Predigt über Josua 1,1-9

  • 01.01.2018 , Neujahr
  • Pfarrerin Taddiken

Neujahr 1. Januar 2018

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
das Schöne an diesem Morgen ist für viele von uns: Das Gefühl des Reinen, noch Unberührten, des sozusagen noch jungfräulichen Jahres. Wach sein, wenn fast alles noch schläft. Und dass man sich so früh selbst quasi auch noch einmal wie auf null fährt. Und dass ich dann hoffentlich (!) gut beginnen kann mit dem, was ich neu haben, neu gestalten möchte bei mir selbst. Der erste Tag im neuen Jahr ist - ob man nun etwas von guten Vorsätzen halten mag oder nicht - ein Zeitpunkt, an dem wir bereit sind, über Neues und Veränderungen nachzudenken und wo wir fragen nach den Bedingungen von Glück und Erfolg in unserem Denken und Tun.

Das alles gestaltet sich nicht von selbst, das wissen wir und suchen nach Orientierung dafür. Wir wissen dabei: Es hat mit dem Wagnis zu tun, bewusst Neuland zu betreten. Darum geht es heute Morgen im Predigttext aus dem 1. Kapitel des Josuabuchs. Um solch eine Schwellensituation am Ende des Auszugs aus Ägypten. Mose ist gestorben. Sein Nachfolger Josua steht mit dem Volk am Jordan. An der Grenze zwischen der mittlerweile vertrauten Wüste und dem verheißenen, aber unbekannten Land. Sie stehen vor der Entscheidung, den letzten Schritt jetzt wirklich zu machen. Die Schwierigkeiten, die mit dem Neuen verbunden sind, scheinen dabei größer zu sein als die, die man jetzt hat. Waren die Fleischtöpfe der ägyptischen Sklaverei nicht doch nahrhafter als der feine Geruch der Freiheit nach Milch und Honig? Zumal schon einmal Kundschafter ausgesandt worden waren. Riesen würden in diesem Land wohnen, hieß es. Sprich: Möglicherweise stehen riesige, kaum zu bewältigende Konflikte an. Die Überforderung ist vorprogrammiert. Wie passt das mit der wunderbaren Aussicht auf das verheißene Land zusammen? In diese Situation spricht unser Text hinein:

Nachdem Mose, der Knecht des HERRN, gestorben war, sprach der HERR zu Josua, dem Sohn Nuns, Moses Diener: ein Knecht Mose ist gestorben; so mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gegeben habe. Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben, wie ich Mose zugesagt habe. Von der Wüste bis zum Libanon und von dem großen Strom Euphrat bis an das große Meer gegen Sonnenuntergang, das ganze Land der Hetiter, soll euer Gebiet sein. Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt; denn du sollst diesem Volk das Land austeilen, das ich ihnen zum Erbe geben will, wie ich ihren Vätern geschworen habe. Sei nur getrost und ganz unverzagt, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem Gesetz, das dir Mose, mein Knecht, geboten hat. Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken, damit du es recht ausrichten kannst, wohin du auch gehst. Und lass das Buch dieses Gesetzes nicht von deinem Munde kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem, was darin geschrieben steht. Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen und du wirst es recht ausrichten. Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.

Das ist ein grandioser Mutmachtext, den Aufbruch gegen allen Augenschein zu wagen. An Gottes Treue relativiert sich die normative Kraft des Faktischen. Es bleibt bei dem, was Gott schon Mose gesagt hatte: Ich bin mit Dir in allem, was Du tun wirst.
Und was können wir uns heute selbst Wichtigeres sagen lassen: Was immer auf der anderen Seite des Flusses kommt, im unbekannten Land 2018, es gilt: „Ich werde nicht von dir weichen". Es ist die Antwort auf Fragen wie: Komme ich über die Runden? Habe ich genug Kräfte für alle beruflichen und privaten Dinge? Werde ich mir und den anderen gerecht? Auch die Momente der Überforderung werden nicht ausbleiben und zeichnen sich vielleicht schon schemenhaft ab. Manche von uns leben mit dem Wissen, dass sie selbst oder Angehörige das Ende dieses Jahres nicht mehr erleben werden.

Wahrscheinlich ist heute Morgen unter uns alles versammelt, wovor einem eigentlich nur grauen und entsetzen kann. Oder was einen irgendwie gänzlich fragen lässt - und nun? In Sachen Regierungsbildung in unserem Land kann ja alles noch passieren. Und auch sonst kann einem im gesellschaftlich-politischen Bereich auch in diesem Jahr manches an Problemen wie eine Schar unüberwindlicher Riesen erscheinen:

Werden wir die Bewegung aufhalten können, dass viele Menschen den Anschluss an ein normales Berufsleben verlieren oder gar nicht erst hineinkommen? Werden wir mit den Folgen der Digitalisierung für das berufliche Leben Schritt halten können? Und auch mit denen, die es für das soziale Miteinander bedeutet?
Wie wird sich die Polarisierung in unserer Gesellschaft weiter entwickeln, die die politischen Ränder und die Populisten stärker macht? Ich denke, wir brauchen insgesamt eine Debatte über das, was bei uns Konsens ist, was nicht infrage gestellt wird an demokratischen und sozialen Errungenschaften. Was schlicht und ergreifend gilt an Werten für unser Zusammenleben. Wir brauchen eine Diskussion über das, was uns stärker innerlich, ja geistig und auch geistlich verwurzelt, was uns stärker macht gegen diese diffus um sich greifenden Ängste vieler Menschen vor dem Abstieg - meistens derer ja, die eher auf der Seite der besser Gestellten sind. Allein das, was renommierte Forschungsinstitute der deutschen Wirtschaft für dieses Jahr voraussagen: Das stärkste Wachstum seit 2011 und eine Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 2,6 Prozent - das allein wird uns innerlich nicht stärker machen, vielleicht im Gegenteil.

Das sind schon riesenhafte Themen, die uns auch 2018 beschäftigen werden. Und wir ahnen es: Wer durch den Jordan gehen will, wird nasse Füße dabei nicht vermeiden können. Wer die sozialen und menschlich integrierenden Kräfte stärken will, muss große Schritte machen wollen. Aber nicht nur der Wille will geweckt, sondern vor allem die Handlungsgrundlagen wollen klar sein. Genau das aber geschieht hier bei Josua: Gottes Appell und Ermutigung sind verbunden mit dem, was dem Betreten des Neulands Grund und Richtung geben wird. Es ist das Gesetz des Mose, die Thora - die Weisung Gottes. Hier ist die Grundlage für alles - auch dafür, dass einem niemand sein Leben lang widerstehen wird, auch nicht die riesenhaftesten Probleme. Josua wird aufgefordert, diese Weisung Tag und Nacht zu betrachten, sie also in den Mittelpunkt seines Lebens zu stellen. Denn hier ist die Glaubens-und Handlungsgrundlage für alles enthalten. Es soll nicht „von seinem Munde kommen", eine Formulierung, hinter der die Sitte steht, biblische Texte halblaut vor sich hin zu lesen, wie es früher üblich war. Halb laut vor sich hin lesen heißt auch halb so schnell, das ist die natürliche Folge: die Worte müssen erst geformt werden, was dem Lesenden ihre Schönheit und ihren Sinn bewusst macht - und damit auch ihre Überzeugungskraft und ihr Gewicht. In den Klöstern des Mittelalters hat sich daraus die sog. „ruminatio" entwickelt, das beständige Kauen des biblischen Worts, das man nicht zu hastig zu sich nehmen soll, um seinen ganzen Geschmack wahrzunehmen. Es lohnt sich, das mal auszuprobieren, es macht einen ein bisschen so wie am Neujahrsmorgen: dass man sich selbst auf Null bringt. Und noch mal anders hört, langsamer nachdenkt und reagiert, genauer ist - und in der Regel klüger und besonnener.

Josua wird gesagt: Daraus wird deine Kraft kommen. Nicht aus Appellen oder markigen Sprüchen wie „Reiß dich zusammen" oder „Die Wirtschaft boomt". Die Kraft zur Veränderung wird kommen aus dem Schatz der Verheißungen an die Väter und Mütter im Glauben. Hier findet sich die Wegweisung für das unkartographierte Land jenseits des Jordans oder jenseits des 1. Januar, für den uns von Gott zugedachten Zeit-Raum. Von diesem Wort soll Josua sich nähren lassen, damit es ihm „gelingt", wie es hier heißt. Sicher nicht in dem Sinne, dass er nur Erfolge haben wird. Sondern dass er umgehen kann gerade auch mit den Misserfolgen, mit dem was nicht läuft in diesem Neuland. Aber die Verortung in dem Grundsatz: Was auch immer geschieht, diese Grunddaten meiner Gottesbeziehung bleiben bestehen:
• Ich bin befreit aus allen lähmenden Bindungen
• Gott ist mit auf meinem Weg
• und die Grundlage seiner Thora, seiner Weisung werden mir Orientierung verschaffen: Liebe Gott und Deinen Nächsten wie Dich selbst, so hat Jesus das zusammengefasst.

Das als Fundament behalten und darauf zu bauen - dann wird es gelingen, das Leben zu gestalten in Freud und Leid, in Erfolg und Misserfolg.
Im Jahr 2018 können wir des 100. Geburtstag einiger Menschen gedenken, die genau das für sich geklärt hatten: Auf welchem Fundament sie stehen, von woher sie die Welt sehen und woran sie unter allen Umständen festhalten. Und auf dieser Basis tun und sagen konnten, was sie getan oder gesagt haben. Auch wenn sie die Frage, ob sie glauben, sehr unterschiedlich beantwortet haben. Es sind Nelson Mandela, Hans Scholl und Helmut Schmidt. Und dazu kommt noch Martin Luther King, dessen 50. Todestags wir in diesem Jahr gedenken. Sie haben auf ihre Weise den scheinbar unüberwindlichen Riesen und Widerständen ihrer Zeit etwas von dem Grund ihrer Überzeugung entgegengehalten. Sie haben sich nicht abhalten lassen, für eine freie und gleichberechtigte Gesellschaft einzutreten. Sie haben Stellung bezogen gegen den Ungeist menschenfeindlich-rassistischer Systeme und Diktatoren. Sie haben offen von ihren Träumen gesprochen. Bestimmt nicht immer unverzagt aber doch zugleich gewiss: Nichts ist so stark, dass es einem ein Leben lang wiederstehen kann. Gerade Helmut Schmidt, der Menschen mit Visionen ansonsten riet, zum Arzt zu gehen, war überzeugt: Nach dem Krieg, nach der Nazizeit können wir ein Land nur wieder aufbauen mit Menschen, die sich innerlich leiten lassen von den Geboten der jüdisch-christlichen Tradition, die jegliches Führerprinzip ablehnen und von der Gleichheit und Würde aller Menschen überzeugt sind. Für Schmidt war das schon Jahre zuvor der Grund gewesen, sich kirchlich trauen zu lassen, weil er von dieser Basis überzeugt war auch wenn er selbst kein „Kirchgänger" war, wie man das im Norden so sagt als Christenmensch auf Distanz.

Diese Persönlichkeiten haben mehr oder weniger bewusst genau das getan, was Josua zu einem unverzagten Menschen machen sollte. Sie waren sich ihrer Grundlagen gewiss, über das, was unverbrüchlich gilt, sie haben das für sich definiert - und darin, darin können sie uns Vorbild sein und auch eine Rolle dabei spielen, wenn wir darüber gemeinsam nachdenken. Und nicht zuletzt haben diese vier Menschen damit auch etwas von dem getan, was wir auch von Jesus im heutigen Evangelium gehört haben: das Buch aufzutun und zu lesen, was um Gottes Willen zu allen Zeiten geschehen soll: Menschen zu trösten und Leib, Seele und Geist aufzurichten. Jesus selbst hat dabei ja immer wieder auch Neuland betreten und keine Angst gehabt, Grenzen zu überschreiten. Er hat sich zu den Heiden gewagt und das Neuland von Gewaltlosigkeit, Vertrauen und Liebe betreten. Er hat selbst aus dieser Quelle geschöpft, die übrigens die Jahreslosung für 2018 aus der Offenbarung so wunderbar zusammenfasst. „Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst." (Offenbarung 21,6)

Das ist es, was uns stark macht, was uns immer wieder zu erneuern weiß, Jahr für Jahr. Diese Bewegung Jesu Christi auf uns zu mag einen getrost und unverzagt machen, wo man meint, in unbekanntem Land nur Riesen zu begegnen. Möge uns 2018 in diesem Sinne zum Gnadenjahr des Herrn werden und mögen wir alle Tage das Wort Gottes an Josua auch an uns gerichtet wissen: „Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht: denn der Herr, dein Gott, ist mit Dir in allem, was du tun wirst."
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche,
taddiken@thomaskirche.org