Lebens überhaupt nichts begriffen.

Brotgeschichten sind Lebensgeschichten.

Wir hören sie zum Schluss aus der Perspektive des Evangelisten Johannes im 6. Kapitel.

30 Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du?

31 Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): "Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen."

32 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel.

33 Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.

34 Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.

35 Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

Brot taugt nicht für die Vitrine, liebe Gemeinde. Brot will gegessen werden, damit es seine Kraft entfalten kann. Jesus Christus ist das Brot unseres Lebens. Lassen wir es nicht verschimmeln. Amen.

Martin Hundertmark, Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)