Predigt über Johannes 15

  • 03.05.2020 , 3. Sonntag nach Ostern – Jubilate
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Traumverloren irre ich durch die Zeit.
Im Alltagsgrau verkümmert die Seele. 
Tief sind die Risse des ausgetrockneten Bodens.
Verdorrt bin ich, verworfen,
Feuriger Schmerz, heiß brennend.
Die Kräfte schwinden 
und bitter schmeckt der Saft des Lebens.
Groß und stark sind die Wurzeln, die sich in mir selbst zu verankern suchen.
Doch das gibt keinen Halt.
Ich taumle, drehe mich um die eigene Achse, versuche auf der Lebensstraße weiterzugehen und komme doch nur wieder bei mir an. 
Der gegenwärtige Mensch, liebe Gemeinde, 
ist ein sehr auf sich selbst fixierter Mensch. 
In grenzenlosem Größenwahn glaubt er, alles beherrschen zu können – sei es Technik oder sei es Natur. 
Und dann steht er jammernd vor den Trümmern seines Tuns. Die letzten Wochen führten uns das überdeutlich vor Augen.
Fruchtlos bleibt das Tun, weil mehr kaputt geht, als denn heil bleibt. 
Menschlicher Hunger nach immer mehr, 
zerstört Beziehungen - zur Natur und zu den Mitmenschen.
Hart ist das Gericht über diesen Menschen. 
Und hart klingen die Worte Jesu aus dem Johannesevangelium in meinen Ohren; 
erinnern an Inquisition und Höllenfeuer.

 „Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und sie müssen brennen“, lesen wir im 15. Kapitel.
Der auf sich selbst fixierte Mensch erlebt das Leben hin und wieder als brennende Hölle, auch schon vor der Coronakrise. Sie zeigt uns nur überdeutlich, welche Folgen ein gnadenloser Egoismus hat.
Wo das ICH nicht mehr zum DU werden kann, gerät das Leben aus der Zeit und verliert sein Maß.
Maßlosigkeit hat aber auch etwas mit der Angst zu tun, Schönheiten des Lebens auf irgendeinem Gebiet zu verpassen. Und genau das geschieht dann – der sich um sich selbst drehende Mensch verpasst das Leben in seiner tiefen Dimension, weil ihm mangels fester Verwurzelung die Kräfte schwinden.
Jesus Christus ahnt es wohl, als er sich von seinen Jüngern mit mehreren Reden verabschiedet. Der Evangelist Johannes hat sie gesammelt und aufgezeichnet. So finden wir ebenfalls im 15. Kapitel ein paar Verse vorher:

„Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. 
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“

Zu wissen, wo man hingehört ist in unübersichtlichen Zeiten sehr tröstlich. 
Wir spüren gerade, wie wichtig solcher Trost ist.

Jesus ermutigt uns, die Verbindung zu ihm nicht abreißen zu lassen. In den letzten Wochen haben wir erfahren: Die Gemeinschaft mit ihm ist auch tragfähig, wenn wir uns nicht gemeinsam zum Gottesdienst hier in der Kirche versammeln dürfen. Umso erfreulicher ist nun die schrittweise Rückkehr zum Gewohnten.

Wird jetzt alles so wie vorher?
Ich hoffe nicht, liebe Gemeinde. Denn wir haben zu lernen und die richtigen Schlüsse aus der Krise zu ziehen. Vieles kann, darf und manches muss auch neu ausgerichtet werden.

An erster Stelle steht für mich die richtige Verwurzelung. „Bleibt in mir und ich in euch“, sagt Jesus Christus. 
Ein „Bleiben in Christus“ ist immer auch ein „Werden mit Christus“. Damit sind wie nie fertig. Deshalb brauchen wir Rebstock und Weinrebe als Erinnerung, wo wir unsere Wurzeln haben. 
In Christus verwurzelt, werden wir zu dem Menschen, den Gott am Anfang der Schöpfung gut geschaffen hat. Trotz aller Verwerfungen traut uns dieser Gott immer noch zu, für seine Schöpfung Verantwortung zu übernehmen. Sich die Erde untertan zu machen, heißt eben nicht, sie auszubeuten, sondern bedeutet, für sie zu sorgen.

Die Kraft dafür ziehe ich als kleine Weinrebe aus dem Weinstock Jesus Christus.
Ja, im großen Weinberg Gottes bin ich nur eine kleine unbedeutende Weinrebe. 
Aber: So unscheinbar sie sein mag. Sie bringt Frucht. Darüber wird sich jemand freuen.

Jubilate Deo. Amen.

 Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Verstehen, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Pfarrer Martin Hundertmark
hundertmark@thomaskirche.org