Predigt über Lukas 10,17-20

  • 29.09.2019 , 15. Sonntag nach Trinitatis, Michaelistag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

werden sie sich an der Macht halten können? Boris Johnson und Donald Trump? Es war ja einfach nur noch bizarr in den letzten Wochen. Der Versuch, das Parlament in London auszuschalten für eigene Zwecke – gescheitert. Das vom Weißen Haus veröffentlichte Protokoll des Telefonats des amerikanischen Präsidenten mit dem ukrainischen. Der Versuch, den politischen Gegner im eigenen Land durch Druck auf ein anderes zu belasten – aufgeflogen. Zwei Männer an der Spitze ihres Staates, verliebt in ihre Macht, verliebt in sich selbst. Grenzen-und skrupellos darin, die ihnen anvertraute Macht zu ge- bzw. missbrauchen. Entscheiden werden darüber letztlich die in beiden Demokratien vorgesehenen Reißleinen, die die Verfassungen jeweils kennen. In vorausschauender Kenntnis dessen, dass der Mensch an sich, jeder Mensch, mit der Macht überfordert sein kann, die ihm verliehen ist. Und das weniger fachlich als vielmehr menschlich. Überschnappen, die Wahrheit verdrehen, sein eigenes geschlossenes System schaffen von wahr und unwahr. Meine Wahrheit gilt…

Und in der Tat: Gerade, wenn wir erfolgreich sind mit einer Sache, die wir zum ersten Mal versucht haben – und es hat gleich geklappt. Da ist Vorsicht geboten. So wird es auch im heutigen Predigttext erzählt aus dem Lukasevangelium, ich rufe ihn noch mal kurz ins Gedächtnis:

Die Zweiundsiebzig aber kamen zurück voll Freude und sprachen: Herr, auch die Dämonen sind uns untertan in deinem Namen. 18 Er sprach aber zu ihnen: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. 19 Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden. 20 Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.

Ja, euphorisch sind sie, die 72 Jünger, die Jesus ausgesandt hatte. Mit einem so durchschlagenden Erfolg hatten sie offensichtlich nicht gerechnet. Von nicht weniger ist hier nämlich die Rede, als dass die Botschaft auf der ganzen Welt gehört worden ist. Dafür steht die Zahl 72, 72 Jünger. 72 Völker werden genannt am Anfang der Bibel als Nachkommen Noahs. Sie haben also die ganze Welt erreicht. Es kann einen freuen, wenn man so erfolgreich ist, wenn sich die gute Nachricht so verbreitet, wenn da was ankommt bei den Leuten und sie zahlreich kommen und sich vielleicht auch mitreißen lassen. Eigentlich erst mal merkwürdig, dass Jesus da bremst. Aber da lauert schon die Gefahr: Wer sich mitreißen lässt, verlässt u.U. seinen Standpunkt und verliert schnell den kritischen Blick auf sich selbst. Diese Tendenz lässt sich bei den Jüngern hören: Die bösen Geister sind uns untertan in deinem Namen. Ja, sie sagen: Sie sind uns untertan. Das muss man mal genau hören, was da mitschwingt. Wir haben es in der Hand, wir können es. Wir tragen den Kampf des Guten gegen das Böse aus, dazu sind wir gesandt. Wir tun es in deinem Namen, aber wir tun es.

Ja, das geht schnell im Eifer des Gefechts bzw. im Eifer des Erfolgs. Und bei dem, worum es hier geht, geht es besonders schnell. Denn wir neigen als Menschen dazu zu denken, dass wir selbst den Kampf des Lichts gegen die Finsternis auf dieser Welt austragen müssen. Dass er sich zum Guten entscheidet, dann, wenn wir alles richtig machen. Das aber ist ein Trugschluss. Jesus holt seine euphorisierten Jünger da auf den Teppich zurück. Leute, die Entscheidung ist schon gefallen. Ihr sollt sie lediglich bekannt machen. Mit klaren Worten aller Welt sagen: Skorpione, Schlangen, Dämonen - sie sind da. Sie sind gefährlich. Nehmt sie ernst. Aber tut es mutig, denn ihr wisst doch: Die letzte Macht haben sie nicht über Euch.

Skorpione, Schlangen, Dämonen – wie heißen diese Kräfte heute? Sind es all die, die Gift und Galle verbreiten? Die menschliche Gemeinschaft vergiften mit ihren Worten, die spalten und stechen, Angst und Schrecken verbreiten? Deren Wahrheit die Lüge ist? Die das bis hin in unsere Wortwahl geschickt immer mehr einschleusen in unsere Gedanken, auf dass wir eine bestimmte Art über andere Menschen zu reden, normal finden? Dass man übelste Beleidigungen hinzunehmen hat als öffentliche Person wie das gerade die Grünenpolitikerin Renate Künast gerichtlich bestätigt bekommen hat? Wie immer wir sie nennen würden oder jeweils in unserem Leben erkennen mögen, sie sind da und ihr Gift wirkt – so lange wir es wirken lassen. Und es geht schnell. Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz – sagt Jesus. Er ist blitzartig immer wieder da – bzw. seine Kräfte sind es. Der Satan, der vom Himmel fällt - ein bekannter Mythos der jüdischen Überlieferung. Auf den bezieht Jesus sich hier. Wir haben davon vorhin in der Epistel gehört. Der Erzengel Michael bekämpft im Himmel Gottes Widersacher und wirft ihn schließlich auf die Erde. Im Himmel ist er schon besiegt, aber auf der Erde noch nicht. Da treibt er jetzt sein Unwesen und er ist gefährlich, weil er weiß, dass er wenig Zeit hat. Jesus beschreibt die Welt als einen Ort, an dem die guten und die bösen Mächte deshalb noch miteinander ringen. Dass sie einem auch in die Parade fahren sozusagen. Denn an anderer Stelle wird in den Evangelien ja auch erzählt, dass die Jünger scheitern, dass sie nicht heilen können. Ja, auch mit unseren Vergeblichkeitserfahrungen müssen wir leben. Damit, dass wir diesen Kräften manchmal nichts entgegenzusetzen haben und sie uns auslaugen. Auch mit unseren Zweifeln haben wir umzugehen, manchmal auch damit, am Glauben verzweifeln zu mögen. Wer im Moment in seinem Leben in solch einer Situation ist, wird die Euphorie dieser 72 Jünger kaum ertragen können. Denn der erlebt, dass die Schlangen noch beißen und die Skorpione noch stechen. Der erlebt Kampf. Mit sich. Mit Gott. Vielleicht auch mit seinen Engeln.

Der Engel Michael, der diesem heutigen Gedenktag seinen Namen gegeben hat, ist dabei eine schillernde Figur. Er steht für diese kämpferische Seite der Engel, die sich für oder auch gegen etwas richten kann. Auf vielen orthodoxen Ikonen, wo Michael gegen die Schlange oder den Drachen kämpft, fließt Blut. Die griechisch/russisch - orthodoxe Frömmigkeit nimmt die Existenz des Bösen als eigenständige Macht sehr ernst – und damit letztlich die Menschen, die körperlich und seelisch darunter leiden. Wir in der westlichen Kirche scheuen uns ja eher, von der Macht des Bösen zu reden, bzw. sie uns figürlich zu denken. Und gehen dann erstmal philosophisch daran, wie man es denn denken kann, wo es denn herkommt. Oder entsteht es vielleicht immer neu im Moment?

Man kann darüber streiten. Aber: Ob es das Böse gibt, ist nicht eine intellektuelle Frage des Für- wahr-Haltens. Es ist da. Wir erleben es. In vielfältigen Ausprägungen. Nicht als böses Wesen, sondern, dass es unberechenbar ist und sich überall reinzudrängen versucht. Auch in uns. Und wir können eben leider dazu beitragen, dass es sich ausbreitet. Es ist anstrengend, denn es fordert uns ständige Kontrolle und Selbstbeherrschung ab, die uns nicht immer gelingt. Wir können es wahrnehmen als Kraft, die fähig ist, unsere Beziehungen untereinander zu zerstören. Auch unsere Beziehung zur Erde, zur Schöpfung, zum Leben, zu allem, was ist. Wir können es wahrnehmen in unserer Gier, nicht genug zu bekommen. In unserer Angst, zu kurz zu kommen. In all dem, was Greta Thunberg in ihrer zornigen Rede in der letzten Woche durchaus treffend beschrieben hat wie es 16jährige tun und zurecht tun, damit wir endlich aufwachen genau an diesem Punkt. Die Botschaft: Übernehmt endlich die Kontrolle über Euer Handeln und Nichthandeln, sie ist deutlich. Reflektiert Euch endlich selbst!

Ja, das ist eine Zumutung und viele Erwachsene reagieren entsprechend, indem sie allen Anstand vergessen und Kinder und Jugendliche beleidigen. So ein deutlicher und zorniger Hinweis auf die inneren Schlangen, Skorpione und Dämonen ist nicht angenehm. Aber genau in diesem Zusammenhang ist der Mythos von den gefallenen Engeln noch mal besonders sprechend: Nämlich die Frage, warum das Böse oder Satan aus dem Himmel geworfen worden ist. Der konnte es nämlich nicht aushalten, dass Gott den Menschen nicht nach dem Urbild der Engel erschaffen wollte, sondern nach seinem eigenen Abbild. Und da er selbst allen anderen Engel an Schönheit, Macht und Herrlichkeit überlegen war, hat er einen immensen Hass gegen das zukünftige Menschengeschlecht entwickelt. Und der wirkt unter uns, fällt immer wieder wie ein Blitz vom Himmel. Immer dann, wenn ich es kaum aushalten kann, dass Gott meinen Mitmenschen nach seinem Bilde gemacht hat – und nicht nach meinem. Wo meine Eitelkeit verletzt ist und ich so angestochen reagiere wie das Tier auf den orthodoxen Ikonen. Wenn das geschieht, wird es immer gefährlich für unser Miteinander, es ist genauso gefährlich wie unsere Überheblichkeit – und besonders schlimm ist es, wenn sich beides miteinander vermischt. Wenn ich angestochen bin und überheblich zugleich. Auch das kommt ja vor, wenn wir uns ehrlich selbst anschauen.

Vor diesem Hintergrund höre ich die Antwort Jesu an die Jünger: „Freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Darüber freut euch, sagt Jesus. Darüber freut euch wirklich. Denn das ermutigt zur Tat: zu wissen: Ich bin bewahrt. Der Kampf zwischen Gut und Böse ist entschieden, Gott hat ihn für mich gewonnen. Und das steht da fest eingetragen in diesem himmlischen Buch. Ein schönes Bild, das Buch des Lebens. Der Erzengel Michael hat in dieser Tradition die Aufgabe, dieses Buch zu führen. Was wir sind, ist schon entschieden. Wir stehen schon drin. Auch deshalb feiern wir unsere Taufe. Wir bekennen uns, gewürdigt zu sein. Dass wir mit unserem Namen Boten sind für das, was durch Gott schon entschieden ist. Die Schlangen, Skorpione und wie sie heißen: Sie fauchen und zischen noch. Aber ihre Zeit ist eigentlich vorbei. Und sie haben lediglich die Macht über uns, die wir ihnen selbst zugestehen. An dieser Stelle, da sind wir gefragt, tatsächlich wir: Selbst zu entscheiden, ob wir ihnen Macht über uns geben oder nicht.

Der heutige Tag des Engels Michael und der anderen Engel möchte uns daran erinnern: Da sind noch die anderen Engel. Wir stehen in diesem Dienst nicht allein. Manche Engel in menschlicher Gestalt stehen uns bei, manche gehen mit. Manche waschen uns den Kopf und sagen uns Bescheid. Sie weisen uns in unsere Grenzen. Andere kämpfen für uns und mit uns. Und einige rufen den Frieden aus wie die Engel auf den Feldern von Bethlehem: Ehre sei Gott in der Höhe – und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.

Und dieser Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org