Predigt über Kohelet 12,1-7 im Abendgottesdienst

  • 17.10.2021 , 20. Sonntag nach Trinitatis
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Predigt Pred. (Kohelet) 12, 1-7 20. So. n. Tr.

Abendgottesdienst Thomaskirche.Leipzig 17.10.2021

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

 

kennen Sie das Alter?

Fühlen Sie sich alt?

Wie alt sind Sie?

 

Ich erinnere mich daran, wie wir als Gruppe von Studentinnen vor einem Vierteljahrhundert unserem akademischen Lehrer zum 60. Geburtstag eine kleine Festschrift zusammengestellt haben. Ich schrieb damals einen Beitrag zum „Alter bei antiken Autoren“. Bei den antiken Schriftstellern konnte man all das nachlesen, worauf man im Alter verzichten müsse: das Sehvermögen schwinde, der Gang werde schleppend, das sexuelle Verlangen lasse nach.

Aus heutiger Sicht muss ich fast lachen, dass wir unsern Professor mit 60 als „alt“ einstuften. Heute bin ich selbst nur noch wenige Jahre von diesem Geburtstag entfernt.

Doch es geht ja nicht um das Feilschen um Zahlen. Das Alter ist ein Lebensabschnitt, in dem das Ende in Sicht kommt. Freilich ist in unserer Gesellschaft häufig nur eine Phase des Alters sichtbar, nämlich die Phase, die ein aktives, rüstiges, die das sogenannte fitte Altsein meint. Diese Lebensphase wird bebildert und beworben. Und sicher ist es zunächst einmal eine schöne Vorstellung, nach Erreichen des Ruhestands in ein selbstbestimmteres, freies Fahrwasser des Lebens zu gelangen, in dem Interessen und soziale Kontakte, die im Alltag eines Berufslebens oft hintangestellt werden mussten, nun zu neuer Geltung gelangen.

Doch was ist mit der anderen Phase des Alters?

Wie ist alten Menschen zumute, die in Pflegeheimen oder im Hospiz leben?

Was geht in einer an Lebensjahren noch relativ jungen Frau vor, die aufgrund einer schweren Erkrankung schon mit Mitte 40 in ein Pflegeheim zieht?

Und schließlich: Wie fühlt sich eine auf die 90 zugehende Urgroßmutter, die zwar das Glück hat, umgeben von Enkeln und Urenkeln alt zu werden, die aber unabänderlich ihr Augenlicht verliert?

Das alttestamentliche Buch des Prediger endet mit einem Gedicht, in dem das Alter mit all seiner Härte in poetischen Bildern beschrieben wird. Ich lese den Predigttext für den 20. Sonntag nach Trinitatis aus dem Buch Prediger im 12. Kapitel (1-7):

„Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: »Sie gefallen mir nicht«; 

2ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen nach dem Regen, –

3zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern und die Starken sich krümmen und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind, wenn finster werden, die durch die Fenster sehen, 4wenn die Türen an der Gasse sich schließen, dass die Stimme der Mühle leise wird und sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen; 

5wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht

und die Heuschrecke sich belädt

und die Kaper aufbricht;

denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; –

6ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt.

7Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.“

 

Der Herr segne an uns sein Wort.

 

Liebe Gemeinde,
kennen Sie dieses Alter?

Fühlen Sie sich so alt?

Wie alt sind Sie im Vergleich zu diesem Text?

Am liebsten würde ich jetzt schnurstracks von der Kanzel runtersteigen und mich auf einen Platz im Schiff setzen. Es gibt viele unter Ihnen, die die wesentlich berufeneren Stimmen dazu wären, sich über das Alter zu äußern. Ich sollte vielleicht sogar einen Weg finden, den alten Menschen eine Stimme zu geben, mit denen ich im Pflegeheim in der Sebastian-Bach-Str. Andacht feiere.

Doch halt! Lesen wir noch einmal und verweilen wir gleich beim ersten Vers:
„Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend!

Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen.

Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du sagen wirst: »Sie gefallen mir nicht«“

Unser Predigttext beschreibt zwar die Gebrechen des Alters, er malt das körperliche Dahinschwinden aus. Doch er richtet sich an uns in einer Zeit, da es uns noch gut geht.

In unserer Jugend, in der Zeit ohne Gebrechlichkeit sollen wir daran denken, dass wir von Gott geschaffen sind. Und von Gott geschaffen zu sein, bedeutet auch, endlich und sterblich zu sein.

„Herr, lehre doch mich,

dass ein Ende mit mir haben muss

und mein Leben ein Ziel hat

und ich davon muss, und ich davon muss.“ (Brahms-Requiem, nach Ps. 39, 4)

Dass es ein Ende mit mir haben muss, geschieht häufig nicht von heute auf morgen, passiert nicht in einem unbemerkten Augenblick. Das Ende ist oftmals ein lange währender Prozess, ein Schwinden, manchmal ein Siechen von ungewisser Länge. Das auszusprechen, kostet Kraft und das auszuhalten ist ein Zeichen von Lebensweisheit.

 

Das langsam sich nahende Ende. - Das Gedicht des Predigers malt dieses Ende aus:

Der alternde, ja sterbende Körper wird verrätselt dargestellt und verglichen mit einem verlassenen, baufälligen Haus.

- Die Torhüter zittern. - Das sind die schwach gewordenen Arme.

- Die ehemals Starken krümmen sich. - Gemeint sind die gichtigen Beine.

- Müßig stehen die Müllerinnen, und es sind nur noch wenige. - Müllerinnen mahlen Getreide. Was also könnte mit diesem allegorischen Bild gemeint sein? Richtig: die Zähne, denn es sind nur noch wenige, und sie haben ihren Biss verloren.

- Beim Blick aus dem Fenster bleibt es finster. - Das Bild beschreibt die im Alter trübe gewordenen Augen.

 

Wir könnten weiter Zeile um Zeile, Bild um Bild des Gedichts durchgehen. Doch bei diesen Kostproben der Interpretation, bei dieser Auflösung der Allegorien will ich es bewenden lassen. Das Gewicht meiner Predigt soll nicht auf der Beschreibung eines Horrorszenario „Alter“ liegen; im Predigttext hat meines Erachtens nicht die Reihung poetischer Rätselbilder zum Alter die Oberhand. Am wichtigsten scheint mir der erste Satz: „Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend.“

Und das bedeutet: Solange es dir gut geht, so lange du dich bei Kräften fühlst, noch wenn du jung bist, habe immer vor Augen, dass Du ein Geschöpf Gottes bist. Als ein solches Geschöpf ist dein Leben endlich. Du wirst sterben. Dein Leben wird enden. Du wirst dem Vergessen anheim gegeben sein.

Oder in den starken und erschütternden Bildern des Predigers:

- Der silberne Strick wird zerreißen.

- Die goldene Schale wird zerbrechen.

- Der Eimer wird an der Quelle zerbrechen.

- Das zerbrochene Rad wird in den Brunnen fallen.

 

Mit unserm Tod werden wir unser Leben zurückgeben an Gott. Oder in der umgekehrten Perspektive: Gott wird das, was er geschaffen hat, zurückholen. Gott wird uns zurückholen. Diese beiden Perspektiven stecken wohl in den altertümlichen Ausdrucksweisen, die es für das Wort „sterben“ gibt: „heimgehen“ und „heimholen“. Wenn wir „heimgehen“, gehen wir zu Gott unserm Schöpfer. Wenn Gott uns „heimholt“, so ruft er uns in voller Absicht seines Schöpfungsplans zu sich.

 

Das alles zu bedenken, solange wir jung sind, wird folgerichtig bedeuten: Genießt das Leben, solange ihr es könnt. Kullert Euch mit Kindern und Enkelinnen die Wieser runter, solange das geht. Feiert Feste, bei denen der Rotwein in Strömen fließt, ohne dass Ihr es mit einem Riesenkater bezahlen müsst, solange das möglich ist. Gestaltet die Lebenszeit, die Euch in voller Kraft geschenkt ist. Genießt euer Leben – und zwar jetzt! Das Leben als Geschenk in vollen Zügen zu genießen, ist gut und richtig.

 

Die Endlichkeit unseres Lebens zu bedenken, so lange wir jung sind, heißt daneben aber auch: klug werden. Der Tod soll uns nicht ahnungslos erwischen. Sondern der Tod wird uns vorbereitet und wissend erreichen. Wir wissen, dass wir sterben werden. Zu dieser Klugheit des Herzens will uns der Prediger hinlenken.

 

In zwei Wochen feiern wir an St. Thomas ein Ereignis, auf das viele Haupt- und Ehrenamtliche seit vier Jahren hingearbeitet und das manche von Ihnen durch Spenden ermöglicht haben. Wir werden vier neue Glocken weihen. Eine von ihnen ist die Sterbeglocke. Auf ihr wird ein lateinisches Zitat aus Psalm 90 (12) zu lesen sein: „ut veniamus corde sapienti“ - „damit wir heimkommen mit klugem Herzen“.

 

Mit klugem Herzen leben. Und mit klugem Herzen sterben. Das wäre doch schön.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu. Amen