Predigt über Kohelet 12,1-7

  • 17.10.2021 , 20. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt über Kohelet 12,1-7, 20. So. n. Trinitatis, 20. Oktober 2021

Gnade sei mit Euch und Friede von unserem Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Die Konfirmandenmutter schäumte vor Wut. „Das ist ja wohl das Allerletzte, was Sie sich hier haben einfallen lassen. Meine Tochter ist schon ganz verstört. Ich werde mich über Sie beschweren.“ Sie schlug die Autotür zu, ihre Tochter saß verschüchtert drinnen. Wir hatten uns mit der Konfirmandengruppe in Meldorf (Schleswig-Holstein) vor der Friedhofskapelle getroffen im Rahmen unserer Einheit „Tod und Sterben - und was dann?“. In der Kapelle wartete der Bestatter mit einem Sarg. Einem leeren. Und einer Urne. Und in den Gang, wo die Kühlkammern waren, wollten wir zumindest mal hineinschauen. Ich mache das immer mit den Konfirmanden. Dass wir einmal, sozusagen ohne den Ernstfall, in Ruhe besprechen und uns vor Augen führen, was passiert, wenn ein Mensch stirbt. Denn irgendwann stehen wir alle vor der Aufgabe, dass wir dafür sorgen müssen. Und sich beizeiten vor Augen zu führen, dass niemand um diese Holzkiste am Ende herum kommt- mit dem Gedanken macht man sich am besten auch in geschütztem Rahmen vertraut. Sich konfrontieren lassen einerseits - aber vertraulich alles fragen können und auch die eigenen Ängste und  Erfahrungen mit dem Thema reflektieren: So lernt man halt das Leben zu leben. Wahrscheinlich hätte dieser Konfirmandenmutter solch ein Kurs auch gut getan. Ihre Tochter hatte sie jedenfalls schon völlig verrückt gemacht. Aber wir hatten einen guten Nachmittag. Kaum etwas interessiert 13-14jährige nämlich so sehr, wie dieses Thema, da werden auch die pubertierendsten Großmäuler zu Deckchen…

Aus der eigenen Lebenserfahrung heraus das wichtigste aus diesem Thema weiterzugeben an die Jugend, das haben schon die alten Lehrer der biblischen Weisheit getan. Sich beizeiten damit zu beschäftigen und das auf durchaus erbauliche Weise, dazu hat im 3. Jahrhundert vor Christus bereits der sog. Prediger Salomo geraten. Oder Kohelet. Das ist der mit dem bekannten „Alles hat seine Zeit“ und „Alles ist eitel“. Am Ende seines Buches lesen wir folgenden Text, um den es heute in der Predigt geht.

Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: »Sie gefallen mir nicht«; 2 ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen nach dem Regen, – 3 zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern und die Starken sich krümmen und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind, wenn finster werden, die durch die Fenster sehen, 4 wenn die Türen an der Gasse sich schließen, dass die Stimme der Mühle leise wird und sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen; 5 wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt und die Kaper aufbricht; denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; – 6 ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt. 7 Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.   

So eine schöne, starke Sprache! So schöne, starke Bilder sind das, die Kohelet hier für das Älterwerden findet.  Die schönsten Bilder der Kunstgeschichte widmen sich der Vergänglichkeit, diese großen Vanitas-Schinken in bunten Farben und üppigen Formen.   Bzw. dafür, dass wir mit jedem Tag unseres Lebens eben auch unserem Ende entgegen gehen und auch den Tagen von denen wir sagen: „Sie gefallen uns nicht“. Aber Kohelet bleibt gelassen, er sagt halt, wie es ist. Er ermahnt niemanden, er droht niemandem, er redet nicht von der Moral von der Geschicht‘. Und selbst seinem Rat, sich schon in der Jugend damit zu befassen, setzt er etwas Entscheidendes voran: „Denk an Deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen.“  Diese Erinnerung an Gott als Schöpfer des Lebens, der jeden Einzelnen gedacht und gemacht hat, sollte nach Kohelet der Mensch mitbringen, denn genau daran hängt seine Identität, wenn die bösen Tage kommen. Das ist der Bezugsrahmen, in dem alles erträglich bleiben kann. Und so rahmt er seinen Text dann auch entsprechend, wenn es zum Schluss heißt: „Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.“. Unser Geist, unser Ich, was unser Wesen ausmacht – das hat bei Gott sein Zuhause! Ein ganz altes biblisches Bild, denken Sie an den 23. Psalm: „Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar“. Oder dann, Jahrhunderte später, das Wort Jesu an seine Jünger: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“, die er für uns vorbereitet, auf dass wir dort einziehen mögen in Gottes Himmelshaus.

Das ist der Bezugsrahmen. Und zwar auch und gerade dann, wenn sich bei einem ganz andere Bilder einstellen, die dasselbe Thema beschreiben. Die grässlichen Bilder, die wir jeden Tag im Fernsehen zu sehen bekommen. Wo unsere Schöpfung stöhnt unter dem, was Menschen mit ihr veranstaltet haben und wir betreten auf die Folgen schauen. Wo wir fassungslos werden können angesichts von rohester Gewalt wie jetzt wieder in Norwegen, wie in Afghanistan, im Jemen und an all den Orten, von denen wir nicht täglich hören, aber von denen wir wissen, da herrschen unmenschlichste Zustände und wir lassen es zu. Die Flüchtlingslager in Griechenland und in der Türkei. Dass wir uns und unseren Wohlstand von flüchtenden Menschen abschirmen lassen von Halunken wie Erdogan oder Lukaschenko. Mal werden wir missmutig darüber, mal halten wir es ganz weit weg von uns, weil wir genau wissen: Das ist keine Lösung des Problems. Und manche sind auch bockig nach dem Motto: „Es gibt keinen menschengemachten Klimawandel.“ Oder  „Corona ist nur eine Grippe.“ Ich finde es erstaunlich, wie viele zum Beispiel die Corona-Schutzverordnungen – sie sind ja wirklich zum Schutz der Schwachen – mit ihren Einschränkungen persönlich nehmen. Als wenn sie persönlich gemeint wären davon.  Ganz so als ob sie nicht mitten drin wären in dem Geschehen, in den Tagen, die um Kohelet zu ergänzen, „uns allen nicht gefallen“. Aber es ist eben ein Unterschied, in welchen Farben ich mir und anderen die ganze Geschichte ausmale. Ob ich in der Lage bin, nicht den Weltuntergang darin zu sehen, selbst wenn die „Hüter des Hauses zittern“, „die Starken sich krümmen“ oder eben auch der „silberne Strick zerreißt“ und die „goldene Schale“ des Lebens „zerbricht“. Zwischen dem hedonistisch-epikuräischen Appell des „Carpe Diem – Pflücke den Tag“, weil sowieso alles vergeblich und vergänglich ist und man es daher um nicht zu verzweifeln, ohne Ende krachen lassen sollte und dem „Denk an Deinen Schöpfer in Deiner Jugend“ und lerne das zerbrechlich-schöne- Leben zu genießen in all seinen kleinsten Facetten – dazwischen besteht eben doch ein gewaltiger Unterschied. Die Angst davor, sich dem Tod zu beschäftigen, ihn an sich heran zu lassen, ist eine der Triebfedern unserer Zeit, die uns nicht nur wie getrieben wirken lassen, sondern uns auch so seltsam unentspannt und verbissen lassen werden. So wie die Konfirmandenmutter, die das so grandios auf ihre Tochter zu übertragen wusste. Aber offenbar sind nicht nur wir eine verunsicherte Generation, sondern auch die Leute damals waren es. Nochmal: Interessant, wie der Prediger Salomo mit seinen Zuhörern an diesem Thema arbeitet: Mit der Lust an Farben und Vergleichen. Mit einer lebenszugewandten Einstellung zum Altern und Sterben und überhaupt zu allem, was vergänglich, also eitel ist. Der Rahmen nämlich, in dem all das stattfindet, ist es nicht. Den Rahmen setzt Gott, der Freund des Lebens, der Schöpfer jedes Menschen. Das ist Kohelet wichtig, dass jeder einzelne gemeint ist und das jeder mit seiner Haltung etwas zum Gelingen des gemeinsamen Lebens beitragen kann. Höchst optimistisch ist sein „Alles ist eitel“ also eigentlich. So heißt es vor unserem Text: „Freu dich, Jüngling, in deiner Jugend und lass dein Herz guter Dinge sein…Tu, was dein Herz gelüstet und was deinen Augen gefällt…“ Tue es – du musst dich ja nicht darin verlieren. Und wisse, dass Du es verantwortest vor Gott.

Wie wäre es, wenn wir ein wenig mehr davon hätten, um die drängenden Probleme unserer Zeit anzugehen? Und natürlich auch die in unserem persönlichen Leben, ja, auch in unseren Kirchen? Zwischen den Regierungen? Träumerei? Wahrscheinlich schon ein bisschen. Aber Träume gehören auch zu den schönen Seiten der Vergänglichkeit und so manches bringen sie in Gang, schauen wir etwa auf die Träume von Martin Luther King oder auf die der vielen Menschen, die hier und anderswo am 9. Oktober 1989 auf die Straße gegangen sind. Die Angst hatten, aber ihre Angst im richtigen Moment an den Ort zu verschieben wussten, an den sie gehört: In den Hintergrund. Nur durch die Haltung der Einzelnen wurde die Menge so stark, dass man sich vor ihr nur zurückziehen konnte. Hier beginnt das Geheimnis, dass das Leben am Ende den Tod besiegt. Hier beginnt das, was in der Bibel später von dem weisen Gedanken, dass unser Geist zu Gott zurückkehrt, zu einer Glaubensgewissheit wird: Dass der Tod ein für alle male überwunden worden ist. Und zwar durch den, der sein Leben aus Liebe hingab. Der das konnte, weil er eben nicht verdrossen war über die Menschheit. Der nicht trotzig war, sondern klar, der konfrontierte und liebte in einem. Der, der uns damit die Wohnungen bei Gott eingerichtet und ausgestattet hat. Ihn, den wir bei jeder christlichen Bestattung den Angehörigen ans Herz legen, in Erinnerung rufen. So, wie es der Prediger Salomo in diesem Text tut. In einem Rahmen, der tröstet und alles hält, was wir sagen und tun, das Gute und das Schlechte, alles, was uns gelingt und alles, wo wir katastrophale Fehler machen und versagen.

So sagen wir es weiter bei jeder Beerdigung. Auch das hatten wir an jenem besagten Nachmittag in der Meldorfer Friedhofskapelle mit den Jugendlichen besprochen. Dass das der Bezugsrahmen unseres Lebens ist, der uns auch dann etwas sagen und uns trösten kann, wenn uns noch die Tränen in den Augen stehen und sich uns der Hals zuschnürt. In der Woche danach haben wir in der Konfi-Stunde den Besuch auf dem Friedhof noch mal ausgewertet. Und ich wollte wissen: Was ist denn nun Eurer Meinung nach das Wichtigste an einer christlichen Beerdigung? Ein Mädchen sagte daraufhin im Brustton der Überzeugung: „Das Kaffeetrinken danach.“ Ich glaube, sie hat von Kohelet etwas verstanden.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org