Predigt über Lk 17, 7-10

  • 12.02.2017 , 3. Sonntag vor der Passionszeit - Septuagesimae
  • Pfarrer Hundertmark

Am Sonntag Septuagesimae, 12.02.2017, St. Thomas zu Leipzig um 9.30 Uhr und 18 Uhr

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

„Dienen sollt ihr und nicht verdienen“, sagte der Oberkirchenrat zu den Krankenschwestern als es um die Lohnstruktur und deren berechtigte Anpassung an die realen Gegebenheiten ging.

Mit solch einem theologischen Keulenargument, auch wenn es dreißig Jahre her ist, lässt sich keine vernünftige innerkirchliche Tarifkultur entwickeln. Wer auf Missstände hinweist und als Antwort die theologische Keule auf den Mund geschlagen bekommt, wird sich zukünftig hüten, den selbigen aufzumachen. Er oder Sie wird in sich gehen, gebückte, demütige Haltung annehmen und sich am Knecht- bzw. Mägdedasein begnügen. Ist das im Sinne eines freimachenden Evangeliums, einer Gemeinschaft, die anders sein will? Ist hier etwas von der Leuchtkraft jenes Lichtes zu spüren, das auf dem Berge steht als sichtbares Zeichen für ein Leben in Christus? Wohl kaum. Und hätte jener Mann bis zum 18. Kapitel weitergelesen im Lukasevangelium, käme er auch zu einem anderen Schluss. Dort antwortet Jesus auf die Frage, welchen Lohn die Jünger bekommen keineswegs schroff oder abweisend. Der heutige Predigttext jedoch, liebe Gemeinde, lässt beim Hören die Ohren klingen. Er erzählt ganz widerspenstig  

Von der Pflicht des Knechts

7 Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch?

8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; und danach sollst du essen und trinken?

9 Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war?


10 So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.

Alle Nackenhaare möchten sich aufrichten. Wut steigt auf. Dem protestantischen Freiheitsmenschen wird es hier schnell schlecht. Soll alles nutzlos sein, was ich tue? Ist alles Autonomiebestreben falsch? Bin ich immer nur Knecht, ohne Recht auf Anerkennung meiner Arbeit? Muten wir uns diesen Text zu am heutigen Sonntagmorgen, liebe Gemeinde als Anfechtung, als Warnung und als Ermutigung.

1.) Vom unnützen Dasein

„Wir sind Bettler, das ist wahr.“ Dieser wahrscheinlich letzte Satz, den Luther auf seinem Sterbebett sprach, bringt uns auf eine Spur des Predigttextes. Am Ende geht der Saldo nicht auf. Alles Tun, jegliche Mühe, der enorme Krafteinsatz nützt letztlich nichts. Es bleibt ein Minus. Damit trifft diese kleine lukanische Sondergeschichte genau in das Lebensgefühl vieler Zeitgenossen. Welche Alleinerziehende kennt es nicht – gehetzt von einem Termin zum nächsten, die Kinder schnell in Schule oder Kita gebracht, um gerade noch zum letzten Zeitpunkt die Arbeitszeitkarte zu stechen. Am Arbeitsplatz Türmen sich die Aufgaben wie auch zu Hause neben der Waschmaschine der Wäschekorb. Die Familie zerrt und macht ihre Ansprüche deutlich, die jedoch nur verdeutlichen – es reicht nicht. Weder der Verdienst am Ende eines Monats, um Wünsche erfüllen zu können, noch die Zeit für Geborgenheit. Eine unnütze Magd, ein unnützer Knecht im Hamsterrad der sich immer schneller verändernden Lebensumstände. Was ich auch zu optimieren versuche – am Ende reicht es nie. Und so lodert ein brennender Schmerz im Innersten bis alles ausgebrannt ist.

Wer sensibel ist für ethische Belange, den wird ebenso schnell das Gefühl beschleichen können – alles ist nutzlos, alles Mühen doch nur der berühmte Tropfen Wasser auf einem heißen Stein der Ungerechtigkeiten und ich selber bin mitten drin in den globalen Verflechtungen, die so viel Leid gebären. Was ich auch tue, es hat verheerende Folgen für Menschen auf der Schattenseite der Globalisierung. Da ist das wenige, was gut zu sein scheint am Ende, gesamt betrachtet, letztlich auch nur unnütz.

Die Anfechtungen des Lebens werden durch die Aussagen Jesu offensichtlich verschärft, weil eine existentielle Ungenügsamkeit mit Gott verknüpft wird. Gott begegnet uns nicht als derjenige, der bedingungslos annimmt, der als liebender Vater die Arme offenhält oder als liebende Mutter tröstet. Gott begegnet als der total andere als ein Despot, dem unbedingter Gehorsam zu leisten ist und dessen Ansprüche niemals erfüllt werden können. Das zieht nach unten und macht die menschliche Seele kaputt. Daran kann man eigentlich nur zerbrechen. Ohne Christus müsste man schier verzweifeln. Martin Luther hat in dieser Anfechtung eines Gottes, der immer nur fordert, Christus entdeckt als denjenigen, der vermittelt, der den Graben überbrückt und den Verzweifelten die Hand reicht. Doch Halt! Die Anfechtungen des Glaubenden gilt es zunächst auszuhalten, auch wenn sie unpopulär sind, erzählt doch die ganze Heilige Schrift vielfältig von ihnen. Der unbedingte Anspruch Gottes bleibt – als Stachel im Fleisch des Wellnessverwöhnten. Lukas erzählt hier gerade nicht, dass am Ende alles gut wird, sondern dass es am Ende trotz allen Mühens nicht reichen wird.

2.)  „Wer unter euch….“

Mit dem Bild vom Knecht konnte Jesus an die Lebenserfahrungen seiner Zuhörer, seiner Jünger gut anknüpfen. Er erzählt von einer Selbstverständlichkeit, die nicht hinterfragbar gewesen ist im Sozialgefüge des Vorderen Orients. Mit sozialem Gewissen ausgestattet, regt sich bei vielen heutigen Hörern hier natürlich Widerstand. Darum geht es aber nicht, liebe Gemeinde. Der Text eignet sich überhaupt nicht dazu, soziale Ungerechtigkeiten zu verändern. Seine Zumutung besteht darin, dass die Jünger, dass die Gemeinde Jesu genau mit den Knechten bzw. Sklaven verglichen wird, deren Tun jedem bekannt war. Damit treibt Jesus eine Spitze gegen all jene, die meinen, Ansprüche gegenüber Gott geltend machen zu können, weil sie besonders fromm sind. Ausführlich in einem neuen Gleichnis, gewissermaßen als Konkretion, geht Jesus ein Kapitel weiter darauf ein, wenn er Zöllner und Pharisäer im Tempel auf unterschiedliche Weise beten lässt. Doch zurück zur Warnung aus diesem Gleichnis.

Gegen alle Gläubigen, die meinen, sich durch religiöse Selbstoptimierung, durch spirituelle Höchstleistungen oder aufopferndes Handeln Gott die Mitarbeit diktieren zu können, spricht das Gleichnis spitz und scharf – das, meine Liebe, mein Lieber, ist eine Illusion. Gott redet und du hörst zu, wie am vergangenen Sonntagspredigttext als sich Gott dem Mose offenbarte.

Und all denen, die schon einen wunden Finger vom ständigen Pulen im eigenen Bauchnabel haben, um sich selber und dadurch Gott zu finden, sein gesagt: Du kannst dich wie ein Kreisel um dich selbst drehen, schneller und immer schneller. Am Ende wirst du nur das eigene Brummen hören. Gott lässt sich so nicht beeindrucken. Ihn findest du nicht, indem du ihm deine religiösen Sehnsüchte oder Ansprüche vorhältst. Vielmehr wird er seinen Anspruch an dich geltend machen.

3.) „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“  (I. Kant)

Immanuel Kant lässt sich vortrefflich gegen das unnütze Leben oder Tun stellen, weil er verdeutlicht, worin der Antrieb der Knechte zu bestehen hat: Meinem nächsten nützlich zu sein und ihn nicht als Mittel für eigene Interessen zu missbrauchen. Wenn Jesus sagt, so sollt ihr sein, Diener, Knechte, die tun, was jetzt wichtig und einfach dran ist, dann redet er ja nicht davon, dass es dafür keinen Lohn gibt. Vielmehr redet er von der Folge eines sich uns zuwendenden Gottes. Interessant in unserem Gleichnis ist die Entdeckung, dass am Ende, wo Jesus sagt „so auch ihr“, von Gott gar nicht die Rede ist. An keiner Stelle wird Gott mit dem Herrn gleichgesetzt. Wir überhören das nur, weil wir Herr = Gott aus anderen Bezügen kennen. Im ersten Teil geht es um die allgemeine Beschreibung. Und im zweiten Teil geht es die Einstellung der Knechte. Gottes Wirken ist bei Lukas gerade nicht das, eines despotischen Herrschers. Sein Wirken in Jesus Christus ist das eines Dieners, der sich selbst schürzen wird, um den Knechten die Füße zu waschen, sie zu Tisch zu bitten und mit ihnen gemeinsam Mahlgemeinschaft zu halten. In solch einem dienen zeigt sich, was mit unnützem Knechtsein gemeint ist – das eigene Ego hintanzustellen, sich nicht immer als den wichtigsten Menschen zu inszenieren selbst wenn man es sein sollte. Unser Denken in Knechtskategorien um eines Lohnes willen, möchte Jesus zerstören, damit wir frei werden für die Gotteskindschaft, die uns geschenkt wird.

In Bezug auf Gott gibt es für uns keine Freiheit, die wir selber gestalten können. Es bleibt das Gefühl der schlechthinigen Abhängigkeit als Gegenstück zu jenem Anspruchsdenken, welches sich in Lohnforderung Ausdruck zu verschaffen sucht. Unser Leben in der Knechtskategorie zu denken führt letztlich ins Nirgendwo, jedenfalls nicht ins Reich Gottes. Gerade weil wir aber keinen Anspruch auf Gott haben, dürfen wir umso bereiter sein für seinen Zuspruch. Der besteht darin, dass er uns als seine Kinder ruft – in diesem Gleichnis nun nicht mit offenen Armen oder segnenden Händen. Der Ruf aber bleibt, weil er durch Jesus Christus bekräftigt wurde. Und immer dann, wo die Ohren taub werden wollen vor lauter selbsterfundenen, religiösen Glücksgefühlen, müssen sie durchgepustet werden mit seinen Zumutungen.

Am Ende steht ein Leben, welches sich bewusst ist: Von Gott bekomme ich alles geschenkt, was dafür wichtig ist. Er sorgt sich um mein Seelenheil. Dafür brauche ich nichts zu tun. Was ich aber tun kann ist, meinem Nächsten nützlich zu sein, ohne Aufrechnung. Dafür gibt es viele Möglichkeiten – nur tun sollte ich es oder, um mit Alber Schweitzer zu schließen:

„Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich, man wird auch kein Auto, wenn man in einer Garage steht.“

Tun wir also, was nötig ist. Dazu öffne Gott uns die Augen. Amen. Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Pfarrer Martin Hundertmark (hundertmark@thomaskirche.org)