Predigt über Johannes 8,3-11

  • 10.07.2022 , 4. Sonntag nach Trinitatis
  • Superintendent Sebastian Feydt

Predigt 4.So.n.Trin – 9.7.2022 – St. Thomas

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. In der Stille bitten wir Gott um seinen Segen für sein Wort und unser Hören und Verstehen.

Liebe Gemeinde,

die junge Frau steht am Strand. Das Meer schickt kleine Wellen, die ihre Füße umspielen. Das Wasser kommt - und das Wasser geht. Lässt den feuchten Sand zurück. In diesem Moment  malt sie mit dem nackten Zeh ein Herz in den weichen Sand.

Bis das Wasser wieder kommt - und mitnimmt, was sie da gerade erinnert, oder hofft…

Das Herz im Sand am Strand – es ist zum Sehnsuchtsbild geworden. Gerade jetzt zu Beginn der Urlaubszeit. Aber wie es oft mit Sehnsuchtsbildern so ist: Sie sind flüchtig, haben keinen Bestand. Verwischen, werden davon getragen von Wellen und Wolken…

In den Sand schreiben

Es gehört im Sommer an den Strand.

 

In den Sand schreiben: Es gehört auch in eine Liebesgeschichte, die uns der Ev. Johannes erzählt. Da bückt sich Jesus und schreibt mit dem Finger in den Sand auf dem Boden vor sich.

Haben Sie diese starke Geste schon vor Augen?

Jesus lehrt im Tempel in Jerusalem und Pharisäer und Schriftgelehrte bringen eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden sein soll,  stellen Sie in die Mitte und sprechen zu Jesus: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden. Mose hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen.--

Was sagst du?

Da bückt sich Jesus und schreibt mit dem Finger in den Sand.

 

Das ist die Antwort.

Wie verrückt ist das denn?! Ja wirklich ver-rückt.Wir werden ver-rückt.

Unser Blick lastet plötzlich nicht mehr auf der Frau, sondern wird auf Jesus selbst gelenkt.

Um ihn geht es ja eigentlich auch den Männern. Ihn, diesen sonderbaren Lehrer, diesen Rabbi wollen sie versuchen, um ihn dann zu verklagen.

Dabei ist ihnen jedes Mittel recht. Und die Verurteilung der Frau dient ihnen nur als Mittel zum Zweck. Machtmissbrauch nennen wir das.

 

Jesus gelingt es mit seinem völlig unerwarteten Verhalten, diesem Missbrauch der Frau und des Rechts entgegen zu wirken.

Fast unscheinbar gelingt ihm das.

Er bewegt sich und löst damit Bewegung aus.

Er  bückt sich nieder. Ich sehe es lebhaft vor mir: Jesus geht in die Knie.

Die Erniedrigung, die der Frau gelten soll,

die auf sie projiziert wird, diese Erniedrigung vollzieht er selbst. Jesus erniedrigt sich.

Geht nach unten. Bückt sich nieder.

Und schreibt in den Sand.

 

Liebe Gemeinde, früher wollte ich an dieser Stelle des Evangeliums immer unbedingt wissen, was er da geschrieben hat.

Was die Worte sind, die da den Boden zieren.

Es ist ja seine Antwort auf die Frage der Pharisäer und Schriftgelehrten: 

Mose hat uns geboten zu steinigen.

Was sagst du?

Wie sachlich, wie schrecklich korrekt kommt das hier daher! Wir könnten sagen: Regelgerecht. Alles ist gesetzeskonform.

Wir könnten auch sagen: Es kommt lapidar daher. Lapidar heißt wortwörtlich: in Stein gehauen. Und in der Tat: die Pharisäer und Schriftgelehrten berufen sich auf die in Stein gehauenen Regeln des Mose.

Und hauen mit ihren steinernen Worten auf Jesus ein – völlig überzeugt davon, später mit  diesen harten Grundsätzen auch noch zur Tat zu schreiten: Steinigen.

Völlig legal erscheint das alles…

Niemand hinterfragt diese Vorgehensweise.

So war es immer: Auf den Fehltritt, auf das schuldhafte Verhalten folgt die Verurteilung und die Strafe - und sie kann im Tod enden.

Durch Steinigung…

Kopfschüttelnd begegnen heute Viele unter uns diesem Moment. Gott sei Dank, dass wir über diese Vorgehensweisen und Auffassungen hinweg sind - meinen wir.

Sind wir es wirklich? Hinterfragen wir uns und unsere festen Überzeugungen und Rechtsauffassung? Was wünschen wir so manchem Menschen; dass ihm oder ihr doch dies oder jene Strafe ereilen möge…

Mir stehen mehrere heikle Situationen vor Augen, in denen ich sehr schnell Partei ergriffen habe und erst viel später gemerkt habe, dass ich hätte den Streit an sich infrage stellen sollen.

Die Sache verurteilen sollte, nicht die Person…

Es ist schwer, sich selbst im Vorfeld der eigenen Worte und Urteile das Sich-irren-können, dass Falsch-liegen-können mit dem eigenen Urteil einzugestehen.

Das ist aber wichtig! Denn der Übergang von den in Stein gehauenen Gesetzen des Mose damals oder heute der vermeintlichen Volksmeinung hin zu Leben zerstörenden Urteilen über einen Menschen, - dieser Übergang ist so schnell vollzogen.

Es sind nicht nur „die Anderen“, die da mit Wort-Steinen auf Menschen losgehen;

ich stehe selbst auch in der Gefahr.

Und täuschen wir uns nicht: Immer geht es dabei um die Art miteinander zu leben und einander zu lieben.

Es sind noch so viele, die nur ganz schwer aushalten können, dass das Leben und auch das Lieben größer und viel mehr ist, als sich in einem Gesetz festschreiben lässt.

Der Hang, Gewalt gegenüber Frauen, oder gegenüber Männern, die anders lieben, gegenüber Menschen, die nicht in ein bislang für korrekt geglaubtes Schema einzuordnen sind - der Hang, Gewalt zu legitimiere, mit einem Gesetz zu rechtfertigen, dieser Hang nimmt unter uns noch zu.

Wie lange sind in unserer eigenen Geschichte queere Menschen oder Andersglaubende an den Pranger gestellt oder verurteilt worden. Wie viele Strafen beurteilen wir heute grundlegend anders als unsere Eltern und Großeltern?   

 

Liebe Gemeinde, was tun? Was hilft uns?

- Die eigene Perspektive zu ändern.

- neu anzusetzen.

- Bewegung auszulösen.

- Herauszutreten aus dieser Fokussierung.

Sich zu bücken: Und in den Sand schreiben.

 

Den zu Stein geworden, versteinerten, hartherzig machenden Worte leichte, sanfte, liebende Worte entgegen kommen zu lassen. Dann fliegen uns nicht Steine, sondern Lebens-Hilfen entgegen.

Es sind Antworten, die sich verflüchtigen können. Ja. Es sind mitunter Antworten von kurzer Lebensdauer, ja, die wie am Strand, weggespült, weggetrieben werden könnten. Vielleicht verwischen.

Vielen genügt das nicht. Sie verlangen nach eindeutigen Antworten. Auch heute! Drängen regelrecht darauf. Jesus reagiert darauf und spricht: Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein…

Wenn alle Gesten und alles liebende Werben,  wenn alle Verweise auf die Wirklichkeit, die eben mehr ist als sich im Gesetz festschreiben lässt - wenn all das nicht genügt: dann muss die Freiheit mit klugen Worten eröffnet werden.

Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein…

Plötzlich sind die vermeintlich Rechtgläubigen, die Gesetzeshüter mit ihren hinterlistigen Absichten angefragt. Aber auch sie, wir alle bekommen die Freiheit verheißen: Sich frei entscheiden zu können. Und frei zu werden. Zum Leben.

In Gottes Liebe.

Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Sup. Sebastian Feydt