Predigt über Johannes 2,1ff.

  • 17.01.2021 , 2. Sonntag nach Epiphanias
  • Landesbischof i.R. Christoph Kähler

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wie schmeckt Ihnen das Leben – in diesen Zeiten? Könnten Sie es auch nur entfernt mit einer Hochzeit vergleichen, gar mit dieser Geschichte in Kana?
Wo hunderte Gäste ohne jeden Abstand eng nebeneinander sitzen, essen, trinken und ohne jedes Bedenken Hochzeitslieder singen. Wo Wein im Überfluss der Menschen Herz erfreut? Sechs Wasserfässer voller Wein, also mindestens 600 Liter.
Die Bibel legt sich selbst nicht so genau fest, aber sie redet von einer unglaublichen Menge in unbeschreiblicher Qualität. Leben im Überfluss, in der Überfülle. Das ist das Leben bei und mit Gott, gibt der Evangelist uns zu verstehen. Die Geschichte von der Hochzeit zu Kana zeigt im Bild einer Hochzeitsfeier, was Gott den Menschen Gutes gönnt und geben will. Viele, nein alle sind eingeladen und keiner muss draußen bleiben oder zu kurz kommen. Es ist genug für alle da.

Schön wäre es, wenn unser Leben aus solchen Festen im Überfluss bestünde, ohne Kontaktbeschränkungen. Schön wäre es, wenn wir keine Sorgen und keine Mühe hätten; Arbeit nur so viel, wie wir gut, vor allem aber freiwillig und gern schaffen. Doch so verläuft unser Leben nicht. Kein Leben ist so! Erzählt die Geschichte also vom Schlaraffenland? Also schweigt sie von unserer Welt und ihrer Not? Wer nicht genau liest oder erzählt, könnte es so verstehen. Doch eben das ist diese Geschichte nicht. Denn jeder, der sich etwas im Johannesevangelium auskennt, weiß: Wenn Jesus seine Mutter anfährt: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau?
und anschließt: Meine Stunde ist noch nicht gekommen, dann ist das eine Anspielung auf seinen Tod am Kreuz. – Doch dem wird der Sieg über diesen Tod folgen. Der Jesus, der das Fest nicht am Weinmangel scheitern lässt, der Jesus, der damit einen Höhepunkt schafft, dieser Jesus geht auf seinen schrecklichen Tod zu. Mangel und blutiges Unrecht kennen die biblischen Zeugen aus schlimmer Anschauung gut. Aber sie lassen sich davon nicht lähmen.

Am Anfang des Evangeliums, am Beginn der Tätigkeit Jesu steht diese Geschichte, die der Evangelist so deutet: … und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn. Wir lesen und bedenken diese Geschichte am Anfang eines neuen Jahres, mit neuen Ängsten und neuen Hoffnungen. Wir fragen uns mit einiger Sorge, was uns dieses Jahr, was dieses Jahr in diese Welt bringen wird, an Katastrophen und an erfreulichen Entwicklungen. Wir lesen und bedenken die biblische Geschichte, weil sie eine Hoffnung erzählt: wir hoffen auf Erfolge gegen Not und Tod, auf Oster-Freude, auf das himmlische Fest, bei dem nichts mangeln wird.

Liebe Schwestern, liebe Brüder! Wie schmeckt Ihr Leben? Es hat wohl einen sehr verschiedenen Geschmack. Sicher gibt es Zeiten, da haben wir so viel Hunger und Durst, da sind schon Brot und Wasser echte Wohltaten. Da sind schon ein gutes Wort und ein stummer Händedruck Trost. Da lassen erste Erfolge gegen die allgegenwärtige Krankheit hoffen, ohne dass wir die Opfer und die wirtschaftlich Geschädigten vergessen. Und dann sind da die Zeiten und die Umstände,
in denen viele ehrlich sagen müssen: Ach, uns geht es gut! Womit haben wir das verdient? Die Hochzeitsgäste bei dem Fest in Kana hatten es sich nicht verdient, ziemlich sicher nicht. Sie waren Menschen nicht besser und nicht schlechter als wir.
Aber sie erleben ein unverdientes Wunder. Auch die Jünger, die dabei waren, haben ihre schwachen, ja ihre dunklen Seiten und sind oft genug keine Helden. Wie Petrus, der den Mund so voll nahm und dann so kläglich versagte. Die Jünger haben noch bis Karfreitag und bis Ostern eine lange Geschichte mit Durststrecken, Unverständnis und Versagen vor sich. Nichts ist ihnen garantiert. Nichts können sie festhalten. Es gibt keine Weinvorräte auf immer. Auch 600 Liter Wein gehen einmal zur Neige. Aber es gab immer wieder einmal ein kleines oder großes Fest – vor und nach Ostern. Es gab immer wieder Feste auf dem Wege, Stationsfeste. Danach mussten sie weiter – bis ihr irdischer Weg endete.

Und wir? Was können wir erfahren? Welche Wunder, welchen Überraschungen erleben wir? Wenn wir die Menschen fragen, die sich noch an den Krieg erinnern können, die Hunger litten – nach dem Krieg – als kleine Kinder, Menschen, die anschließend den Druck in der DDR ertrugen, dann ist ihre Antwort ganz eindeutig:
Einen so langen Frieden haben wir in Deutschland und Europa seit Menschengedenken nicht erlebt. Und die Freiheit, die wir jetzt haben – noch nicht ganz so lange, erfahren wir erst am Ende unseres Lebens. Eine Freiheit und Freizügigkeit übrigens, die in diesen Monaten auch ihren Preis hat. Und dennoch oder genauer gerade deswegen werden wir diese Freiheit als kostbares Gut behandeln und mit ihr in dieser Zeit verantwortungsvoll umgehen.

Auch nach dem Ende des heißen Krieges und nach dem Ende der Mauer um unseren Staat gab es viele graue Tage, zu viele, als dass wir auch nur die kleinen Erfolge im Kampf gegen Not und Tod ohne Fest und Feier vorübergehen lassen sollten. Übrigens ist das der eigentliche Grund, warum wir jeden Sonntag als ein kleines Osterfest feiern und uns diesen Tag dafür frei halten sollten. Darum ist es gut, wenn wir das nicht in blauen Arbeitskitteln, sondern in Sonntagskleidern und gutem Essen feiern. Es ist einfach schade, wenn Alltag und Sonntag kaum noch getrennt werden und der Festcharakter des Sonntags so oft nicht mehr zu schmecken ist. Unser Leben wird uns schmecken, wenn wir den Unterschied kosten, wenn wir Hochzeiten, Hochzeitstage feiern und Alltag gestalten, wenn wir Brot und Wein kosten und zugleich die Hoffnung behalten: Der wohlschmeckende Friede Gottes, der alles umfasst, wartet auf uns und lässt sich schon hier und heute stückweise erleben. Er öffne unsere Augen dafür und bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen