Predigt über Johannes 5,1-18

  • 27.10.2019 , 19. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Dr. Faustus sinniert im Schwanken zwischen Lebenwollen und Todessehnsucht über das wundervolle Geschehen am Ostermorgen.

„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube; Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.“

 Offensichtlich gab es damals zwischen Wunder und Glaube eine sehr enge Verbindung.

Wozu braucht es Wunder?

Wenn man nach katholischer Lesart selig oder heiliggesprochen werden möchte, sind zu Lebzeiten vollzogene Wunder unerlässlich. Nur wird eine Heiligsprechung kaum jemand von sich aus anstreben. Vielmehr werden besondere Menschen nach ihrem Tod zu Heiligen gemacht, um ihre Besonderheit zu unterstreichen.

Dazu gehört dann auch das meist unerklärliche Ergebnis einer besonderen Handlung. Mit dem Wunderwirken unterstreich der Wundertäter sein von göttlicher Kraft bestimmtes Tun.

Wer bestimmt aber, was ein Wunder ist? Menschen oder Gott selber?

Wir sehen, hier verschwimmen dann doch sehr schnell Wunsch und Realität. Denn wo ein Wille zur Heiligsprechung ist, lässt sich in der Regel auch ein Wunder finden.

Deshalb stellt sich die Frage:

Braucht der Glaube Wunder, liebe Gemeinde?

Natürlich nicht. Die Folge von Wundern ist nicht zwangsläufig mehr Glaube bzw. mehr Gläubige.

Denn sonst wären wohl kaum seit dem Wunder der friedlichen Revolution mehr als dreihunderttausend Christen in Sachsen aus der Kirche ausgetreten.

Dass, was wir Menschen gerne als wundersam oder Wunder schlechthin bezeichnen, steht für etwas, was sich den rational erschließbaren Zusammenhängen entzieht. Bis wir allerdings in einer aufgeklärten und wissenschaftsbasierten Gesellschaft an solch eine Grenze kommen, dauert es sehr lange. Die Parameter haben sich seit Goethes Faust diesbezüglich doch sehr weit verschoben.

Und die Beurteilung dessen, was ein Wunder ist und was nicht, ist häufig doch sehr vom Auge des Betrachters bestimmt. Wunsch und Wunder liegen nicht nur sprachhistorisch dicht beieinander.

 Im Zusammenhang mit Jesus Christus tauchen bei den Evangelisten zahlreiche Wunder auf. Naturwunder, Heilungswunder, Austreibung böser Geister – die Palette ist sehr vielfältig. Dabei können jene Autoren an die Erfahrungen der Menschen anknüpfen. Schon die alttestamentlichen Schriften erzählen von Wundern als Ausdruck göttlichen Handelns.

Alles, was wir heute biblisch-theologisch in die Kategorie „Wunder“ einsortieren liegt aber unterhalb einer bestimmten Ebene. Denn das nach evangelischem Verständnis eigentliche Wunder der Bibel ist das durch Kreuz und Auferstehung Jesu Christi besiegelte Erlösungsgeschehen. Durch sein Kreuz hat er uns herausgelöst aus allen Stricken und Bindungen, die Todesmächte knüpfen und festmachen wollen. Durch seine Auferstehung hat er uns befreit von der letztgültigen Macht des Todes.

Unter diesen Vorzeichen hören wir nun den Predigttext für den 19. Sonntag nach Trinitatis. Er steht bei Johannes im 5. Kapitel:

Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. 2 Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf Hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen;

3-4 in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. 5 Es war aber dort ein Mensch, der war seit achtunddreißig Jahren krank. 6 Als Jesus ihn liegen sah und vernahm, dass er schon so lange krank war, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? 7 Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. 8 Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! 9 Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber Sabbat an diesem Tag. 10 Da sprachen die Juden zu dem, der geheilt worden war: Heute ist Sabbat, es ist dir nicht erlaubt, dein Bett zu tragen. 11 Er aber antwortete ihnen: Der mich gesund gemacht hat, sprach zu mir: Nimm dein Bett und geh hin! 12 Sie fragten ihn: Wer ist der Mensch, der zu dir gesagt hat: Nimm dein Bett und geh hin? 13 Der aber geheilt worden war, wusste nicht, wer es war; denn Jesus war fortgegangen, da so viel Volk an dem Ort war. 14 Danach fand ihn Jesus im Tempel und sprach zu ihm: Siehe, du bist gesund geworden; sündige nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre. 15 Der Mensch ging hin und berichtete den Juden, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe. 16 Darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte. 17 Jesus aber antwortete ihnen: Mein Vater wirkt bis auf diesen Tag, und ich wirke auch. 18 Darum trachteten die Juden noch mehr danach, ihn zu töten, weil er nicht allein den Sabbat brach, sondern auch sagte, Gott sei sein Vater, und machte sich selbst Gott gleich.

 Gleich mehrere Verse aus diesem Text produzieren eher verstörende, denn verständige Gedanken beim heutigen Hörer.

Los geht es mit der Frage an den seit fast vier Jahrzehnten Kranken: „Willst Du gesund werden?“ Was für eine überflüssige Frage. Die Antwort wird wohl kaum gelautet haben „Nein, ich möchte hier noch weitere achtunddreißig Jahre liegen“. Johannes braucht für den Fortgang seiner Erzählung deshalb auch keine Antwort des Kranken. Mit dieser ungehörigen Frage aus dem Munde Jesu, ist ihm die Aufmerksamkeit seiner Leser und Hörer gewiss.

Der Kranke ist aus Sicht der Bethesda-Geschichte ein hoffnungsloser Fall. Denn die Legende vom Teich Bethesda erzählt uns von einem Engel, der das Wasser in Bewegung setzt. Für den ersten Kranken, der danach in den Teich steigt, bedeutet dies Heilung. Eine andere Variante der Bethesda-Erzählung berichtet vom badenden Engel. Dadurch bekommt das Wasser des Teiches für kurze Zeit heilende Wirkung. Eile war also geboten. Denn diese Wirkung reichte immer nur für einen Kranken.

„Ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt“ beschreibt der Kranke resigniert seinen Fall.

Den Menschen braucht er auch nicht, wenn der Gottessohn vor ihm steht. Der harsche Befehlston zeugt von seiner Kraft. Nun hätte Jesus ja sagen können, stehe auf und gehe nach Hause. Aber dann wäre die Provokation verlorengegangen. Das Tragen von Lasten am Sabbat war nach dem mosaischen Gesetz verboten. Die Aufgabe der Pharisäer ist es, für die Einhaltung des Gesetzes zu sorgen. Deshalb gibt es schon gleich den Rüffel als der ehemals Kranke mit seinem Bett unter den Armen gesichtet wird.

Warum provoziert hier Jesus?

Er tut dies um auf die Auseinandersetzung hinzuweisen, gewissermaßen als dramaturgische Ouvertüre für die eigentliche Frage, die da lautet:

„Wer darf im Auftrag Gottes handeln?“ sind es die Gesetzeshüter?

Nein, sagt uns der Evangelist Johannes. Gesetze kommen dort an ihre Grenzen, wo sie dem Leben entgegenstehen. Wo von Christus ein Mensch wieder zurück ins Leben gerufen wird, ist es völlig unerheblich, ob dies zur Tag- oder Nachtzeit geschieht.

Wo Gott Menschen wieder auf die Beine hilft, stellt sich die Frage nach dem Tag nicht. Die Freude über wiedergelingendes Leben ist Ausdruck seiner frohen Botschaft. Damit sind wir aber noch nicht am Ende der Geschichte. Denn es geht weiter. Die eigentliche Pointe fehlt noch:

 Jesus setzt in Bewegung. Das gilt gleichermaßen für den Gelähmten aus dem heutigen Evangelium (Mk 2) wie für den Kranken am Teich Bethesda und auch für die ihn Kritisierenden.

Da die Pointe unseres Predigttextes nicht auf dem Bruch des Sabbatgebotes, sondern auf der hervorgehobenen Einheit zwischen Gott Vater und Sohn Jesus Christus liegt, werden auch wir bewegt. Bewegt zum Glauben an den im Alltag schöpferisch tätigen Gott. Der Evangelist möchte uns verdeutlichen – Schöpfung ist kein abgeschlossener Akt am Anfang der Zeiten, sondern sie geschieht im Alltag. Gottes Wirken ist nicht an menschliche Zeitmaßstäbe und Gesetze gebunden. Schon gar nicht sein heilendes Wirken. Da sich Gott Vater und Sohn Jesus Christus als Einheit verstehen, kann Jesus Christus gar nicht anders als in der Einheit mit dem Vater im Himmel zu wirken. Die johanneische Christologie setzt hier den Schwerpunkt. „Ich und der Vater sind eins“ – diese Aussage taucht gleich mehrfach im Johannesevangelium auf.

Gott will das Leben erzählen uns die Schöpfungsgeschichten aus der Genesis. Sein Sohn setzt mit seinem Tun im Einklang mit Gott Lebenszeichen.

Er setzt Lebenszeichen dort, wo alles erstarrt zu sein schien. Er vermag es, Menschen zu bewegen, lähmende Gewohnheit hinter sich zu lassen. Er richtet auf und ermöglicht eine neue, viel weitere Perspektive als es sich jemand, der am Boden liegt, überhaupt vorstellen kann.

Das kann wie ein Wunder aussehen. Und Menschen erfahren in ihrer eigenen Lebensgeschichte solche Bewegungen als bis dato unvorstellbar. Infolgedessen wird dann gerne vom Wunder gesprochen.

Wer möchte diese Glaubenserfahrungen anderen absprechen? Wir sollten uns hüten, das, was wir selber nicht verstehen oder erleben können, nur rational einzuordnen zu versuchen. Wunder geschehen immer wieder. Jede Geburt ist Ausdruck der wunderbaren schöpferischen Kraft Gottes. Der bewusste Blick in seine Schöpfung lässt uns häufig über das Kleine und darin Schöne staunen.

Gleichermaßen sollten wir uns aber auch davor hüten, Maßstäbe für Wunder zu entwickeln, um daraus dann einen Ausschließlichkeitsanspruch ableiten zu können. Was als Wunder empfunden bzw. erfahren wird, ist sehr von der jeweiligen Situation abhängig.

 Jesus setzt in Bewegung. Darauf dürfen wir vertrauen und gelegentlich müssen wir ihn auch daran erinnern. Kirche, die in ihren Traditionen erstarrt ist keine lebendige Kirche mehr, sondern wird am Ende zum Museum. Wir brauchen die heilsame Bewegung durch Gottes schöpferische Kraft. Sie vermag es, dass wir aufstehen von den bequemen Matten und Krankenbetten, die doch nur zementieren, was eigentlich geändert werden muss.

Jesus Christus machte am Sabbat den Kranken zum wahren Sonntagskind, weil an ihm das Wunder der Auferstehung Alltagsrelevanz bekommt.

Jesus Christus setzt ihn Bewegung. Mögen wir erfahren, wie vergnüglich es sein kann, gegen alle Gewohnheiten und gegen das Staunen derjenigen, die immer alles schon wussten und wissen sein Bett der Bequemlichkeit und Jammerei unter die Arme zu nehmen und fröhlich umherzutragen und damit zum Ausdruck zu bringen:

„Seht her, ich bin zurückgekehrt ins Leben! Darüber freue ich mich und teile diese Freude mit euch.“

Amen.

 

Und der Friede Gottes….

Pfarrer Martin Hundertmark
hundertmark@thomaskirche.org