Predigt über Johannes 6, 55-65

  • 26.03.2017 , 4. Sonntag der Passionszeit - Lätare
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt über Johannes 6, 55-65, Sonntag Lätare, 26. März 2017

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. 56 Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm. 57 Wie mich gesandt hat der lebendige Vater und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen. 58 Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.
59 Das sagte Jesus in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte. 60 Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? 61 Da Jesus aber bei sich selbst merkte, dass seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Nehmt ihr daran Anstoß? 62 Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war? 63 Der Geist ist's, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben. 64 Aber es sind etliche unter euch, die glauben nicht. Denn Jesus wusste von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde. 65 Und er sprach: Darum habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn vom Vater gegeben.

Liebe Gemeinde,
in der Tat ist das zunächst einmal eine „harte Rede", die Jesus da in der Synagoge hält: „ihn essen" - und was er dann anschließend im Kreise der Jünger sagt, ist es ja nicht minder. Die, die etwas von ihm hören wollen, sind auf die eine oder andere Weise hungrig - und sie stehen alle noch unter dem Eindruck des Brotwunders, das sich vor dieser Rede ereignet hat. 5000 Menschen werden satt von fünf Broten und zwei Fischen. Wie ist das nun einzuordnen - vor allem in Bezug auf das Brot, das Jesus in seiner Person anzubieten hat?

Zunächst kann man da ganz grundsätzlich beginnen: Vom Brot fängt man an zu reden, wenn die Not groß ist. Es ist der Inbegriff von Nahrung, das Ur-Nahrungsmittel. Die Menschen gehen auf die Straße, wenn die Brotpreise in einem Maße steigen, dass die Grundversorgung infrage steht. Manche Revolution fängt so an. Aber Brot steht für mehr, für alles, was der Mensch braucht: auch für seelische und geistig-geistliche Nahrung. Die Bitte im Vaterunser „Unser tägliches Brot gib uns heute", bringt alle Bedürfnisse des Menschen auf einen Nenner. Aber gerade das hat in der Geschichte der Kirchen zu frömmelnden Versuchen geführt, das irdische Brot vom geistigen, dem Wort Gottes, zu trennen und die sozialen Fragen der Gesellschaft zu vernachlässigen oder sich für nicht zuständig zu erklären. Schnell wurde und wird ein wiedersinniger Widerstreit zwischen Wort und Brot aufgerichtet, der den körperlichen Hunger gegenüber dem geistigen geringachtet. Dabei können manche Menschen in ihrem realen Hunger ja nicht einmal mehr denken, was geistiger Hunger überhaupt ist.

Wovon also lebt der Mensch? Natürlich auch vom Brot - alles andere zu behaupten, wäre mehr als zynisch. Und der Hunger von Millionen von Menschen insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent ist nach wie vor der größte Skandal auf unserer Welt, auch wenn die Nachrichten im Moment voll von anderen Themen sind. Aber es ist vor allem der ganz reale schlichte Mangel am Notwendigen, der die Menschen auf und in die Flucht treibt - erst weit danach kommt der Hunger nach Freiheit, Demokratie und persönlicher Zukunft.

Nur damit im Hinterkopf lässt sich sagen: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, er stirbt sogar am Brot allein." So hat es die Theologin Dorothee Sölle ausgedrückt. Und damit etwas über das Manna gesagt, von dem Jesus hier in seiner harten Rede auch spricht: „Das Brot, das die Väter in der Wüste gegessen haben." Es bewahrt vor dem Verhungern - aber nicht vor dem Sterben. Es ist nahrhaft im Moment - aber doch schon am nächsten Tag faul und madig. Es reicht also nicht, sich im Leben auf diese Sorte Brot zu beschränken - und mit ihm auf die kurzfristige Befriedigung körperlich-materieller Bedürfnisse. Das hat nichts Beständiges und treibt einen dem Tod in die Arme: „Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben."

Es ist nun leicht, die Konsumgesellschaft zu kritisieren, die darauf setzt, dass Menschen genau das tun. Und die mit immer neuen Anreizen Bedürfnisse weckt und Abhängigkeiten schafft. Ob es nun Bereiche innerhalb der Nahrungsmittelindustrie sind, die durch eine bestimmte Zusammenfügung von Fett, Salz und Zucker bei Kindern und Jugendlichen ein Suchtverhalten provozieren, das dem von Alkohol oder Nikotin vergleichbar ist. Oder die Branche der Unterhaltungselektronik, die einem suggeriert, immer das Neueste haben zu müssen und infolgedessen schon Achtjährige ohne Smartphone von anderen Achtjährigen auf dem Schulhof gemobbt werden - das allein bringt noch kein Unheil über uns.
Das tut vielmehr das fehlende Vermögen, mit Konsum und Überfluss umzugehen und sich darin zu orientieren. Und kein Maß mehr zu kennen, kein Gefühl mehr für das, was noch angemessen ist. Etwas, was ja auch die Spekulation mit Nahrungsmitteln wie Weizen betrifft, das in erster Linie den Ärmsten das Brot vorenthält. Man könnte auch sagen: wegfrisst. Wer aber solches Manna-Brot für den Bauch allein zum Inhalt seines Lebens macht - wie will der in seinem Leben irgendeine andere Aussicht entwickeln als jeden Tag den Tod ein Stück näher auf sich zukommen zu sehen? Wie will er anders reagieren, als ihn durch noch mehr Nahrungsaufnahme zu vermeiden zu suchen, so dass der eigentliche Lebens-Hunger immer größer wird und die Erwartungshaltung ständig steigt, dass die eigenen Bedürfnisse unbedingt befriedigt werden müssen? Der getriebene Mensch, für den nur noch das von Belang ist, was sich für ihn vor Sonnenuntergang noch auszahlt - wie sollte der anders können, als eine „Nach mir die Sintflut-Haltung" zu entwickeln, die keine Hemmungen hat, auf Kosten des Armen zu leben?

Noch mal: Es ist keine Frage: Natürlich brauchen wir das, wofür das Manna steht, zum Sattwerden. Wir brauchen Brot, wir brauchen Geld - aber allein bleibt es wirkungslos. Wenn wir die sozialen Probleme unserer Gesellschaft angucken, ist das ja auch so. Da ist sicher sehr viel mehr Geld nötig als in die Hand genommen wird. Aber was wird das allein ändern, wenn nicht der eigentliche Mangel behoben wird, der sich in keinem Armuts-und Reichtumsbericht findet, geschönt oder nicht: der Mangel an Zuwendung, Liebe, Verbindlichkeit und Fürsorge. Wenn man Eltern in Kitas und Grundschulen sagen muss: „Bitte die Kinder vor der Schule nicht fernsehen lassen." „Bitte die Kinder frühstücken lassen." „Bitte die Kinder warm anziehen wenn es kalt ist." Mit Maßnahmen wie Betreuungsgeld lassen sich diese Defizite nicht beheben.

Letztlich warnt Jesus in der ganzen Brotrede dieses Kapitels vor dem verführerischen Gedanken: Wenn man nur genug Brot habe, wird alles gut. Nein, im Gegenteil - wobei nicht infrage steht, dass jeder es braucht. Aber es kann töten, wenn nicht jeder auch solches Brot bekommt, wie Jesus es in sich selbst anbietet. In dem, was er sagt und in dem, wie er lebt. Das führt er den Menschen, die ihm begegnen, vor Augen und gibt ihnen Anteil daran: mahnend und fordernd genauso wie tröstend und aufrichtend. Sein Brot schmeckt nach den Werten, die er geprägt hat: den anderen Menschen so behandeln, wie man selbst behandelt werden will. Es schmeckt nach dem Grundsatz, dass Gottesliebe ohne die Liebe zum Nächsten unmöglich ist. Der Mensch und die Achtung seiner Würde der Gottebenbildlichkeit stehen im Mittelpunkt. Für das natürliche Brot zu sorgen, gehört dazu. Jesus gibt den Hungrigen zu essen, wie es in der Speisung der 5000 erzählt wird. Aber im gleichen Atemzug lehnt Jesus es ab, für dieses Wunder zum König gemacht zu werden. Ihm geht es um das, was unter diesem Wunder Leben schafft, und nicht nur darum, das nächste Sattwerden zu sichern - so wichtig auch das sein mag. Ihm geht es um eine andere Kategorie: Er nennt sie Geist und Leben - „Die Worte, die ich zu Euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben." Sie sind beständig - seine Worte sind sein Fleisch und Blut, die wir in uns aufnehmen. In uns. Durch sie bleibt Jesus in uns und wir in ihm. Dieses Brot wird nicht wieder hungrig machen - und schon gar nicht verfaulen wie das Manna.
Nicht zuletzt ist es der Weg durch das Leiden, das alles bekräftigt, was in diesem Brot steckt: Er selbst. „Dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt." So leitet Jesus seine „harte Rede" ein. Das Bild von Fleisch und Blut in seiner Rede ist nicht zu trennen von diesem Gedanken. Ohne diesen Zusammenhang wird es hier wirklich kraus - ihn essen? Ja, das, was ihn ausmacht, in sich aufnehmen. Ihn verinnerlichen. Das geht nicht ohne das, was in Jerusalem geschieht und dem er sich bewusst aussetzt als Mensch aus Fleisch und Blut. Er verzichtet darauf, sich vordergründig als der Stärkere zu erweisen. Er durchbricht den Teufelskreis von Aktion und Reaktion und von Tat und Vergeltung. Er setzt sich den Spöttern aus, den Verleumdern, dem Verrat, dem feigen Versuch, die eigene Haut zu retten und einzuknicken, wenn es brenzlig wird, er entzieht sich aller Haltung von „Nach mir die Sintflut", „Meine Bedürfnisse zuerst" und „Hauptsache ich und mein Bauch". Er gibt sich hin, um das all das mit ans Kreuz zu bringen. Um all das, was uns und unser Miteinander kaputt macht, zu überwinden. Und dem, was er uns in seinem Brot des Himmels gebracht hat, zu neuem Leben unter uns zu verhelfen. All dem, was Bestand haben wird, was unseren Beziehungen Sinn und Inhalt gibt: Geist und Leben.

Wo wir das erleben, ist Himmel, dort ist Ewigkeit. Dort ist etwas, das ist stärker als der Tod - und das können wir auch so empfinden. Wir können daran teilhaben, können seine Hingabe schmecken, riechen, fühlen, können sie uns, wie beim Abendmahl, in Fleisch und Blut übergehen lassen. Ihn in uns aufnehmen. Das hat nichts mit Kannibalismus zu tun, sondern allenfalls damit, deutlich zu machen, auf die Sorte Kannibalismus zu verzichten, die andere durch unsere Lebensweise auffrisst - oder ihnen zumindest die Lebensgrundlage raubt durch ein an der Jagd nach dem Brot der Welt orientierten Verhalten.

Etwas vom Wesen Jesu, von seiner Persönlichkeit zu unserem Eigenen zu machen, etwas von ihm in uns aufzunehmen und es zu verkörpern: das kann dann zum „ewigen Leben" werden. Ewiges Leben verstanden als der Moment im Hier und Jetzt, wo wir uns berühren lassen und danach handeln. Das ist das Brot, von dem man lebt, auch wenn man stirbt - weil es einem die Perspektive eröffnet, die über den Tod hinausweist. Dieses Brot ist mehr als das süße, aber verderbliche Manna, das gegen den momentanen Hunger gut sein mag, aber auch dazu verführen kann, nach mehr zu verlangen- nach mehr als uns bekommt und gut für uns ist. Dieses Brot hat einen anderen Geschmack. Es ist durch Leid, Tränen und Bitterkeit hindurchgegangen und hat alles in sich mit aufgenommen.

Und so schmeckt auch das schlichte Brot im Abendmahl, die Oblate, nach nichts - außer nach Himmel. Es ist etwas anderes als das alltägliche Brot. In das Abendmahl sollten wir nicht noch etwas Zusätzliches hineinlegen wollen. Was hat man da nicht schon alles probiert mit Brotwürfeln, Fladenbrotstücken usw. Nein, hier wird uns Brot des Himmels geschenkt, das sich von all dem anderen Brot, das wir auch brauchen und das wir genauso genießen können, doch ganz wesentlich unterscheidet. Durch dieses Brot müssen wir den Tod, den wir alle mal sterben werden, nicht fürchten. Dieses Brot ist gegeben für das Leben der Welt, damit wir die Ewigkeit im jetzt und hier schmecken, mitten im Leben - ohne süßlichen Beigeschmack. „Wer von diesem Brot isst", sagt Jesus, „der wird leben in Ewigkeit."
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org