Predigt über Johannes 13, 21-30

  • 21.02.2021 , 1. Sonntag der Passionszeit - Invokavit
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Hoch über dem Marktplatz von Schneeberg thront die von weitem sichtbare Stadtkirche St. Wolfgang. Eine bewegende Geschichte nennt sie ihr Eigen. Zu dieser gehört auch ein Monumentalgemälde, welches seit dem Osterfest 1539 in ihr beherbergt ist. Lukas Cranach malte einen Altar, dessen Predella sie auf dem kleinen Bild sehen können. http://www.st-wolfgang-schneeberg.de/st-wolfgangskirche/st-wolfgangskirche/lucas-cranach-altar/
Cranach war nicht nur ein genialer Maler, sondern auch ein genialer Geschäftsmann, der wusste, wie er seine Motive gewinnbringend einsetzen konnte. So taucht auch dieses Motiv vom letzten Abendmahl, bzw. von Judas mehrfach auf, u.a. in der Stadtkirche St. Marien zu Wittenberg.
Wir sehen hier den bildgewordenen Predigttext für den heutigen Sonntag Invokavit, dessen zentrales Thema „Versuchung“ ist. Jesus feiert mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl, gibt Brot und Wein eine neue Bedeutung und stärkt somit die sich nun neu zurechtfindende Gemeinde.

Im Johannesevangelium finden wir dafür folgende Worte:

21 Jesus sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. 22 Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. 23 Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. 24 Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. 25 Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's? 26 Jesus antwortete: Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. 27 Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! 28 Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. 29 Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. 30 Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.

Und es war Nacht – vier Worte, ein kurzer Satz, der die ganze Dramatik und Tragik aufgreift. Dunkel ist der Verrat. Dunkel das Herz des Verräters. Mit schnellem Schritt ist er bereit zum Aufbruch in die Dunkelheit, um sein Werk zu vollenden. Mit feiner Ironie bearbeitet der Evangelist Johannes diese Geschichte. Judas Iskariot, der Verräter, dessen Nachname „Riss“ bedeutet, reißt sich los vom Licht der Welt, um in die Finsternis aufzubrechen, im festen Glauben, das Gute und das Richtige zu tun. Und Jesus lässt ihn gewähren.Treffender kann man den Bogen zum Beginn des Johannesevangeliums kaum spannen, wo es heißt: „Und das Licht scheint in die Finsternis, aber die Finsternis hat´s nicht ergriffen.“ (Joh 1)

Wir stehen vor großen Herausforderungen, liebe Gemeinde, sowohl gesellschaftlich als auch in unserer Kirche, die ja als Salz der Erde in die Gesellschaft hineinwirken will und darf. Reformer stehen Reformverweigerern gegenüber. Innovation scheitert oftmals an den Hürden der Beharrlichkeit oder am mangelnden Vorstellungsvermögen. Sinkende Gemeindegliederzahlen und sinkende Einnahmen begleiten uns seit Jahrzenten als Kirche. Schnell werden Gründe gefunden, die außerhalb unser selbst liegen – demographischer Wandel, Individualisierung, Aufklärung und uneingeschränkte Selbstbestimmung.

Das lenkt ab, liebe Gemeinde. Denn eins lehrt uns der heutige Predigttext: Der Verrat an der Kirche kommt aus ihrer Mitte. Dafür steht Judas Iskariot.

Worin besteht nun der Verrat an der Kirche?

Hier ließe sich eine Vielzahl von Beobachtungen auflisten. Greifen wir drei heraus.

  1. Das Kreuz mit dem Kreuz

Gerne wird das Kreuz verleugnet. Steht es doch auch und besonders für das Leiden und Sterben, für die dunkle Seite Gottes, für einen Gott, den wir am Karfreitag nicht verstehen und dessen Liebe zur Sterbestunde Christi verflogen zu sein scheint. Da liegt es nahe, den lieben Gott so zu erhören, dass alles andere absolut in den Hintergrund tritt. Der „liebe Gott“ wird zum Fetisch für ein Wohfühlchristentum, das sich scheut, sich mit Gott auseinanderzusetzen.

Der liebe Herr Jesus wird dabei zum guten Menschen degradiert. Dabei ist die Botschaft vom Kreuz eine Botschaft, die Ärgernis hervorruft, weil sie so ungeheuerlich ist. Tragen wir sie weiter, bleiben wir wie Johannes auch unter dem Kreuz bei Christus stehen anstatt wie Judas vor ihm davonzulaufen. Tragen wir das Kreuz mutig durch unser Leben und in unsere Gesellschaft. Dann, liebe Gemeinde, wird es auch zum echten und glaubhaften Symbol der Hoffnung. Wo das Kreuz aus falsch verstandener Toleranz gegenüber uns selber oder gegenüber anderen verschwindet, verraten wir Christus.

       2. Im eigenen Saft schmoren

Die ständige Beschäftigung mit sich selbst, lässt den Menschen schwindelig werden. Nicht anders verhält es sich mit der Kirche. Wo wir nur uns im Blick haben, wo Strukturen über dem Evangelium stehen, zerbricht die Glaubwürdigkeit. Kirchliche Gesetze sind Richtschnur und stärken eine Gemeinschaft. Dienen sie aber nicht mehr den Menschen oder behindern sie sogar den Lauf des Evangeliums, begeht Kirche Verrat an sich selbst. Alles kirchliche Handeln dient der Gemeinde und ihrer Glieder. Es darf nicht zum Selbstzweck einer veränderungsunwilligen Behörde werden.

       3. Die Wahrheit sagen und leben

Wir sind aufgerufen, die Wahrheit des Evangeliums unter die Menschen zu bringen. Dazu gehört auch, sich nicht vor der Wahrheit zu verstecken. Wo Skandale über sexuellen Missbrauch vertuscht werden, verraten Geistliche nicht nur die Menschenwürde der ihr anvertrauten Gemeindeglieder, sondern auch ihren Herrn Jesus Christus. Gerade Kirche weiß, dass auch der Sünder nicht aus der Gnade Gottes fällt, wenn er offen und ehrlich bereut.

Jeder Christ jede Christin hat die Verantwortung für seine bzw. ihre Kirche. Es mag sein, dass äußere Einflüsse schlecht sind, dass sie destruktiv wirken und vieles erschweren. Dass darf aber nicht zum Entlastungsmythos werden. Die beginnende Fastenzeit ermuntert uns in diesem Jahr vielleicht besonders, über den Verrat an der Kirche, der aus ihrer Mitte kommt, nachzudenken

Läuft man durch den langen Mittelgang in St. Wolfgang zu Schneeberg auf das Altarbild zu, so hat der Betrachter unweigerlich eine Szene des Predigttextes vor Augen. Er läuft gewissermaßen darauf zu. Cranach legt mit seinem Bild das Geschehen aus. Denn zwischen Jesus und Judas ist noch ein Platz frei. Der Tisch ist gedeckt, jedoch fehlt der Besucher. Du bist der Besucher, lieber Betrachter. Du bist eingeladen an den Tisch des Herrn. Dein Platz ist nirgendwo anders als zwischen Jesus und Judas, dem Verräter. Damit sind wir eingebunden in die Geschichte. Der Verräter ist nicht immer der Andere oder die Andere. Ich selber habe tagtäglich die Entscheidung zu treffen – bei Christus oder bei Judas. Stehe ich zu meinem Herrn Jesus Christus oder verrate ich ihn? Will ich das mir verheißene Reich Gottes, will ich das himmlische schon hier auf Erden mit aller Macht erzwingen oder vertraue ich auf Gottes Zusage. Traue ich ihm als Handelnden mehr zu als mir? Der Verrat an der Kirche kommt aus der Mitte der Kirche. Und niemand ist davor gefeit, seine eigenen Interessen, seine Ungeduld oder sein Unbehagen über die Entwicklung der Gemeinde so hoch zu stellen, dass sie zum Grund für den Verrat an ihr selber werden.

Wir sind Judas.
Punkt.
Und es war Nacht.

Der Verräter bricht auf in die Dunkelheit und entfernt sich vom Licht der Welt. Unser immer wieder aufkommendes Nichtbegreifen, dass Christus als Licht in die Finsternis gekommen ist, um selbiger die Macht zu nehmen, um sie zu erlösen, gehört auch zum Merkmal seiner Gemeinde und ihrer Glieder.

Wo bleibt da der Trost?

Zum einen darin, dass Christus auch dem Verräter das Brot reicht. In der Lesart des Evangelisten Johannes verwirkt Judas sein Leben nicht, trotz der teuflischen Einflüsse, die zum Verrat an ihm und seiner Gemeinde führen. Judas, also wir, müssen mit der Tat leben lernen. Die Gemeinde Christi zerbricht daran nicht, sondern Jesus selber bleibt souverän, weil er uns gewähren lässt.

Zum zweiten: Wir sind nicht verloren. Die Einladung, an seiner Seite zu sitzen gilt tagtäglich aufs Neue.

Drittens: Der Aufbruch in die Finsternis hindert das Licht der Welt nicht daran, weiter zu leuchten. Es leuchtet auch in meine eigene Finsternis hinein, wenn ich zum Verräter an Christi Liebe durch mein Tun oder Unterlassen werde. Wie auch immer dafür die Gründe sein mögen, sie lassen mich nicht aus seiner Gnade fallen.

Davon erzählt die nächste Verratsgeschichte ein paar Verse später, als Petrus seinen Herrn verleugnet und trotzdem zum besonderen Verantwortungsträger in seiner Gemeinde wird.

Und es war Morgen.

Amen. Und der Friede Gottes, der größer ist als unser Verstand, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.