Predigt über Johannes 1,15-18 im Festgottesdienst zum Epiphaniastag

  • 06.01.2022 , Epiphanias
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt im Gottesdienst zu Epiphanias, 6. Januar 2022, Johannes 1,15-18

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der Predigttext steht im ersten Kapitel des Johannesevangeliums:

Johannes (der Täufer) zeugt von Jesus und ruft: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich. Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat es verkündigt.   

Liebe Gemeinde,

hier steht in deutscher Übersetzung: Johannes der Täufer „ruft“. Das ist in dem Sinne zu verstehen, dass er es „schreit“. Er schreit raus, was wirklich wichtig ist. Nämlich: In diesem Jesus beginnt in der Geschichte von Gott und uns Menschen etwas Neues. Etwas fundamental Neues. In ihm kommt Gott neu auf uns zu. In Fleisch und Blut. Damit wir in Beziehung leben können. Von Angesicht zu Angesicht. Es geht jetzt um mehr und anderes als um ein richtig und falsch in unserer Beziehung zu Gott, um die „richtigen“ Ansichten. Jedenfalls nicht mehr in dem Sinne, dass davon unser Heil abhängt. Jeglichem religiösen Fundamentalismus ist mit diesem Jesus das Ende angesagt. „Das Wort wird Fleisch und wohnt unter uns“ - Was an Weihnachten geschieht – das ist jetzt das, was die Welt in ihren Fugen hält. Dass es die Möglichkeit gibt, in einer Beziehung zu diesem Jesus Christus zu leben – weil Gott in ihm den größten Schritt auf uns zugemacht hat, den er machen konnte.

Und da wird Johannes der Täufer am Ende ganz deutlich. Er sagt: Dieser Jesus hat uns Gott ausgelegt. Er hat uns Gott erklärt und wie wir diese Beziehung leben können. Und diese Aufgabe übernimmt nun Johannes, der Evangelist und erzählt eine Geschichte nach der anderen davon, wie das aussieht. Hier kommt die ganze Palette dessen vor, was uns Menschen zutiefst bewegt, beunruhigt oder belasten kann. Schauen wir nur kurz auf einige. Jesus spricht mit der Samaritanerin ohne Scheu und Vorbehalte – mit der Frau, die man wegen ihres Glaubens verachtet. Er bewahrt eine Ehebrecherin vor einer vor Hass rasenden Männerhorde, die schon die Steine in der Hand hat. Da ist der königliche Beamte, der um sein todkrankes Kind bangt. Da ist der Lahme am Teich Bethesda, dem niemand beisteht. Da ist der Blindgeborene, dessen Leben finster und hoffnungslos ist und der sich dazu noch wie die anderen Betroffenen auch mit den zynischen Gottestheoretikern konfrontiert sieht, die gern und vor allem ungefragt darüber spekulieren, welchen Anteil die Betroffenen wohl selbst daran haben mögen. Was macht Jesus mit all diesen Leuten? Vor allem dies: Er geht in die Beziehung zu ihnen, die ihr Umfeld ihnen verweigert, sie verachtet, verspottet, festlegt, abschreibt. Er spricht mit ihnen. Fragt sie: Willst Du gesund werden? Willst Du etwas ändern an deinem Zustand? Er hilft ihnen, in die Richtung zu denken, in der sie vorankommen können. Mal konfrontiert er sie, packt sie durchaus hart an. Manchmal sagt er gar nichts, malt in den Sand. Mal berührt er sie nur. Oder bringt sie dazu, etwas Wichtiges auszusprechen. Und bringt sie so zu sich selbst, zu Gott und zu den anderen. So wird in ihnen etwas freigesetzt, was sie verändert und was sie stärkt, um neu ins Leben zu finden.

So etwas schafft kein Gesetz. Selbst wenn man es für noch so richtig hält und sich mit aller Kraft daran halten will. Dass wir regelmäßig scheitern an unseren guten Vorsätzen für das neue Jahr ist da das beste Beispiel. Wir wissen genau, was für uns gut ist - aber das hilft uns nicht. Denn: Wir können uns nur recht und schlecht an Gesetze halten, wir genügen ihnen nur mal besser mal schlechter. In diesem Sinne, sagt Johannes, ist die „Ära“ des Gesetzlichen zwischen Gott und uns als das entscheidende Kriterium beendet. Jesus legt uns Gott aus, indem er vorlebt, was wir nicht erreichen können. Das Gesetz, das er lebt, ist Gottes unendliche Liebe zu uns. Aus dieser Fülle können wir leben, sagt Johannes. Und so ist es auch von den Propheten angekündigt worden: Jesus ist „Immanuel“: Mit uns ist Gott.

Das ist auch das Entscheidende, was die Weisen aus dem Morgenland begreifen. Johann Sebastian Bach hat es in der sechsten Kantate des Weihnachtsoratoriums musikalisch so großartig umgesetzt. Sie verstehen es in dem Moment, wo sie an der Krippe ankommen. In ihren Geschenken drückt es sich aus, denn es sind Geschenke der Beziehung. So wie Gold seinen Glanz durch den Staub der Jahre nicht verliert und keine Verbindungen mit anderen Metallen eingeht, ist es mit der Verbindung, die Gott mit uns sucht. Und sie entspricht einer gerade Linie, die sich auf Kohle schmelzender Weihrauch nach oben sucht. Und sie bleibt auch im Schmerz und im Leid, wie es die Myrrhe als altes Heilmittel auslegt. Immanuel – Gott mit uns, wir sind und bleiben in Beziehung, wo auch immer wie uns in unsrem Leben gerade befinden. Ein unüberbrückbares Gegenüber von himmlischem Thron und Erde gibt es nicht. Wo er an unserer Seite ist, kann bei uns Neues werden und können wir Neues wagen – in dem, was Jesus uns von Gott auslegt. Wir entwickeln uns, stehen auf, sehen wieder klarer, wir schaffen es zu vergeben und um Vergebung zu bitten. Können neue Wege gehen, weil wir stärker geworden sind mit diesem Immanuel an unserer Seite.

Können wir das begreifen? Können wir sie begreifen, diese ganze Fülle der Gnade, wie Johannes sie nennt? Genau wie die Hirten in der Weihnachtsgeschichte müssen auch die Weisen aus dem Morgenland wieder zurück gehen in ihr Land, in dem sie leben. Sie gehen einen anderen Weg dorthin und sie werden sich dort bewähren müssen mit dem, was sich bei ihnen verändert hat. Und so ist es ja auch heute für uns, am Beginn des neuen Jahres. Eine der größten Herausforderungen für 2022 und danach ist sicher genau das. Die Frage „Wann wird denn nun endlich alles wieder so wie vor Corona?“ werden wir entweder lassen müssen oder so beantworten: So wird es nicht mehr. Es wird anders sein. Mit uns ist einiges passiert, wir haben viel aufzuräumen in unseren Beziehungen. Und wir haben viel neu einzuordnen gesellschaftlich und politisch, was in Zukunft welchen Stellenwert haben wird bei uns. Schule, Kultur, unser Gesundheitssystem – wir haben gemerkt, was passiert, wenn wir all dem nicht endlich höhere Aufmerksamkeit und Gewicht zukommen lassen. Aber natürlich sind auch unsere Fähigkeiten gefragt, uns schnell auf Neues einzustellen, gelassener zu werden im Umgang mit Dingen, die halt kommen und unsere Widerstandskraft in einer Weise zu stärken, dass wir nicht nur Viren etwas entgegenzusetzen wissen, sondern auch dem Frust, dem Hass, der Empörung. Auch die Frage, wie wir unsere Beziehungen leben wollen im Großen wie im Kleinen wird anstehen, auch da ist manches neu zu ordnen. Einen Wegweiser geben uns Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist an die Hand. Jesus hat Gott für uns „ausgelegt“. Er wird mit uns weiter durch die Zeiten gehen, so wie die Zeiten eben sind. Und das zu wissen, ist das wichtigste vor allem auch am Beginn eines neuen Jahres und insbesondere für alle, die jetzt etwas Neues beginnen, so wie unser Thomasorganist Johannes Lang und viele andere auch, denen wir dafür alle nur Gottvertrauen und Segen wünschen können. Mögen wir alle erfahren, was das Wort Johannes für uns bedeutet: Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Und versuchen wir, es untereinander zu leben.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org