Predigt über Johannes 7, 37-39

  • 28.05.2017 , 6. Sonntag nach Ostern – Exaudi
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt über Johannes 7, 37-39, Sonntag Exaudi, 28. Mai 2017

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

ob 100.000 oder mehr Leute heute Mittag zum zentralen Festgottesdienst nach Wittenberg kommen mögen: Alle 320.000 bereitgehaltenen Wasserflaschen dürften benötigt werden. Niemandem wird man es heute verübeln, wenn er mit seiner Aufmerksamkeit eher beim Wassernachschub als bei dem Programm auf der Bühne ist - und zumindest vorübergehend eher mit seinen leiblichen als mit seinen geistlichen Bedürfnissen beschäftigt ist. Aber so weit liegt das in dem Fall auch nicht auseinander. Alles Mögliche kann warten, aber wer wirklich Durst hat, der nicht, nicht lange jedenfalls, oder er wird verrückt. Der Mensch hat nicht nur Durst, in gewissem Sinne ist er Durst - mit all seinem Verlangen, mit seiner Sehnsucht, mit seinen Bedürfnissen. Jesus hat dieses Bild unseres dringendsten aller Bedürfnisse und seine enge Verknüpfung von körperlicher wie geistlicher Ebene mehrfach genutzt. In zwei Geschichten aus dem Johannesevangelium geht es darum. Die eine ist für heute Predigttext, zur anderen kommen wir noch. Jesus befindet sich auf dem Laubhüttenfest in Jerusalem, bei dem traditionell am letzten Tag eine große Prozession stattfindet, bei der Wasser aus dem Teich Siloah geholt und im Tempel ausgegossen wird, ein altes Ritual, mit dem Gott um gutes Wachstum der Ernte gebeten wird. Das ist offensichtlich gerade geschehen, als Jesus auftritt. In Johannes 7 lesen wir:

Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! 38 Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. 39 Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.

Jesus verspricht den Anwesenden anderes und mehr als das, was sie gerade symbolisch vollzogen haben. Wasser, das überfließt, wenn man davon trinkt. Kein Tropfen auf den heißen Stein, kein gieriger Blick wie bei 30 Grad unter freiem Himmel, woher bekomme ich den nächsten Schluck. Ströme lebendigen Wassers werden von einem fließen, es ist wie ein Schalenbrunnen, aus dem unaufhörlich eine Quelle sprudelt und immer wenn eine Schale randvoll ist, fließt sie über in die darunter liegende und dann noch weiter in die nächst größere, es fließt immer weiter, da ist kein Stillstand. So soll derjenige sein, der das Wasser trinkt, das Jesus ihm anbietet. Wie kann er das werden - wie werden wir wie solch ein Brunnen, der frisches Wasser hat, das auch anderem Leben gut tut?

Das Entscheidende, was Jesus sagt, ist: Diese Quelle liegt nicht in uns selbst. Nicht wir selbst schöpfen aus uns. Anders als bei dem Schalenbrunnen gehört die Quelle nicht dazu. Ich bin nicht mein eigener Sinngeber. Allerdings ist sicher nicht nur im weitgehend säkularisierten Sachsen das Credo: „Ich glaube vor allem an mich selbst" das häufigste Kennzeichen der Religiosität der Nicht-Religiösen. So das Ergebnis einer Umfrage, die es zu einem der letzten Kirchentage gab. Nun ist das an sich erst mal durchaus nicht falsch, einem Konfirmanden, der im Vorstellungsgottesdienst erzählt, dass die Konfirmandenzeit ihm geholfen hätte, an sich selbst zu glauben - den würde ich darin schon bestätigen. Aber bei einem Erwachsenen? Da wäre ich vorsichtig, es sei denn, er ist in einer besonderen Lage. Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, aber ich finde: Sie ist ja schon ein Phänomen, diese Politik der Hyperpersonalisierung, die auch Europa gerade erlebt. Dass das viele so fasziniert, auch die, denen ein Trump zu viel ist: Wo das eigentliche Programm einer Partei in einem mehr oder weniger gutaussehenden aber zumindest bisher erfolgreichen Macher besteht. Wo man in Kauf nimmt, dass jemand, der auf den alles bezogen ist, dazu neigen könnte anzufangen, auch alles auf sich zu beziehen, auf sich zuzuschneiden und bestimmen zu wollen, was eigentlich besser Sache gefundener Kompromisse und gemeinsamen Nachdenkens wäre. Ist die offenkundige Faszination trotz des damit verbundenen Risikos nicht eine Spielart dieses „Ich glaube nur an mich selbst"? Und werden die, die das so vorleben, deshalb gemocht, weil sie ausleben und sich erlauben, was viele gerne wären und sich versagen? Und kann das nicht am Ende gefährlicher werden, als dass Menschen, die dazu neigen, alles aus sich heraus schaffen zu wollen, alles mit sich abmachen, sich am Ende selbst trockenlegen? Diese permanente Selbstüberforderung, vor der man irgendwann in die Knie gehen muss, weil einfach kaum noch Flüssigkeit von außen zugeführt wird? Wo Körper, Seele und Geist überhitzt kollabieren? Die Verzweiflung, in die es einen Martin Luther trieb, hatte damit zu tun: Mit seiner bitteren Erkenntnis, sich bei seinem Versuch, gut zu sein und gerecht vor Gott sich nur immer weiter in sich selbst zu verstricken - und konnte es doch nie. Sein Durst produzierte neuen Durst, der schlimmer war als der alte. Bis er endlich vor sich selbst und vor Gott erkannte, was seinen Durst löscht: Nämlich alles von Christus zu erwarten. Alles.

Hier setzt die Frage an, was es denn zu feiern oder zu bedenken gibt, in diesem Gedenkjahr der Reformation an. Der Gedanke, alles von Gott zu erwarten, alles - der ist uns in seiner Radikalität so fremd, wie es das damals auch war. Die entscheidende Neuerung der Reformation gegenüber den vielfältigen Vorbereitungen im Spätmittelalter war: Auf unserer menschlichen Seite gibt es keine, wirklich keine Beteiligung und Entsprechung. Den Durst unserer Sehnsüchte und geistlichen Bedürfnisse werden wir nicht selbst stillen können und alles, wozu wir greifen, wird uns auf Dauer noch durstiger machen. Schon das späte Mittelalter hatte die Bedeutung der Gnade und des Glaubens entdeckt und schon lange gepredigt. Aber sie hatte immer noch eine kleine Beteiligung, eine Entsprechung, eine eigene Anstrengung bei uns Glaubenden als notwendig angesehen - und sei es, dass wir eben das Angebot der Gnade ergreifen und in unser Leben hereinlassen. Luther aber und die anderen Reformatoren haben selbst diesen Anteil an menschlicher Aktivität gekappt: Zu glauben, Christ zu sein, das bedeutet, ganz aus dem Geschenk ohne jede eigene Beteiligung zu leben. Alle menschlichen Aktivitäten gehören in den Bereich der Verwirklichung der Glaubensbeziehung im täglichen Leben gegenüber den Nächsten und Fernsten. Aber die Beziehung zu Gott wird ganz und allein durch Aktivitäten Gottes und Christi konstituiert. Das ist wirklich schwer anzunehmen: Zu verstehen, bedürftig zu sein bzw. viel mehr vollkommen bedürftig zu sein - das schmeckt dem autonomen Menschen nicht. Wirklich aushalten, dass wir in der Hinsicht nichts zu bieten haben? Luther hat das so weit durchgezogen, dass er sagte: Auch der Glaube ist kein Sein, sondern immer ein Werden, er wird uns nie zum Besitz, bleibt immer Geschenk. So war auch der Leistung des Leistungsverzichts der Riegel vorgeschoben.

Und darum geht es an dieser Stelle im Johannesevangelium. Dass Jesus sagt: Genau darin liegt Eure Befreiung. In diesem ersten Schritt, dass ihr die Quelle Eures Lebens als außerhalb eurer selbst begreift - und auch nur dort nach ihr sucht. Dieser erste Schritt, der alles nach sich zieht, macht uns Menschen frei. Er macht uns fähig, Verantwortung zu übernehmen, unsere Gaben und Fähigkeiten weiter zu bilden. Diese Einsicht macht uns frei, wirklich auf andere zugehen zu können und das Gebot zu leben, in dem alle Gesetze und Propheten beschlossen sind: Gott zu lieben - und genauso eben auch den Nächsten. Ihm ohne Angst zu begegnen, ihm, der genauso bedürftig ist wie ich selbst.

Die Quelle dafür ist Jesus selbst mit dem, was und wie er es tut. Das erschließt sich aus der anderen schon erwähnten Durst-Geschichte aus dem Johannesevangelium. In dieser Geschichte ist Jesus erst einmal selbst der Durstige. Er bittet eine Samaritanerin an einem Brunnen, ihm zu trinken zu geben. Fast vom Schlag getroffen, dass ein jüdischer Mann sie anspricht und sich ihr offensichtlich ohne jene Sorge um die eigene Reputation bedürftig zeigt, gibt sie ihm zu trinken. So kommen sie ins Gespräch über ihr Leben, über ihre Bedürfnisse, ihr Verlangen, Ihre Sehnsucht. Ja, einen Mann nach dem anderen hatte sie - und bei keinem fand sie, was sie suchte, blieb rast- und ruhelos ohne Aussicht auf einen Ausweg aus der Situation. Wie eng leiblicher und geistlicher Durst beieinanderliegen und ineinander verwoben sind, zeigt ihre Lebensgeschichte. Darüber zu reden, ermöglicht es ihr aber, genau das anzuschauen und sich auszusprechen - also offen zu reden über das, was das Ergebnis ihres Lebensdurstes war. Männer - das war ihr Lebensmuster - so wie jeder ja seine Lebensmuster hat, zu denen man immer wieder neigt. Es ist das Köstliche am Wasser, das Jesus anzubieten hat, dass es bei ihm keine schale, abgestandene Moralpredigt dazu gibt. Sowohl die Leute, die zum ihm kommen oder er wie in diesem Fall zugeht, hören keinen Vorwurf. Und nie beteiligt Jesus sich an den Spekulationen der Beobachter, was denn wohl bei einem Aussätzigen oder Besessenen dazu geführt haben mag, er selbst, die Eltern oder was da alles so kalt und abschätzig von sich gegeben wird in der Annahme, selbst natürlich auf der richtigen Seite zu stehen. Jesus interessiert das nicht, denn das alles führt nicht ins Leben zurück und lässt die Lebenskräfte nicht neu strömen. Er fragt vielmehr immer: Was willst Du, dass ich Dir tun soll? Es geht nach vorne und um die Frage, ob man etwas zurücklassen möchte, was einen im warm und seicht gewordenen Lebenswasser auch gewärmt hat. Immer geht es darum, die Lebenskräfte zu wecken. Und der Weg heißt nie: „Ich bin der Star und Du kannst geheilt werden, weil ich so toll bin", sondern es heißt immer: Dein Glaube hat Dir geholfen. Dein Glaube. Nicht das Schöpfen aus den eigenen Quellen. Sondern dass Leben auf der Basis gelingen kann, die Jesus uns anbietet: die unbedingte Liebe, die jedem den Blick des neuen Lebens auf das eigene Leben ermöglichen will. Auf das, was in diesem Leben schon die Todeskräfte in ihre Schranken weist und sie für uns nicht übermächtig werden lässt. Und dass auch all das, was uns besser verlassen sollte, von uns abfließen kann.

Die Lebenskräfte stärken - dieses Wasser fließen lassen. Wir werden sehen, wie uns das als Kirche in Zukunft gelingen wird. In so manchem ist leider im Innern und von außen wahrnehmbar, dass statt lebendigem Wasser bei uns eher der Angstschweiß fließt und wir eher mehr Wasser zurückzuhalten bestrebt sind als eigentlich da wäre. Dass wir lieber die Verkrustungen mancher Strukturen ertragen, als sie wegzuspülen und dann auch eine Weile mit einer offenen Stelle zu leben, wie das eben so ist so beim Heilungsprozess und zu widerstehen, diese Wunden zu lecken statt sie der heilenden frischen Luft auszusetzen. Das Wasser wird auch darüber fließen und es gilt, es auch zukünftig auf den Acker zu bringen, wo es wachsen hilft. Dazu hat uns Gott frei gemacht im Glauben, durch sein Wort zu guten Werken. Das ist es was, wir feiern können - und möge uns das geistlich frisch halten, damit mehr als 320.000 leere Wasserflaschen zurückbleiben vom Reformationsgedenken.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org